eJournals Internationales Verkehrswesen 65/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0087
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2013
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Henne oder Ei?

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2013
Moritz Bonn
Götz Reichert
Ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung von Fahrzeugen, die alternative Kraftstoffe nutzen, ist der Mangel an entsprechenden Tank- und Ladestationen. Daher will die Europäische Kommission nun den Aufbau einer flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur forciert fördern. Kann so das „Henne/Ei-Problem“ gelöst werden?
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POLITIK Alternative Antriebe Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 17 Henne oder Ei? Wie die Europäische Kommission eine Versorgungsinfrastruktur für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben aufbauen will. Ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung von Fahrzeugen, die alternative Kraftstoffe nutzen, ist der Mangel an entsprechenden Tank- und Ladestationen. Daher will die Europäische Kommission nun den Aufbau einer flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur forciert fördern. Kann so das „Henne/ Ei- Problem“ gelöst werden? Die Autoren: Moritz Bonn, Götz Reichert D er Energiebedarf des europäischen Verkehrssektors wird zu über 90 % aus Erdöl gedeckt. 1 Um die Abhängigkeit von Erdölimporten zu senken und das Klima zu schützen, strebt die Europäische Union eine schrittweise „Dekarbonisierung“ des Verkehrssektors an. Zu diesem Zweck soll bis 2020 der Anteil von Kraftstoffen aus erneuerbaren Quellen am Endenergieverbrauch in jedem EU-Mitgliedstaat mindestens 10 % betragen 2 und die CO 2 -Intensität im Straßenverkehr um 6 % reduziert werden. 3 Bis 2050 sollen die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen um 60 % gegenüber 1990 sinken. 4 Einen Beitrag hierzu können Fahrzeuge leisten, die durch „alternative Kraftstoffe“ wie Strom, Wasserstoff, Biokraftstoffe oder Erdgas angetrieben werden. Diese machen derzeit allerdings nur 6 % der im Verkehrssektor verbrauchten Kraftstoffe aus, wobei allein Biokraftstoffe mit 4,2 % den größten Anteil aufweisen. 5 Ein Hauptproblem für die Verbreitung alternativer Kraftstoffe ist der Mangel an der hierfür notwendiger Betankungs- und Lade infrastruktur. Dies ist besonders gravierend bei mit komprimiertem Erdgas (CNG) betriebenen Pkw, bei Wasserstoff- und Elektroautos sowie bei Lkw und Schiffen, die mit Flüssigerdgas (LNG) angetrieben werden. Während etwa allein in Deutschland ein Netz von über 14 000 Benzin- und Diesel- Tankstellen existiert, gibt es derzeit nur etwa 900 CNG- und 15 Wasserstoff-Tankstellen. 6 Dadurch können weder eine flexible Nutzung der Fahrzeuge noch große Reichweiten gewährleistet werden. Dieses Problem zeigt sich vor allem bei Fahrzeugen mit reinem Elektroantrieb, welche aufgrund unzureichender Speicherkapazität von Batterien im Mittelklassesegment aktuell nur Reichweiten von 100 bis 200-km erzielen und somit ausschließlich für die Nutzung im urbanen Raum geeignet sind. 7 Aber auch in Städten ist für die flexible Nutzung von Elektroautos eine ausreichende Anzahl privater und öffentlicher Ladestationen (z. B. in Parkhäusern) notwendig. Doch warum existiert bislang keine ausreichende Versorgungsinfrastruktur für alternative Kraftstoffe? Letztlich sieht man sich bei der Beantwortung dieser Frage vor das klassische „Henne/ Ei-Problem“ gestellt: Einerseits schreckt das Fehlen einer Versorgungsinfrastruktur mit alternativen