eJournals Internationales Verkehrswesen 65/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0074
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2013
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Projekt eVerkehrsraum Stuttgart

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2013
Martin Kagerbauer
Michael Hellig
Um das anvisierte Ziel von 1 Mio. Elektrofahrzeugen bis 2020 in Deutschland zu erreichen, investiert der Bund in zahlreiche Forschungsprojekte. Mit dem Schaufenster-Projekt „eVerkehrsraum Stuttgart“ hält die Elektromobilität nun auch Einzug in die Verkehrsplanungsmodellierung.
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MOBILITäT Verkehrsplanung Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 68 Projekt eVerkehrsraum Stuttgart Um das anvisierte Ziel von 1 Mio. Elektrofahrzeugen bis 2020 in Deutschland zu erreichen, investiert der Bund in zahlreiche Forschungsprojekte. Mit dem Schaufenster-Projekt „eVerkehrsraum Stuttgart“ hält die Elektromobilität nun auch Einzug in die Verkehrsplanungsmodellierung. Die Autoren: Martin Kagerbauer, Michael Heilig D ie Forschungsergebnisse zur Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) zeigen, dass Deutschland auf einem guten Weg ist, bis zum Jahr 2020 Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität zu werden. Aktuelle Verkehrsmodelle sind jedoch derzeit noch nicht in der Lage, die Auswirkungen und Einlüsse der Elektromobilität auf das Mobilitätsverhalten und die Verkehrsnetze in Deutschland abbilden und prognostizieren zu können. Insbesondere auf regionaler Ebene sind daher Planungswerkzeuge erforderlich, die Infrastrukturplanern und Stadtverwaltungen die Möglichkeit geben, alle Aspekte der gesamten Mobilität - sei es konventionell oder elektrisch - zu berücksichtigen. Das Projekt „eVerkehrsraum Stuttgart“ bietet die Gelegenheit, im Rahmen des badenwürttembergischen Schaufensters Living- Lab BWe mobil, die Elektromobilität mit all seinen Aspekten in die Verkehrsplanungsmodelle zu integrieren. das Schaufenster Elektromobilität LivingLab BWe mobil Das Schaufenster LivingLab BWe mobil ist einer von vier Gewinnern der Förderausschreibung Schaufenster Elektromobilität des Bundes. Insgesamt sind in Baden-Württemberg mehr als 100 Partner aus Wirtschaft und Forschung in rund 40 bundes- und landesgeförderten Projekten mit einer Gesamtfördersumme von über 40 Mio. € organisiert. Die Projekte konzentrieren sich in der Region Stuttgart sowie in der Stadt Karlsruhe. Die Forschungsschwerpunkte gliedern sich in „Intermodalität“, „Flotten und gewerbliche Verkehre“, „Energie, Infrastruktur und IKT“, „Wohnen und Elektromobilität“, „Stadt- und Verkehrsplanung“, „Fahrzeugtechnologie“, „Kommunikation und Partizipation“ und „Ausbildung und Qualiizierung“ [1]. Das Projekt „eVerkehrsraum Stuttgart“ gehört zum Forschungsschwerpunkt „Stadt- und Verkehrsplanung“. Die Dauer des Projekts erstreckt sich über drei Jahre bis zum 31.12.2015. Projekt eVerkehrsraum Stuttgart Die wachsende Bedeutung der Elektromobilität für unseren Alltag wird nicht nur durch das Vorhaben der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die deutschen Straßen zu bringen, sichtbar. Besonders bei den Pedelecs steigen die Verkaufszahlen jährlich - allein im Jahr 2012 um 15 % im Vergleich zum Jahr 2011 [2]. Die elektriizierten Fahrräder haben gegenüber den konventionellen Fahrrädern Vorteile hinsichtlich der Vergrößerung des Aktionsradius. Elektrische Fahrzeuge im allgemeinen haben jedoch auch Einschränkungen, wie beispielsweise die Ladezeiten oder die Reichweitenrestriktionen im Vergleich zu konventionellen Autos. Es