eJournals Internationales Verkehrswesen 66/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0015
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2014
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Logistik - Situation und Entwicklung in Mittel- und Osteuropa

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2014
Martin Lipicnik
Dragan Cisic
Auf dem Landwege ist die Region Mittel- und Osteuropa (Central and Eastern Europe – CEE) das Tor zu den Märkten in Russland und Asien. Transportsituation und Logistik in diesen Ländern sind freilich sehr unterschiedlich. Nach kurzen Zusammenfassungen zum aktuellen Stand und der Entwicklung in Ungarn, Rumänien, Polen und der Tschechischen Republik in Internationales Verkehrswesen 4/2013 folgen in dieser Ausgabe Expertenbeiträge aus den Adria-Staaten Slowenien und Kroatien.
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 48 LOGISTIK Mittel- und Osteuropa (CEE) Logistik - Situation und Entwicklung in Mittel- und Osteuropa Auf dem Landwege ist die Region Mittel- und Osteuropa (Central and Eastern Europe - CEE) das Tor zu den Märkten in Russland und Asien. Transportsituation und Logistik in diesen Ländern sind freilich sehr unterschiedlich. Nach kurzen Zusammenfassungen zum aktuellen Stand und der Entwicklung in Ungarn, Rumänien, Polen und der Tschechischen Republik in Internationales Verkehrswesen 4/ 2013 folgen in dieser Ausgabe Expertenbeiträge aus den Adria-Staaten Slowenien und Kroatien. Die Autoren: Martin Lipicnik, Dragan Cisic Slowenien: Wachsende Nachfrage, schwache Infrastruktur Martin Lipicnik, Professor, ehemaliger Dekan der Fakultät für Logistik der Universität Maribor, Vertreter des slowenischen Logistikverbandes bei der European Logistics Association (ELA) Einige Jahre lang galt die geo-strategische Lage Sloweniens als Wettbewerbsvorteil und das Land als künftige Logistik-Drehscheibe für diese Region Europas ( Bild 1 ). Doch in den letzten Jahren ist dieser Vorteil wegen des unzureichenden Ausbaus der Infrastruktur zusehends geschrumpft. Zugleich brachte der raschere Aubau eines logistischen Routennetzes in den Nachbarländern ein deutliches Risiko mit sich, dass Slowenien abgekoppelt wird. Insofern benötigt das Land nicht nur eine umfassende Strategie für die Entwicklung der Transportlogistik-Infrastruktur, sondern auch eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine klare Priorisierung der Entwicklungsziele, die das Wirtschaftswachstum fördern und die Schafung von Mehrwert- Logistikdiensten unterstützen, indem die geo-strategische Lage des Landes gezielt als Wettbewerbsvorteil genutzt wird. Großen Einluss auf die jüngsten Entwicklungen hatte die Wirtschaftskrise, die die slowenische Wirtschaft und damit auch die Logistikbranche stark getrofen hat, insbesondere die kleinen und Kleinstunternehmen, von denen die meisten ums Überleben kämpfen. In Slowenien gibt es drei große Logistik- Unternehmen, die sich alle in Staatseigentum beinden: Luka Koper, die Slowenische Bahn (Slovenske železnice, SŽ) und die Slowenische Post. Eine wichtige Rolle kommt auch dem Logistikzentrum BTC zu. Luka Koper ist der internationale Seehafen von Koper an der Adria ( Bild 2 ). Der EU-Freihandelshafen mit Border Inspection Post- -Status verbindet Mittel- und Osteuropa mit dem Mittelmeer sowie über die Straße von Gibraltar und den Suezkanal mit Amerika und dem Fernen Osten. In den vergangenen zehn Jahren ist das Frachtvolumen hier von Jahr zu Jahr gewachsen. Zwar sank das Volumen 2009 in Folge der weltweiten Krise, doch verzeichnete der Hafen 2011 und 2012 mit fast 18 Mio. t