Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0005
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Klaus-Peter Müller
Das Deutsche Verkehrsforum (DVF), die verkehrsträgerübergreifenden Interessenvertretung des Verkehrssektors, feiert 2014 sein 30-jähriges Bestehen. Haben sich seit damals die Arbeitsschwerpunkte verändert? Welchen Einfluss hat das DVF in Europa – und welche Herausforderungen bringt die Zukunft? Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des DVF-Präsidiums, Klaus-Peter Müller.
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 15 Interview Klaus-Peter Müller DVF-EXTRA »Wichtiger denn je« Das Deutsche Verkehrsforum (DVF), die verkehrsträgerübergreifenden Interessenvertretung des Verkehrssektors, feiert 2014 sein 30-jähriges Bestehen. Haben sich seit damals die Arbeitsschwerpunkte verändert? Welchen Einfluss hat das DVF in Europa - und welche Herausforderungen bringt die Zukunft? Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des DVF-Präsidiums, Klaus-Peter Müller. Herr Müller, gleich zu Beginn eine eher ungewöhnliche Frage: Warum wurden Sie, ein Mann aus dem Finanzsektor, Präsidiumsvorsitzender des Deutschen Verkehrsforums - einer doch ganz anderen Branche? Beim Deutschen Verkehrsforum ist es gute und sinnvolle Tradition, dass der Präsidiumsvorsitzende kein Vertreter eines bestimmten Verkehrsträgers ist. So soll die Neutralität bewahrt bleiben. Daher hat mich der damalige Vorsitzende, Professor Wilhelm Bender, der als Vorstandsvorsitzender der Fraport AG interimsweise den Posten übernommen hatte, darauf angesprochen. Ich kannte das Verkehrsforum schon seit langem aus meiner Zeit als ich bei der Commerzbank unter anderem für Infrastrukturinanzierung zuständig war. Die Aufgabe des DVF-Vorsitzenden schien mir sehr spannend, denn die Finanzierung und Abwicklung von Infrastrukturmaßnahmen wie bei öfentlich-privaten Partnerschaften ist für die den Bankensektor heute immer noch ein großes Thema. Unser Bankensektor ist ja auch auf funktionierende Verkehrsverbindungen angewiesen. Frankfurt beispielsweise wäre ohne den internationalen Flughafen, die schnelle Anbindung per Bahn und das hervorragend ausgebaute Straßen- und ÖPNV-Netz nicht Deutschlands größter Finanzplatz. Die Verkehrsinfrastruktur ist und bleibt die Grundlage für ein hoch entwickeltes Industrie- und Dienstleistungsland wie Deutschland. Seit 30 Jahren setzt sich das Deutsche Verkehrsforum für den Verkehrssektor ein. Hat der Verband als einzige verkehrsträgerübergreifende Interessenvertretung in Europa nicht ausgedient angesichts der zahlreichen Branchen- und Unternehmensverbände? Im Gegenteil: Wir brauchen heute im Zeitalter der integrierten Verkehrspolitik mehr denn je einen Verband, der als Sprachrohr der gesamten Mobilitätsbranche den gemeinsamen Nenner gegenüber der Öfentlichkeit und der Politik vertreten kann. Wenn wir eine Empfehlung oder eine Forderung aussprechen, so tun wir das im Namen der ganzen Verkehrsbranche - und das hat schon ein großes Gewicht. Das merken wir immer wieder bei unsren politischen Gesprächen in Berlin und Brüssel. Nicht ohne Stolz können wir sagen, dass von Beginn an hochkarätige Persönlichkei- DVF-EXTRA Interview Klaus-Peter Müller Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 16 Klaus-Peter Müller, (69), kam nach klassischer Banklehre 1966 zur Commerzbank und bekleidete dort bis 1990 verschiedene Positionen in Düsseldorf, Duisburg und New York, später als Generalbevollmächtigter Leiter Zentrale Abteilung für Firmenkunden und Leiter Zentrale Abteilung „Aufbau Ost”. Seit 1990 war er Mitglied des Vorstands und ab 2001 dessen Sprecher, seit Mai 2008 Vorsitzender des Aufsichtsrats. Die Finanzakademie der Russischen Föderation in Moskau verlieh ihm 2004 die Ehrendoktorwürde. Von 2005 bis 2009 war er Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, von 2008 bis 2013 Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Seit 2007 ist Klaus-Peter Müller Honorarprofessor der Frankfurt School of Finance & Management und seit 2008 Vorsitzender des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums in Berlin. ZUR PERSON ten unsere Arbeit begleitet und gefördert haben. Als Gründungsväter möchte ich zunächst Dr. h.c. Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank AG und auch damaliger Gründungspräsident nennen, ebenso Dr. Reiner Maria Gohlke, damals Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bundesbahn. Ihre Weitsicht und ihr Engagement haben dazu geführt, das der Verein „Verkehrsforum Bahn“ gegründet wurde. Die Funktion als Vorsitzender des Präsidiums gab es als solches noch nicht, aber Dr. Horst Matthies, Mitglied des Vorstandes der Preussag AG, hat den Vorsitz de facto bis 1989 übernommen. Die Vorsitzenden des Präsidiums in den letzten 30 Jahren spiegeln die Bedeutung des DVF als Plattform und Impulsgeber für die deutsche Verkehrswirtschaft wider. Und schauen Sie sich unser aktuelles Präsidium an: Dort inden Sie hochkarätige Führungspersönlichkeiten von Unternehmen, die unverzichtbar für die