Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0071
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Fernlinienbusmarkt mit 500% Plus
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Jens Gertsen
Heinrich Stößenreuther
Christiane Warnecke
Nach langen Diskussionen auf politischer Ebene wurde der Fernlinienbus-Markt in Deutschland zum 1.1.2013 liberalisiert. Abgesehen vom Schutz des ÖPNV auf kürzeren Strecken bis 50 km oder einer Stunde Reisezeit sind Konzessionen kaum reglementiert und werden innerhalb von 3 Monaten vergeben. Die Entwicklung der ersten Monate im liberalisierten Markt zeigt einen rasanten Angebots-Aufbau bei sinkenden Preisen. Dieser Artikel untersucht die Entwicklung des Fernlinienbus-Angebotes bis Ende April 2013. Der Fokus liegt auf der Entwicklung des Angebotsvolumens und der Preise.
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MOBILITäT Fernlinienbus Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 60 Fernlinienbusmarkt mit 500 % Plus Der liberalisierte Markt nimmt Fahrt auf Nach langen Diskussionen auf politischer Ebene wurde der Fernlinienbus-Markt in Deutschland zum 1.1.2013 liberalisiert. Abgesehen vom Schutz des ÖPNV auf kürzeren Strecken bis 50 km oder einer Stunde Reisezeit sind Konzessionen kaum reglementiert und werden innerhalb von 3 Monaten vergeben. Die Entwicklung der ersten Monate im liberalisierten Markt zeigt einen rasanten Angebots-Aufbau bei sinkenden Preisen. Dieser Artikel untersucht die Entwicklung des Fernlinienbus-Angebotes bis Ende April 2013. Der Fokus liegt auf der Entwicklung des Angebotsvolumens und der Preise. Die Autoren: Jens Gertsen, Heinrich Strößenreuther, Christiane Warnecke M it der Marktöfnung startete eine sehr dynamische Entwicklung auf dem deutschen Fernlinienbusmarkt. Bis ein eingeschwungener Zustand im Markt erreicht ist, kann es aber mehrere Jahre dauern. Einerseits brauchen Anbieter Zeit für die Entwicklung ihrer Buslinien, wie Ende 2012 die Ankündigung der Deutschen Post und des ADAC für eine Betriebsaufnahme erster Strecken für November 2013 zeigt. Andererseits erreicht auch die Nachfrage nicht sofort ihr volles Potenzial. Kunden brauchen Zeit, ein neues Verkehrsmittel und neue Anbieter in ihre Verkehrsmittelwahlentscheidung einzubeziehen und diese auszuprobieren, wie Warnecke und Rompf (2011) am Beispiel des Schienenpersonenfernverkehrs feststellen. Außerdem ist unklar, welche Preise im inter- und intramodalen Wettbewerb durchsetzbar sein werden. Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass die Fahrpreise von Fernlinienbussen auf den meisten Strecken direkt nach der Liberalsierung im Jahr 1980 um bis zu 50% gesunken sind und sich nur langsam erholt haben (Robbins und White 1986). So ist der junge Markt für die Fernlinienbusunternehmen chancenreich, birgt aber auch erhebliche Risiken. Mit welchem Potenzial ist überhaupt zu rechnen? Für das Vor-Liberalisierungsjahr 2012 berichtet das Statistische Bundesamt ein verschwindend geringes Aukommen von 2,5 Mio. Fahrgästen und 1 Mrd. Pkm im Fernlinienbusmarkt (Statistisches Bundesamt 2013) - also ca. 0,3 % des deutschen Fernverkehrsmarktes. In Großbritannien, wo der Markt seit 1980 vollständig geöfnet ist, kommen Fernlinienbusse auf einen Marktanteil von 3 % am Fernverkehrsaufkommen (White 2001). Die Zahlen aus dem EU Projekt Kite (2008) deuten auf einen Marktanteil von 3-5 % hin. 1 Für Deutschland gehen wir deshalb von mindestens 3 % Marktanteil für den liberalisierten Fernlinienbus aus. Das entspricht einem Aukommen von ca. 35 Mio. Fahrgästen und einer Verkehrsleistung von ca. 10 Mrd. Pkm 2 pro Jahr. Wir erwarten, dass - ähnlich wie in Großbritannien - in wenigen Jahren die