Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0086
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Treibhausgasneutraler Verkehr im Jahre 2050
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Kirsten Adlunger
Martin Lange
Martin Schmied
Durch aktuell hohe und global zukünftig steigende Treibhausgasemissionen trägt der Verkehr maßgeblich
zur Klimaerwärmung bei. Um die Folgen des Klimawandels zu beschränken, müssen auch im Verkehr
dringend Umstrukturierungen erfolgen. Der folgende Beitrag beschreibt, wie eine Energiewende im
Verkehr aussehen könnte.
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POLITIK Postfossile Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 14 Treibhausgasneutraler Verkehr im Jahre 2050 Notwendiges Zusammenspiel von Energie- und Verkehrswende Durch aktuell hohe und global zukünftig steigende Treibhausgasemissionen trägt der Verkehr maßgeblich zur Klimaerwärmung bei. Um die Folgen des Klimawandels zu beschränken, müssen auch im Verkehr dringend Umstrukturierungen erfolgen. Der folgende Beitrag beschreibt, wie eine Energiewende im Verkehr aussehen könnte. Die Autoren: Kirsten Adlunger, Martin Lange, Martin Schmied D urch eine Verkehrswende mit Maßnahmen der Verkehrsvermeidung, -verlagerung und Effizienzsteigerung muss ein umweltverträglicheres Verkehrssystem geschaffen werden, das einen geringeren Energiebedarf aufweist. Zusätzlich muss jedoch auch die Energieversorgung des Verkehrs langfristig auf die Basis regenerativer Energieträger umgestellt werden und damit auch eine Energiewende im Verkehr realisiert werden, da allein durch eine Verkehrswende ein umfassender Klimaschutz im Sinne des 2-Grad-Ziels nicht erreicht werden kann [UBA 2013b]. Hierfür gilt es Konzepte zu erarbeiten, die weltweit übertragbar sind und den Industriestaaten eine nahezu vollständige Treibhausgasreduzierung im Verkehr ermöglichen. Aktuelle Prognosen signalisieren global auch weiterhin ein kräftiges Wachstum des Verkehrsaufwandes und demzufolge auch des Energieverbrauches. Neben dem daraus resultierenden steigenden Beitrag zur Klimaerwärmung sind ein hoher Flächenverbrauch, Luftschadstoffsowie Lärmemissionen weitere negative Auswirkungen der heutigen Mobilität. Verzahnung von Energie- und Verkehrswende Um den Verkehr klima- und umweltverträglicher zu gestalten, müssen Energieverbrauch und Verkehrsaufwand national gesenkt bzw. global deren Wachstum gebremst werden. Weiterhin muss ein Umstieg auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel stattfinden. Wie in den vergangenen Jahrzehnten stehen dazu die geforderten klassischen Elemente der Verkehrswende weiter im Fokus: Verkehrsvermeidung, -verlagerung und Verbesserung der Verkehrsträger (sogenannter VVV-Ansatz). Die Verkehrswende ist dabei gemeinsam als Querschnittsaufgabe anzugehen. Jedoch stockt deren Verwirklichung seit Jahren, da sich das zielgerichtete Zusammenwirken der Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als schwierig erweist. Die Energiewende kann hier als neuer Treiber fungieren. Ursprünglich angetrieben durch den Ausstieg aus der Kernenergie und dem damit verbundenen Ausbau der erneuerbaren Energien ist sie mittlerweile zentral auch durch Klimaschutz und damit einhergehendem Ausstieg aus den fossilen Energien motiviert [UBA 2010]. Analog hierzu lässt sich eine Energiewende im Verkehr als Ausstieg aus den fossilen Kraftstoffen und Substitution durch Stromnutzung und durch erneuerbare, weitgehend treibhausgasneutrale Kraftstoffe definieren. Verbunden sind damit die Reduktion der Treibhausgas (THG)-Emissionen und die Begrenzung der mit dem Abbau fossiler Ressourcen einhergehenden negativen ökologischen Folgen. Im Zuge der Energiewende wird die Verkehrswende zunehmend bedeutend: Durch ihre Verwirklichung werden nicht nur verschiedene Umweltfolgen verringert, sondern auch eine Reduzierung des Energieverbrauchs erzielt. Damit bildet die Verkehrswende eine wichtige Voraussetzung, den Energiebedarf des Verkehrs