deutsche Wirtschaft sind, und alle setzen sich für dasselbe Ziel ein. Das ist schon eine tolle Sache, die es so in ganz Europa kein zweites Mal gibt. Deshalb war es absolut richtig, das ursprüngliche Verkehrsforum Bahn 1992 in die heutige Gesamtinteressenvertretung Deutsches Verkehrsforum überzuleiten. Und wo sehen Sie heute den übergeordneten Schwerpunkt? Da muss ich nur mit ofenen Augen durch Deutschland fahren: Überall sieht man inzwischen die Spuren von Verschleiß. Brücken werden gesperrt, Schlaglöcher nur provisorisch gestopft, die dann im nächsten Winter noch größer werden, Schleusen sind nach über 100 Jahren Dauerdienst nicht mehr einsatzfähig und bei der Bahn sind die Haupttrassen bis zum äußersten ausgelastet, weil Güter- und Personenverkehr und sogar die S-Bahn darauf fahren. Zudem sind bei der Bahn von 3400 Stellwerken ein Drittel im Durchschnitt 80 Jahre alt und die Hälfte älter als 40 Jahre. Von den rund 25 000 Eisenbahnbrücken in Deutschland sind über 30 Prozent älter als 100 Jahre, 1400 müssten saniert werden. Geld gibt es aber nur für etwa 125 Brücken pro Jahr. Dies als exemplarisches Beispiel bei der Bahn - bei anderen Verkehrsträgern ist die Infrastruktur ebenfalls marode. Das kann doch für ein exportabhängiges und hochtechnisiertes Land wie Deutschland nicht so bleiben. Kurzum, unsere Verkehrswege müssen dringend saniert und an einigen Stellen auch neu- oder ausgebaut werden. Das Geld für Investitionen ist immer zu knapp. Das war vor 30 Jahren nicht anders. Glauben Sie, dass man daran etwas ändern kann? Mehr Geld allein ist nicht die Lösung. Was wir jetzt wirklich brauchen, ist ein echtes Reformpaket für Finanzierung und Bewirtschaftung. Die Dringlichkeit zum Handeln mahnt die Verkehrswirtschaft schon lange an. Aber einmalig ist der große Konsens, den wir neuerdings erleben: Die Konferenz der Verkehrsminister der Bundesländer hat einstimmig mehr Investitionen für die Verkehrswege gefordert, und das Thema ist mittlerweile auch in der Öfentlichkeit angekommen. Diesen nie da gewesenen Konsens sollten wir jetzt nutzen - ich bezeichne es als „window of opportunity“. Reformthemen wie die Priorisierung der Investitionsvorhaben nach übergeordneter verkehrlicher Dringlichkeit sowie eine Überjährigkeit und Zweckbindung von Finanzmitteln sind ein notwendiger Teil eines Ganzen. Dennoch: Mehr Eizienz bei der Mittelverwendung allein reicht nicht, es muss auch insgesamt deutlich mehr investiert werden. Und hier beindet sich die öfentliche Hand in allererster Linie in der Plicht. Der allgemein anerkannte Mehrbedarf beläuft sich auf 4 Mrd. EUR pro Jahr allein für die Bundesverkehrswege. Die Koalition will in der gesamten Legislaturperiode leider nur 5 Mrd. EUR mehr für die öfentliche Verkehrsinfrastruktur ausgeben. Das reicht natürlich nicht, daher müssen Einnahmen aus Nutzerentgelten „on top“ in den Verkehrshaushalt ließen. Zurück zum Verkehrsforum: Die breite Aufstellung ist bestimmt nicht ganz einfach. Wie kann man die teilweise gegenläufigen Interessen einzelner Verkehrsträger zusammenbringen? Die Einstellung in der Verkehrswirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert, und zwar hin zu einem Verständnis, dass jeder Verkehrsträger für sich seine Stärken hat und diese im gemeinsamen Miteinander am besten ausspielen kann. Die Zeit der Ideologien und Grabenkämpfe ist Gott sei Dank weitestgehend vorbei. Das DVF hat sich seit jeher das integrierte Verkehrssystem auf die Fahnen geschrieben. Mehr und mehr wird dies zur gelebten Realität. Und ich glaube, wir konnten erreichen, dass dies bei den Verantwortlichen in den Unternehmen und der Politik angekommen ist. Zudem haben meines Erachtens die Gemeinsamkeiten durch die zunehmende Komplexität und schwierigeren Herausforderungen in der Mobilitätswelt zugenommen. Alle sind an einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur, an vernünftiger ökologischer Regulierung, an besserer Vernetzung untereinander, an einem starken Logistikstandort Deutschland und an fairen internationalen Wettbewerbsbedingungen interessiert. Das thematisieren wir bei uns im DVF und legen Lösungsvorschläge vor. Wir beziehen Stellung über unsere Positionspapiere und Umfragen oder in öfentlichen Veranstaltungen. Diese Objektivität und Kompetenz wird in der Politik, Wirtschaft und auch Wissenschaft gehört und geschätzt. Wie sehen Sie die Zukunft des DVF? Ich inde, auch 30 Jahre nach Gründung des einstigen „Verkehrsforum Bahn e.V.“ hat das heutige Deutsche Verkehrsforum nichts an seiner Aktualität eingebüßt. Ich denke, dass es auch für die nächsten 30 Jahre viel zu tun gibt für das DVF, denn der Bedarf an einer intakten Verkehrsinfrastruktur und einer vernetzen, nachhaltigen Mobilität ist ja keine kurzlebige Modeerscheinung. Mobilität ist und bleibt ein elementares Bedürfnis. Mobilität ist die Grundlage für unsere Lebensqualität, unseren Wohlstand und die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes. Es gilt, diese zu bewahren und weiterzuentwickeln. Daher ist unsere Stimme wichtiger denn je. ■
