Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0105
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2013
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ÖPNV als Vorreiter und Innovationsmotor der Elektromobilität in Deutschland
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2013
Christian Soffel
Christine Schwärzel
Während die Öffentlichkeit das Für und Wider der Elektromobilität diskutiert, schickt sich die ÖPNV-Branche an, durch die sukzessive Elektrifizierung des Busverkehrs den Weg zu einer massentauglichen Elektromobilität zu ebnen. Eine kurze Situationsanalyse für Deutschland.
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TECHNOLOGIE Elektrobusse Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 72 ÖPNV als Vorreiter und Innovationsmotor der Elektromobilität in Deutschland Während die Öffentlichkeit das Für und Wider der Elektromobilität diskutiert, schickt sich die ÖPNV- Branche an, durch die sukzessive Elektrifizierung des Busverkehrs den Weg zu einer massentauglichen Elektromobilität zu ebnen. Eine kurze Situationsanalyse für Deutschland. Die Autoren: Christian Soffel, Christine Schwärzel E s ist erstaunlich: Während einerseits kritische Stimmen über Sinn und Erreichbarkeit der politischen Ziele für die Elektromobilität lauter werden, bestimmte kaum ein anderes Thema die mediale Berichterstattung der jüngsten Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt so sehr, wie die Marktpräsentation neuer Elektroautos, insbesondere deutscher Fahrzeughersteller. Nicht weniger erstaunlich ist, dass eine Branche, die im öffentlichen Diskurs um die Elektromobilität wenig präsent ist, aktuell Schwung aufnimmt, Vorreiter in der massentauglichen Elektromobilität zu werden, nämlich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). der ÖPNV als „Kontaktbörse Elektromobilität“ Ein Zahlenspiel: Die rund 300 Hybridbusse, die bereits bei deutschen Verkehrsunternehmen im Einsatz sind, stellen etwa 0,8 % der gesamten Linienbusflotte. Bei einem Fahrgastvolumen von 4,6 Mrd. Fahrgästen im Buslinienverkehr pro Jahr [5] heißt dies aber, dass rund 37 Mio. Wege pro Jahr in elektromobilen öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Zum Vergleich: Um diesen Wert zu erreichen, müsste jedes der aktuell ca. 8200 [6] in Deutschland zugelassenen Elektroautos täglich für über zehn Fahrten genutzt werden. Die Wahrscheinlichkeit, aktiv mit der Elektromobilität in Berührung zu kommen, ist für einen Großteil der Bevölkerung im öffentlichen Nahverkehr so hoch wie nirgendwo sonst - die weiteren 3,8 Mrd. Fahrgäste, die jährlich die ebenfalls elektrischen Verkehrsmitteln des ÖPNV wie Straßenbahn, Stadt- und U-Bahnen benutzen [5], sind hier noch nicht einmal berücksichtigt. Von diesel zu Strom Es ist eine klare Linie in der technologischen Entwicklung des straßengebundenen ÖPNV erkennbar (Bild 1): Die Hybridbusse sind sozusagen die erste Sprosse auf der Evolutionsleiter zum vollelektrischen Bus. Elektrische Traktionskomponenten und Energiespeicher mit der Möglichkeit zur Rückgewinnung von Bremsenergie (Rekuperation) bei gleichzeitiger Verkleinerung der Dieselaggregate stellen die erste Phase der Elektrifizierung dar. Absehbar - und teilweise schon umgesetzt - sind die Erweiterung der Speichermodule und die Möglichkeit zur externen Nachladung in so genannten Plug-In-Hybridlösungen. Die Bedeutung des Dieselmotors reduziert sich allmählich auf eine Range-Extender-Funktion, der rein elektrische Fahranteil wächst. Der nächste Entwicklungsschritt ist der völlige Verzicht auf einen Dieselmotor, wobei der heutige Stand der Energiespeichertechnik es bis auf weiteres erforderlich macht, im Laufe eines Tages Energie nachzuladen, zumindest, wenn der Bus hinsichtlich Kapazität und Fahrleistung mit konventionellen Dieselfahrzeugen der 12- und 18-m-Klasse konkurrieren soll. Für die Schnellnachladung im Linienverlauf gibt es verschiedene Ansätze - von