einen neuen Rekord. Die weitere Entwicklung des Hafens Koper hängt vom Ausbau der für die Anbindung an die Zielmärkte essentiellen „nachgelagerten“ Infrastruktur ab: Während fast 60 % der Güter per Bahn transportiert werden, wurde mit dem Bau eines zweiten Gleises von Bild 1: Wichtige Verkehrskorridore im CEE-Raum (Grafik: Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien) Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 49 Mittel- und Osteuropa (CEE) LOGISTIK Koper nach Divača aktuell noch nicht begonnen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die dringend nötige Vertiefung der Fahrrinne, um auch größeren Schifen die Zufahrt zum Hafen zu ermöglichen. Derzeit können nur Schife mit bis zu 180 000 Tonnen Kapazität den Hafen anlaufen. Auf der einen Seite sank wegen mangelnder Investitionen in das Schienennetz der Anteil der Schiene am Gütertransport zwischen 2001 und 2009 von 19 % auf 14,8 %. 2011 wuchs der Anteil der per Bahn transportierten Güter zwar auf 18 % (gemessen in Tonnen), doch ein Vergleich mit den Verhältnissen in Österreich (bis zu 40 % Gütertransport auf der Schiene) zeigt den großen Verbesserungsbedarf. Auf der anderen Seite verzeichnete das BTC Logistikcenter trotz der erschwerten Bedingungen ein Umsatzwachstum von 3,6 %, was die wachsende Nachfrage nach integrierten Logistiklösungen und den Aubau starker, wettbewerbsfähiger Logistikzentren widerspiegelt. Mit Blick auf die Logistikbranche in Slowenien kann man zu dem Schluss kommen, dass die Situation der Logistik- und Transportinfrastruktur des Landes infolge der Wirtschaftskrise düster aussieht. Doch diese Infrastruktur und, noch wichtiger, eine verbesserte und vor allem ganzheitliche Strategie zu deren Entwicklung sind wesentliche Voraussetzungen für die slowenischen Unternehmen, um im globalen Markt wettbewerbsfähig agieren zu können. Kroatien: Dynamischer Markt, viele Hemmnisse Dragan Cisic, Ordentlicher Professor, stv. Forschungsdekan der Fakultät für Maritime Studien an der Universität Rijeka sowie Präsident des kroatischen Logistikverbandes (ELA-Mitglied) Das Logistiknetz in Kroatien ist wie in den anderen südosteuropäischen Staaten unterentwickelt, steht aber mit 69,2% der Leistung des leistungsfähigsten Landes immerhin auf Platz 42 im Logistics Performance Index (LPI) der Weltbank. Einer der Schlüsselfaktoren für ein besseres Ranking ist die Entwicklung der Transportinfrastruktur. Transport Kroatien trat am 1. Juli 2013 der EU bei und wurde zugleich Teil des Trans-European Transport Network (TEN-T). Drei europäische Verkehrskorridore führen durch das Land: der Mittelmeerkorridor, der Baltisch- Adriatische Korridor und die Donau. Kroatien ist zudem Gründer des South East Europe Transport Observatory (SEETO), das die Zusammenarbeit beim Ausbau der Haupt- und Nebenstrecken im multimodalen Transportnetz zwischen Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien und dem Kosovo fördern soll. Da Kroatien als einziges Land allen drei Organisationen (EU, TEN-T und SEETO) angehört, kommt ihm eine Schlüsselrolle zu. Die Transportnachfrage hat sich seit der Unabhängigkeit Kroatiens tiefgreifend verändert, doch die Regierung hat immer noch unverhältnismäßig großen Einluss auf diesen Sektor und die Ausgaben des Öfentlichen Transports liegen bei über 6 % des BIP. Insofern sollte das vorhandene Privatisierungs- und Kommerzialisierungspotential weiter ausgeschöpft werden, um die Gesamtkosten auf 3% des BIP zu senken. Die Bemühungen zum Wiederaubau der Wirtschaft haben den Schwerlasttransport ausgebremst und zugleich den Straßengüterverkehr