eJournals Internationales Verkehrswesen 65/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0090
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E-Mobility - Schlüsseltechnologie zur nachhaltigen Logistik

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Horst Wildemann
E-Mobility wird von vielen als Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität gesehen. Im Gegensatz zum Personenverkehr sind heute im Nutzfahrzeugbereich E-Mobility-Lösungen nur in Nischen zu finden, obwohl die E-Mobility insbesondere auf der letzten Meile – im Stadtverkehr und auf Kurzstrecken – deutliche Vorteile bietet. Um diese Potenziale zu erschließen, ist die Nutzfahrzeugindustrie gefragt, großserientaugliche E-Nutzfahrzeuge zu entwickeln und zu vermarkten. Der deutschen Nutzfahrzeugbranche als weltweitem Technologieführer öffnet sich hier ein attraktiver Zukunftsmarkt.
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LOGISTIK Nachhaltigkeit Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 24 E-Mobility - Schlüsseltechnologie zur nachhaltigen Logistik E-Mobility wird von vielen als Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität gesehen. Im Gegensatz zum Personenverkehr sind heute im Nutzfahrzeugbereich E-Mobility-Lösungen nur in Nischen zu finden, obwohl die E-Mobility insbesondere auf der letzten Meile - im Stadtverkehr und auf Kurzstrecken - deutliche Vorteile bietet. Um diese Potenziale zu erschließen, ist die Nutzfahrzeugindustrie gefragt, großserientaugliche E-Nutzfahrzeuge zu entwickeln und zu vermarkten. Der deutschen Nutzfahrzeugbranche als weltweitem Technologieführer öffnet sich hier ein attraktiver Zukunftsmarkt. Der Autor: Horst Wildemann D ie Transport- und Logistikbranche befindet sich in einer Zeit des Wandels. Dieser Wandel wird von fünf zentralen Trends bestimmt. Diese sind Demografie, Globalisierung, Technologie, Nachhaltigkeit und Klimaschutz (Bild 1). Basierend auf der demografischen Entwicklung werden im Jahr 2025 acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das enorme Wachstum zieht auch einen Anstieg des Waren- und Güterverkehrs nach sich. Mit dem Bevölkerungswachstum und der internationalen Vernetzung geht eine zunehmende Globalisierung der Warenströme einher. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt hier die Dimensionen dieses Wachstums. So stieg der globale Warenverkehr im Zeitraum von 1960 bis 2007 um das 29-fache an. Prozesse und Schnittstellen der globalen Logistik werden auf eine Belastungsprobe gestellt. Gleichzeitig führt auch das Konsumverhalten zu Veränderungen in der Logistik. E-Commerce stellt die Logistik vor neue Herausforderungen. Städtische Kundenzustellungen und das resultierende Retourenaufkommen steigern zunehmend die Bedeutung der letzten Meile. Bereits heute betragen die Retourquoten je nach Produktart bis zu 50 %. Zudem erschwert die Produktvielfalt infolge steigender Individualisierungsbedürfnisse der Kunden die Lagerung und den Warentransport. Auch intern zeichnen sich Veränderungen ab, technische Innovationen im Bereich der Fahrzeuge und des Logistikmanagements eröffnen neue Wege. Unter Einbezug des Trends zu mehr Nachhaltigkeit stellt sich die Frage: wie lässt sich der gesteigerte Warentransport bei gleichzeitiger Minimierung der CO 2 -Emissionen bewerkstelligen? Weltweit werden 14 % der klimaschädlichen CO 2 -Emissionen durch die Logistik verursacht. Somit ist für die Unternehmen der Branche die Nachhaltigkeit längst kein Selbstnutz mehr, sondern entscheidender Wettbewerbsfaktor. Die Gesellschaft, die Kunden, die Investoren und nicht zuletzt die Politik erwarten von