konduktiven Lösungen über die induktive Nachladung bis hin zu Batteriewechselsystemen. Ausgehend vom klassischen Oberleitungsbus lässt sich ein ähnlicher Entwicklungspfad zeichnen. Hier besteht der Vorteil, die Nachladung von Energiespeichern über das bewährte Oberleitungssystem zu realisieren (Bild 2). Das Entwicklungsziel ist schließlich ein Batteriebus, der nur noch während einer Betriebspause im Depot aufgeladen wird (Bild 3). Zeitlich ist dieses Ziel ist jedoch noch nicht einzugrenzen. Ein Grund, warum der ÖPNV prädestiniert ist, eine Vorreiterrolle in der Elektromobilität einzunehmen: Die Linienwege sind vorbestimmt, der Energiebedarf pro Tag lässt Bild 1: Der Entwicklungspfad von konventionellen Bussystemen zum vollelektrischen Bus (Grafik: Fraunhofer IVI) Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 73 sich nicht nur in Summe recht präzise beziffern, es sind sogar Voraussagen möglich, wie hoch der Energiebedarf - bzw. in umgekehrter Wirkrichtung das Rekuperationspotential - auf einzelnen Linienabschnitten ist. Über intelligente, prädiktive Energiemanagementsysteme auf GPS-Basis wird auf dieser Grundlage heute schon der Energiefluss auf einigen Hybridbusmodellen gesteuert [2]. Verkehrsunternehmen als Innovationsmotoren Verschiedene Motive bewegen Verkehrsunternehmen, sich in der Elektromobilität zu engagieren: Technologiebezogene Förderprogramme erleichtern die Systementscheidung. Viele Verkehrsunternehmen wollen vor dem Hintergrund steigender Kraftstoffpreise frühzeitig Erfahrungen mit Elektroantrieben und Hochvoltkomponenten sammeln, um sich für künftige Alternativen zu rüsten. Wirtschaftliche Erwägungen, die Investitionsmehrkosten für Hybrid- oder Elektrobusse durch Kraftstoffeinsparungen zu kompensieren, erfordern gegenwärtig noch einen längeren Atem. Nicht zuletzt wollen viele ÖPNV-Betreiber ihren Kunden als Mitglieder im Umweltverbund eine klimaneutrale Mobilitätsalternative anbieten. Folgende kurze Marktauswahl soll - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Elektromobilität im straßengebundenen ÖPNV vermitteln: Hybridbusse gehören mittlerweile in vielen Städten und Regionen zum Alltagsbild des ÖPNV. Schwerpunkte sind hier insbesondere der Großraum Hamburg (23 Hybridbusse), die üstra in Hannover (10, ab 2015: 52 Busse), die künftig gar ausschließlich auf Hybridtechnologie setzen möchte, die Metropolregion Rhein-Ruhr (78) sowie der Freistaat Sachsen mit 55 Bussen (Bild 4). Sachsen positioniert sich innerhalb des Schaufensters „Elektromobilität verbindet (Bayern-Sachsen)“ als Kompetenzzentrum für Elektromobilität im ÖPNV. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) stehen gleich mit mehreren Projekten in den Startlöchern. Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Hybridbusbetrieb münden in das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „SaxHybrid PLUS “. Gemeinsam mit den Projektpartnern Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI), dem Traktionshersteller Vossloh-Kiepe und den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) wird ein Plug-In- Hybridbus (18 m) als Technologieträger für Kerntechnologien des elektrischen ÖPNV entwickelt. Verschiedene Forschungsergebnisse sollen erprobt werden, ohne die Fahrzeugstruktur grundlegend ändern zu müssen. Inhaltliche Schwerpunkte sind, neben einem Leichtbaukonzept, das Zusammenspiel von Fahrzeug, Lade- und Netzinfrastruktur, Systemkonfigurationen sowohl für partielle Oberleitung als auch speicherbasierte Konzepte mit punktueller Nachladung sowie die lastabhängige und energieeffiziente Heizung und Belüftung des Fahrgastraums. Auch die Integrierbarkeit von Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum stellt einen Untersuchungsaspekt dar. Der Technologieträger wird im Praxisbetrieb bei LVB und DVB erprobt und wissenschaftlich begleitet. Hierbei sollen Erkenntnisse zur praktischen Anwendbarkeit der Systeme, des Kosten-Nutzen-Verhältnisses