begünstigt (Bild 1). Auch hatten frühere Regierungen ehrgeizige Programme zum Autobahnausbau aufgesetzt, so dass die heutigen Fernstraßen in Kroatien zu den sichersten und modernsten in Europa gehören, ein beträchtlicher Teil ist neueren Datums und es wird weiter gebaut. Folglich bietet die bestehende Autobahninfrastruktur in Kroatien umfangreiche Kapazitäten für kommende Jahre: Von insgesamt 29 410- km außerstädtischen Straßen sind 2058 km Schnellstraßen und 1413,1 km Autobahnen, so dass jeder Punkt in Kroatien in weniger als fünf Stunden zu erreichen ist. Die Straßeninfrastruktur bietet damit wichtige Chancen für die Entwicklung der Logistik in ganz Kroatien (Bild 2). Das kroatische Schienennetz umfasst insgesamt 2722,41 km Schienenstrang; davon sind 253,87 km (9,3 %) zweigleisig und 980,07 km (36 %) elektriiziert. Das Schienennetz muss modernisiert werden, denn seit über 30 Jahren gab es hier keine nennenswerten Investitionen. Die kroatische Regierung möchte den Schienenverkehr neu beleben und zum ernsthaften Konkurrenten für den Straßenverkehr ausbauen, insbesondere für den Gütertransport von und zu den Häfen, die sich zu führenden Frachtlogistikzentren entwickeln sollen. Die Regierung konzentriert sich dabei hauptsächlich auf die Schienenanbindung von Rijeka, um den Hafen von Rijeka und Bild 2: Der Hafen von Koper benötigt für weiteres Wachstum hohe Infrastruktur- Investitionen. (Foto: Luka Koper) Bild 1: Struktur des kroatischen Transportwesens nach Verkehrsträgern (Grafik: Dragan Cisic) Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 50 LOGISTIK Mittel- und Osteuropa (CEE) die benachbarten Häfen in der nördlichen Adria für den Wettbewerb mit besser etablierten Häfen in Nordeuropa zu stärken. Rijeka ist durch seine geograische Lage als Eingangstor zu Mittel-, Mittelost- und Südosteuropa geeignet. Es ist Mitglied der North Adriatic Ports Association (NAPA), der auch die Häfen von Koper, Triest und Venedig angehören. Der Hafen ist eine Vielzweck- Hafenanlage für fast alle Arten von Gütern. Dank Privatisierung, der Entwicklung der Hafeninfrastruktur und der Modernisierung der Straßenanbindung an das Hinterland kann der Hafen von Rijeka seine Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit steigern und damit neue Geschäftschancen eröfnen. Insgesamt wurden in die Modernisierung des Hafens 190 Mio. EUR investiert, davon 160 Mio. EUR aus einem Kredit der Weltbank und 30-Mio. EUR aus dem kroatischen Staatshaushalt. Investiert wird z.B. in den Bau zusätzlicher 300 m Uferbefestigung im Containerterminal Brajdica und 400 m neuer Uferbefestigung und nachgelagerter Flächen für ein neues Containerterminal am Pier von Zagreb. Der Ausbau des Terminal Brajdica bringt eine Kapazität von 450 000 Standardcontainern (TEU), im Endausbau soll die Gesamtkapazität bei 1 000 000 TEU liegen. Die 1777,7 km lange kroatische Küstenlinie bietet günstige wirtschaftliche Bedingungen zur Einrichtung einer beträchtlichen Zahl größerer und kleinerer Hafenanlagen. Von den etwa 350 Häfen an der Küste und auf den Inseln können sieben Anlagen auf dem Festland von großen, hochseetüchtigen Schifen angefahren werden. Außer Rijeka sind das die Häfen Pula, Zadar, Sibenik, Split, Ploce und Dubrovnik. Auf Grundlage des Freihandelszonengesetzes wurden in den Häfen von Rijeka, Ploce und Sibenik sowie im Nordhafen von Split Freihandelszonen eingerichtet, um den Warenumschlag und die Entwicklung der Häfen zu fördern. Im Hafen von Ploce werden derzeit die bestehenden Containerumschlagsanlagen und das Massengüterterminal modernisiert. Der Hafen von Dubrovnik