Unternehmen eine nachhaltige Ausrichtung. Zudem wird von den Unternehmen Energieeffizienz gefordert, um die Kosten im Griff zu halten. Basierend auf der zunehmenden Brisanz der klimatischen Entwicklung und der Ressourcenverknappung steht die Logistik vor dem Sprung in ein neues Transportzeitalter. Gefragt sind dabei weniger inkrementelle Verbesserungen an bestehenden Konzepten als vielmehr ein radikaler Wandel bestehender Strukturen und Denkmuster. Eine Technologie, der ein entscheidender Lösungsbeitrag zugesprochen wird, ist die E-Mobility. Technische Grundlagen der E-Mobility Unter dem Schlagwort E-Mobility wird die zunehmende Elektrifizierung des Antriebsstrangs beschrieben. Somit ist die E-Mobility nicht nur ein Mobilitätskonzept, sondern beschreibt den Einsatz elektrischer Antriebstechnologien. Während bei PKWs bereits seit mehreren Jahren Hybrid- und Elektrofahrzeuge in Serie produziert werden, kommen diese Technologien bei Nutzfahrzeugen bislang nur in Nischenanwendungen zum Einsatz. Als Ursache hierfür sind die niedrigen Reichweiten sowie das hohe Gewicht des Antriebsstrangs zu nennen, die das Nutzungsverhalten für die Logistikbranche einschränken. Allerdings bietet eine situationsspezifische Nutzung von E-Mobility-Konzepten im Transportwesen Bild 1: Zentrale Trends in der Logistik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 25 ökonomische und ökologische Potenziale, die es zu heben gilt. Grundsätzlich kommen dafür die Antriebsformen Micro-Hybrid, Mild-Hybrid, Voll-Hybrid, Plug-in-Hybrid, Range Extender, Brennstoffzelle sowie batterieelektrischer Antrieb in Frage (Bild 2). Micro-Hybride sind mit einem Verbrennungsmotor und einem kleinen Elektromotor/ -generator sowie einem Akku geringer Kapazität ausgestattet. Durch die Start- Stopp-Automatik wird bei Stillstand der Verbrennungsmotor abgestellt und bei Weiterfahrt mit Hilfe des Elektromotors gestartet. Geringe Mengen der Bremsenergie können im Akku gespeichert und zum Betrieb von Nebenaggregaten verwendet werden. Die Verbrauchseinsparungen sind gering. Das Fahrzeug kann nur bei laufendem Verbrennungsmotor fahren. Mild-Hybrid-Fahrzeuge besitzen neben einem Verbrennungsmotor leistungsfähigere Elektromotoren und Akkus, die es ermöglichen, die Traktion zu unterstützen. Dabei unterstützt der Elektromotor den Verbrennungsmotor speziell beim Anfahren und Beschleunigen. Ein größerer Teil der Bremsenergie wird rekuperiert und für den weiteren Antrieb nutzbar gemacht. Der Antriebsstrang ist als Parallel-Hybrid ausgelegt. Ein Voll-Hybrid verfügt über leistungsfähige Elektromotoren und Akkus, die es zulassen, zeitweise bzw. über längere Strecken rein elektrisch zu fahren. Starke Elektromotoren und Akkus ermöglichen die Auslegung des Antriebsstrangs als parallelen, seriellen oder Misch-Hybrid. Bremsenergie wird rekuperiert. Eine Sonderform der Hybrid-Fahrzeuge stellt der Plug-in-Hybrid dar. Dem Aufbau nach handelt es sich um einen Voll-Hybriden, der zur Ladung der Akkumulatoren nicht allein auf den fahrzeugeigenen Verbrennungsmotor, sondern auch auf extern erzeugten Strom („aus der Steckdose“) zurückgreift. Zur Vergrößerung der Reichweite wird ein Verbrennungsmotor als „Reichweitenverlängerer“ (sprich Range Extender) im Fahrzeug integriert. Range Extender beziehen ihren Strom überwiegend aus dem Stromnetz. Der Verbrennungsmotor wird nur dann aktiv, wenn die Batteriekapazität erschöpft ist und erzeugt dann Strom über einen Generator. Eine Brennstoffzelle ist kein Energiespeicher, sondern ein Wandler. In der Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff bzw. Methan mit Sauerstoff. Beide Gase