deutschen Großstädte mit einem hoch-frequenten Fernbusnetz verbunden sein werden (Strößenreuther 2010). Dies lässt die aktuelle Entwicklung in Ansätzen erkennen. Angebotsentwicklung Die Ankündigungen neuer Linien und Anbieter reißen Anfang 2013 nicht ab. Mein- Fernbus, Flixbus und Univers/ Aldi haben Ende April 2013 schon ein bundesweites Angebotsnetz mit Großstadtverbindungen aufgebaut. Auch der Incumbent BerlinLinien- Bus mit seinen Tochterunternehmen der DB AG und anderen Partnerunternehmen weitet sein Netz stark aus, trotz der Entscheidung des DB Konzerns von Anfang 2011 (Kuhr 2011), sich nicht aktiv am Markt zu beteiligen. Der unter dem bisherigen Regulierungsrahmen schon gut entwickelte Nischenmarkt der Flughafenzubringer zeigt keine signiikante Veränderung. 3 Bild 1 zeigt die sehr dynamische Entwicklung. Gegenüber dem niedrigen Niveau von Ende 2011 ist das inländische Angebot gemessen in Buskilometern um ca. 500% gestiegen. Aber auch in 2012 gab es schon eine Verdoppelung der Buskilometer. Das Wachstum in 2012 geht vor allem auf das Konto des neuen Anbieters MeinFernbus, der es schafte, trotz der noch bestehenden Beschränkungen (PBefG alt, Artikel 13) eine Reihe von Konzessionen in Süd- und Westdeutschland zu erhalten. Ende April 2013 ist MeinFernbus - bezogen auf die Buskilometer - der größte Anbieter, direkt gefolgt vom Incumbent BerlinLinienbus (siehe Bild 2). Univers/ Aldi und Flixbus sind mit einem ähnlichen Angebotsumfang unterwegs und kommen jeweils auf einen Anteil von ca. 10 % an 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 Ende 2011 Ende 2012 Ende April 2013 Fernlinienbus ohne Flughafenzubringer Fernlinienbus gesamt + 500% [T Buskm/ Woche] Bild 1: Fernlinienbusangebot (innerdeutsch) 2011 - April 2013 in Tausend Buskilometern pro Woche. Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 61 den Buskilometern. Unter die Kategorie „andere“ fallen insbesondere die Flughafenzubringer, aber auch Anbieter einzelner Linien. Ein Vergleich mit der Marktanteilsprognose 4 von 3 % verdeutlicht, dass die Entwicklung erst am Anfang steht und mit einem mindestens fünf Mal höheren Angebot zu rechnen ist, bis ein eingeschwungener Zustand erreicht ist (Bild 3). Vor dem Hintergrund der bereits angekündigten weiteren Angebotsausweitungen der aktuellen Anbieter und des geplanten Markteinstiegs von Deutscher Post und ADAC erscheint diese Entwicklung mittelfristig plausibel. Das schnelle Angebotswachstum zeigt, dass es nicht nur interessierte Player gibt, sondern auch eine Nachfrage, die der bisherige Verkehrsmarkt so nicht bedienen konnte. So befördert MeinFernbus bis April 2013 mehr als 500.000 Fahrgäste (MeinFernbus vom 30.04.2013). Mit der Veröfentlichung von Verkehrsleistungs- und Auslastungszahlen halten sich die Fernlinienbusanbieter bisher zurück, aber aus Kundensicht kann man jetzt schon sagen, dass die Liberalisierung ein Erfolg ist. Analyse der Preisangebote Unsere Analyse der Preisangebote umfasst alle angebotenen Teilstrecken auf innerdeutschen Fernbuslinien mit durchschnittlich mindestens 2 Abfahrten/ Tag (ohne Flughafenzubringer) am Monatsanfang Mai 2013. Die Datenbasis umfasst ca. 55 Linien von 8 Anbietern mit etwa 500 Relationen. Neben dem Normalpreis ohne Ermäßigung wurde der günstigste Preis für einen Erwachsenen für Mitte Juni 2013 ermittelt, d.h. mit einem Vorlauf von 5-6 Wochen. Frühbucherpreise wurden im Rahmen ihrer Verfügbarkeit erhoben. Der Anbieter Aldi/ Univers bietet grundsätzlich keine Ermäßigungen zum Normaltarif an, bei BerlinLinienbus waren besondere Preisangebote nur auf einem Teil der Strecken im Angebot und teilweise bereits ausgebucht. Bild 4 zeigt die erhobenen Preise in