Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0016
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2014
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Marktvolatiliät im Transport- und Logistikbereich
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Paul Wittenbrink
War es in den vergangenen Jahrzehnten fast immer so, dass die Verkehrsleistung kontinuierlich wuchs und die Prognosen übertroffen wurden, ist die Volatilität der Transportmärkte, also die Schwankungen bei den Transportmengen, seit der Finanzkrise im Jahr 2009 erheblich gestiegen. Prognosen sind dadurch sehr viel schwieriger und Investitionen im Transportmarkt riskanter geworden.
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 51 Markteinschätzung Logistik Marktvolatilität im Transport- und Logistikbereich Situation und Handlungsoptionen War es in den vergangenen Jahrzehnten fast immer so, dass die Verkehrsleistung kontinuierlich wuchs und die Prognosen übertrofen wurden, ist die Volatilität der Transportmärkte, also die Schwankungen bei den Transportmengen, seit der Finanzkrise im Jahr 2009 erheblich gestiegen. Prognosen sind dadurch sehr viel schwieriger und Investitionen im Transportmarkt riskanter geworden. Der Autor: Paul Wittenbrink U m das Thema „Marktvolatilität“ näher zu analysieren, hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach gemeinsam mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) e. V. im Herbst 2013 eine Umfrage zum Thema „Marktvolatilität in Transport und Logistik“ durchgeführt. 1 An der Umfrage haben sich 229 Unternehmen aus Industrie, Handel und Logistik beteiligt (davon ca. 75 % Einkäufer/ Verlader und ca. 25 % Transport- und Logistik-Dienstleister (TuL)). Dabei sind alle wesentlichen Branchen und Unternehmensgrößenklassen in der Umfrage vertreten, sodass sich interessante Trends ableiten lassen. stabile transportmärkte gehören der Vergangenheit an Nach der Umfrage rechnen knapp 47 % der befragten Unternehmen schon bei den nationalen Verkehren mit weiter zunehmenden Mengenschwankungen. Noch stärker ist dieser Trend im internationalen Bereich. International gehen fast 60 % der befragten Unternehmen von zunehmender Volatilität aus. Hier wirkt sich anscheinend einerseits die zunehmende internationale Arbeitsteilung aus, mit der auch die Komplexität der Prozesse und die damit verbundene Unsicherheit steigen. Für die erhöhte Volatilität sorgt aber auch die im Vergleich zu Deutschland zumeist schlechtere konjunkturelle Lage in vielen Ländern der Welt, häuig verbunden mit einer schwächeren Marktdynamik (vgl. Bild 1). steigende kosten durch Volatilität Die zunehmende Marktvolatilität macht es schwieriger, Kapazitäten zu planen, haben doch die vergangenen Jahre gezeigt, wie schnell sich Phasen von Laderaumüberhang und -knappheit abwechseln. Für die Unternehmen bedeutet dies zumeist Zusatzkosten, entweder für die Abdeckung von Spitzen oder für unterausgelastete Kapazitäten. Um herauszuinden, wie Verlader und TuL-Dienstleister mit dieser Situation umgehen, wurde ihnen eine Liste mit Lösungsansätzen zur Wahl gestellt (vgl. Tabelle- 1). Dabei sollten die Unternehmen entscheiden, ob die Aussagen für ihr Unternehmen „eher zutrefen“ oder nicht. Bild 2 stellt die Bedeutung der einzelnen Ansätze aus Sicht der befragten Unternehmen, diferenziert nach Verladern und TuL-Dienstleistern, dar. Dabei zeigt sich, dass Verlader und Dienstleister in vielen Fällen eine ähnliche Bewertung vornehmen, es zeigen sich aber auch Unterschiede. Um die wachsende Volatilität einzudämmen, eignen sich grundsätzlich zwei Ansätze: Es könnte besser geplant werden. Dann lassen sich Schwankungen reduzieren, bevor sie entstehen. Wichtig ist ferner, konsequent