eJournals Internationales Verkehrswesen 66/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0006
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2014
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Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur

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2014
Florian Eck
Unterlassene Investitionen in die Infrastruktur haben weitreichende negative Folgen für den Standort Deutschland. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) hat sein „Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur“ auf den neuesten Stand gebracht. Es ist dies ein Zehn-Punkte-Programm, das einen realistischen Zustandsbericht, die überfällige strukturelle Reform der Finanzierung und die finanziellen Möglichkeiten thematisiert. Das Ziel: eine ganzheitliche, langfristig ausgerichtete Strategie für Deutschlands Verkehrsinfrastruktur.
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 18 DVF-EXTRA Verkehrsinfrastruktur Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur Unterlassene Investitionen in die Infrastruktur haben weitreichende negative Folgen für den Standort Deutschland. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) hat sein „Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur“ auf den neuesten Stand gebracht. Es ist dies ein Zehn-Punkte-Programm, das einen realistischen Zustandsbericht, die überfällige strukturelle Reform der Finanzierung und die finanziellen Möglichkeiten thematisiert. Das Ziel: eine ganzheitliche, langfristig ausgerichtete Strategie für Deutschlands Verkehrsinfrastruktur. Der Autor: Florian Eck D er schlechte Zustand von Deutschlands Straßen, Schienen und Wasserwegen ist ofensichtlich. Seit 2012 hat sich die Situation unter anderem durch Brückensperrungen und zeitweise Ausfälle der Schleusen des Nord-Ostseekanals weiter verschärft. Die Investitionsquote im Bundeshaushalt wurde von 12,5 % im Jahr 1998 auf 9,6 % im Jahr 2012 zurückgefahren. Die sog. Daehre-Kommission zur „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ hat hier mit ihren Fakten für Transparenz gesorgt und Pionierarbeit geleistet. Die sog. Bodewig-Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ hat Konzepte erarbeitet und damit in großen Teilen Konsens bei Politik und Wirtschaft erzielt. Zwei Ergebnisse sind hier hervorzuheben: 1. Die jährliche Instandhaltungslücke (Erhaltung und Ersatzinvestitionen) wurde mit rund 7,2 Mrd. EUR ermittelt. So viel braucht man mindestens jedes Jahr, um den Erhalt und Nachholbedarf bei Bund, Ländern und Kommunen für Straßen, Schienen und Wasserwege zu inanzieren. 2. Allein der Bund müsste in seine Verkehrswege mindestens 5 Mrd. EUR mehr pro Jahr investieren. Derzeit stellt der Bund für den Erhalt, Aus- und Neubau aber nur rund 10 Mrd. EUR statt der notwendigen 15 Mrd. EUR zur Verfügung. Die durchschnittliche jährliche Preissteigerung im Verkehrswegebau von mehr als 2 % reduziert das reale Investitionsbudget weiter. Qualität der Verkehrswege sinkt Die Engpässe und der Erhaltungsbedarf machen sich bereits heute an vielen Stellen bemerkbar: • Schon jetzt ist die Lage bei 7 % der Brücken auf Bundesstraßen kritisch und bei 28 % nur noch ausreichend. • Den bisher aufgelaufenen Nachholbedarf zum Erhalt der Gemeindestraßen bezifert die Daehre-Kommission auf rund 23 Mrd. EUR (2013), jedes Jahr kommen weitere 950 Mio. EUR hinzu. Bei U-, Stadt- und Straßenbahnen sind es 4,33 Mrd. EUR (2013), das jährliche Instandhaltungsdeizit liegt hier bei rund 330 Mio. EUR. • Bei den Bundesschienenwegen beläuft sich der Nachholbedarf aktuell auf rund 30 Mrd. EUR. Bei der DB Netz AG beträgt das Durchschnittsalter der fast 25 000 Brücken 55,9 Jahre, über 9000 Brücken sind dabei 100 Jahre oder älter. • Auch im System der deutschen Wasserstraßen hat sich ein kritischer Rückstand bei Erhaltungs- und Erneuerungsmaß- Foto: Thorben Wengert/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 19 