eJournals Internationales Verkehrswesen 66/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0020
31
2014
661

Stuttgart Services

31
2014
Jörn Meier-Berberich
Markus Raupp
Das Projekt Stuttgart Services entwickelt mit der Stuttgart Service Card ein einheitliches Zugangsmedium zur Elektromobilität und zu ergänzenden städtischen Angeboten und wird bis einschließlich Dezember 2015 im Rahmen des Bundesprogramms „Schaufenster Elektromobilität“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Ziel des Projekts ist eine möglichst umstandslose Nutzung elektromobiler Mobilitätsdienstleistungen, ergänzt um weitere urbane Angebote – vom ÖPNV, über Car- und Bikesharing bis hin zu Bädern und Bibliotheken sowie einer integrierten Bezahl- und Bonusfunktionalität. So soll die Stuttgart Service Card zum Schlüssel für Stuttgart und die Region werden und dem Nutzer den urbanen Alltag erleichtern.
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Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 65 Stuttgart Services Intelligent vernetzte, nachhaltige und einfache Elektromobilität um urbane Angebote für die Region Stuttgart ergänzen Das Projekt Stuttgart Services entwickelt mit der Stuttgart Service Card ein einheitliches Zugangsmedium zur Elektromobilität und zu ergänzenden städtischen Angeboten und wird bis einschließlich Dezember 2015 im Rahmen des Bundesprogramms „Schaufenster Elektromobilität“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Ziel des Projekts ist eine möglichst umstandslose Nutzung elektromobiler Mobilitätsdienstleistungen, ergänzt um weitere urbane Angebote - vom ÖPNV, über Car- und Bikesharing bis hin zu Bädern und Bibliotheken sowie einer integrierten Bezahl- und Bonusfunktionalität. So soll die Stuttgart Service Card zum Schlüssel für Stuttgart und die Region werden und dem Nutzer den urbanen Alltag erleichtern. Die Autoren: Jörn Meier-Berberich, Markus Raupp D ie zunehmende Urbanisierung hat die Verkehrsnetze der Ballungszentren zu den Hauptverkehrszeiten an ihre Belastungsgrenze geführt, zugleich steigt das Umweltbewusstsein der Bevölkerung an. Beide Faktoren haben zu einer Veränderung der urbanen Mobilität geführt. Insbesondere für die jüngere Generation gilt verstärkt das Motto „nutzen statt besitzen“, und gerade im städtischen Umfeld entwickelt sich die Elektromobilität weiter. Der Trend geht unter anderem zu multimodalen Mobilitäts- und Service-Providern, die übergreifende und integrierte Produktkonzepte anbieten. Die Herausforderung liegt in der intelligenten Vernetzung der einzelnen Akteure durch Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auf Basis tragfähiger Geschäftsmodelle. An dieser Achse platziert sich das Projekt Stuttgart Services als komplexes Verbundprojekt, in dem 14 Konsortialpartner und acht assoziierte Partner unter der Konsortialführerschaft der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) die Vernetzung (elektromobiler) Mobilitätsdienstleistungen und weiterer Angebote vorantreiben. In einer Vorstufe können Abonnenten bereits seit Ende November 2012 ihren Verbundpass gegen einen Mobilpass tauschen, der noch kein elektronisches Ticket ist, aber den Zugang zu multimodalen Angeboten ermöglicht. Die Einführung des Mobilpasses wurde durch den Verband Region Stuttgart (VRS) gefördert. In der nächsten Stufe können Abonnenten dann ab 2015 die Stuttgart Service Card auch als Zugangsmedium im ÖPNV in Form eines elektronischen Fahrscheins nutzen. Gerade in der Region Stuttgart bietet diese Verknüpfung von ÖPNV und Elektromobilität eine Möglichkeit, auf die hohe Belastung der Region durch den motorisierten Individualverkehr zu reagieren und so den Nachhaltigkeitsverbund (zu Fuß, Fahrrad, Sharingkonzepte, ÖPNV und elektromobiler Individualverkehr) zu stärken. Um die für eine wirtschaftliche Umsetzung notwendige kritische Kundenmasse zu erreichen, werden die elektromobilen Angebote mit dem großen Kundenkreis des ÖPNV sowie dem alltäglichen Leben verknüpft, was durch die Einbindung zusätzlicher Leistungen wie einer Zahlungsfunktionalität, eines Bonussystems und urbaner Angebote über einen einheitlichen Zugang für den Nutzer erfolgt (Bild 1). Wesentliche Anlauf- und Informationsstelle für den Nutzer ist das Web- Portal, über das er sich informieren, Dienstleistungen buchen und bezahlen kann. Im