Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0103
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2013
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Einsparpotential im Kühlfahrzeug durch Rekuperation
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2013
Jens Liesen
Thomas Dopichay
Bei der Suche nach Ansätzen zum Klimaschutz und zur Steigerung der Effizienz im Straßentransport lohnt sich ein Blick auf Energien, die bisher nicht genutzt werden – zum Beispiel Bremsenergie. Einblicke in ein niedersächsisches Forschungsprojekt.
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Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 66 Einsparpotential im Kühlfahrzeug durch Rekuperation Bei der Suche nach Ansätzen zum Klimaschutz und zur Steigerung der Effizienz im Straßentransport lohnt sich ein Blick auf Energien, die bisher nicht genutzt werden - zum Beispiel Bremsenergie. Einblicke in ein niedersächsisches Forschungsprojekt. Die Autoren: Jens Liesen, Thomas Dopichay K rone erforscht aktuell, inwieweit zurückgewonnene Bremsenergie zum Betrieb von Energieverbrauchern an der gezogenen Einheit genutzt werden kann. Dazu wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts ein Kühlsattelauflieger aufgebaut, der mit dem Prinzip der Energierückgewinnung arbeitet - der sogenannten Rekuperation. Dabei wird Bremsenergie in elektrische Energie umgewandelt und kann Verbraucher im Auflieger versorgen. Bei einer herkömmlichen Bremse wird die kinetische Energie oder die Bewegungsenergie des Fahrzeugs durch Reibung in Wärme umgewandelt, die ungenutzt an die Umgebung verloren geht. Anders ist dies bei einer sogenannten Nutzbremse oder Rekuperationsbremse, wie sie in entfernter Zukunft im Krone Cool Liner zum Betrieb der Kühlaggregate eingesetzt werden könnte: Ein Teil der Energie, die beim Bremsen an den Rädern des Trailers frei wird, wird durch Achsgeneratoren abgegriffen und in elektrische Energie umgewandelt. Am Forschungsprojekt sind neben dem Fahrzeugwerk Bernard Krone das Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge der TU Braunschweig, die gigant Trenkamp & Gehle GmbH, die Krebs und Aulich GmbH sowie die NavCert GmbH und die WiTech Engineering GmbH beteiligt. Das System im aufgebauten Forschungsfahrzeug besteht neben den Achsgeneratoren aus verschiedenen Umrichtereinheiten, einer Hochvoltbatterie und einer Bedieneinheit für den Fahrer inklusive eines Visualisierungsbildschirms. Die Umrichter bereiten die mittels der Achsgeneratoren gewonnene elektrische Energie auf und laden damit die Hochvoltbatterie auf. Ein Batteriemanagementsystem (BMS) überwacht die Batterie und leitet entsprechende Schritte ein, falls ein Fehler auftreten sollte. Über eine weitere Umrichtereinheit wird die in der Hochvoltbatterie gespeicherte Energie zum Betreiben des Kühlaggregats in Form von Dreiphasendrehstrom bereitgestellt. Selbst wenn der Trailer steht, geht es weiter: Dann kann die Batterie über einen externen Netzanschluss aufgeladen und parallel dazu das Kühlaggregat elektrisch betrieben werden. Ein Touchscreenmonitor zeigt dem Fahrer alle nötigen Informationen in der Kabine an, eine Systemsteuerung kommuniziert mit den Komponenten des Systems und beeinflusst den jeweiligen Prozessablauf. TECHNOLOGIE Fahrzeugtechnik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 67 Beim Kühlsattelauflieger ist das Kühlaggregat eine autarke Einheit; es enthält einen separaten Dieselmotor zur Energieversorgung während der Fahrt, das Zubehör zur Realisierung der Kühlfunktion wie z. B. den Kompressor, Lüfter oder Wärmetauscher