Abhängigkeit von der Entfernung. Auf kürzeren Strecken streuen die Preise stark und liegen tewilweise sogar auf Bahnpreisniveau. Auf Entfernungen über ca. 500 km werden Normalpreise unter 10- ct/ km und Aktionspreise unter 5 ct/ km angeboten. Damit liegt das Preisniveau dort bei etwa der Hälfte von Normal- und Sparpreisen der Bahn. Die Aktionspreise sind meistens sogar günstiger als Preise von Mitfahrgelegenheiten - Mitfahrzentralen empfehlen derzeit einen Kilometerpreis von 5-7 ct/ km. 5 Eine Clusteranalyse zeigt, dass Verbindungen zwischen Großstädten mit mehr als 500-Tsd. Einwohnern den am härtesten umkämpften Markt zwischen den Fernbusanbietern und mit Bahn- und Flugangeboten als Wettbewerber darstellen. Hier werden auch auf mittleren Entfernungen Preise um 10 ct/ km angeboten (siehe Bild 5). Die höchsten Kilometerpreise werden erzielt, wo umsteigefreie Fernbusverbindungen ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber konkurrierenden Bahnangeboten aufweisen, wie zum Beispiel in der Region Chemnitz/ Gera/ Jena. Zwischen den Fernlinienbus-Anbietern gibt es deutliche Unterschiede bei der Preisge- DeinBus Univers city2city flixbus andere MeinFernbus BerlinLinienBus Bild 2: Anteil der Anbieter an den Buskilometern Ende April 2013 (nationale Linien). 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 Stand April 2013 Weiteres Wachstumspotenzial Mi t elfris i ges Angebotsvolumen [T Buskm/ Woche] x 5 Buskm bei einem 3%igen Anteil der Linienbusse am Fernverkehrsmarkt Bild 3: Aktuelles Angebot vs. langfristig erwartetes Angebot. 150 250 350 450 550 650 750 850 50 0,30 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 Preis/ km [€] En f ernung [km] alle Rela i onen Ak i onspreise Normalpreis Bild 4: Fernbuspreise nach Entfernungen. 0,30 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 Preis/ km [€] En f ernung [km] Ak i onspreise Normalpreis Rela i onen zwischen Städten > 500 Tsd. Einwohner 150 250 350 450 550 650 750 850 50 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 Bild 5: Fernbuspreise zwischen Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern. MOBILITäT Fernlinienbus Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 62 staltung. Preisführer im Normalpreissegment sind Flixbus und Univers. Eine Ursache kann der Fokus dieser Anbieter auf wettbewerbsintensive Verbindungen zwischen größeren Städten sein. Bei den Aktionspreisen bieten Flixbus, City2City und MeinFernbus die günstigsten Angebote (Bild-6). Ein struktureller Vergleich nach Anbietern zeigt weitere Unterschiede in der Fahrpreisgestaltung: Flixbus ist ein Beispiel für annähernd konstante speziische Kilometerpreise unabhängig von der Reiseentfernung, während der Tarif anderer Unternehmen wie BerlinLinienBus mit zunehmender Entfernung degressiv gestaltet ist (Bild 7). Gegenüber den Vor-Liberalisierungspreisen, die stark von Streckenmonopolisten, teuren Flughafenzubringern und Tochterunternehmen der DB AG geprägt waren, ist das Preisniveau im Fernlinienbusbereich bereits in den ersten Monaten des geöfneten Marktes stark gesunken. Dazu tragen neben den teilweise niedrigeren Normalpreisen insbesondere die Aktionspreise bei. Fazit Im April 2013 nimmt der liberalisierte Markt bereits Gestalt an. Junge Startups und einige erfahrene Fernbus-Anbieter drängen auf den geöfneten Markt. Erste bundesweite Angebotsnetze von Anbietern sind entstanden. Das Angebotswachstum ist - von einem niedrigen Niveau ausgehend - rasant und noch lange nicht beendet. Nach unserer Markteinschätzung ist langfristig mindestens das Fünfache des Angebotes vom April 2013 zu erwarten. Die aktuelle Preisentwicklung zeigt sehr niedrige Aktionsangebote und teilweise niedrige