Kraftstoffen potenzielle Kunden vom Kauf der Fahrzeuge ab. Andererseits lohnt sich der Aufbau einer solchen Infrastruktur nicht, solange zu wenige Fahrzeuge auf dem © Sascha Hübers/ pixelio.de POLITIK Alternative Antriebe POLITIK Alternative Antriebe Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 18 Markt sind. Die unterschiedliche Wirtschaftlichkeit von konventionellen und alternativen Versorgungsinfrastrukturen wird deutlich, wenn man das Verhältnis von Fahrzeugen zu Tankstellen für verschiedene Antriebstechniken vergleicht: Bei konventionellen Kraftstoffen liegt dieses bei etwa 3000, bei CNG lediglich bei ca. 80. 8 EU-Richtlinie zum Aufbau der Infrastruktur Zur Lösung des Henne/ Ei-Problems hat die Europäische Kommission im Januar 2013 eine EU-Richtlinie zum „Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe“ vorgeschlagen, 9 die eine verstärkte Förderung sowohl der Vermarktung der Fahrzeuge selbst als auch der dazu notwendigen Versorgungsstationen vorsieht. Demnach sollen EU-Mitgliedstaaten nationale Strategierahmen für die Förderung von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben entwickeln und nationale Ziele für die Verbreitung von Fahrzeugen bis 2020 inklusive jährlicher Zwischenziele erarbeiten, welche durch finanzielle Anreize - z. B. Steuervergünstigungen - und nichtfinanzielle Anreize - wie vorrangiger Zugang zu öffentlichen Parkplätzen - erreicht werden sollen. Die Europäische Kommission will die Mindestanforderungen an die nationalen Strategierahmen der Mitgliedstaaten selbst mittels delegierter Rechtsakte ändern können, ohne hierfür direkt auf den europäischen Gesetzgeber - Ministerrat und Europäisches Parlament - angewiesen zu sein. Die Europäische Kommission schlägt zudem konkrete Zielvorgaben für die in den Mitgliedstaaten bis 2020 aufzubauenden Tank- und Ladestationen vor. Besonders ambitioniert sind dabei die Vorgaben für Ladestationen für Elektroautos. Dabei soll in jedem Mitgliedstaat die Anzahl der privaten Ladestationen im Jahr 2020 doppelt so hoch sein wie die für 2020 erwartete Zahl an Elektrofahrzeugen. Für Deutschland ergibt sich bei geschätzten ca. 750 000 Elektrofahrzeugen eine Mindestanzahl von 1 500 000. Hinzu kommt noch eine Mindestmenge an 10 % öffentlichen Ladestationen, welche der „Reichweitenangst“ der Fahrzeugnutzer entgegenwirken soll. Bei CNG und LNG sind die Vorgaben weniger streng. Hier sollen nach den Vorstellungen der Kommission Betankungsmöglichkeiten in gewissen Maximalabständen vorhanden sein. Diese betragen bei CNG 150 km, bei LNG für schwere Nutzfahrzeuge 400 km entlang des Kernnetzes des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). 10 Für Schiffe sollen bis 2025 LNG-Tankstationen an allen Seehäfen des TEN-V-Kernnetzes eingerichtet werden. Diese Maßnahmen sollen insbesondere auch den grenzüberschreitenden Verkehr in der Europäischen Union erleichtern. Da die Verbreitung von Wasserstofffahrzeugen noch sehr gering ist, soll eine entsprechende Mindestversorgungsinfrastruktur nur in den Mitgliedstaaten etabliert werden, in denen bereits Wasserstofftankstellen existieren. Der Abstand zwischen zwei Tankstellen soll dabei 300- km nicht übersteigen, so dass eine durchgängige Versorgung sichergestellt ist. Derzeit existieren noch keine EU-weiten Normen für Schnittstellen zwischen Fahrzeugen mit alternativen Antrieben und den entsprechenden Tankbzw. Ladestationen. Fehlende EU-weite Normen verhindern eine grenzüberschreitende Nutzung dieser Fahrzeuge und verringern zusätzlich deren Akzeptanz bei potenziellen Käufern. Die Europäische Kommission schlägt daher eine EU-weit