Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0088
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2013
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Im schnellen Mahlgang
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2013
Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 21 Im schnellen Mahlgang D ie Mühlen der Gesetzgebung mahlen in Brüssel besonders langsam, heißt es. Das ist nicht überraschend: Über jeden Gesetzentwurf der EU- Kommission beugen sich Minister aus 28 Unionsstaaten. Neben den Ressortchefs steht das Europäische Parlament (EP) - mit Abgeordneten verschiedener Nationalitäten und Parteien: deutsche Grüne, italienische Christdemokraten, französische Rechtsnationale und spanische Sozialisten. Dennoch funktioniert die Gesetzgebung. Beim 4.- Eisenbahnpaket kommen Parlament und Ministerrat sogar besser voran als erwartet. Das aus sechs Einzelgesetzen bestehende Paket lässt sich in einen technischen und einen politischen Teil unterteilen. Beim letztgenannten geht es um hochbrisante Themen wie etwa die Trennung von Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen in integrierten Konzernen wie der Deutschen Bahn. Beim technischen Part geht es darum, dass für Lokomotiven und Waggons überall in Europa einheitliche Standards gelten, dass Eisenbahnunternehmen, die in mehreren Staaten der Union fahren wollen, nach einheitlichen Standards geprüft und bewertet werden - und es geht um die Europäische Eisenbahnagentur (ERA). Als im Frühsommer einzelne Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, begannen, an dem beabsichtigten Kompetenzzuwachs für die ERA herum zu mäkeln, wuchs die Sorge, dass auch der technische, scheinbar unkomplizierte Teil des Gesetzespakets, in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr zu stemmen sei. Jetzt, im Herbst, darf man zuversichtlicher sein. Im Juni fanden die Verkehrsminister einen Kompromiss bei den umstrittenen Kompetenzen für die ERA. Sie kreierten den „dualen Ansatz“: Bei Loks und Waggons, die in mehren EU-Staaten fahren sollen, hat die ERA das letzte Wort bei der Zulassung. Setzt ein Unternehmen seine Fahrzeuge nur national ein, hat es die Wahl und kann die ERA oder die nationale Behörde um die Zulassung bitten. Zu diesem „dualen Ansatz“ haben die Ressortchefs auch gegriffen, als es um die Zertifizierung von Eisenbahnunternehmen ging. Wollen die Unternehmen in mehreren EU-Staaten operieren, brauchen sie eine Betriebserlaubnis der ERA. Fahren sie nur national, können sie sich die Zertifizierung von der Behörde im nordfranzösischen Valenciennes oder wahlweise bei der heimischen Aufsicht abholen. Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Wie es aussieht, werden die Berichterstatter im Verkehrsausschuss des EP, die parallel zu den Ministern an dem Gesetzentwurf arbeiten, diesen Ansatz begrüßen. Er wird ihnen allerdings nicht weit genug gehen. Die Parlamentarier durchweg aller großen Fraktionen sehen im „dualen Ansatz“ der Minister noch nicht den konsequenten Weg hin zur notwendigen Reduzierung der zahlreichen nationalen Eisenbahnvorschriften. Sie wollen die Chance nutzen, mit einem großen Wurf die Eisenbahn in der- EU- vom nationalen Vorschriftenballast zu befreien. Obwohl er für die Abgeordneten noch nicht ausreichend ist, bietet der „duale Ansatz“ der Minister die Chance für konstruktive Verhandlungen zwischen den beiden EU-Institutionen. Die Scheu einiger Verkehrsminister, die ERA zu stärken und ihre Kompetenzen schon jetzt genau zu definieren, teilt im Parlament am ehesten der rechtskonservative Lette Roberts Zile. Er ist Berichterstatter des Gesetzes, das sich direkt mit der ERA befasst. Er fürchtet Probleme für die baltischen Staaten, wenn künftig eine Behörde aus dem weit entfernten Valenciennes sich in estnische, lettische oder litauische Eisenbahnfragen einmischt. Er verweist darauf, dass die baltischen Bahnen noch stark abhängig sind von der russischen Eisenbahn. Aber Zile, der eng mit den beiden anderen Berichterstattern in Sachen ERA zusammen arbeitet, wird sich kaum generell quer stellen. Im Verkehrsausschuss des EP ist sogar schon eine Kompromisslinie bei der Auseinandersetzung über die Trennung von Netz und Betrieb erkennbar. Die Konservativen, die in dem Gremium die Mehrheit haben, sprechen sich für die Beibehaltung der integrierten Konzerne aus. Allerdings wollen sie ihnen Regulierungsbehörden mit deutlich mehr Kompetenzen gegenüberstellen. Die Regulierer müssten sehr viel genauer hinsehen dürfen als bislang, wie die Konzerne den Konkurrenten Zugang zum Netz gewähren und wie sie sich als Anbieter von Energie und anderen „essential services“ verhalten. Das ist eine Linie, auf die es zulaufen könnte, auch wenn sie nicht alle im Parlament befriedigen wird. Alles in allem sind die EU-Institutionen mit der Bearbeitung des 4.-Eisenbahnpaketes weiter, als es bei dessen Vorlage im Januar für möglich gehalten wurde. Gar so langsam mahlen die Mühlen der europäischen Gesetzgebung also nicht. ■
