eJournals Internationales Verkehrswesen 65/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0096
111
2013
654

Reparatur der autogerechten Stadt

111
2013
Hartmut Topp
Ralf Huber-Erler
Die Ära der autogerechten Stadt in den 1960er und 1970er Jahren hat vielerorts das Stadtbild stark geprägt – aus heutiger Sicht sehr zum Nachteil. Jetzt ist die städtebauliche Reparatur von Stadtautobahnen, Hochstraßen oder Verkehrsverteilern ein wesentlicher Schlüssel zur Rückgewinnung urbaner Qualität.
iv6540044
INFRASTRUKTUR Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 44 Reparatur der autogerechten Stadt Die Ära der autogerechten Stadt in den 1960er und 1970er Jahren hat vielerorts das Stadtbild stark geprägt - aus heutiger Sicht sehr zum Nachteil. Jetzt ist die städtebauliche Reparatur von Stadtautobahnen, Hochstraßen oder Verkehrsverteilern ein wesentlicher Schlüssel zur Rückgewinnung urbaner Qualität. Die Autoren: Hartmut Topp, Ralf Huber-Erler D ie autogerechte Stadt“ war Ende der 1950er Jahre der Titel eines durch das Bundesministerium für Wohnungsbau geförderten Buches (Reichow, 1959): „Seit Jahrtausenden hat sich der Verkehr noch nie so völlig verändert und so eindeutig einen neuen Stadtgrundriss verlangt wie heute.“ Reichow beklagt, dass „schon beim Aufbau der kriegszerstörten Städte manche Chancen verpasst“ wurden. Die „neue Durchbruchstraße“ in Ulm (Bild 1 links) feiert er als „sinnvolle Bezogenheit zwischen Verkehrsplanung und den historischen Baudenkmälern“ mit der „optischen Erschließungs- und Gestaltungsmacht der neuen Verkehrsbahnen“ (Reichow, 1959). Das war keine Einzelmeinung. Le Corbusier hatte die autogerechte Stadt ideologisch mit vorbereitet, und die Profession der Stadt- und Verkehrsplaner übersetzte diese Ideen in den verkehrstechnischen Funktionalismus der 1960er und 1970er Jahre. Das Leitbild der autogerechten Stadt war mehr oder weniger gesellschaftlicher Konsens. Reichow fühlte sich übrigens später mit seinem „viel falsch gesehenen und zitierten“ Buch von 1959 missverstanden (Reichow, 1972). das Erbe der autogerechten Stadt Die Ära der autogerechten Stadt hat uns ein langlebiges bauliches Erbe bar jeder Baukultur hinterlassen. Straßendurchbrüche wie in Ulm (Bild 1 links), Hochstraßen wie in Ludwigshafen und Stadtplätze als Parkplätze oder Verkehrsverteiler sind Ergebnisse des verkehrstechnischen Funktionalismus, der sich im Fall der Durchbrüche die Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg zunutze machte und im Fall der Hochstraßen ebenso der vermeintlichen Funktionalität der autogerechten Stadt hinterher lief - und das nicht nur in Ulm, Ludwigshafen, Pforzheim oder Kaiserslautern. „Ulm gibt es fast überall“, könnte man sagen. So zum Beispiel in Berlin - Mühlendamm, Dresden - St. Petersburger Straße, Düsseldorf - Berliner Allee, Frankfurt am Main - Berliner Straße, Hamburg - Ost- West-Straße, Hannover - Cityring, Karlsruhe - Kriegsstraße, Köln - Nord-Süd-Fahrt, Saarbrücken - Saarufer-Autobahn A620, Stuttgart - Konrad-Adenauer-Straße und einige mehr. Innerstädtische Hochstraßen haben immerhin noch knapp ein Dutzend deutsche Städte wie Bielefeld, Bremen, Halle, Hannover, Ludwigshafen, Mühlheim (Ruhr), Siegen oder Wetzlar. Heute ist die städtebauliche Reparatur von Stadtautobahnen, Hochstraßen und Durchbrüchen, Hauptverkehrsstraßen, großen Straßenkreuzungen und Verkehrsverteilern ein wesentlicher Schlüssel zur Rückgewinnung urbaner Qualität. Ulm: Neue Mitte auf altem Stadtgrundriss Die Ulmer Altstadt wurde 1944 zu etwa 80 % zerstört. Mitte der 1950er Jahre entstand - recht einvernehmlich - die Schneise der vierspurigen Neuen Straße (Bild 1 links). Die Verkehrsbelastung stieg kontinuierlich, und