regenerativ bereitstellen zu können und eine Energiewende im Verkehr zu erreichen (siehe Bild 1). Optionen für eine Energiewende im Verkehr Die postfossile, treibhausgasneutrale Energieversorgung des Verkehrs durch die Entwicklung alternativer Antriebe und Kraftstoffe hat in jüngerer Zeit eine verstärkte Bausteine einer Energiewende im Verkehr Verkehrswende VVV-Strategie: Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung, Effizienzverbesserung der Verkehrsmittel Postfossile Energieversorgungsoptionen Entwicklung von alternativen Antrieben und postfossilen, treibhausgasneutralen Kraftstoffen Bild 1: Bausteine einer Energiewende im Verkehr Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 15 Aufmerksamkeit bei Politik, Wissenschaft und Industrie erfahren. Die Elektromobilität sowie zunehmend stromgenerierte Kraftstoffe sind in diesem Zusammenhang als Beispiel zu nennen. Häufig fokussieren sich die Diskussionen jedoch auf den Straßenverkehr, insbesondere den PKW-Bereich. Der für die Zukunft prognostizierte weltweite Zuwachs des Straßengütersowie des Luft- und Schiffsverkehrs zeigt aber, dass auch hier Alternativen notwendig sind [IEA 2012; ITF 2012]. Der Handlungsdruck verschärft sich vor dem Hintergrund, dass für diese Verkehrsmittel aufgrund der Anforderungen an die Energiedichte der Kraftstoffe oft nur wenige postfossile Versorgungsalternativen zur Verfügung stehen. Derzeit sind verschiedene postfossile Energieversorgungsoptionen für den Verkehr in der Diskussion: • Direkte Stromnutzung: Batteriebetriebene und oberleitungsgebundene Formen der Elektromobilität • Indirekte Stromnutzung: Stromgenerierte gasförmige und flüssige Kraftstoffe (z.B. Power-to-Gas = PtG wie Wasserstoff und Methan, Power-to-Liquid = PtL) sowie • Kraftstoffe auf biogener Basis Biokraftstoffe der 1. Generation, hergestellt aus Anbaubiomasse, werden von verschiedenen Akteuren als zukunftsfähige Variante angesehen, um THG-Emissionen zu reduzieren. Analysen zeigen jedoch, dass zwar einige dieser Kraftstoffe diese Emissionen verringern können - zumindest wenn Landnutzungsänderungen verhindert werden -, dass diese jedoch mit anderen sozialen und ökologischen Problemen, wie Flächenverbrauch, Nutzungskonkurrenzen, übersäuerten Böden und überdüngten Gewässern, behaftet sind [BFE 2012; TA-Swiss 2010]. Ökobilanzen verdeutlichen, dass Kraftstoffe basierend auf Anbaubiomasse insgesamt schlechter abschneiden als konventionelle Kraftstoffe. Außerdem ist für diese zu erwarten, dass bei Berücksichtigung der indirekten Landnutzungseffekte die THG- Reduzierungen noch geringer ausfallen. Lediglich Biokraftstoffe der 1.- Generation basierend auf Restbiomasse (z. B. Abfall) sowie Biokraftstoffe der 2.- Generation, die Holz- und Strohreste verwenden, führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu ausreichend großen THG-Minderungen und haben gesamtökologisch Vorteile [BFE 2012] (siehe Bild 2). Auch in der Studie des Umweltbundesamtes „Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen“ werden die Nachteile der Nutzung sowie die begrenzten Potenziale von Anbaubiomasse diskutiert-[UBA 2013a]. Die vom Umweltbundesamt beauftragte und von Infras sowie Quantis durchgeführte Studie „Anforderungen an eine Energiewende im Verkehr“ geht aktuell der Frage nach, welche Optionen eine weitgehend treibhausgasneutrale Energieversorgung ermöglichen könnten. Da bei Infrastruktur und Fahrzeugen teilweise grundlegende Anpassungen vorzunehmen sind, ist die frühzeitige Identifikation THG-neutraler Energieversorgungsoptionen von großer Bedeutung. Die Studie beschreibt das Zieljahr 2050 und untersucht, welche Optionen aus heutiger Sicht eine Minderung der THG-Emission um 95 % im Verkehr erreichen könnten. Diese Ausrichtung erlaubt im Anschluss in weiteren Arbeiten das Aufzeigen von langfristigen Entwicklungspfaden, um die geeigneten Optionen entwickeln und rechtzeitig zur Marktreife bringen zu können. Ebenso kann durch dieses Vorgehen das Risiko des