tauschen über einen elektrischen Leiter Elektronen aus. So wird die Brennstoffzelle zu einer Stromquelle, die ein Auto antreiben oder als Range Extender eine Batterie aufladen kann. Batterieelektrische Fahrzeuge (battery electric vehicle, BEV) werden rein elektrisch betrieben. Die Energie stammt aus einer Batterie, die am Stromnetz aufgeladen wird. Anwendung und Potenziale der E-Mobility in Nutzfahrzeugen Der Einsatz von E-Mobility-Konzepten und somit deren Marktentwicklung wird im Nutzfahrzeugbereich, stärker als bei Pkws, über den direkten Wirtschaftlichkeitsvergleich zu konventionellen Antriebstechnologien getrieben. Dabei stehen den höheren Anfangsinvestitionen für E-Mobility-Fahrzeuge Kraftstoffeinsparungen über die Nutzungsdauer entgegen. Mit einem Anteil von knapp 30 % an den Gesamtkosten von Logistikunternehmen bietet der Kraftstoff die größten Kostenhebel. Physikalisch betrachtet wird der Kraftstoff zur Überwindung der Fahrwiderstände eingesetzt. Diese sind • der Rollwiderstand zwischen Fahrbahn und Reifen, • der Luftwiderstand, • der Leerlaufwiderstand im Getriebe sowie • der Beschleunigungs- und Steigungswiderstand zur Bewegung der Transportmasse. Das Nutzungsverhalten eines Fahrzeugs bestimmt den Anteil dieser Fahrwiderstände (Bild 3). Bei Überlandfahrten sowie auf der Autobahn dominiert im Nutzfahrzeugbereich der Luftwiderstand. Hier bieten E- Mobility-Lösungen nur geringe Potenziale. Auf Kurzstrecken und im Stadtverkehr, wo häufig beschleunigt und abgebremst wird, kommen die Vorteile der E-Mobility voll zum Tragen. Hier kann der Luftwiderstand nahezu vernachlässigt werden. Es sind Effizienzsteigerungen im Antriebsstrang erforderlich, um Kraftstoffeinsparungen zu erzielen. Konventionelle Dieselaggregate Bild 2: Einsatzbereiche der unterschiedlichen Antriebsstrategien nach Reichweite Bild 3: Potenziale der E-Mobility im Nutzfahrzeugbereich nach Einsatzgebiet LOGISTIK Nachhaltigkeit Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 26 wurden bereits in der Vergangenheit an die Grenzen des technisch Machbaren optimiert. Um den nächsten Schritt zu gehen, sind neue Antriebsstrangkonzepte wie die E-Mobility gefragt. Dabei werden im Stadtverkehr kürzere Strecken zurückgelegt und geringere Zulasten transportiert, weshalb die spezifischen Nachteile von E-Mobility- Fahrzeugen durch ihre kurze Reichweite und hohes Fahrzeugeigengewicht kompensiert werden. Auch die bereits am Markt erfolgreichen E- Mobility-Kleinserien setzen in diesem Bereich an. So sind beispielsweise im Kommunalfahrzeugbereich E-Mobility-Lösungen heute schon teils kosteneffizienter als klassische Verbrennungsmotoren. Die durchschnittliche Fahrleistung von Kommunalfahrzeugen liegt bei lediglich 30-40 Kilometern am Tag, weshalb die Reichweite keine kritische Größe darstellt. Ferner ist mit einer zunehmenden Diffusion der E-Mobility auf der letzten Meile zu rechnen. Öko-Zonen in Städten sowie die Forderung nach CO 2 -freiem Transport begünstigen hier die Marktdiffusion. Die Nutzfahrzeughersteller haben diesen Trend erkannt und bieten bereits erste Sprinter mit elektrischem Antrieb an. Für die Anwender führen diese zunächst zu erhöhten Investitionen, die sich aber aufgrund des verringerten Energieverbrauchs schnell amortisieren. Den Flottenbetreibern fehlt es jedoch heute noch an einer ausreichenden Transparenz über die Wirtschaftlichkeit der Fahrzeugkonzepte und einem ausreichenden Angebot an elektrifizierten Nutzfahrzeugen, die über eine entsprechende technologische Reife verfügen, um kommerziell nutzbar zu sein. Somit ist eine allgemeine Elektrifizierung der Nutzfahrzeugindustrie