auf Schwankungen im Markt zu reagieren. kooperationen, um besser zu-planen Ganz oben auf der Agenda steht die Verbesserung der Kooperationen mit Kunden, um die Prognosen wesentlich zu verbessern. Diesen Ansatz halten ca. 93 % der Dienstleister und auch knapp 80 % der Verlader für vielversprechend. Hierbei geht es nicht nur um das Verhältnis Verlader-Dienstleister, ebenso sind hier Kooperationen mit Subunternehmern gefragt. Eng verbunden mit den Prognosen ist der Ansatz, die Planungszyklen zu verkürzen, da mit zunehmendem Planungshorizont die Unsicherheit steigt. Insofern erstaunt auch nicht, dass die meisten Befragten langfristige Investitionen mit langer Amortisationszeit eher meiden (Verlader: ca. 53 %, TuL: ca. 60 %). Die Marktforschung zu intensivieren und auch die Prognoseinstrumente zu verbessern, wird auch von etwa 70% der Unternehmen angestrebt. Hier sind jedoch die Möglichkeiten der Dienstleister begrenzt, handelt es sich bei der Transportnachfrage doch um eine abgeleitete Nachfrage. Preisliche Anreize Letztlich geht hier für die Dienstleister kein Weg an einer intensiveren gemeinsamen Planung mit den Kunden vorbei. Die Dienstleister hatten in der Vergangenheit nur geringe Anreize, die Transportmengen exakter zu planen - wurde doch zumeist abgefahren, was an der Rampe stand. Zunehmende Volatilität führt aber zu steigenden Kosten. Hier sind nun auch die Dienstleister gefragt, preisliche Anreize zu setzen, die Logistiksysteme eizienter zu nutzen, die Schwankungen zu reduzieren und die Planungen zu verbessern. Nachfragespitzen akzeptieren Aber selbst mit einer optimalen Planung lassen sich die Mengenschwankungen nur bis zu einem gewissen Grad reduzieren. Insofern gilt es, Wege zu inden, um mit diesen umzugehen. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen geht inzwischen den Weg, kurzfristige Nachfrageüberhänge zu akzeptieren und nicht gleich in die Ausweitung der Kapazitäten zu investieren. Mehr Ausrichtung auf die grundlast Eng damit verbunden ist der Ansatz, die Kapazitäten für Fahrpark und Lager auf die Grundlast auszurichten und damit eine bessere Auslastung zu erreichen (Verlader ca. 69 %, Dienstleister ca. 67 %). Dazu passt dann auch, sich noch mehr auf die eigenen Kernkompetenzen zu konzentrieren, den Selbsteintritt zu senken und verstärkt Leistungen fremd zu vergeben sowie mehr Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 52 LOGISTIK Markteinschätzung Fahrzeuge zu mieten anstatt zu kaufen. Das ist ein Trend, der im Markt seit Langem beobachtet werden kann. Insbesondere Schienenverkehrsunternehmen können hier noch lernen, werden doch von den meisten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in der Regel kaum Schienenleistungen fremd vergeben. Stattdessen wird fast die gesamte Leistung selbst erbracht. Kommt es dann zu Nachfrageeinbrüchen, können die Kapazitäten kaum über den Markt angepasst werden und es resultieren eigene Überkapazitäten. Insofern erstaunt es auch nicht, dass gerade der Schienengüterverkehr bei Mengenschwankungen und Konjunktureinbrüchen besonders betrofen ist. Subunternehmereinsatz Im LKw-Bereich werden für Spitzen zunehmend Subunternehmer eingesetzt, mit denen enge Kooperationen notwendig sind. Um nicht in Abhängigkeiten zu geraten und auch auf schwankende Nachfrage reagieren zu können, setzen knapp 63 % der Unternehmen für strategisch wichtige Dienstleistungen mehrere Subunternehmer ein. Dabei ist es jedoch wichtig, durch langfristige Verträge Kapazitäten und Preise zu sichern, was für knapp 55 % der Verlader und für 63 % der Dienstleister ein Ansatz ist. Ein kleiner Teil der Unternehmen bevorzugt es, größere Dienstleister einzusetzen, weil diese besser mit Mengenschwankungen umgehen