Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0076
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Lithiumionenbatterien im Boeing B787 Dreamliner
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Jörg Kaiser
Nach einem Batteriebrand in Boston und einer Notlandung in Takamatsu geriet der neue Boeing B 787 Dreamliner im Januar 2013 international in die Schlagzeilen. Wenige Wochen später präsentierten Boeing und seine Zulieferer Maßnahmen, die den sicheren Betrieb der Lithiumionenbatterie an Bord sicherstellen und das Vertrauen der Airlines und der Passagiere zurückgewinnen sollen. Ein Beitrag zu möglichen Ursachen und Hintergründen.
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Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 72 TECHNOLOGIE Batteriesicherheit Lithiumionenbatterien im Boeing B 787 Dreamliner Nach einem Batteriebrand in Boston und einer Notlandung in Takamatsu geriet der neue Boeing B 787 Dreamliner im Januar 2013 international in die Schlagzeilen. Wenige Wochen später präsentierten Boeing und seine Zulieferer Maßnahmen, die den sicheren Betrieb der Lithiumionenbatterie an Bord sicherstellen und das Vertrauen der Airlines und der Passagiere zurückgewinnen sollen. Ein Beitrag zu möglichen Ursachen und Hintergründen. Der Autor: Jörg Kaiser I m Januar 2013 traten beim Boeing B 787 Dreamliner innerhalb kurzer Zeit zwei besorgniserregende Ereignisse im Zusammenhang mit Lithiumionenbatterien auf, die weltweit für Aufsehen sorgten. Am 7.1.2013 wurde nach der Landung eines B 787 Dreamliners in Boston, kurz nachdem die Passagiere das Flugzeug verlassen hatten, von der Reinigungscrew ein Batteriebrand entdeckt, für dessen Löschung die Feuerwehr 40 min benötigte. Wenige Tage später am 16. Januar 2013 leitete der Pilot eines japanischen Inlandluges eine Notlandung auf dem Flughafen Takamatsu ein, nachdem er vom Bordsystem Probleme an der Batterie sowie Rauchentwicklung angezeigt bekommen hatte. 183 Passagiere und 11 Besatzungsmitglieder konnten das Flugzeug über Notrutschen unverletzt verlassen. Obwohl kein ofener Brand auftrat, war die Feuerwehr 40 min mit der Bekämpfung der Rauchentwicklung beschäftigt. Umgehend wurde ein Flugverbot für alle B 787 Dreamliner verhängt und Experten der betrofenen Fluggesellschaften, des Herstellers Boeing und der zuständigen Federal Aviation Administration (FAA) arbeiteten mit Hochdruck an der Auklärung der Vorgänge und an Lösungen, um einen sicheren Flugbetrieb wieder aufnehmen und gewährleisten zu können. Schlimmer verlief der Absturz einer UPS- Cargo Boeing 747 am 3. September 2010 auf dem Flug von Dubai nach Köln-Bonn. Eine Stunde nach dem Start meldeten die Piloten Feuer im Cockpit und kehrten umgehend um. Ein Landeversuch in Dubai misslang, und den folgenden Absturz überlebte die Crew nicht. Die Untersuchungen ergaben, dass der Brand von einem Container im Laderaum ausging, in dem sich ein Teil der insgesamt 80 000 bis 90 000 in Hongkong an Bord gegangenen Lithiumprimärzellen und Lithiumionenzellen befand. Zudem zeigte sich, dass die Begleitpapiere zumindest bei einem Teil der Zellen diese fälschlicherweise nicht als Gefahrgut auswiesen und diese nicht einmal die erforderlichen Qualiizierungstests für den Lufttransport durchlaufen hatten. Darüber hinaus berichten Medien immer wieder von Sicherheitsproblemen mit Lithiumionenakkus in Mobiltelefonen, Laptops, Elektrofahrrädern oder Elektroautos bzw. von Rückrufaktionen im Zusammenhang mit dem Austausch defekter Akkus. Ofenbar verhält es sich auch 20 Jahre nach der Markteinführung der ersten Lithiumionenzellen so, dass sowohl bei der Herstellung als