Anfang der 1970er Jahre wurde die Unverträglichkeit einer solchen Straße zwischen Ulmer Münster und Rathaus bewusst. Es folgte die Zeit der fruchtlosen Tunnelpläne, die erst 1990 durch einen sehr eindeutigen Bürgerentscheid (81,5 % bei einer Beteiligung über 50 %) gestoppt wurden (Wettengel in Wetzel, 2012). Die Neuorientierung der Ulmer Verkehrs- und Stadtentwicklung begann umgehend mit einem Runden Tisch aus Bürgerinitiative, Gemeinderatsfraktionen, Industrie- und Handelskammer, Gewerkschaft ÖTV und Naturschutzverbänden als ein „neues Dialogmodell von Bürgerschaft und Stadtpoli- Bild 1: Neue Mitte Ulm 2002 (links) und 2008 - Rückeroberung des Stadtraums (Fotos: Stadt Ulm) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 45 tik“ (Wetzig, 2012). Neuorientierung heißt im Ergebnis: konsequenter Ausbau des ÖPNV, verkehrsberuhigte Innenstadt, Verkehrsbau ist Städtebau und Planung als Dialogprozess. Damit war Ulm Anfang der 1990er Jahre Vorreiter einer neuen Planungskultur. Nächste Meilensteine waren 1998 der städtebauliche Ideenwettbewerb, die im öffentlichen Stadtdialog aufbereiteten Wettbewerbsergebnisse und das im Sommer 2000 gestartete Bebauungsplanverfahren. Eine Tiefgarage mit 600 Stellplätzen, die drastisch reduzierte Straße und die Häuser auf altem Stadtgrundriss in moderner Architektur entstanden im Wesentlichen von 2002, als die archäologische Grabung begann, bis 2007. Das Ulmer Ergebnis (Bild 1 rechts und Bild- 2) ist bundesweit beispielgebend. Die zweispurige Tempo-30-Straße in weicher Trennung zwischen Fahrbahn und Gehwegen wird ohne Ampeln oder Zebrastreifen an jeder Stelle gequert (Bild 2), obwohl Fußgänger nach der StVO hier keinen Vorrang haben. Das Miteinander von ca. 15 000 KFZ pro Tag und vielen Fußgängern funktioniert. Die Gestalt des Straßenraums entspricht der eines Wohnzimmers der Stadt, und im Wohnzimmer verhält man sich meistens gesittet. Ludwigshafen: Stadtboulevard statt-Hochstraße Das Ludwigshafener Hochstraßensystem folgt amerikanischen Vorbildern. Es war mit der Einweihung des ersten Teilstücks 1959 eines der ersten in Europa und wurde entsprechend gefeiert. Die 1,8 km lange Hochstraße Nord wurde 1981 fertiggestellt. Jetzt ist sie marode, und sie müsste (nach Stand Frühjahr 2013) für rund 300 Mio EUR saniert bzw. wieder aufgebaut werden (Stadt Ludwigshafen, 2013). Die Verkehrsbelastung liegt bei ca. 40 000 KFZ pro Tag, davon ist der größere Teil für die Innenstadt Durchgangsverkehr zur BASF und nach Mannheim (FIRU/ R+T, 2012). Die Stadt sieht den „Sanierungsfall als Chance für die Stadtentwicklung“ mit der Option eines ebenerdigen Stadtboulevards entsprechender Leistungsfähigkeit anstelle der Hochstraße. Nach einer Machbarkeitsstudie für den Stadtboulevard (FIRU/ R+T, 2012) läuft zurzeit eine vergleichende ingenieurtechnische Untersuchung zu Sanierung der Hochstraße versus Stadtboulevard. Wichtige Aspekte dabei sind Kosten und Finanzierung; die Stadt ist Baulastträger. Den rund 300 Mio. EUR für den Wiederaufbau der Hochstraße stehen je nach Variante 220 bis 250 Mio. EUR für den ebenerdigen Stadtboulevard einschließlich Abbruch der Hochstraße gegenüber (Stadt Ludwigshafen, 2013). Städtebauliche Kriterien (Bild 3) sprechen eindeutig für den Stadtboulevard; die verkehrstechnische Leistungsfähigkeit der vierspurigen ebenerdigen Straße ist nachgewiesen. Über die enormen Kosten hinaus wird ab Baubeginn mit einem zeitlichen Aufwand von bis zu zehn Jahren gerechnet mit erheblichen Eingriffen in das gesamte Umfeld. Das Erbe der autogerechten Stadt ist also nicht nur städtebaulich brisant, sondern im Einzelfall auch extrem teuer. Pforzheim: Schlossberg ohne Schlossberg-Auffahrt Der Wiederaufbau