können. Diese Strategie kann jedoch nur dann aufgehen, wenn diese Subunternehmer nicht nur die Größe, sondern auch eine (heterogene) Kundenstruktur haben, die es ermöglicht, besser mit Mengenschwankungen umzugehen. Mengenverpflichtungen Um eine möglichst hohe Flexibilität zu erhalten, versuchen gleichzeitig jedoch ca. 72 % der Verlader, möglichst wenige Mengenverplichtungen einzugehen. Dieses Phänomen kennen viele Transportunternehmen und es ist insbesondere beim Schienengüterverkehr stark ausgeprägt. So versuchen viele Verlader, kaum Mengenbindungen einzugehen. Gleichzeitig erwarten sie aber die Bewältigung von Spitzen. Dass diese Flexibilität mit hohen Kosten verbunden ist, bleibt nicht selten unberücksichtigt. Hier ist auf beiden Seiten noch ein Umdenken notwendig, indem sehr viel stärker als in der Vergangenheit versucht wird, die Kapazitäten gemeinsam besser zu planen und zu steuern. Möglichst geringe Mengenverplichtungen mit Subunternehmern streben nur ca.- 49 % der Dienstleister an. Hier zeigen sich- anscheinend auch die zunehmenden Schwierigkeiten, Subunternehmer zu inden. Nicht zuletzt wird es angesichts des zunehmenden Fahrermangels immer schwieriger, gute Subunternehmer zu inden, die es dann durch feste Vereinbarungen zu binden gilt. Steigende Mengen Der Konjunkturhimmel scheint sich etwas aufzuhellen. Das zeigt ein weiter Schwerpunkt der Umfrage, bei dem die Unternehmen nach ihrer Einschätzung zur Mengen- und Preisentwicklung im nächsten Jahr gefragt wurden. Knapp 90 % der Unternehmen gehen von mindestens gleichbleibenden, sehr viele Unternehmen von steigenden Mengen aus. Die größten Steigerungen werden dabei im Stückgutbereich gesehen (Bild 3). Mengen und Preise Interessant ist die unterschiedliche Einschätzung von Verladern und TuL-Dienstleistern. Die Dienstleister gehen sehr viel stärker von Mengensteigerungen aus als die Verlader. Noch größer ist die unterschiedliche Einschätzung bei den Preisen. während die Dienstleister bei Ladungs- und Stückgutverkehren mehrheitlich mit Preissteigerungen rechnen, sieht das auf Verladerseite Nr. Maßnahme 1 Ausbau Kooperation mit Kunden, gemeinsame Prognosen 2 lanungszyklen wesentlich verkürzen 3 Intensivere Marktforschung und Verbesserung von Prognoseinstrumenten 4 Kurzfristige Nachfrageüberhänge werden akzeptiert und führen nicht sofort zu Neu- Investment 5 Kapazitäten (Lager/ Fuhrpark) auf Grundlast ausrichten 6 Mehrere Subunternehmer für strategisch wichtige Dienstleistungen einsetzen 7 Ausbau Kooperation mit Subunternehmern, gemeinsame Prognosen 8 Durch langfristige Verträge Kapazitäten und Preise von Frachtführern sichern 9 Langfristige Investitionen mit langer Amortisationszeit meiden 10 Verträge mit Subunternehmern und Kunden mit möglichst wenig Mengenverpflichtungen ausrichten 11 Kürzere Vertragslaufzeiten (z.B. mit Subunternehmern, Vermietern) vereinbaren 12 Mehr Miete als Kauf und Leasing (z.B. bei eigenem Fuhrpark oder Lagerhalle) 13 Selbsteintritt senken, Leistungen outsourcen (z.B. an Subunternehmer), auf Kernkompetenzen konzentrieren 14 Aufbau regionaler Organisationen, um Marktveränderungen vor Ort besser einschätzen zu können 15 Größere Subunternehmer einsetzen, weil diese besser mit Mengenschwankungen umgehen können Tabelle 1: Maßnahmen zur Begegnung zunehmender Volatilität (Quelle: Wittenbrink/ Gburek 2013) 11,4% 4,1% 10,5% 3,8% 46,5% 48,6% 29,5% 38,0% 42,1% 47,2% 60,0% 58,2% 0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0% 90,0% 100,0% National letzte 24 Monate National nächste 24 Monate International letzte 24 Monate International nächste 24 Monate Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Marktvolatilität (Mengenschwankungen) entwickelt? schwächer