auch beim Betrieb Zustände eintreten können, die einen Ausfall des Akkus mit Sach- und Personenschäden nach sich ziehen. Die Ursachen für Sicherheitsprobleme mit Lithiumprimärzellen und wieder auladbaren Lithiumionenakkus sind vielfältig. Häuig hängen sie aber gerade mit den Eigenschaften zusammen, deretwegen sie gegenüber anderen Speichertypen wie Ni- Foto: Altair78/ wikipedia.de Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 73 ckel-Cadmium oder Nickelmetallhydrid den Vorzug erhalten: ihrer hohen Energie- und Leistungsdichte. Mit Lithiumionentechnologie kann man mit seinem Handy länger telefonieren, die Rechenpower eines Smartphones für unzählige Apps nutzen, auf dem Tablet PC Spielilme ansehen oder mit dem Laptop viele Stunden arbeiten. Aufgrund kontinuierlicher Verbesserungen erreichte vor einigen Jahren die Technologie hinsichtlich Energiedichte, Leistungsdichte und speziischen Preis Regionen, die sie auch für größere Applikationen wie Elektrofahrräder, vollelektrisch oder hybridisch angetriebene PKW oder Busse und auch für den Einsatz in der Bordelektrik von Passagierlugzeugen interessant machten. Im Dreamliner ersetzen sie beispielsweise in Verbindung mit Elektromotoren die bisherigen schwereren und mehr Bauraum in Anspruch nehmenden hydraulischen Systeme, um die Maschine leichter zu machen und mehr Ladung bzw. Passagiere transportieren zu können. Genau genommen vereinen sich unter dem Oberbegrif Lithiumionenzelle zahlreiche Zelltypen. Je nach Einsatzproil einer Zelle können Zellhersteller auf eine Reihe verschiedener Aktivmaterialien, Elektrolyte und Hilfsstofe zugreifen und daraus spezielle Zelltypen für Mobiltelefone, Laptops, Modelllugzeuge, Hybrid PKWs, vollelektrische PKWs oder große stationäre Batterien z. B. zur Speicherung von Wind- oder Solarenergie kombinieren. Dabei gilt es, ein für die jeweilige Anwendung speziisches Optimum zwischen den Kriterien Sicherheit, Energiegehalt, Leistungsdichte, Lebensdauer und nicht zuletzt auch Preis zu inden. So gibt es Aktivmaterialien wie das in Handy- oder Laptopzellen weit verbreitete Lithiumcobaltoxid, das zwar einen hohen speziischen Energiegehalt aufweist, gleichzeitig aber weniger als andere Materialien über Sicherheitsreserven bei einem Zellbrand verfügt. Auf der anderen Seite existiert mit Lithiumeisenphosphat ein Material für die positive Elektrode, das in Bezug auf Feuergefährlichkeit sicher ist, dafür aber weniger Energie speichern kann. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass eine Zelle mit Lithiumeisenphosphat kein Feuer fangen könnte, da sie noch weitere brennbare Komponenten enthalten kann, die unter ungünstigen Umständen entlammbar sind. Häuig sind Zellbrände verbunden mit einem Ausfall des Separators, einer dünnen Membran zwischen den Elektroden, die zuverlässig einen internen Kurzschluss verhindern muss (Bild 1). Herkömmliche Separatoren, wie sie seit vielen Jahren in Zellen für Mobiltelefone und Laptops eingesetzt werden, bestehen aus Kunststoffolien mit begrenzter Temperaturstabilität. Kommt es zu lokalen Erwärmungen über 150 °C, was bei Falschgebrauch oder einem Defekt der elektrischen Peripherie im Bereich des Möglichen liegt, schmilzt der Separator und es kommt zum direkten Kontakt der Elektroden innerhalb der Zelle - verbunden mit internen Kurzschlussströmen, die die zulässigen Ströme um das 100-Fache übersteigen können. Damit ist der point of no return überschritten: Der Zellinhalt erhitzt sich unter diesen Bedingungen innerhalb von Sekunden, zersetzt sich bzw. dehnt sich aus und lässt das Zellgehäuse bersten. Die austretenden Gase sind hochentzündlich, und es bedarf