der Pforzheimer Innenstadt nach dem verheerenden Bombenangriff vom 23. Februar 1945 folgte dem Leitbild der autogerechten Stadt. Darunter leidet die Stadt auch heute noch. Ein Repräsentant der autogerechten Stadt ist - neben vielen anderen Straßen - die Anfang der 1960er Jahre gebaute Schlossberg-Auffahrt (Bild 4 rechts). Der Schlossberg mit der Schlosskirche ist die Keimzelle und zusammen mit dem Marktplatz die historische Mitte von Pforzheim. Vor der Zerstörung war das Schlossberg-Quartier Teil der Altstadt mit ihrem Netz schmaler Gassen. Die Schlossberg-Auffahrt in ihrer verkehrstechnischen Form dominiert den Schlossberg; sie stört das städtebauliche Potenzial dieses topografisch, historisch und kulturell sensiblen Bereichs; sie ist ein Fremdkörper im historischen Stadtgrundriss (Bild 4 links). In einem Werkstattverfahren zur baulichen Neuordnung der östlichen Innenstadt wurde die Schlossberg-Auffahrt 2012 grundsätzlich in Frage gestellt (Topp, 2013). Die Schlossberg-Auffahrt hat eine Verkehrsbelastung von ca. 13 500 KFZ pro Werktag und ca. 140 Bussen des regionalen ÖPNV. Der Verkehrsentwicklungsplan (Stadt Bild 3 Bild 2: Die neue Neue Straße im Wohnzimmer von Ulm (Foto: Topp) Bild 4 Bild 3: Sanierungsfall als Chance für Ludwigshafen (FIRU/ R+T - Darstellung: Topp) INFRASTRUKTUR Stadtplanung Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 46 Pforzheim, 2010) definiert zur Entlastung der Innenstadt einen im Süden und Osten weiter gefassten Innenstadtring, hält aber an der Schlossberg-Auffahrt als Teil des „Parkrings“ fest. Eine Sperrung der Schlossberg-Auffahrt würde zu höheren Verkehrsbelastungen auf Teilen des Innenstadtrings führen. Die zu erwartenden Zusatzbelastungen sind jedoch an allen Knotenpunkten - bis auf einen - durch Anpassungen in der Signalsteuerung zu bewältigen; an einem würde eine Änderung der Spuraufteilung erforderlich (topp.plan/ R+T, 2013). Die Sperrung für den motorisierten Individualverkehr (MIV) ist also eine realistische Option. Allerdings reichen die dadurch eröffneten Rückbauoptionen bei weitem nicht aus, um zu einer dem historisch und kulturell bedeutsamen Ort angemessenen Neuordnung zu kommen. Ziel muss es sein, die Straße auch für den ÖPNV zu sperren, und sie als Verkehrsstraße komplett aus dem Netz zu nehmen. Es bliebe dann nur noch eine schmale verkehrsberuhigte Erschließungs- Stichstraße im oberen Bereich. Dieser Straßenverlauf entspricht der historischen Situation (Bild 4 links), während der untere- Durchbruch der Schlossberg-Auffahrt (Bild-4 rechts) aus den 1960er Jahren der autogerechten Stadt stammt. Während die Sperrung für den MIV wenig kritisch erscheint, gab es beim ÖPNV lange Diskussionen, weil die erforderlichen Linienverlegungen entweder zur Verlängerung der Umlaufzeiten oder zur Aufgabe einer wichtigen Haltestelle führen würden. Der Verlust der Haltestelle könnte durch einen Schrägaufzug (oder in eine künftige Be- 280m üNN 258m üNN Bild 5 Bild 4: Schlossberg-Auffahrt 1941 (links) und heute: Eingriff in den historischen Stadtgrundriss ( Karten: Stadt Pforzheim) bauung integrierten Senkrechtaufzug) zum 22- m höher gelegenen ZOB (Bild 4 rechts) abgemildert werden - bei der bergigen Topografie der Stadt und ihrer alternden Bevölkerung ein Gewinn für Alle. Kaiserslautern: Neue Stadtmitte statt „Verkehrsinsel“ Kaiserslautern wurde im Krieg stark zerstört; jedoch war der mittelalterlich geprägte Grundriss der Innenstadt erhalten geblieben. Das Stadtbild prägende Fackelrondell als zentrale Kreuzung in der Innenstadt mit kunstvoll gestaltetem Brunnen (Bild 5 links) steht für viele Kaiserslauterer für die „gute alte Zeit“. Der Wiederaufbau wurde in vielen Bereichen maßgeblich