eJournals Internationales Verkehrswesen 65/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0081
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2013
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Die Zukunft der Mobilität ist multimodal

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Wolfgang Schade
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GASTKOMMENTAR Wolfgang Schade Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 90 Die Zukunft der Mobilität ist multimodal V erkehr in Städten“ lautete der deutsche Titel des bahnbrechenden Berichts von Colin Buchanan, der 1963 während der Massenmotorisierung mit Autos in England eine neue Sicht auf die zukünftige Organisation des Verkehrs eröfnete. Multimodale Lösungen, beispielsweise die Vernetzung von privaten Pkw und ÖPNV, sollten den Verkehr in den Städten wieder ließen lassen und die Lebensqualität verbessern. Der Bericht führte den schönen Begrif des „halben Autofahrers“ ein, der sein Auto im Park-and-Ride-System nutzt und mit dem ÖPNV kombiniert. Die Vernetzung verschiedener Verkehrsträger in einer Wegekette ist also keine neue Lösung, sie wurde in den Jahrzehnten nach 1963 viel diskutiert und auch umgesetzt, allerdings unter den technischen Restriktionen der jeweiligen Zeit. Erst seit Ende der 2000er Jahre kann die Multimodalität im Personenverkehr durch neue Technologien, Organisationsformen und Geschäftsmodelle ein ganz anderes, höheres Qualitätsniveau erreichen. Insofern greifen Aussagen, dass in deutschen Städten Multimodalität schon lange umgesetzt wird, zu kurz. Die wichtigste Technologie ist das Smartphone mit unterschiedlichen Apps und Internet-Angeboten zur Bereitstellung von Fahrplan- und Verkehrsinformationen sowie zur Buchung und Nutzung von Fahrzeugen in Echtzeit. Neue lexiblere Geschäftsmodelle im Carsharing, ein erweitertes Angebot im Bikesharing oder Mitfahrgelegenheiten bis hin zu Ad-hoc-Fahrten werden möglich. Mobilitätskarten können auf einer einzigen Karte Zugang zu Carsharing, Bikesharing und dem ÖPNV gewähren. Integrative Mobilitätsdienstleister sorgen für eine Bündelung der Informationen zu Verkehrsangeboten und eine unkomplizierte monatliche Abrechnung. Der Nutzer wählt zukünftig aus den verschiedenen Angeboten dasjenige aus, das ihm für seine gerade geplante Fahrt am besten passt. Bei der nächsten Fahrt kann dies schon wieder ein komplett anderes Angebot sein. Diese Form der lexiblen und komfortablen Multimodalität bezeichnen wir als „vernetzte Mobilität“. Unterstützt wird die vernetzte Mobilität durch wichtige gesellschaftliche Trends. Dazu gehören der Wertewandel hin zum „Nutzen statt Besitzen“, die abnehmende Bedeutung des Autos als Statussymbol und die fortschreitende Urbanisierung. Die Elektromobilität leistet einen weiteren Beitrag - sowohl durch neue stadtverträglichere Fahrzeuge wie Pedelecs und elektrische Kleinstwagen als auch durch Förderung zahlreicher Projekte zur Demonstration der vernetzten Mobilität. Auch stadtpolitisch und -planerisch zeichnet sich der Wandel ab: Berlin beispielsweise formulierte 2011 in seinem „Stadtentwicklungsplan Verkehr“ für das Jahr 2040 ein Leitbild, das der vernetzten Mobilität entspricht. Was bedeutet dieser Wandel nun für die Akteure der Mobilität? Aus heutiger Sicht könnte der ÖPNV proitieren, während sich der Pkw-Absatz verringert. Für die Nutzer wäre es am praktischsten, wenn ihnen in Deutschland und Europa lächendeckend und mit einheitlichen Standards eine lexible, vernetzte Mobilität angeboten wird. Kooperation ist das Gebot der Stunde: Unter anderem kooperieren bereits ÖPNVmit Carsharing-Anbietern, Automobilhersteller bieten Carsharing an und suchen die Kooperation mit dem ÖPNV oder Autovermietern. Doch in manchen Regionen entwickeln sich mehrere konkurrierende Dienstleister gleichzeitig - so wird kein deutschlandweites Mobilitätsangebot entstehen, wodurch Systemvorteile für die Nutzer nur eingeschränkt generiert werden können. Das Ziel eines lächendeckenden Angebots der vernetzten Mobilität kann zwar auch gelingen, wenn mehrere regionale Angebote existieren, dann ist aber die Politik gefordert, ähnlich wie im Mobilfunkmarkt das Roaming zwischen den verschiedenen Regionen zu ermöglichen. Dann kann beispielsweise ein Kunde eines integrativen Mobilitätsdienstleisters aus Karlsruhe auch bei den Berliner Mobilitätsdienstleistern die Verkehrsangebote in seiner gewohnten Weise nutzen. Auf der Detailebene ist für die vernetzte Mobilität das Stellplatzproblem zu lösen: Zum einen fehlen oft die gesetzlichen Grundlagen Stellplätze für Carsharing zu reservieren, zum anderen schreiben viele Stellplatzordnungen Mindestzahlen an Parkplätzen vor, die bei Realisierung der vernetzten Mobilität zu hoch liegen. Auch hier hatte der Buchanan-Bericht schon 1963 auf die (fehl-)steuernde Wirkung einer Stellplatzordnung hingewiesen, die nur von Gebäudegrößen abhängt und nicht von den Mobilitätsbedürfnissen. ■ Wolfgang Schade, Dr. ist Leiter des Geschäftsfelds Verkehrssysteme beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe ZUR PERSON Foto: Privat