dann nur noch eines Funkens oder einer heißen Oberläche, um eine Durchzündung auszulösen. Die Industrie hat in den vergangenen Jahren an dieser Stelle temperaturstabile Separatoren aus Keramikverbundmaterialien entwickelt, die solchen Bedingungen standhalten können und die Sicherheit insbesondere von großen Zellen erheblich verbessert haben. Allerdings verfügen nur einige Zellhersteller über diese Technologie und von den übrigen hat nicht jeder Zugrif auf keramische Separatoren. Boeing setzte im B 787 Dreamliner auf den japanischen Zellhersteller GS Yuasa und den französischen Batteriemodulbauer Thales. Doch enthielt der gewählte Zelltyp Lithiumcobaltoxid als positives Elektrodenmaterial in Verbindung mit einem Kunststofseparator. Das war 2005, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Liefervertrags, noch Stand der Technik, allerdings engt diese Materialkombination nach dem oben Gesagten den verfügbaren Sicherheitspufer zwischen dem eigentlichen Betriebsfenster und einem möglichen Zellausfall im Vergleich zu moderneren Materialien ein. Interessanterweise setzt die Automobilindustrie in ihren heutigen Hybrid- oder vollelektrischen Fahrzeugmodellen weltweit in keinem bekannten Fall Lithiumcobaltoxid ein, sondern greift durchweg auf andere Materialien zurück, die intrinsisch größere Sicherheitsreserven bieten. Nach den Ereignissen vom Januar 2013 war in der Kürze der Zeit eine aufwändige Zellneuentwicklung und Neuqualiizierung (mit einem Zeitbedarf von vielen Jahren) keine Option für die betrofenen Unternehmen. Daher mussten die Verbesserungen an anderen Stellen ansetzen. Zum einen wurden die Produkt- und Prozesskontrollen bei den Zulieferern GS Yuasa und Thales verschärft. Desweiteren wurde die Ladeelektronik verbessert und das Betriebsfenster eingeengt, um die Zellen zukünftig geringeren Belastungen auszusetzen. Und schließlich wird die Batterie zukünftig von einem zweiten Stahlgehäuse mit 3 mm starken Wänden, an das ein Titanrohr angeschlossen ist, hermetisch umhaust sein. Falls Rauch oder Brandgase immer noch auftreten sollten, würden diese nicht mehr ins Flugzeuginnere gelangen, sondern über das Rohr aus dem Rumpf ins Freie geleitet werden. Aus den verschiedenen veröfentlichten Berichten geht nicht hervor, was genau die Ursachen für die beiden Batterieausfälle im Januar 2013 waren. Es kann spekuliert werden, dass nach einer mehrjährigen Qualiizierungsphase und dem für die Zulassung erforderlichen Bestehen zahlreicher Sicherheitstests kein systematisches Problem vorliegt, sondern es sich um singuläre Vorfälle handelt, wie sie beispielsweise aus Produktions- oder Prozessschwankungen bei den Zulieferern resultieren können. In so einem Fall könnten Batterien aus einem bestimmten Produktionszeitraum rasch identiiziert und vorsorglich ausgetauscht werden. Am Karlsruher Institut für Technologie wird im Projekt Competence-E unter anderem die industrielle Fertigung von großformatigen Lithiumionenzellen beleuchtet und der Einluss von Prozessparametern auf die Zellqualität in einer eigenen Zellfertigungsanlage untersucht. Ziel ist es, kritische Fertigungsparameter zu identiizieren und prozesssicher zu kontrollieren. Hierbei arbeiten Experten fachübergreifend vom Material bis zur Produktionstechnologie eng zusammen. ■ Bild 1: Schematischer Aufbau einer Lithium- Ionen-Zelle (Anode: Lithiumcobaltdioxid; Kathode: Li-Graphit; Bezeichnungen gelten für den Entladevorgang) (Graik: Cepheiden/ wikipedia.de) Jörg Kaiser, Dr. Entwicklungsleiter Lithiumionenzellen, KIT Karlsruher Institut für Technologie, Projekt Competence-E, Eggenstein-Leopoldshafen joerg.kaiser@kit.edu