durch die amerikanischen Streitkräfte geprägt. Dem Bedürfnis folgend, die militärischen Liegenschaften im Osten und Westen der Stadt durch eine vierspurige Straße zu verbinden, rückten 1951 die Bulldozer der US-Army an und schoben eine Trasse durch das Zentrum der Stadt. Dabei wurde das Fackelrondell beseitigt und durch ein Einbahnstraßensystem mit zwei bis drei Spuren je Richtung ersetzt. In den 1970er Jahren wurde auf der Fläche zwischen den beiden Einbahnstraßen ein Karstadt-Warenhaus errichtet. Der Bereich des früheren Fackelrondells wurde durch das „Karstadt-Loch“ (Bild 5 rechts) ersetzt. Das war der vergebliche Versuch, dem Basement des Kaufhauses Erdgeschoss-Charakter zu verleihen. Die Fußgänger in einer wichtigen Achse der Innenstadt wurden durch die Minus-Eins-Ebene zwangsgeführt; für Radfahrer war die Blockade total. Später wurde alternativ eine ebenerdige Querungsmöglichkeit angeboten mit der Folge der Verwahrlosung der unteren Ebene. Der alte Straßenverlauf (Bild 6 oben) war aufgegeben und ersetzt durch das Einbahn- Straßenpaar nördlich und südlich des Karstadt-Gebäudes (Bild 6 Mitte). Ein Streifen von mehreren hundert Metern Innenstadt einschließlich Karstadt, altes Pfalztheater und Fruchthalle geriet in eine von 40 000 Autos pro Tag umtoste Insellage - wie auf einer „überdimensionierten riesigen Verkehrsinsel“. Das Einbahn-Straßenpaar ist nicht nur eine Barriere für Fußgänger und Radfahrer, sondern auch für den Kfz- Verkehr: Zum Erreichen vieler Ziele in der Innenstadt muss die „Verkehrsinsel“ einmal umrundet werden, ein sehr großer Umwegverkehr und ein Orientierungsproblem. Mit dem Neubau des Pfalztheaters am neuen Standort Ende der 1990er Jahre kam die Frage einer erneuten Umgestaltung der Stadtmitte auf. Unterstützt durch Modellrechnungen wurde schnell klar, dass die Aufgabe des Einbahn-Straßenpaars - neben dem städtebaulichen Potenzial - eine enorme Verkehrsreduzierung bewirkt: Im Querschnitt geht die Belastung von 40 000 KFZ pro Tag auf 25 000 zurück (Planungsbüro R+T, 2011). Über Jahre wurden Varianten und Details diskutiert. Manches scheiterte aus politischen Gründen, das meiste an der Firma Karstadt. Erst mit der Schließung des Kaufhauses Ende März 2010 nahm die Diskussion wieder Bewegung auf: Der Hamburger Entwickler ECE erwarb das alte Karstadt- Gebäude und begann mit der Planung eines Einkaufszentrums, das zukünftig auch den Bereich des alten Pfalztheaters sowie das heutige „Loch“ umfassen wird (Bild 6 unten). Das war die Chance, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und den zentralen Innenstadtbereich deutlich aufzuwerten. Das verkehrliche Konzept besteht darin, den MIV auf der nördlichen Trasse des Einbahn- Straßenpaars auf insgesamt zwei Fahrstreifen in Richtung und Gegenrichtung zu bündeln und die Erschließung der Innenstadt direkt zu verknüpfen. Die der Innenstadt zugewandte südliche Seite des Einbahn- Straßenpaars wird in Zukunft als „Umweltspur“ Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV sowie Lieferverkehr und Taxis aufnehmen (Bild 6 unten). Durch die Auflösung des Einbahn-Straßenpaars werden viele Ziele in der Innenstadt verständlicher erschlossen, und es entfallen Umwege. Davon profitieren der ÖPNV und besonders der Radverkehr. Östlich des geplanten Einkaufszentrums wird sich eine neue zentrale Bushaltestelle anschließen, die erheblich kürzere Umsteige- Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 47 um 1900 Bild 6 um 2000 Bild 7 Bild 5: Postkarten aus Kaiserslautern: Fackelrondell vor der Zerstörung und „Karstadt-Loch“ um 1980 (Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern) Bild 6: Stadtgrundriss Kaiserslautern Zentrum in drei Epochen: oben vor der Zerstörung, Mitte im Jahr 2012, unten 2015. (Oben & Mitte: Stadtverwaltung Kaiserslautern; unten: ECE Projektmanagement GmbH & Co KG) Hartmut Topp, Prof. Dr. topp.plan: Stadt.Verkehr.Moderation, Kaiserslautern topp.plan@t-online.de Ralf Huber-Erler, Dr.