geworden unverändert geblieben stärker geworden % der Unternehmen © BME e.V./ Prof. Dr. Paul Wittenbrink Bild 1: Entwicklung der Marktvolatilität im Bereich Transport und Logistik (Quelle: Wittenbrink/ Gburek 2013) Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 53 Markteinschätzung LOGISTIK ein weitaus geringer Anteil der Unternehmen so. Zusammenfassung Nach Ergebnissen der gemeinsamen Umfrage der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) e.V. nimmt die Marktvolatilität in Form von Mengenschwankungen im Transport- und Logistikbereich erheblich zu. Für die Unternehmen bedeutet dies zumeist Zusatzkosten, entweder für die Abdeckung von Spitzen oder für nichtausgelastete Kapazitäten. Die Unternehmen wenden eine Vielzahl von Strategien an, um der zunehmenden Marktvolatilität zu begegnen. Hierzu zählen z. B. die Verbesserung der Kooperationen, die Verkürzung der Planungszyklen, die Intensivierung der Marktforschung und auch die Verbesserung der Prognoseinstrumente. Weiterhin wird geplant, kurzfristige Nachfrageüberhänge zu akzeptieren und nicht gleich in die Ausweitung der Kapazitäten zu investieren. Schließlich besteht ein Ansatz darin, sich mehr auf die Grundals auf die Spitzenlast auszurichten und mehr auf Subunternehmer zu setzen. ■ 1 Vgl. Wittenbrink, Paul; Gburek, Gunnar (2013), Marktvolatilität in Transport und Logistik, Ergebnisse einer Befragung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) Frankfurt/ Lörrach. Paul Wittenbrink, Prof. Dr. Professor für Transport- und Logistik an der Dualen Hochschule Baden- Württemberg Lörrach (DHBW) und Gesellschafter der hwh Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung mbH (www.hwh-transport.de), Karlsruhe wittenbrink@dhbw-loerrach.de 93,6% 78,3% 73,9% 68,2% 67,4% 63,6% 63,0% 63,0% 60,5% 48,9% 45,5% 59,6% 55,5% 63,0% 79,5% 47,8% 72,6% 77,5% 69,3% 53,4% 72,1% 30,4% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ausbau Kooperation mit Kunden, gemeinsame Prognosen Planungszyklen wesentlich verkürzen Intensivere Marktforschung und Verbesserung von Prognoseinstrumenten Kurzfristige Nachfrageüberhänge werden akzeptiert und führen nicht sofort zu Neu-Investment Kapazitäten (Lager/ Fuhrpark) auf Grundlast ausrichten Mehrere Subunternehmer für strategisch wichtige Dienstleistungen einsetzen Ausbau Kooperation mit Subunternehmern, gemeinsame Prognosen Durch langfristige Verträge Kapazitäten und Preise von Frachtführern sichern Langfristige Investitionen mit langer Amortisationszeit meiden Verträge mit Subunternehmern und Kunden mit möglichst wenig Mengenverpflichtungen ausrichten Kürzere Vertragslaufzeiten (z.B. mit Subunternehmern, Vermietern) vereinbaren Was sind Ihre Hauptmaßnahmen, um der zunehmenden Marktvolatilität zu begegnen? Verlader TuL-Dienstleister % der Unternehmen © BME e.V./ Prof. Dr. Paul Wittenbrink Mehrfachnennung möglch % der Unternehmen Mehrfachnennung möglch 7,7% 9,6% 7,9% 11,3% 10,8% 8,0% 5,4% 13,5% 6,3% 5,9% 8,8% 8,7% 38,5% 47,1% 36,8% 54,1% 29,7% 37,0% 32,4% 42,1% 31,3% 47,4% 50,0% 55,6% 53,8% 43,4% 55,3% 34,6% 59,5% 55,1% 62,2% 44,4% 62,5% 46,7% 41,2% 35,7% 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 TuL-Dienstleister Verlader TuL-Dienstleister Verlader TuL-Dienstleister Verlader TuL-Dienstleister Verlader TuL-Dienstleister Verlader TuL-Dienstleister Verlader Entwicklung Mengen und Preise 2014 sinken bleiben unverändert steigen % der Unternehmen © BME e.V./ Prof. Dr. Paul Wittenbrink Ladungsverkehr Preise Mengen KEP Preise Mengen Stückgut/ LTL Preise Mengen Bild 3: Entwicklung von Mengen und Preisen 2014 (Quelle: Wittenbrink/ Gburek 2013) Bild 2: Bedeutung der Maßnahmen zur Begegnung zunehmender Volatilität (Quelle: Wittenbrink/ Gburek 2013)