Aufbaus kostenintensiver paralleler Infrastrukturen oder nur vorübergehend wirksamer „Brückentechnologien“ reduziert werden. Die Studie ermittelt für jeden Verkehrsträger geeignete, postfossile Energieversorgungsoptionen, die sich aus Kombination von Antriebs- und Kraftstoffseite zusammensetzen. Um eine möglichst übergreifende Bewertung zu erhalten, werden ökologische, ökonomische, technische, infrastrukturelle und systemische Faktoren in die Untersuchung einbezogen. Ebenso steht die globale Perspektive im Vordergrund, da die Energieversorgungsoptionen weltweit kompatibel sein sollten. Dies hat zur Folge, dass perspektivisch ausreichende Mengenpotentiale zur Verfügung stehen müssen. Um aus der Vielzahl von Optionen diejenigen zu identifizieren, die in die engere Betrachtung einbezogen werden, wurden im Rahmen des Projektes fünf zentrale Mindestanforderungen formuliert, die potentielle Energieversorgungsoptionen langfristig erfüllen sollten: • · Spezifische Lebenszyklus-THG-Minderung um mind. ein Drittel 1 • · Keine Verwendung von Kraftstoffen mit einer größeren Umweltbelastung als konventionelle Kraftstoffe (siehe u. a. Bild-2) • Kraftstoffverfügbarkeit deckt mind. 5 % der weltweiten Mobilität ab • Technologie aktuell mindestens im Grundlagenforschungsstadium • Lebenszykluskosten gegenüber Referenzfahrzeug und -kraftstoff max. Faktor 2 höher Strom und strombasierte Kraftstoffe als Kernbausteine einer Energiewende Unter Anwendung dieser Mindestanforderungen eignen sich aus heutiger Sicht mit Blick auf 2050 regenerativer Strom, stromgenerierte Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien (PtG/ PtL) und Biokraftstoffe der 2.-Generation basierend auf Reststoffen wie Holz und Stroh. Das Mengenpotenzial Bild 2: THG-Emissionen und aggregierte Umweltbelastung für ausgewählte Biotreibstoffe (nach BFE 2012) 0 100 200 300 400 500 700 0 20 40 60 80 100 120 Gesamte Umweltbelastung (UBP 06) Treibhausgasemissionen Biodiesel Ethanol Methan fossil Stand 2012 1. Generation 2. Generation Holz Klärschlamm Gülle Zuckerrohr, BR Zuckerhirse, CN Soja, US Raps, DE Raps IP, CH Mais, US Ölpalmen, MY Benzin, CH-Mix % % Roggen, EU 940% UBP Soja, BR 260%THG Referenz 600 POLITIK Postfossile Mobilität Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 16 der 2.- Generationsbiokraftstoffe ist jedoch sehr beschränkt und kann nur rund 10 % der globalen Energieversorgung des Verkehrs im Jahr 2050 decken, sodass diese nur eine Ergänzung darstellen können [IEA 2010]. Tabelle 1 zeigt, welche Energieversorgungsoptionen sich prinzipiell für die Verkehrsträger eignen. Um zu identifizieren, welche dieser Optionen die am besten geeignete für den jeweiligen Verkehrsträger sein könnte, wurden diese unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer, technischer, infrastruktureller und systemischer Aspekte einer Detailbewertung unterzogen. In dieser wurde deutlich, dass insbesondere die THG-Minderungspotenziale, Wirkungsgrade und Kostenentwicklungen den größten Einfluss auf eine potenzielle Realisierbarkeit haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die direkte Nutzung regenerativen Stroms die klimafreundlichste und ökonomischste Variante darstellt. Für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung im Jahr 2050 stellen deshalb, wo technisch möglich, batterieelektrische oder extern aufladbare Hybridfahrzeuge ein wichtiges Standbein dar - dies gilt für PKW, leichte Nutzfahrzeuge, Verteiler-LKW sowie Busse. Dort wo Strom nicht direkt nutzbar ist, wie bspw. in der Schiff- und Luftfahrt, bieten sich stromgenerierte Kraftstoffe an. Hierfür sind beträchtliche Mengen an regenerativen Strom nötig, die global zusätzliche Erneuerbare-Energien (EE)-Anlagen erfordern, sodass es der Errichtung von PtG- und PtL- Anlagen an international geeigneten EE- Standorten bedarf. Fazit Um Mobilität langfristig wirtschaftlich und bedürfnisgerecht zu sichern und Umwelt und Klima zu entlasten, müssen Verkehrs- und Energiewende Hand in Hand