einheitliche Normierung für Tank- und Ladestationen bis Ende 2015 vor, um so auch eine weitere Fragmentierung des EU-Binnenmarktes aufgrund unterschiedlicher Standards zu verhindern. die meisten Vorschläge sind bedenklich So zutreffend die Europäische Kommission das Henne/ Ei-Problem auch diagnostiziert, so bedenklich sind jedoch die meisten ihrer Vorschläge zu dessen Lösung. Uneingeschränkt zu begrüßen ist lediglich die vorgeschlagene EU-weite Normierung der Versorgungsschnittstellen, da uneinheitliche Systeme unnötige Kosten gerade im grenzüberschreitenden Verkehr hervorrufen und somit die Mobilität in der EU beeinträchtigen. Anders zu beurteilen sind jedoch die vorgesehenen Zielvorgaben für die Anzahl der zu errichtenden Tank- und Ladestationen. Inwieweit Elektrofahrzeuge bis 2020 substanzielle Marktanteile erzielt haben werden, kann derzeit nicht verlässlich vorausgesagt werden. So geht die „Nationale Plattform für Elektromobilität“, welche die Bundesregierung in diesem Kontext berät, mittlerweile eher von 600 000 Elektroautos auf deutschen Straßen im Jahr 2020 aus, deutlich weniger als das von der Bundesregierung ursprünglich ausgegebene Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen. 11 Dies zeigt, wie unvernünftig es ist, bereits heute planwirtschaftliche Vorgaben für eine Mindestanzahl an Tank- und Ladestationen in der Zukunft zu machen. Über Investitionsentscheidungen sollten grundsätzlich die beteiligten Unternehmen unter Abwägung der zu erwartenden Erträge und Kosten entscheiden. Auch die Vorgabe von 150- km in Bezug auf die Maximalabstände zwischen CNG-Tankstellen sind aus diesem Grund verfehlt. Diese können ohnehin nicht im Entferntesten eine bequeme Nutzung der Fahrzeuge im Alltag gewährleisten, denn kein Mensch wird ein solches Fahrzeug erwerben, wenn die nächstgelegene Tankmöglichkeit auch nur 100- km entfernt liegt. Außerdem kann jede politische Förderung von speziellen Technologien ineffizient hohe Kosten verursachen und langfristige Subventionsstrukturen schaffen, welche die Entwicklung effizienterer Antriebstechniken in der Zukunft behindern können. So hat bspw. der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Fokussierung auf LNG in der Schifffahrt und bei Lkw kritisiert, da bereits neue und günstigere Alternativen in der Entwicklung sind. 12 Das Henne/ Ei-Problem kann auch ohne massiven staatlichen Einfluss gelöst werden. So können Fahrzeug- und Kraftstoffhersteller kooperieren - wie z. B. im Rahmen der „Initiative Erdgasmobilität - CNG und Biomethan als Kraftstoffe“ - und sich Bild 1: Neuzulassungen von PKW mit alternativen Antrieben in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2012 (Quelle: Kraftfahrtbundesamt 2013) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 19 wechselseitig zu Investitionen in Fahrzeugtechnologie und Versorgungsinfrastrukturen bekennen. Darüber hinaus können Hybridfahrzeuge und Fahrzeuge mit bivalentem Antrieb, die sowohl mit herkömmlichem als auch mit alternativem Kraftstoff betrieben werden können, das Koordinierungsproblem in der nahen Zukunft entschärfen, da sie der Reichweitenangst der Fahrzeugnutzer entgegenwirken und den Kraftstoffproduzenten einen Anreiz bieten, schrittweise die erforderliche Versorgungsinfrastruktur für alternative Kraftstoffe aufzubauen. Für Deutschland zeigt sich beispielsweise, dass gerade Hybridfahrzeuge bei den Neuzulassungen in den letzten Jahren einen deutlichen Zuwachs erfahren haben (Bild 1). Fazit Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Ausbauvorgaben für Tank- und Ladestationen bieten also ein sehr hohes