sowie bezüglich weiterer Optimierungen am Fahrzeug abgeleitet werden. Das Vorhaben „eBus Batterfly“ ist sowohl konkreter Anwendungsfall für die Entwicklung praxistauglicher Batteriebus-Konzepte als auch deren öffentlichkeitswirksame Demonstration. Vor dem Hintergrund der Inbetriebnahme des Citytunnels Leipzig und der touristischen Entwicklung des Leipziger Neuseenlandes sollen zwei 12-m-Batteriebusse in der Quartierserschließung eingesetzt werden. Ausgangspunkt der schmetterlingsförmigen Linie ist der S-Bahn- Haltepunkt Markkleeberg, wo weitere Elektromobilitätsprojekte angebunden werden sollen. Das Nachladen der fahrzeugseitigen Traktionsenergiespeicher erfolgt über AC/ DC- und DC/ DC-Ladesysteme mit auto- Bild 4: Inzwischen Alltag im ÖPNV - Hybridbusflotte aus Sachsen Bild 3: Zapfsäule der Zukunft - Ladestation für Plug-In-Lösungen Bild 2: Eine Variante zur Nachladung von Traktionsenergiespeichern: die partielle Oberleitung. Hier ein Beispiel aus Wien an einem Rampini Elektrobus. TECHNOLOGIE Elektrobusse Internationales Verkehrswesen (65) 4 | 2013 74 Christian Soffel, Dipl-Geogr. Projektleiter Elektromobilität, VCDB VerkehrsConsult Dresden-Berlin GmbH, Dresden c.soffel@vcdb.de Christine Schwärzel, Dipl.-Ing. Projektleiterin Elektromobilität, VCDB VerkehrsConsult Dresden-Berlin GmbH, Dresden c.schwaerzel@vcdb.de matisierter Schnellladung an Unterwegshaltestellen. Im Projekt „eBus Skorpion“ entwickeln die Projektpartner LVB, Fraunhofer IVI und Westsächsische Hochschule Zwickau Plug- In-Elektrobusse mit einem automatisierten An- und Abdrahtsystem sowie einem bedarfsgerechten Energie- und Leistungsmanagement. Unter Einsatz von Radar- und Ultraschallsensoren sollen die Stromabnehmer der Elektrobusse automatisch an den Fahrdraht der Oberleitung an- und abgedrahtet werden. Zur Effizienzsteigerung des Systems sollen Unterwerke und Einspeisepunkte vorhandener Straßenbahninfrastruktur mitgenutzt werden. Außerdem soll das automatische An- und Abdrahten eine gemeinsame Oberleitung für beide Fahrtrichtungen ermöglichen. Geplant ist die Einführung von zunächst fünf 18-m-Fahrzeugen, die auf einem Teilabschnitt in Markkleeberg den Übergang von Oberleitung auf oberleitungsfreie Fahrt erproben werden. Vorhandene Oberleitungsbus-Systeme bilden auch die Basis für innovative Buskonzepte in Eberswalde und Esslingen. Die Barnimer Busgesellschaft (BBG) in Eberswalde rüstete einen ihrer Solaris-Obusse gemeinsam mit dem Dresdner Fraunhofer IVI mit einem Kombi-Speicher aus Lithium-Ionen- Batterien und Hochleistungskondensatoren (SuperCaps) aus, um einen eingeschränkten netzunabhängigen Linienbetrieb zu ermöglichen. Seine gedankliche Weiterführung findet dieses prototypische Projekt in Esslingen, wo innerhalb des Projektes „Elektro-Hybrid-Bus“ eine Flotte hybridisierter 18-Meter-Obusse zu einer systematischen Ausweitung des vollelektrischen Linienbetriebs führen soll, ohne hierfür in neue Oberleitungsinfrastruktur investieren zu müssen. Das bestehende Oberleitungsnetz sorgt nicht nur für die Aufladung der Energiespeicher, sondern ermöglicht auch die Bewältigung der anspruchsvollen Topographie des Neckartals im Elektrobetrieb. Auf der Filderebene sollen die Elektrobusse dann ohne Oberleitung einen weiteren Stadtteil erstmals emissionsfrei erschließen. Ein weiterer regionaler Schwerpunkt für die Elektromobilität im ÖPNV befindet sich im Hamburger Umland. Die Kreisverkehrsgesellschaft in Pinneberg (KViP) mit Sitz in Uetersen geht zweigleisig ins Rennen und erprobt einerseits seriengefertigte Elektrobusse aus China, dem Weltmarktführer im Elektrobusbereich, beteiligt sich aber gleichzeitig auch an Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit Partnern aus Deutschland. Seit September 2012 erprobt die KViP einen Linienbus vom Typ „Eurabus“ aus chinesischer Produktion im Linienbetrieb. Das Fahrzeug ist mit Lithium-Eisenphosphat- Akkus ausgestattet, die laut Hersteller