gehen. Die Umsetzung einer Verkehrswende bietet bereits die Möglichkeit, THG-Emissionen zu reduzieren und weitere Umweltbelastungen wie Lärm und Flächenverbrauch zu verringern und die Lebensqualität im städtischen und ländlichen Raum zu erhöhen. Soll das 2-Grad-Ziel erreicht werden und der Verkehrssektor dazu seinen Beitrag leisten, so wird dies mit einer Verkehrswende allein jedoch nicht realisierbar sein. Eine gleichzeitige Umstellung der Energieversorgung des Verkehrs auf nahezu treibhausgasneutrale Optionen bis 2050 ist dazu notwendig [UBA 2013b]. Deren Basis sollte zum überwiegenden Teil die direkte Nutzung regenerativen Stroms und stromgenerierte Kraftstoffe sein. Aufgrund der langen Investitionszyklen und dem notwendigen Aufbau von Produktionskapazitäten ist es allerdings bereits heute erforderlich, die Grundsteine hierfür zu legen. Eine Verkehrswende mit einer Steigerung der Energieeffizienz und Verringerung der Verkehrsleistung ist wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Energiewende im Verkehr. Je weniger Energie der Verkehr benötigt, desto größer sind die Spielräume für postfossile Energieversorgungsoptionen. Energieeinsparungen bieten die Möglichkeit, trotz kostenintensiverer postfossiler Kraftstoffe gleichbleibende Mobilitätskosten zu realisieren und die Energie- und Verkehrswende dadurch sozial verträglich zu gestalten. Die zukünftigen Herausforderungen liegen letztendlich darin, das Zusammenspiel aus Verkehrs- und Energiewende optimal für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft zu gestalten und zu nutzen. ■ 1 Die verhältnismäßig geringe Anforderung an die THG- Reduzierung ist auf THG-Emissionen in vor- und nachgelagerten Prozessketten zurückzuführen und dient nur einer groben Vorauswahl. Im weiteren Verlauf der Bewertung wird geprüft, inwiefern die Optionen zum nahezu treibhausgasneutralen Verkehr beitragen können. LIterAtur Bundesamt für Energie (BFE) (Hrsg.) 2012: Harmonisation and extension of the bioenergy inventories and assessment. Bern. International Energy Agency (IEA) (Hrsg.) 2012: Energy Technology Perspectives 2012. Pathways to a Clean Energy System. Paris Cedex. International Energy Agency (IEA) (Hrsg.) 2010: Sustainable Production of SECOND -Generation Biofuels. Potential and perspectives in major economies and developing countries. Paris Cedex. International Transport Forum (ITF) (Hrsg.) 2012: Transport Outlook 2012. Seamless Transport for Greener Growth. Paris Cedex. TA-Swiss 2010 (Hrsg.): Future Perspectives of 2nd Generation Biofuels. TA-SWISS 55/ 2010. Zürich. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2010: Energieziel 2050: 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen. Dessau-Roßlau. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2013a: Globale Landflächen und Biomasse nachhaltig und ressourcenschonend nutzen. Dessau-Roßlau. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.) 2013b: Treibhausgasneutrales Deutschland im Jahr 2050. Dessau-Roßlau. Martin Schmied Bereichsleiter Verkehr und Umwelt, INFRAS - Forschung und Beratung, Bern martin.schmied@infras.ch Martin Lange, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Umweltbundesamt, Fachgebiet I 3.2 „Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr“, Dessau-Roßlau martin.lange@uba.de Kirsten Adlunger Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Umweltbundesamt, Fachgebiet I 3.1 „Umwelt und Verkehr“, Dessau-Roßlau kirsten.adlunger@uba.de Erneuerbarer Strom Biokraftstoffe (2. Generation) Batterieelektrisch/ Plug-in-Hybrid Oberleitungsgebunden Wasserstoff PtG Holz-/ Stroh- Ethanol/ Btl Holz-/ Stroh-SNG Methan PTL Pkw • • • • • • stadtbus • • • • • • • Lkw Nahverkehr • • • • • • Fernverkehr • • • • • • schienenverkehr • • • schiffsverkehr • • • • • Flugverkehr Kurzstrecke • • • Mittel-/ Langstrecke • • • = ausgewählt; • = ausgewählt, aber nur eingeschränkte Mengenpotentiale Tabelle 1: Postfossile Energieversorgungsoptionen für den Verkehr im Jahr 2050