sowie die notwendige Steuer- und Regelelektronik. Zusätzlich verfügen gängige Kühlaggregate über einen Anschluss für Dreiphasen-Drehstrom, so dass sie im Depot oder auf Fähren elektrisch über das Stromnetz betrieben werden können. In der EU existieren ca. 650 000 Kühlfahrzeuge mit einer Transportleistung von ca. 600 Mio. tkm. Für Fernverkehrs-Sattelzüge ergeben sich auf das Jahr gemittelt Kraftstoffverbräuche von etwa 4400 Liter Diesel alleine für die Kühlung. Damit besteht ein erhebliches Potential zur Einsparung von Kraftstoff, Kraftstoffkosten und Emissionen, wie es durch einen elektrischen Betrieb des Kühlaggregats auf Basis zurückgewonnener Bewegungsenergie realisiert werden kann. Dabei stellt die mit einem elektrischen Betrieb einhergehende Verringerung der Abgas- und Lärmemissionen besonders in urbanen Gebieten einen zusätzlichen Anreiz zum Einsatz eines entsprechenden Systems dar. der Versuch Das Forschungsfahrzeug, ein Krone Kühlauflieger der Baureihe Cool Liner Duoplex Steel, wurde mit einem regenerativen Bremssystem ausgerüstet, um das Kühlaggregat auch während der Fahrt elektrisch betreiben zu können. Zwei der drei Achsen des Kühlsattelaufliegers wurden mit je einem Generator ausgerüstet, die über Gleichrichter die zurückgewonnene Energie in einen Gleichspannungs-Zwischenkreis speisen. Über einen zweiten bidirektionalen Umrichter kann das Kühlaggregat aus dem Zwischenkreis mittels Dreiphasen- Drehstrom elektrisch versorgt werden. Dazu wird der standardmäßig am Kühlaggregat vorhandene Drehstromanschluss genutzt. Die Summe beider Ströme führt zum Laden bzw. Entladen der Batterie. Im Netzbetrieb kann über den bidirektionalen Umrichter zusätzlich die Batterie geladen werden. Parallel kann das Kühlaggregat direkt über den Netzanschluss versorgt werden. Die bisherigen Messfahrten wurden auf spezifischen Streckenabschnitten (Stadt flach, Landstraße flach, Landstraße bergig, Autobahn flach, Autobahn bergig, Beladung des Fahrzeugs mit 10 t) durchgeführt. In den Messwerten sind dabei klare Tendenzen zu erkennen. Die Tendenz bei Stadtfahrten: Solange die Betriebsdauer des Kühlaggregats kleiner oder gleich 90,5 % der gesamten Einschaltdauer ist, kann das Kühlaggregat alleine auf Basis der zurückgewonnenen Energie und damit zu 100 % elektrisch versorgt werden. Andernfalls muss die Energie aus der zuvor geladenen Batterie entnommen oder vom Dieselmotor des Kühlaggregats bereitgestellt werden. Entsprechend der vorgestellten Ergebnisse ist mit der Konfiguration des Forschungsfahrzeugs selbst für die ungünstigeren Streckenarten, wie lange Autobahnfahrten im Flachen, zu großen bis sehr großen Anteilen ein rein elektrischer Betrieb des Kühlaggregats möglich. Ein Simulationsmodell zeigt mögliche Einsparpotentiale auf. Erste Messdaten Zur Bestimmung des Potentials der Energierückgewinnung für realistische Einsatzprofile wird ein simulationsgestützter Ansatz verfolgt. Zunächst wurde ein Simulationsmodell des Fahrzeugs unter Berücksichtigung aller wesentlichen Zusammenhänge, d.h. des Antriebsstrangs der Zugmaschine, der Fahrwiderstände, des elektrischen Systems sowie des Energieverbrauchers (Kühlaggregat inklusive Kühlkoffer), erstellt und anhand der gewonnenen Messdaten validiert. Im zweiten Schritt können durch gezielte Kombination der für die spezifischen Streckenarten gemessenen Geschwindigkeits- und Höhenprofile, der Sollvorgaben für das Kühlaggregat sowie möglicher Pausen und Be- oder Entladevorgänge beliebige Einsatzprofile vom urbanen Verteilerverkehr bis zum Fernverkehr generiert werden. Für jedes Einsatzprofil lässt sich