Verkehrsinfrastruktur DVF-EXTRA nahmen aufgestaut. Gemessen am Bedarf fehlen jedes Jahr 500 Mio. Euro. Erprobte Lösungen Unterlassene Infrastrukturinvestitionen verteuern langfristig Erhalt und Sanierung der Verkehrswege, gefährden die Verkehrssicherheit, schaden der Umwelt durch staubedingte Emissionen, behindern die Logistik und gefährden somit das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand unserer Gesellschaft. Die kameralistische Haushaltsführung im Verkehrsetat schaft jedoch mangels Langfristperspektive, Durchinanzierung und Überjährigkeit nicht die dringend notwendige Planungssicherheit und Flexibilität für die Infrastrukturbetreiber. Es gilt daher, die Systemfehler in Deutschlands Verkehrsinfrastrukturpolitik zu beseitigen. Lösungsansätze hierfür liegen bereits vor: • Mindestens 10 % Eizienzgewinn bringen nach Aussage der Bodewig-Kommission eine Durchinanzierung von Projekten und eine solide zentrale Steuerung. Umsetzbar ist dies beispielsweise mit Fonds sowie einer Verkehrsinfrastruktur-Managementgesellschaft des Bundes. • Der Kreis Westfalen-Lippe hat die Bewirtschaftung seiner Kreisstraßen über 24,5 Jahre ausgeschrieben. Die ausführende Firma lag mit ihrem Angebot 10 % unter den veranschlagten Kosten der öfentlichen Hand. • In Südkorea prüft eine unabhängige Kommission Projektvorschläge der öffentlichen Hand auf Plausibilität der Kosten und zutrefendes Nutzen-Kosten- Verhältnis. Die Kostenüberschreitungen gingen von 122 % auf 41 % zurück. • Der britische Staat löst sein Liquiditätsproblem unter anderem dadurch, dass er über eine Plattform für kleinere Pensionsfonds rund 24 Mrd. EUR über die nächsten 10 Jahre für Infrastrukturinvestitionen einsammelt. Das DVF hat solche Best Practices in einem „Zukunftsprogramm Verkehrsinfrastruktur“ zusammengefasst, das die notwendige Transparenz über den Zustand der Infrastruktur mit der überfälligen strukturellen Reform der Finanzierung und der unabdingbaren inanziellen Unterfütterung kombiniert. Diese Verknüpfung ist im Koalitionsvertrag unterblieben und muss nun nachgeholt werden. Ergebnis muss eine ganzheitliche, langfristig ausgerichtete Strategie für unsere Verkehrsinfrastruktur sein. Eine aktualisierte Fassung des Zukunftsprogramms wurde am 10. März 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt und mit Verkehrs- und Haushaltspolitikern diskutiert. Es setzt sich aus zehn wesentlichen Handlungsfeldern zusammen: 1. Zustand dokumentieren, Finanzbedarf ofen legen Eine nachhaltige und zielgerichtete Investitionsstrategie im Verkehrssektor benötigt genaue Informationen über den Zustand und die Leistungsfähigkeit der Verkehrswege. Ein alle Netze umfassender Verkehrsinfrastrukturbericht muss dazu alle zwei Jahre die vorhandenen Informationen von Bund, Ländern und Kommunen konsolidieren sowie Informationslücken abdecken. Der Bericht dient zum optimalen Einsatz knapper Finanzmittel, zur Erfolgskontrolle und zur Erhöhung der Transparenz gegenüber der Öfentlichkeit. Darum ist es besonders wichtig, den im Koalitionsvertrag vorgesehenen regelmäßigen Verkehrsinfra-strukturbericht sofort umzusetzen. 2. Vorhandene Kapazität ausschöpfen, Sicherheit optimieren Die bedarfsgerechte Anpassung der Verkehrsinfrastruktur braucht Zeit, daher gilt es umso mehr, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur optimal zu nutzen.. Maßnahmen sind hierbei beispielsweise der vermehrte Einsatz von Verkehrsleit- und -informationssystemen, optimale Betriebszeiten für die Flughäfen, die Umsetzung des Single European Sky und die Fortsetzung des Baustellenmanagements gemäß Koalitionsvertrag (u. a. Nachtbaustellen, Verwaltungskooperation). 