gibt derzeit wenige rein elektrisch angetriebene Autos auf dem Markt, welche eine Reichweite von mehr als 130 km unter Normalbedingungen schafen [3]. Neben der Difusion von Elektromobilität in den Mobilitätsmarkt zeichnen sich weitere Veränderungsprozesse ab. Innovative Mobilitätsdienste wie z. B. Car-Sharing erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Neben den stationsgebundenen Systemen bieten insbesondere stationsungebundene Car- Sharing-Systeme (car2go oder DriveNow) in Großstädten die Möglichkeit, einzelne Ortsveränderungen lexibel mit dem Pkw durchzuführen. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2012 146.000 Neukunden von Car-Sharing-Systemen registriert [4]. Eine Neukundenbefragung des Bundesverbandes Car-Sharing hat zudem ergeben, dass rund 25% der Befragten das eigene Auto durch Car-Sharing ersetzt haben [5]. Wenn sich diese Trends weiter fortsetzen, werden Car-Sharing-Systeme das Mobilitätsverhalten der Menschen in Zukunft stärker beeinlussen als bisher. Die Veränderung des Mobilitätsverhaltens und die technologischen Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Elektromobilität, müssen daher bei der Weiterentwicklung der vorhandenen Verkehrsplanungswerkzeuge berücksichtigt werden. Grundlage für die Entwicklung von Verkehrsmodellen sind empirische Daten, welche zur Validierung der Modellergebnisse verwendet werden. Dazu gehören beispielsweise Mobilitätsmuster, Fahrtweitenverteilungen, Modal-Split-Verteilungen und Nutzerstatistiken. Allerdings sind diese Daten für Elektromobilität auf Grund der geringen Marktdurchdringung derzeit noch nicht in ausreichender Menge vorhanden. Das Schaufenster Elektromobilität LivingLab BWe mobil bietet die optimale Umgebung für die Weiterentwicklung des am Institut für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Zusammenarbeit mit INOVAPLAN GmbH, Karlsruhe, entstandenen Verkehrsplanungsmodells mobiTopp [6], da im Rahmen vieler Schaufenster-Projekte Daten zur Nutzung von Elektrofahrzeugen erhoben und für die Modellierung verwendet werden können. Mit Hilfe dieser Daten werden Modellalgorithmen weiterentwickelt, implementiert und validiert. Ergänzend werden, in Abstimmung mit anderen Schaufensterprojekten, unter teilweise elektromobilitätserfahrenen Nutzern Befragungen durchgeführt. Durch diese sollen zusätzliche empirische Daten über das Nutzerverhalten bei neuen Mobilitätsdiensten und Elektromobilität gewonnen werden, die ebenfalls in die Modellierung einließen (siehe Bild 1). Für die Abbildung von Elektromobilität im Modell ist es nötig, neben einzelnen Personen auch einzelne Fahrzeuge mit unterschiedlichen Eigenschaften in das Modell zu integrieren. Zum einen können Fahrproile der Elektrofahrzeuge im Schaufenster ausgewertet werden, um im Rahmen des Schaufensters mögliche Unterschiede in Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 69 der Nutzung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb zu analysieren. Zum anderen müssen Fahrer und Fahrzeug für die Modellierung von Ladevorgängen getrennt betrachtet werden. Interessant ist hier weniger der Ladevorgang selbst, als vielmehr das Mobilitätsverhaltensmuster der Personen. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, wo und wann Personen ihr Fahrzeug bevorzugt laden. Typische Beispiele hierfür sind der Ladevorgang über Nacht zu Hause oder der Ladevorgang tagsüber, während das Fahrzeug parkt. Neben den Fahrzeugen wird die öffentliche und nicht-öfentliche Ladeinfrastruktur in das Modell integriert. Die Modellierung von Fahrer und Fahrzeug ist auch bei der Modellierung von Car-Sharing-Diensten elementar. Die unterschiedlichen Car-Sharing-Systeme - stationsgebunden und stationsungebunden - bieten verschiedene Nutzungsmöglichkeiten, für deren Modellierung Nutzer und Fahrzeug getrennt betrachtet werden müssen. In einigen Schaufensterprojekten in der Region Stuttgart werden Car-Sharing-Systeme in Kombination mit elektrischen Fahrzeugen angeboten. Diese werden in eVerkehrsraum Stuttgart modelltechnisch ebenso abgebildet wie die Nutzung weiterer elektrischer Mobilitätsdienstleistungen (wie z. B.: e-Calla-Bike). Zudem ist bei batterieelektrischen Fahrzeugen sicherzustellen, dass in regelmäßigen Abständen der Akku geladen werden kann. Diese Rahmenbedingungen werden im Projekt eVerkehrsraum analysiert und mit geeigneten Algorithmen in das Modell implementiert. Durch die verkehrsmittelübergreifende und integrierte Modellierung von Elektromobilität, neuer Mobilitätsdienste mit deren Eigenschaften sowie der konventionellen Mobilität (ÖV, Pkw-, Rad- und Fußverkehr) können komplexe Zusammenhänge dargestellt und deren Auswirkungen auf die Infrastruktur gezeigt werden. Zudem eröfnet sich durch die Abbildung des Verhaltens von Nutzern die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Akzeptanz neuer Mobilitätsangebote zu ziehen. Fazit und Ausblick Das im Projekt „eVerkehrsraum Stuttgart“ weiterentwickelte Modell mobiTopp hilft, die Auswirkungen darzustellen, die durch die efektiver und komplexer werdenden Mobilitätsdienstleistungen immer schwerer zu begreifen sind. Es wird ein multifunktionales und multimodales Planungswerkzeug entwickelt, welches den Anforderungen des künftigen Mobilitätsverhaltens gewachsen ist. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von der Prognose künftigen Mobilitätsverhaltens und Verkehrsaukommens bis hin zur Prognose des tageszeitabhängigen Energiebedarfs von Elektrofahrzeugen. ■ Weitere Informationen zu mobiTopp: www.ifv.kit.edu LIterAtur [1] e-mobil BW GmbH. „LivingLab BWe mobil“. [Online] [Zitat vom: 02. 07 2013.] http: / / blog.livinglab-bwe.de/ schaufenster/ #.UdLU_lM_h4. [2] BUDDE, Angela. In: extraenergy.org. [Online] 24. April 2013. [Zitat vom: 03. Juli 2013.] http: / / extraenergy.org/ main.php ? language=de&category=&subcateg=&id=34332. [3] ADAC. Elektroautos: Marktübersicht/ Kenndaten. 2013. [4] Bundesverband CarSharing e.V. (bcs). [Online] 26. Februar 2013. [Zitat vom: 03. Juli 2013.] http: / / www.carsharing.de/ index.php? option=com_content&task=view&id=372&Item id=44. [5] Bundesverband CarSharing e.V. (bcs). [Online] 27. November 2012. [Zitat vom: 11. Juli 2013.] http: / / www.carsharing. de/ index.php? option=com_content&task=view&id=360&I temid=92. [6] MALLIG, Nicolai, KAGERBAUER, Martin, VORTISCH, Peter: mobiTopp - A Modular Agent-based Travel Demand Modelling Framework. In: Procedia Computer Science. 2013, Bd. 19, S. 854-859. Martin Kagerbauer, Dr.-Ing. Senior Researcher am Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Geschäftsführer der INOVAPLAN GmbH, Karlsruhe und München martin.kagerbauer@kit.edu Michael Heilig, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) m.heilig@kit.edu Bild 1: Visualisierung der Verkehrsnachfrage in der Region Stuttgart mit mobiTopp, einem mikroskopischen Multi-Agenten-Simulations-Modell, das die Ortsveränderungen aller Personen mit allen Verkehrsmitteln eines Planungsraums über den Zeitraum von einer Woche simuliert. Beispielsweise können Unterschiede und Ähnlichkeiten im Mobilitätsverhalten über die einzelnen Wochentage dargestellt und analysiert werden. Der mikroskopische Ansatz erlaubt zudem die Betrachtung des individuellen Mobilitätsverhaltens jeder einzelnen Person im Planungsraum.