anschließend in Simulationen durch eine systematische Variation der Generatorleistung, Batteriegröße und des Energiebedarfs des Verbrauchers eine optimierte Systemkonfiguration bestimmen. Gleichzeitig lässt sich Bild 1: Zwei der drei Achsen des Kühlsattelaufliegers wurden mit je einem Generator ausgerüstet. (Alle Bilder: Krone) Bild 2: Die Hochvoltbatterie liefert die Energie zum Betreiben des Kühlaggregats als Dreiphasendrehstrom. TECHNOLOGIE Fahrzeugtechnik Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 68 mit dem Simulationsmodell der Mehrverbrauch der Zugmaschine durch das Zusatzgewicht des elektrischen Systems für das jeweilige Einsatzprofil abschätzen, sodass eine Gesamtbilanz gebildet werden kann. Im Folgenden sollen erste exemplarische Ergebnisse erläutert werden. Das Bild 3 zeigt ein mögliches Einsatzprofil für den Fernverkehr als Eingabewerte der Simulation. Vor Fahrbeginn wird das Fahrzeug auf -20 °C heruntergekühlt und mit 15 t beladen. Anschließend beginnt die Fahrt bei einer Umgebungstemperatur von 20 °C mit einer kurzen Überlandpassage im Flachen, bevor sich eine Autobahnfahrt in flacher, bergiger und flacher Topographie anschließt. Während der Fahrt finden keine Türöffnungen oder weitere Bebzw. Entladevorgänge statt. Aus der Bilanz der zurückgewonnenen und verbrauchten Energiemengen lässt sich das Einsparpotential an Kraftstoff unter Einbeziehung der benötigten Kapazität der Batterie ableiten. Bild 4 stellt die entsprechenden Verläufe für das vorgestellte Einsatzprofil und die Konfiguration des Forschungsfahrzeugs dar. Deutlich zu erkennen ist die höhere Rate der Energierückgewinnung in den bergigen Passagen sowie die aufgrund der gewählten Randbedingungen relativ konstante Leistungsaufnahme des Kühlaggregats. Zusammenfassung und Ausblick Im Beitrag wurde am Beispiel eines Kühlsattelaufliegers ein Ansatz zur Versorgung der Energieverbraucher an gezogenen Einheiten auf Basis zurückgewonnener Bremsenergie vorgestellt. Um das Potential dieses Ansatzes zu bewerten, wurde ein entsprechendes Forschungsfahrzeug aufgebaut, mit welchem Messfahrten für spezifische Streckenarten durchgeführt wurden. Zuletzt wurde das Vorgehen vorgestellt, mit dem für realitätsnahe Einsatzprofile jeweils eine optimierte Systemkonfiguration und das zugehörige Einsparpotential ermittelt werden. Weitere bzw. zukünftige Arbeitsschwerpunkte ergeben sich hinsichtlich einer tiefergehenden Anforderungs- und Einsatzprofilanalyse mit dem Ziel der Systemoptimierung; und zwar insbesondere hinsichtlich der Steuerung und Automatisierung des Systems unter Einbeziehung geeigneter Betriebsstrategien inklusive der Vernetzung mit dem Bremssystem sowie hinsichtlich der Komponentenwahl und des Packagings. Gleichzeitig lassen sich die Überlegungen auf andere Fahrzeugtypen, wie z. B. Pritschensattelauflieger, und andere Energieverbraucher (Bremssystem, Beleuchtung, Ladebordwände usw.) übertragen. Auch eine energetische Vernetzung eines entsprechenden Trailers mit der Zugmaschine oder ein aktiver Antrieb des Trailers zur Unterstützung der Zugmaschine ist denkbar. ■ Bild 4: Kraftstoff-Einsparpotential unter Einbeziehung der benötigten Kapazität der Batterie für das vorgestellte Einsatzprofil. Bild 3: Mögliches Einsatzprofil für den Fernverkehr als Eingabewerte der Simulation. Jens Liesen, Dipl.-Ing. (FH) Entwicklungsingenieur, Fahrzeugwerk Krone, Werlte jens.liesen@krone.de Thomas dopichay, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, TU Braunschweig, Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, Braunschweig t.dopichay@tu-braunschweig.de