3. Gezielt investieren Alleine beim letzten Bundesverkehrswegeplan (BVWP) sind noch Projekte mit vorliegendem Planungsrecht in Höhe von rund 52- Mrd. EUR ofen. Da im Bundeshaushalt bereits ein Großteil der Mittel durch laufende Projekte gebunden ist, würde die Abinanzierung des Projektrückstaus etwa 70- Jahre dauern. Darum müssen die knappen Finanzmittel bei Erhalt, Aus- und Neubau zielgerichtet in diejenigen Projekte investiert werden, die das beste Nutzen-Kosten-Verhältnis aufweisen und wesentliche Verbesserungen für das Gesamtnetz bringen. Ein positives Signal ist vor diesem Hintergrund die Ankündigung für ein „nationales Prioritätenkonzept“ im Koalitionsvertrag, in das 80 % der Mittel für Aus- und Neubau ließen sollen. Auch im Luftverkehr muss priorisiert werden: Der Ausbau der Flughäfen muss sich auf diejenigen Flughäfen konzentrieren, mit denen der Luftverkehrsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb steht. 4. Substanz erhalten Wichtigste Maßnahme zum Erhalt der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur als Kapitalstock unserer Volkswirtschaft ist die langfristige Mittelbindung bei allen Verkehrsträgern für Erhaltungsmaßnahmen und Betrieb. Dazu muss die LufV-Schiene über 2015 hinaus schnellstmöglich verlängert und die Mittel nachfragegerecht - wie von der Daehre-Kommission gefordert - auf 4,2- Mrd. EUR aufgestockt werden. Positiv ist das Bekenntnis im Koalitionsvertrag für den Erhaltungsbedarf von Zulaufstrecken der NE-Bahnen. Darüber hinaus muss eine „LuFV-Fernstraße“ aufgebaut werden. Insgesamt muss die öfentliche Hand hier lernen, unternehmerisch zu handeln, indem geeignete Instrumente der Doppik auch bei den Investitionen der öfentlichen Hand genutzt werden. Es gilt Investitionen, Abschreibungen und Betriebskosten in den öffentlichen Haushalten zu verknüpfen, um die Qualität und den Wert der Verkehrswege transparent zu machen und zu wahren. 5. Finanzierung reformieren Eine Finanzierungsreform ist die größte Herausforderung im Zukunftsprogramm. In einem ersten Schritt muss die Flexibilität für einen eizienten Mitteleinsatz erhöht werden (Überjährigkeit, Durchinanzierung, mehrjährige Budgetierung). Die öffentliche Hand muss die hierfür notwendigen Voraussetzungen entsprechend den Empfehlungen der Bodewig-Kommission z.B. durch Fonds, Sondervermögen, Selbstbewirtschaftung und Verplichtungsermächtigungen schafen. Ebenso muss das System von geschlossenen Finanzierungskreisläufen schrittweise ausgebaut werden. Dies kann in einem ersten Schritt die vollständige direkte Zuweisung der LKW-Maut an die VIFG bedeuten. Gleichermaßen könnten die Gewinne der Infrastrukturgesellschaften der DB und die Bahndividende an einen Fonds abgeführt werden, aus dem Schienennetzinvestitionen überjährig bestritten werden. © lichtkunst.73/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 20 DVF-EXTRA Verkehrsinfrastruktur Wirklich entfalten kann sich eine Finanzierungsreform nur durch eine Institutionalisierung. So sollte in einem weiteren Reformschritt eine Verkehrsinfrastruktur-Managementgesellschaft des Bundes zur Bewirtschaftung der Mittel für die Straße und ggf. auch Wasserstraße eingerichtet werden und mittelfristig die Kompetenzen von VIFG und DEGES integrieren. Ehe die im Koalitionsvertrag vorgesehene Ausweitung der Nutzerinanzierung umgesetzt wird, müssen allerdings belastbare Zugeständnisse der Politik hinsichtlich Zweckbindung, Zusätzlichkeit und Bezahlbarkeit erfolgen. Nur so kann das Vertrauen der Bürger und der Wirtschaft in die Verkehrsinfrastrukturpolitik zurück gewonnen werden. Die Grundelemente dafür sind im Koalitionsvertrag vorhanden, sie müssen jetzt umgesetzt werden. 6. Privates Kapital stärker einbinden, ÖPP-ausbauen Ergänzend zur Infrastrukturinanzierung durch die Öfentliche Hand muss es möglich sein, privates Kapital stärker zu beteiligen, wenn dadurch Projekte rascher und eizienter realisiert und betrieben sowie Qualitätsverbesserungen erreicht werden können. Die Bautätigkeit der deutschen Schienenverkehrsunternehmen trägt bereits heute privatwirtschaftliche Züge und bindet private Mittel der Bahnunternehmen ein. Mit den sog. F-, A- und V-Modellen gibt es im Straßenverkehr gute Erfahrungen hinsichtlich Kosten- und Termintreue: Die A8 München - Augsburg wurde als ÖPP in 4 statt 8 Jahren realisiert, mit Kosteneinsparungen von durchschnittlich 14 %; bei der A4 Hessen- Gotha gab es nur 1-2 % Nachträge. Der im Koalitionsvertrag angekündigte transparente Umgang mit ÖPP als Beschaffungsvariante muss jetzt von der öfentlichen Hand umgesetzt werden. Auch bei Erhaltungsmaßnahmen und Teilnetzen können ÖPP-Modelle mit ihrer Lebenszyklusbetrachtung mehr Eizienz bringen. 