Normalpreise der Anbieter unter der Hälfte des Bahn-Normaltarifs. Auch bei den Preisen wird sich noch viel tun, da der intramodale Wettbewerb mit parallelen Fernbuslinien unterschiedlicher Anbieter erst am Anfang steht. Mit dem stark wachsenden neuen Angebot bei sinkenden Preisen ist die Fernbus- Liberalisierung für die Fernverkehrsreisenden aber schon jetzt ein voller Erfolg. Interessant sind und bleiben die Fragen, wann die Entwicklungsdynamik nachlässt, wie sich der Preiswettbewerb auf den nachfragestarken Relationen entwickelt und welche und wie viele Anbieter sich langfristig am Markt durchsetzen werden. Auch ist noch nicht absehbar, welche intermodalen Verlagerungen bei der Nachfrage stattinden, und wie Kommunen und Marktplayer mit der oft unzureichenden Kapazität und Qualität von Terminals und Haltepunkten umgehen. ■ 1 Marktanteilsdiferenz zwischen vollständig liberalisierten (7-8 %) und stark reglementierten Märkten (2-4 %) nach Kite (2008), wobei in letzteren vorwiegend Fernbus-Gelegenheitsverkehre stattinden. 2 Bei ähnlicher durchschnittlicher Reiseweite wie im Schienenpersonenfernverkehr, d. h. ca. 280 km pro Fahrt. Die langen Reiseweiten der aktuellen Statistik von 400- 500- km (Statistisches Bundesamt 2013) resultieren aus einem hohen Anteil grenzüberschreitender Fahrten. 3 Konzessionen für Fernbuslinien zu Flughäfen wurden oft vergeben, da viele Flughäfen keine guten direkten Verkehrsanbindungen hatten. Der Nischenmarkt der Flughafenzubringer ist gekennzeichnet durch Strecken mit Distanzen von 50-200 km und durch relativ hohe Preise von 15-30 Cent/ km. 4 Buskilometer bei Zielmarktanteil berechnet auf Basis der geschätzten 10 Mrd. Pkm bei einem Einsatz von 50er Bussen mit einer Auslastung von 60 %. 5 Angabe des Fahrpreisrechners bei www.mitfahrzentrale. de, abgerufen am 12.06.2013 LIterAtur KITE (2008): Deliverable 8: Long-distance travel survey. EU research project. KUHR, D. (2011): Die Bahn kommt nicht. In: Süddeutsche 03.06.2011, http: / / www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ fernbuslinien-die-bahn-kommt-nicht-1.1104530. ROBBINS, D.K. und WHITE, P.R. (1986): The experience of express coach deregulation in Great Britain. Transportation, Vol. 13, Nr. 4, S. 359-384. STATISTISCHES BUNDESAMT (2013): Verkehr aktuell 05/ 2013. Fachserie 8, Reihe 1.1. STRÖSSENREUTHER, H. (2010): Der Wettbewerb um den Fernbusmarkt. IAA-Symposium „Die Öfnung des Buslinienfernverkehr - Potenziale und Chancen für den Busunternehmer“. http: / / archiv.iaa.de/ 10/ ileadmin/ user_upload/ 2010/ deutsch/ downloads/ fv/ vortraege/ 16/ 2-Heinrich_Stroessenreuther_VIP. pdf (abgerufen am 16.06.2013) WARNECKE, C. und ROMPF, D. (2011): Bahn frei für den Kunden? : Internationales Verkehrswesen (63), Nr. 3, S. 71-75. WHITE, P. R. (2001): United Kingdom. In: Regular Interurban Coach Services in Europe, OECD Round Table 114, S. 77-109. Jens Gertsen, Dipl.-Ing., Unternehmensberater CMC/ BDU, inno-mobil Mobilitätslösungen, Kassel gertsen@inno-mobil.de Christiane Warnecke, Dipl.-Volksw., Partner Verkehrs Innovations Partner, Frankfurt am Main cw@vi-partner.de Heinrich Strößenreuther, Dipl.-Wirt.-Inf., Gründer und Partner Verkehrs Innovations Partner, Berlin hs@vi-partner.de Bild 7: Fernbuspreise - Anbieterbeispiele. 0,15 0,10 0,05 0,00 Ct/ km DeinBus City2City Univers Flixbus BerlinLinienBus MeinFernbus Durchschni t spreise der erhobenen Rela i onen nach Anbieter keine Ak i onspreise Ak i onspreise Normalpreise Bild 6: Durchschnittspreise nach Anbietern. 0,30 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 600 500 400 300 200 100 0 Normalpreis/ km [€] En f ernung [km] BerlinLinienBus und Flixbus BerlinLinienBus Flixbus
