Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0102
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»Wir brauchen eine europäische Verkehrswegeplanung«
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Arnd Stephan
Eberhard Buhl
Aus gutem Grund gilt das System Bahn als schnell, sicher und ressourceneffizient. Oft jedoch können Bahnen ihre Vorzüge gar nicht auf die Schiene bringen. Woran liegt das? Warum lassen sich manchmal schon mit Kleinigkeiten spürbare Optimierungen erreichen? Und wo muss der Fokus stärker auf die Europäische Union gerichtet werden? Ein Gespräch mit Arnd Stephan, Professor für Elektrische Bahnen an der TU Dresden.
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TECHNOLOGIE Interview Arnd Stephan Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 64 »Wir brauchen eine europäische Verkehrswegeplanung« Aus gutem Grund gilt das System Bahn als schnell, sicher und ressourceneffizient. Oft jedoch können Bahnen ihre Vorzüge gar nicht auf die Schiene bringen. Woran liegt das? Warum lassen sich manchmal schon mit Kleinigkeiten spürbare Optimierungen erreichen? Und wo muss der Fokus stärker auf die Europäische Union gerichtet werden? Ein Gespräch mit Arnd Stephan, Professor für Elektrische Bahnen an der TU Dresden. Herr Professor stephan, vor einigen monaten erschien eine studie der energietechnischen gesellschaft im vde mit dem provokanten titel „energieoptimaler bahnverkehr - auf dem weg zum 1-Liter-zug“ 1 , an der sie mitgearbeitet haben. vor allem die elektrisch betriebenen bahnen sind ja ohnehin vergleichsweise energiesparend unterwegs. was kann man da fahrzeugtechnisch überhaupt noch optimieren? Den Titel haben wir ja ganz bewusst gewählt, um eine Vergleichsgrenze zu schaffen, die jeder irgendwie nachvollziehen kann. Eine wesentliche Botschaft der Studie ist: Wir sind eigentlich schon dort. Wenn die Züge voll sind und dazu noch mit regenerativer Energie fahren, liegt der Verbrauch zum Teil schon deutlich unter dem Vergleichswert von einem Liter Diesel pro Person je 100 Kilometer. Dennoch befreit uns das nicht davon, auch bei schon guten Systemen noch Optimierungspotenziale zu heben. und wo sehen sie diese Potenziale? Sie haben es schon angedeutet: Mit Bahntechnik allein ist in der Tat relativ wenig zu holen. Man muss aber differenzieren nach Bahnsystemen. Im Bereich der Gleichstrom-Nahverkehrsbahnen zum Beispiel - der S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen - lassen sich durch Netzstrukturoptimierung der Bahnstromversorgung tatsächlich noch Einsparpotenziale im größeren Prozentbereich finden. Und beim Nebenenergiebedarf, bei der Klimatisierung der Fahrzeuge. Das ist wesentlich mit elektronischer Intelligenz zu machen, nicht so sehr mit technischen Komponenten. Im Regionalverkehr können wir viel über Fahrprofile machen, denn man muss sich schon fragen, ob Regionalbahnen tatsächlich immer die Streckenhöchstgeschwindigkeiten ausfahren müssen. Das ruft dann nach Automati- 1 Bestellung und Download im InfoCenter auf vde.com sierungsstrategien im Betrieb, die eher Infrastruktur und IT betreffen. Im Hochgeschwindigkeitsverkehr allerdings haben wir in der Tat fahrzeugtechnische Optionen. Neue Hochgeschwindigkeitszüge mit verbesserter Aerodynamik können tatsächlich vier, fünf Prozent Einsparung holen - aber auch dort sind Geschwindigkeit und intelligente Fahrprofilanpassung die Hauptthemen: Muss es wirklich Tempo 300 sein, reichen nicht auch 250 km/ h? diese Frage stellt sich ja beim güterverkehr eher nicht. was lässt sich in diesem bereich machen? Beim Güterverkehr spielt interessanterweise nicht so sehr die Traktionstechnik eine große Rolle, sondern vor allem Wagentechnik und