7. Investitionen auf hohem Niveau verstetigen Die Öfentliche Hand wird nicht aus der Plicht zur Daseinsvorsorge entlassen. Daher müssen die notwendigen Mittel für Erhalt, Aus- und Neubau von Verkehrsinfrastruktur aus dem Bundeshaushalt konstant über einen längeren Zeitraum hinweg zur Verfügung stehen. Schwankungen gefährden die Planungssicherheit. Dazu müssen die im Koalitionsvertrag zugesicherten 5- Mrd. EUR zusätzliche Mittel (1,25 Mrd. EUR p.a.) abgesichert und aufgestockt werden. Insgesamt müssen die Bundesmittel für Investitionen in die Bundesverkehrswege auf 15 Mrd. EUR pro Jahr verstetigt werden. Ebenso muss schnellstmöglich Einigung über die Fortschreibung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur-inanzierung ab 2019 erzielt werden. Wichtig sind dabei eine nachfragegerechte Dynamisierung der Mittel und eine Zweckbindungsverplichtung für kommunale Verkehrsprojekte durch die Länder. 8. Eizienzbewusst ausschreiben, vergeben und steuern Bei der Ausschreibung und Vergabe, aber auch bei der späteren Projektsteuerung, werden Erfolg oder Misserfolg eines Verkehrsinfrastrukturprojektes mit vorbestimmt und die Qualität und Gesamtkosten eines Vorhabens beeinlusst. Mittlerweile gibt es auch hier bewährte Verfahren und Werkzeuge, die sich in anderen Staaten bereits bewährt haben. Dies sind u. a. eine Durchinanzierung von Projekten und eine solide zentrale Steuerung, eine Plausibilitätsprüfung von Kosten und Nutzen-Kosten-Verhältnis durch die Flyvsberg-Methode oder das „Partnering“, bei dem Eizienzgewinne der Unternehmen mit der öfentlichen Hand geteilt werden - Verluste aber auch. Großprojekte haben zudem gezeigt, dass eine Stärkung qualitativer Faktoren bei Ausschreibung und Vergabe (z.B. über das Zwei-Umschlagsverfahren) ebenso notwendig ist wie eine Risikobudgetierung. Gerade die öfentliche Hand ist aufgerufen, den sog. „Fluch der ersten Zahl“ zu vermeiden, indem Baukosten solide und ohne politischen Druck kalkuliert werden. 9. Bürokratie abbauen, Umsetzung beschleunigen Um die vorhandenen Finanzmittel rasch, efektiv und gezielt einzusetzen, muss schneller Baureife für bedeutende Verkehrsprojekte geschafen werden. Maßnahmen sind hier beispielsweise eine frühzeitige, angemessene Bürgerbeteiligung („Public Governance“) oder die Bündelung von Entscheidungskompetenzen im Rahmen der Raumordungs- und Planfest-stellungsverfahren und die Vermeidung von Doppelprüfungen. Auch der im Koalitionsvertrag angesprochene Planungsvorrat für Schienenverkehrsprojekte hilft. 10. Vernetzung ausbauen, europäisch handeln Die Schnittstellen des Wirtschafts- und Personenverkehrs müssen systematisch verbessert werden, so dass jeder Verkehrsträger seine speziische Stärke einbringen kann und damit das System als Ganzes gewinnt. Beim Transeuropäischen Verkehrsnetz muss die europäische Ko-Finanzierung der besonderen Rolle Deutschlands als am stärksten belastetes Transitland Rechnung gerecht werden. Die Politik bei Bund und Ländern hat die Systemfehler der Verkehrsinfrastrukturpolitik seit Jahren gekannt und nicht gehandelt. Es wurde in Deutschland und Europa zu wenig in die Verkehrswege investiert, falsche Prioritäten gesetzt, der Erhalt vernachlässigt und die jährliche Haushaltsführung beibehalten. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zeigt gute Lösungsansätze, die jedoch umgehend konkretisiert, umgesetzt und ergänzt werden müssen. ■ Florian Eck, Dr. Stellv. Geschäftsführer, Deutsches Verkehrsforum e.V., Berlin eck@verkehrsforum.de © Gustavo Alabiso/ Deutsche Bahn