Potenzial für Fehlinvestitionen. Denn weder die Kommission noch sonst jemand verfügt über das Wissen, wie viele Erdgas- und Elektrofahrzeuge im Jahr 2020 in den einzelnen Mitgliedsstaaten genutzt werden. Über Investitionen sollten die Wirtschaftsakteure entscheiden. Die politische Einflussnahme auf die Etablierung bestimmter Technologien kann langfristige Subventionsstrukturen schaffen und innovativere Antriebstechniken in der Zukunft behindern. Hingegen erhöht die EU-weite Normierung der Schnittstellen beim Tanken und Stromladen die Nutzbarkeit der Tank- und Ladeinfrastrukturen wesentlich. ■  1 Europäische Kommission, Mitteilung COM(2013)-17, Saubere Energie für den Verkehr: Eine Europäische Strategie für alternative Kraftstoffe, 2013, S.-2.  2 Artikel-3 Abs.-4 Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009/ 28/ EG.  3 Artikel-7a Abs.-2 lit.-a Richtlinie 98/ 70/ EG über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen.  4 Europäische Kommission, Weißbuch KOM(2011)- 144, Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum, 2011, S.-5.  5 Europäische Kommission, EU Energy in Figures, Statistical Pocket Book 2012, S.-103.  6 Bünger, U., Infrastrukturaufbau für alternative Kraftstoffe/ Energieträger, Vortrag vom 12.09.2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, S.-4ff.  7 Vgl. Voßwinkel, J. / Nader, N. / Block, J., Kraftstoffe der Zukunft - Durchsetzung alternativer Antriebssystem in der Zukunft, cepStudie, 2012, S.-12.  8 Bünger, U., Infrastrukturaufbau für alternative Kraftstoffe/ Energieträger, Vortrag vom 12.09.2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, S.-4ff.  9 Europäische Kommission, Vorschlag COM(2013)- 18 für eine Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, 2013; hierzu Bonn, M. / Reichert, G., cepAnalyse, 2013 (<http: / / www.cep.eu/ analysen-zur-eu-politik/ verkehr/ infrastruktur-alternative-kraftstoffe/ >). 10 Europäische Kommission, Vorschlag KOM(2011)- 650 für eine Verordnung über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes, 2011; hierzu Nader, N. / Reichert, G., cepAnalyse, 2011 (<http: / / www.cep.eu/ analysen-zur-eu-politik/ verkehr/ ten-v/ >). 11 Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 15.04.2010 (<http: / / www.bmu.de/ bmu/ presse-reden/ pressemitteilungen/ pm/ artikel/ bis-2020-eine-million-elektroautos-von-deutschen-herstellern>). 12 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM(2013)- 18 für eine Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, 2013, Ziffer-1.11. Moritz Bonn, Dr. Wissenschaftlicher Referent Energie, Umwelt, Klima, Verkehr Centrum für Europäische Politik, Freiburg bonn@cep.eu Götz Reichert, Dr. LL.M. Fachbereichsleiter Energie, Umwelt, Klima, Verkehr Centrum für Europäische Politik, Freiburg reichert@cep.eu Macher Verkaufstalent Kontaktmann Kein Job wie jeder andere: Vertriebsmanager internationale Fahrzeuginstandhaltung (w/ m) Die Deutsche Bahn ist einer der vielfältigsten Arbeitgeber Deutschlands. Wir suchen Jahr für Jahr deutschlandweit über 7.000 begeisterte Mitarbeiter für mehr als 500 verschiedene Berufe. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt suchen wir Sie für die DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH am Standort Frankfurt am Main. Ihre Aufgaben Entwicklung und Bearbeitung neuer, internationaler Märkte der Fahrzeuginstandhaltung einschließlich Netzwerkbildung Akquisition von Neukunden und Betreuung bis zum Vertragsabschluss zur nachhaltigen Generierung von Neugeschäft Koordination des gesamten Angebotsprozesses einschl. 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