Betriebsführung: Bei der Aerodynamik der Wagen ist eine ganze Menge zu holen, ebenso in der Optimierung des Netzdurchsatzes. Dort liegen Einsparpotenziale um etwa zehn, vielleicht sogar 20 Prozent brach. was genau wollen sie denn an güterwagen aerodynamisch optimieren? so ein container hat nun mal einen Luftwiderstand wie ein Kassenschrank … … das schon, aber hier greifen verschiedene andere Dinge ineinander. Drehgestellverkleidungen zum Beispiel können insbesondere die Verwirbelung unter den Fahrzeugen reduzieren und wirken zusätzlich massiv lärmmindernd. Auch das optimierte Gruppieren der Ladung auf dem Zug, ohne Lücken zwischen den Containern, ist aerodynamisch günstiger. Wenn heute Tausende Container automatisch vom Schiff auf den Zug umgesetzt werden, ist das vorher exakt geroutet und bestens organisiert - zwar nicht mit dem Ziel der Energieeffizienz, doch das lässt sich adaptieren. Oder das Beispiel der offenen Güterwagen, die leer einen unerhört hohen Luftwiderstand bieten. Einfache Abdeckplanen tragen bedeutend zur Reduzierung des Luftwiderstands und damit des Energieverbrauchs bei. Das sind alles relativ einfache Lösungen, aber die Frage ist natürlich, ob und für wen sich das unter dem Strich lohnt. das andere genannte thema ist das optimierte Fahren auf der strecke, gerade im zusammenhang mit nahverkehrsbahnen, die häufig bremsen und wieder anfahren müssen. welche verkehre stehen da im vordergrund? Bei U-Bahn-Systemen mit sehr straffem Taktverkehr, die strikt bestimmte Fenster einhalten müssen, lässt sich über das Fahrprofil eigentlich kaum noch etwas optimieren. Im Regionalverkehr dagegen, wo die Vertaktung der Fahrpläne nicht so streng ist wie bei der U-Bahn, gibt es in gewissem Maße auch Zeitrückhalte. In der Regel wissen die Lokführer allerdings nicht, wie sie die nutzen können, weil sie das übrige Betriebsgeschehen auf der Strecke nicht kennen. Fahrerassistenzsysteme, die dieses Betriebsgeschehen kennen, werden zwar in der Regel nur eingeführt, um die Durchlassfähigkeit der Strecken zu erhöhen. Bekommen sie das aber gut hin, fällt die Energieoptimierung quasi mit ab. dazu muss allerdings auch ausreichende netzkapazität für die verschiedenen verkehre vorhanden sein, und da klemmt es ja auf verschiedenen streckenabschnitten in deutschland zum teil erheblich. macht also zu schwache Infrastruktur alle optimierungsbemühungen wieder zunichte? Na ja, auf den Strecken selbst kann man die Zugfolge sicher weiter verdichten und noch eine ganze Menge herausholen. In den Knoten dagegen, wo mehrere Strecken zusammenlaufen und Engpässe bilden, durch die alle durch müssen, spüren wir die Kapazitätsgrenzen am stärksten. Dort wird es ohne Ausbau nicht gehen. Da geht es dann weniger um aufwendige Neubauten als um Feinheiten etwa bei Kreuzungseinführungen, Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 65 damit sich Züge unterschiedlicher Fahrtrichtung nicht gegenseitig behindern. Das kostet natürlich erst mal Geld, hilft aber gerade bei hoch vertakteten und dichten Verkehren anschließend lange beim Wirtschaften. Forderungen wie „mehr güter auf die schiene“ lassen sich also derzeit gar nicht umsetzen? Richtig, das würde sofortigen Infrastrukturausbau erfordern. Die Bahn könnte heute einen massiven Güteransturm auf den Hauptrouten gar nicht verkraften, rund um die großen Logistikzentren und in Richtung Alpen auf den Nord-Süd-Routen zum Beispiel. Und selbst die bestehende Infrastruktur ist ja extrem sanierungsbedürftig, das wird schon die verfügbaren Kapazitäten künftig zunehmend limitieren. die bundesregierung müsste also zunächst die Investitionsmittel massiv weiter aufstocken? Man muss, bevor man über Geld redet, erst einmal