kurzfristig noch nicht in Sicht. Vielmehr ist mit einer sukzessiven Diffusion von E-Mobility-Lösungen im Transportsektor zu rechnen. Ausblick: Wandel der Nutzfahrzeugindustrie durch die E-Mobility Um den Wandel zur E-Mobility im Nutzfahrzeugbereich zu bewerkstelligen, ist ein Paradigmenwechsel in der Branche erforderlich. Der Nutzfahrzeugstandort Deutschland mit über 200 000 Beschäftigten kann hier Vorreiter werden. Zukünftig wird sich die Wertschöpfung in der Nutzfahrzeugindustrie durch neue Technologien bzw. Marktakteure gravierend verändern. Gerade im Bereich der Zulieferer werden Unternehmen als System- oder Modullieferanten hinzukommen, die bislang mit der Nutzfahrzeugbranche wenige Berührungspunkte hatten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Speichermedien wie Lithium-Ionen-Batterien oder Kondensatoren. Sie werden künftig einen wesentlichen Wertschöpfungsanteil in Elektro-Nutzfahrzeugen darstellen. Untersuchungen gehen davon aus, dass durch die E-Mobility im Fahrzeugbau auf dem Gebiet der neuen Fahrzeugkomponenten bis zu 250 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten, die überwiegend von kleinen und mittleren Marktakteuren abgedeckt werden. ■ LIterAtur Bain & Company: Winning in Europe. Truck strategies for the next decade: lessons from our customer loyalty study, Bain & Company, 2012. Diez, W.: Otto-, Diesel-, Elektromotor - wer macht das Rennen, Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Stuttgart 2010. Deutsche Post: Delivering Tomorrow, Bonn 2010. Götze, U.; Rehme, M.: Elektromobilität - Herausforderungen aus wirtschaftlicher Sicht, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz, Chemnitz 2011. Fraunhofer IAO; PriceWaterhouseCoopers (PWC): Elektromobilität - Herausforderungen für Industrie und öffentliche Hand. Stuttgart, Frankfurt am Main 2010. KPMG: Die europäische Nutzfahrzeugindustrie im Zeichen der Globalisierung, KPMG, 2006. Nationale Plattform Elektromobilität (NPE): Fortschrittsbericht der nationalen Plattform Elektromobilität (Dritter Bericht) ,GGEMO ,Berlin 2012 Proff, H.; Schönharting, J.: Zukünftige Entwicklungen in der Mobilität - Betriebswirtschaftliche und technische Aspekte, Springer, 2012. Roland Berger Strateg Consultants: Truck Powertrain 2020 - Mastering the CO2-Challenge; Roland Berger, 2010. Shell Deutschland: Shell LKW-Studie - Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg/ Berlin 2010. Spath, D.; Bauer, W.: ELAB - Wirkungsanalyse alternativer Antriebskonzepte am Beispiel einer idealtypischen Antriebsstrangfertigung, Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2012. VDA: Das Nutzfahrzeug - Umweltfreundlich und effizient. Berlin, 2008 Wallentowitz, H.: Strategien in der Automobilindustrie: Technologietrends und Marktentwicklungen, Vieweg+Teubner Verlag. Wiesbaden 2009. Wildemann, H.: Nachhaltigkeit in der Supply Chain - Leitfaden für nachhaltigkeitsorientiertes Wertschöpfungsmanagement, 3. Auflage, München 2013. Wildemann, H.: Elektromobilität - Anforderungen an Reifen, Fahrwerk, Antrieb und Marktpotenziale, TCW, München 2012. Wildemann, H.: Green Mobility - Maßnahmen zur Verringerung von CO2-Emissionen im Vergleich, TCW, München 2012. Horst Wildemann, Univ.-Prof. Dr. Leiter Forschungsinstitut für Unternehmensführung, Logistik und Produktion an der TU München, Geschäftsführer der TCW Unternehmensberatung, München wisekretariate@wi.tum.de Liebe Autoren, liebe Inserenten und liebe Leser, wir bedanken uns herzlich bei Ihnen für das Vertrauen, das Sie uns auch dieses Jahr geschenkt haben. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2014. Ihr Eurailpress Team