-Ing. R+T Ingenieure für Verkehrsplanung Dr.-Ing. Ralf Huber-Erler, Darmstadt r.huber-erler@rt-p.de wege als heute erfordern wird und zudem näher im Zentrum liegen wird. In Kaiserslautern wird nicht der alte Stadtgrundriss wiederhergestellt, sondern neu interpretiert und heutigen Nutzungsgrößen angepasst. Mit dem neuen Einkaufszentrum verschwindet die autogerechte Gestaltung der Innenstadt mit der „Verkehrsinsel“ von (ehemals) Karstadt bis Fruchthalle. Der gesamte Bereich wird gestalterisch und funktional zur neuen Stadtmitte aufgewertet. Fazit: Stadtreparatur tut not Die autogerechte Stadt war das städtebauliche und verkehrsplanerische Leitbild der 1950er und 1960er Jahre. Sie hat gut 30 Jahre, also etwas mehr als eine Generation überlebt. Die Beispiele Ulm, Ludwigshafen, Pforzheim und Kaiserslautern stehen für unzählige andere Reparaturfälle, die ähnlich weit, noch in Diskussion oder noch gar nicht initiiert sind. Die Beispiele lehren zweierlei: Zum einen, dass jeder Fall anders ist und jeweils individuelle Ansätze erfordert; das Gemeinsame besteht allenfalls in der Rückbesinnung auf die vielfältigen Funktionen von Straßen und Plätzen als urbane Lebensräume und in einer mehr oder weniger ausgeprägten Erinnerung an den alten Stadtgrundriss. Zum anderen wird deutlich, dass die Reparatur der autogerechten Stadt kein Selbstläufer ist, sondern Anlässe braucht, die kommunalpolitisch „Fenster“ öffnen. Das kann ein Sanierungsfall der Infrastruktur sein wie in Ludwigshafen, ein Bürgerentscheid wie in Ulm, die von der Kommunalpolitik initiierte städtebauliche und ökonomische Aufwertung der Innenstadt wie in Pforzheim oder ein Großprojekt eines privatwirtschaftlichen Investors wie in Kaiserslautern. Wenn wir heute die autogerechte Stadt als Irrweg erkennen, sei noch einmal daran erinnert, dass sie damals professioneller und gesellschaftlicher Konsens war. Das hindert uns aber nicht, die städtebauliche Reparatur der autogerechten Stadt als einen wichtigen Schlüssel zu mehr Urbanität und städtischer Lebensqualität konsequent voran zu treiben. Wie wir das machen, das sollte sich allerdings auch in mehr als dreimal 30 Jahren noch sehen lassen können. ■ QueLLen FIRU / R+T (2011): Untersuchung von städtebaulichen und immobilienwirtschaftlichen Entwicklungspotentialen im Zusammenhang mit der Erneuerung der Hochstraße Nord, Ludwigshafen am Rhein. Auftraggeber: Stadt Ludwigshafen Planungsbüro R+T (2011): Verkehrsuntersuchung Neue Stadtmitte Kaiserslautern. Darmstadt Reichow, Hans Bernhard (1959): Die autogerechte Stadt - Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos. Otto Maier Verlag, Ravensburg Reichow, Hans-Bernhard (1972): Mensch und Auto im Städtebau. In: Verkehrskultur. Hrsg.: Klaus Honnef. Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen Stadt Ludwigshafen (2013): <www.ludwigshafen.de/ nachhaltig/ citywest/ hochstraße-nord/ > Stadt Pforzheim (2010): Verkehrsentwicklungsplan 2007 - 2010. Dr. Brenner Ingenieurgesellschaft, Aalen Topp, Hartmut (2013): Mobilität und Verkehr der urbanen Innenstadt. Dokumentation Workshop 2012 Innenstadtentwicklung Pforzheim. Konversionsgesellschaft Buckenberg mbH topp.plan / R+T (2013): Verkehrskonzept Innenstadt Pforzheim 2013. Kaiserslautern / Darmstadt. Auftraggeber: Stadt Pforzheim Wetzig, Alexander - Herausgeber (2012): Neue Mitte Ulm - Die Rückeroberung des Stadtraumes in der Europäischen Stadt. Stadt Ulm, Klemm+Oelschläger