bis zu 250 km Reichweite gestatten sollen und diese nach ersten Erfahrungen der KViP auch erreichen. Ein zweites Fahrzeug mit erweitertem Batteriepack wurde im September dieses Jahres ausgeliefert. Ein Betriebshof für den E-Bus-Einsatz wird konzipiert, ausgestattet mit intelligent gesteuerten Ladesäulen und einer Werkstatt für Elektrofahrzeuge. Ein klares und langfristiges Bekenntnis zum vollelektrischen ÖPNV. Parallel engagiert sich die KViP auch in dem Verbundprojekt „eBus Chamäleon“, in ARGE mit dem Nahverkehr Hohenlohekreis (NVH) in Zusammenarbeit mit der Hütter-Lidle Linienverkehr GmbH & Co. KG (HLL), der Ziehl-Abegg Automotive GmbH (ZA) sowie dem Fraunhofer IVI. Im Mittelpunkt steht die Markteinführung von bis zu sechs Elektrobussen mit einem speziellen Radnabenantrieb für Busse und einem kabellosen, kontaktbasierten Ladeverfahren über Docking-Station. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Kopplung der Elektrobusse an erneuerbare Energien (insbesondere Windenergie) und deren Netzintegration dar. Mit Möglichkeiten der induktiven Nachladung von Elektrobussen befassen sich zwei vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) geförderte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, die unmittelbar vor der Realisierung stehen: In Braunschweig sollen im Projekt „Emil“ (Elektrobusse mit induktiver Ladetechnik) sowohl 12als auch 18-m-Elektrobusse des Herstellers Solaris auf der Ringlinie M 19 verkehren. Die Betriebsaufnahme ist bereits für Ende 2013 vorgesehen. Die Nachladung erfolgt induktiv an bis zu drei Unterwegshaltestellen sowie im Betriebshof. Mannheimer Fahrgäste sollen ab dem zweiten Quartal 2014 auf der Buslinie 63 in zwei 12-m-Elektrobussen des Herstellers Hess Elektromobilität erfahren. Beide Projekte basieren auf dem induktiven Ladesystem „Primove“ von Bombardier und werden durch die TU Braunschweig bzw. das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wissenschaftlich begleitet. Fazit Es ist deutlich erkennbar, dass Elektromobilität eine immer größere Bedeutung im ÖPNV einnimmt - und der ÖPNV zugleich für die Elektromobilität in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt. Auch wenn die beschriebenen Projekte nur Ausschnitte aus dem gesamten Anforderungsprofil im öffentlichen Busverkehr repräsentieren, ist es wichtig, dass Verkehrsunternehmen die Initiative ergreifen und sich den Möglichkeiten öffnen, die neue Technologien heute schon bieten. Ausgerechnet eine Branche, die traditionell in engem wirtschaftlichem Fahrwasser manövriert, zeigt den nötigen Weitblick, damit die Energiewende auch von einer Verkehrswende von fossil nach regenerativ begleitet werden kann. Und es ist wichtig, zu betonen, dass diese Verkehrswende durch eine verstärkte Elektrifizierung des ÖPNV zu schnelleren und umfassenderen Erfolgen führen wird, als die Beschränkung auf den Individualverkehr. Denn hier ist Elektromobilität für jeden bezahlbar. ■ LIterAtur [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2012): Abschlussbericht: Begleitendes Prüfprogramm im Rahmen des Fördervorhabens „Hybridbusse für einen umweltfreundlichen ÖPNV“. Berlin [2] Groos, Norbert; Lange, Jürgen; Knote, Thoralf (2012): Möglichkeiten zur Optimierung der Hybridtechnik bei Stadtbussen. In: Der Nahverkehr, 6/ 2012, S. 7 ff. Düsseldorf [3] Haufe, Beate; Heinen, Falk; Rock, Annekristin; Soffel, Christian (2012): Der Hybridbus im Linienbetrieb. In: Der Nahverkehr, 9/ 2012, S. 40 ff. Düsseldorf [4] Soffel, Christian (2013): Der Weg vom Hybridbus zum vollelektrischen Bus. In: Elektrische Bahnen, 5/ 2013, S. 303 ff. München [5] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (Hrsg.) (2012): VDV Statistik 2011. Köln [6] Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg; DFKI GmbH (Hrsg.) (2013): Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland im internationalen Vergleich und Analysen zum Stromverbrauch (Paper). Stuttgart, Bremen