eine Netzvision haben. Man muss also sagen, welche Güterverkehrsströme wirklich wichtig sind und wo tatsächlich auszubauende Knoten und entsprechend zu fördernde Achsen liegen. Und daran die Mittelverteilung festmachen. In der Vergangenheit wurde mehr oder weniger nach Länderproporz investiert, deshalb haben wir heute kaum leistungsfähige Magistralen. Das heißt im Klartext natürlich, dass in manchen Bundesländern mehr Geld in die Bahn investiert wird und in manchen Ländern vielleicht gar keines, weil die im Moment nicht an solchen Achsen liegen. Da muss jetzt dringend ein Umdenken passieren. Wir brauchen eine länderübergreifende, ja europäische Verkehrswegeplanung und zum Schluss viel, viel Geld. Sonst fällt uns das alles schwer auf die Füße. reden wir jetzt von der eu oder von deutschland? Grundsätzlich kann Deutschland allein, also ohne EU-Gelder, nicht die Lasten für Themen wie den europäischen Wirtschaftsverkehr tragen. So ist es in der Vergangenheit nicht gewesen und so sehen wir es auch heute, zum Beispiel, im osteuropäischen Ausland. Besonders gut kenne ich das aus Polen, wo sehr viel EU-Geld in die Verkehrsinfrastruktur investiert wird, konzentriert allerdings auf Magistralen und wichtige Verkehrsachsen. Ich denke, bei der Mittelverteilung müssen auch wir in Deutschland öfter die Hand heben, selbst wenn es uns vergleichsweise besser geht, als manchem anderen Land. Wir sind aber das maßgebliche Transitland im Zentrum, und im Sinne eines gesamteuropäischen Eisenbahnverkehrs sind EU-Mittel in Deutschland sehr sinnvoll investiertes Geld. Schienengüterverkehr in Europa ist grenzüberschreitend und damit ein Thema vieler Länder, das sollte nicht mehr jeder für sich selber machen und versuchen, seinen nationalen Fressnapf als Erster zu füllen. demnach ist auch die strategie für grenzübergreifenden verkehr auf der schiene eigentlich eine Aufgabe der eu? Im Hochgeschwindigkeitsverkehr sehen wir ja die Idee einer europaweiten Verkehrsstrategie bei den Transeuropäischen Netzen. Der Anstoß dazu kam zwar eher aus der Notwendigkeit einer technischen Standardisierung für diese relativ neuen, international operierenden Systeme. Aber zum Schluss machen wir das ja nicht für uns Ingenieure, sondern um ein volkswirtschaftliches Problem zu lösen, nämlich den schnellen, sicheren und ressourceneffizienten Transport in und durch Europa. Deshalb müssen die Lösungen so übergreifend sein, dass sie nicht in europäischer Kleinstaaterei versinken. Ist das eine wunschvorstellung oder sehen sie dafür echte chancen? Die nationale Komponente werden wir sicher immer dabei haben. Aber man muss dafür sorgen, dass alle Nationen auf gewisse Weise an den Entwicklungen teilhaben und dazu motiviert sind, mit am Ball zu bleiben. Grundsätzlich ist die Entwicklung der Bahnkorridore, vor allem der sehr wichtigen Güterkorridore, eine europäische Aufgabe. Sind unsere Infrastrukturen erst fit für die Zukunft, finden wir auch auf die anderen Fragen viel einfacher Antworten. ■ Das Interview führte Eberhard Buhl Arnd Stephan studierte Elektrotechnik/ Elektrische Bahnen an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden, schloss 1990 mit dem Diplom ab und promovierte 1995 zum Dr.-Ing. Ab 1993 war er langjährig im IFB Institut für Bahntechnik GmbH in Dresden tätig. Zunächst Lehrbeauftragter für das Fachgebiet Elektrische Bahnen an der Verkehrsfakultät der TU Dresden, wurde er dort 2002 zum Honorarprofessor für Unkonventionelle Elektrische Verkehrssysteme ernannt. Seit 2008 ist er dort Professor für Elektrische Bahnen. Zugleich ist Arnd Stephan seit 2012 Geschäftsführer des IFB Institut für Bahntechnik GmbH in Berlin und Dresden. ZUR PERSON Foto: Stefanie Kösling
