Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0009
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Europa im Wahlkampfmodus
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Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 29 A nfang Februar war es klar: Das 4. Eisenbahnpaket, seit mehr als einem Jahr verkehrspolitischer Dauerbrenner in der EU, hat selbst in Teilen keine Chance mehr, in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet zu werden. Die Griechen, die derzeit die Geschäfte im Rat der nationalen Verkehrsminister führen, zucken mit den Schultern. Sie schafen es nicht, mit dem letzten von drei technischen Einzelgesetzen rechtzeitig fertig zu werden. Das Scheitern des Gesetzes freut alle, die zwar ständig vom gemeinsamen europäischen Eisenbahnraum schwadronieren, in dem Züge ohne technisch erzwungene Aufenthalte vom Finnischen Meerbusen bis zur Straße von Gibraltar rollen können. Die aber, wenn es drauf ankommt, nur ihr nationales Vorgärtchen sehen und keine Kompetenzen ihrer Behörden an eine europäische Eisenbahnagentur abtreten wollen. Das Scheitern ärgert all jene - etwa im Europäischen Parlament (EP) -, die mehr als ein Jahr intensiv gearbeitet haben, um zumindest den „technischen“ Teil des von Anfang an hoch umstrittenen Gesetzesvorschlags der EU-Kommission noch bis zum Ende der Legislaturperiode unter Dach und Fach zu bringen. Denn sie sind überzeugt, dass der Gemeinsame Europäische Binnenmarkt mit 26 national ausgerichteten und nur schwer kompatiblen Eisenbahnsystemen nicht funktionieren kann. Das bedauernswerte Schicksal des 4. Eisenbahnpakets droht auch anderen Gesetzesvorhaben. Die Schattenberichterstatter für das Hafenpaket haben eine Sitzung platzen lassen, weil sie ihre Arbeit in der vorgesehenen Zeit nicht schafen konnten. Eine korrekte und mutige Entscheidung, obwohl jetzt in den Sternen steht, ob das Gesetz in der laufenden Legislaturperiode noch wie geplant über die Bühne gebracht werden kann. Genau wie „Maße und Gewichte“ bei LKWsind mehrfach Abstimmungen verschoben worden. Das macht es auch hier ungewiss, wann das Gesetz verabschiedet wird. Torschlusspanik und Hektik! Das ist es, was sich seit einigen Wochen in Brüssel und Straßburg beobachten lässt. Eile und die Sorge, es nicht mehr zu schafen, werden vor allem die Parlamentarier auch in den nächsten Wochen plagen. Denn am 17. April kommt das EP zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode zusammen. Alle Gesetzgebungsverfahren, die bis zum Ende dieser Sitzung von den Abgeordneten nicht zumindest in Erster Lesung behandelt worden sind, haben eine ungewisse Zukunft. Entsprechend groß ist die Versuchung, alles bis dahin fertig zu kriegen. So oder so. Deshalb hasten Parlamentarier und Beamten der nationalen Botschaften bei der EU von einer Trilogverhandlung zur nächsten. 14 „Schatten“- und einen eigenen Bericht hatte die liberale Abgeordnete im Verkehrsausschuss, Gesine Messner (FDP), Anfang Februar auf dem Tisch. Daneben muss sie sich noch mit den Änderungsanträgen für die Berichte anderer beschäftigen, über die sie abstimmen soll. Als wäre das noch nicht genug, wirft der beginnende Europawahlkampf seine Schatten voraus. Viele Abgeordnete müssen ihre Arbeitszeit in Brüssel und Straßburg verkürzen, um sich für ihre Wiederwahl einsetzen zu können. Teilweise kämpfen sie daheim noch für „sichere“ Listenplätze. Kurzum: Bei aller Arbeit im Hohen Haus sind sie schon im Wahlkampfmodus. „Ich sag ganz ehrlich“, ofenbart einer, „ich bin geistig schon mehr bei meinen Wahlkampfplakaten als bei den Themen, um die es hier geht.“ Zum einen ist das ein bekanntes Phänomen am Ende einer jeden Legislaturperiode. Zum anderen rächt sich jetzt, dass die EU-Kommission gerade in der aktuellen Periode noch kurz vor Toresschluss und damit viel zu spät eine Reihe von wichtigen Gesetzesvorschlägen auf den Weg gebracht hat. Die hätte sie besser über die gesamten fünf Jahre verteilt. Bei einigen scheint das im Rückblick durchaus möglich gewesen zu sein. Mit einer früheren Vorlage hätte die Brüsseler Behörde Stress vor Toresschluss vermindern können. So stehen die Parlamentarier vor der Wahl, sorgfältig zu arbeiten und damit zu riskieren, dass ihr Gesetz es nicht mehr schaft bis zum Ende der Legislaturperiode. Oder zu schludern. Geschludert haben etwa drei polnische Abgeordnete, die sogar vergaßen, ihren eingereichten Änderungsvorschlag 441 beim 4. Eisenbahnpaket so zu verändern, dass nicht jeder sofort erkennen konnte, dass die polnische Staatsbahn PKP ihnen die Hand geführt hatte. Geschludert hat aber auch ein so versierter und leißiger Verkehrspolitiker wie der Fraktionsvorsitzende der Konservativen im EP-Verkehrsausschuss. Der Belgier Mathieu Grosch, verantwortlich für einen Teil des 4. Eisenbahnpakets, legte einen Bericht vor, der es erkennbar allen recht machen will. Vielleicht fürchtete Grosch einfach, dass ein Thema, mit dem er sich viel Mühe gegeben hat, in der nächsten Legislaturperiode von- einem anderen in die Hand genommen wird. Diese Sorge treibt- auch andere Abgeordnete um: Sie haben sich lange mit einem -Thema beschäftigt - und wollen es in ihrem Sinne vollendet wissen. Die Balance zwischen notwendiger Sorgfalt und erforderlicher Eile ist schwierig. Dort, wo sie nicht zu halten ist, sollten die Abgeordneten sich für die Sorgfalt entscheiden. Auch, wenn das enttäuschend ist. Für sie und für alle, die auf die Gesetze warten. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Europa im Wahlkampfmodus