plant den Bau eines modernen Passagierterminals für Fähren, Linienverkehr und Kreuzfahrtschife. Aus der angekündigten Privatisierung öfentlicher Häfen ergeben sich neue Möglichkeiten zur Eizienzsteigerung des Hafenbetriebs und zur Einwerbung ausländischen Kapitals. Von den kroatischen Flüssen sind die Sava, die Drava, die Donau und künftig auch der Donau-Sava-Kanal schibar und ein fester Bestandteil des europäischen Wasserstraßen-netzes. Dazu gehören auch die Häfen Osijek, Vukovar, Slavonski Brod und Sisak als für den internationalen Schifsverkehr ofene Häfen. Die Donau ist internationales Gewässer, ebenso die Drava von der Mündung bis zur Stadt Osijek (23- km). Im weiteren Verlauf lussaufwärts hat die Drava zwischenstaatlichen Status, ebenso wie die Sava. Diese Vielfalt an Wasserwegen ist eine gute Grundlage für die Entwicklung der Flussschiffahrt, deren Potential noch nicht ausreichend ausgeschöpft ist. Kroatien verfügt auch über zahlreiche Flughäfen unterschiedlicher Größe und Ausstattung. Für Großraumlugzeuge eignen sich die internationalen Flughäfen von Zagreb, Split, Dubrovnik, Zadar, Rijeka, Pula und Osijek, die großenteils in staatlichem Besitz sind (55 % der Anteile). Dazu kommen drei kleinere Verkehrslughäfen in Osijek, Brac und Mali Losinj. Logistik Der Logistikmarkt in Kroatien konzentriert sich um die Hauptstadt Zagreb und zum Teil um Rijeka. Mit fast 800 000 Einwohnern (etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Kroatiens) ist Zagreb der Sitz von 34 % aller kroatischen Firmen. Hier beinden sich 38,4 % aller Arbeitsplätze, ebenso fast alle Banken, Versorgungsunternehmen und die öfentlichen Verkehrssysteme. Die Unternehmen in Zagreb stehen für 52 % des Gesamtumsatzes und 60 % des gesamten Einkommens in Kroatien, für 35 % der Export- und 57 % der Importgeschäfte. Als Hauptstadt und wirtschaftliches Zentrum proitiert Zagreb vom Großteil der Aktivitäten im Logistikmarkt. Derzeit gibt es in Zagreb insgesamt 360 000 m 2 Logistiklächen. Die Nachfrage nach modernen Logistikimmobilien ist hoch und kommt besonders von Einzelhändlern und Logistikdienstleistern, doch das Angebot ist nach wie vor geringer als die Nachfrage. Die hohen Mieten von 72 EUR/ m 2 pro Jahr für Flächen unter 5000 m 2 und 75 EUR für größere Einheiten in Zagreb sind nicht wettbewerbsfähig. Deswegen haben einige Logistikdienstleister ihren Betrieb von Zagreb weg in unterentwickelte Regionen Kroatiens verlagert, in denen günstigere Mieten die größeren Distanzen (150-200 km) ausgleichen. Der Markt entwickelt sich dynamisch und die Zahl der Logistikzentren wächst, z. B. mit Globcargo (Zagreb, 2006), Intereuropa (Dugopolje, 2006), Miklavlja und Skrljevo (Rijeka 2005), Transeuropa (Zagreb, 2005), LIDL (Jastrebarsko und Perušić 2011). Die Auswirkungen des EU-Beitritts waren in den ersten Monaten noch nicht zu überblicken, doch führte das Beratungsunternehmen Proago unter mehr als 420 Managern hauptsächlich kroatischer Firmen eine Umfrage zu diesem Thema durch. Ein Großteil der Befragten (49 %) ging davon aus, dass der EU-Beitritt Kroatiens die Erlöse der kroatischen Logistikunternehmen steigern wird, doch immerhin 34 % nahmen das Gegenteil an, keine Änderungen diesbezüglich erwarteten 17 %. Hinsichtlich der Lage der Logistikirmen sahen 40 % der Befragten eine Verbesserung und 41 % keine Veränderung voraus; 88 % erwarteten Aktivitäten neuer europäischer Logistik-Akteure in Kroatien und 82 % eine Ausweitung der Logistikkapazitäten in Kroatien, 30 % sogar eine starke Ausweitung. ■ Bild 2: Bestehendes (2005) und bis 2015 geplantes Straßennetz in Kroatien