Hintergrund werden die Systeme der Partner über eine B2B-Brokering-Plattform vernetzt. Integrierte Angebote MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 66 MOBILITÄT Integrierte Angebote Im Mittelpunkt steht der Nutzer Diese B2B-Brokering-Plattform stellt eines der zentralen Elemente des Projekts Stuttgart Services dar und wird von Bosch Software Innovations entwickelt (Bild 2). Konsequent und umfassend verbindet diese neuartige und hoch komplexe inter- und multimodale Informations- und Buchungsplattform elektromobile Sharing-Angebote sowie weitere multimodale Angebote mit den Fahrplanauskünften des ÖPNV. Das schaft eine neue Qualität des Routings bzw. der Fahrtempfehlungen. Im Mittelpunkt steht der Nutzer: Ihm werden bedarfsgerechte Informationen und Services zur Verfügung stehen, die ihn zur Nutzung von Elektromobilität und multimodalen Angeboten motivieren. Die Realisierung dieser integrierten Gesamtlösung wird in der Summe eizienter sein und deutlich mehr Kundennutzen stiften als Einzellösungen, die in ihrer Komplexität den Nutzer überfordern und dadurch zusätzliche Zugangshemmnisse aufbauen würden. Hierzu ist es unerlässlich, dass der Nutzer neben der Informationsauch eine Reservierungs- und Buchungsfunktion erhält und damit eine medienbruchfreie Interaktion gewährleistet ist. Die Informations- und Buchungstechnologien sind in den einzelnen Systemen bereits vorhanden. Die Innovation besteht darin, • die Erfahrung aus den Informationssystemen des ÖPNV auf Anbieter aus dem (elektromobilen) Individualverkehr auszuweiten sowie • die bestehenden Einzelsysteme aller Partner auf einer Plattform miteinander zu vernetzen und über ein geeignetes Portal dem Nutzer zugänglich zu machen. So soll die erforderliche Akzeptanz und damit die erforderliche Marktdurchdringung der Elektromobilität ganz besonders im Bereich multimodaler Angebote als Komplementärangebot und nicht als Konkurrenzsystem zum ÖPNV gefördert werden. Gleichzeitig sollen möglichst viele Bürger mit elektromobilen Angeboten in Kontakt kommen können. Komplexe Systeme für weitreichende Integration Dies macht eine der wesentlichen Herausforderungen im Projekt deutlich: die weitreichende Integration über verschiedene Mobilitätsanbieter bzw. Anbieter weiterer Leistungen, die alle bereits über autarke Systeme verfügen. Voraussetzung hierfür ist, dass die IKT-Systeme der Anbieter miteinander kommunizieren können, was im Hintergrund einen erheblichen technischen Aufwand bedeutet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Nutzung bestehender Standardisierungen und Normen. Nur so lassen sich viele Anbieter eizient über eine ofene und serviceübergreifende Plattform vernetzen und zusätzliche Anbieter unkompliziert aufnehmen. Hierzu werden neuartige Schnittstellen deiniert und als Vorschlag bei den relevanten Standardisierungsgremien eingebracht. Durch die ofene Ausgestaltung der Plattform auf Basis standardisierter Schnittstellen ist der Implementierungsaufwand bei den einzelnen Partnern überschaubar und planbar. Für den ÖPNV existiert mit der VDV-KA bereits ein Standard, der beschreibt, wie ein System insbesondere innerhalb des ÖPNV realisiert werden kann - also welche Rollen und Prozesse zu unterstützen sind - und der auch vorsieht, weitere Anwendungen zu unterstützen. Dieser Standard kann als Orientierung für die Vernetzung im ÖPNV-Bereich, aber auch darüber hinaus dienen. Die Anbindung verschiedener Anbieter aus unterschiedlichen Branchen bringt es mit sich, dass unterschiedliche B2C-Systeme mit heterogenen Dateiformaten aufeinander treffen. Eine vertiefende Analyse von Prozessen, Dateiformaten, Schnittstellen und Hintergrundsystemen ist daher unerlässlich. Auf dieser Basis entsteht die Konzeption für die integrierte Informations- und Bu- Bild 2: Die IKT-Gesamtarchitektur für Stuttgart Services Prototypische Erprobung von Mehrwertdiensten und übergreifenden B2B-Prozessen Buchung, Kartenservices …) Anbindung weiterer Plattforme n Berlin: : : Vernetzte eMobilitätsdienste für B2B Kunden Stuttgart: : : Get-E-Ready E-Mobilitäts Roaming Plattform Hubject : : Weitere Schaufensterprojekte ÖPNV Services: Inter- und multimodales Routing (Echtzeit) Bereitstellung von Adaptoren sowie Daten- & Informationsdrehscheibe (Integrationslogik) und serviceübergreifende B2B- Business-Logik B2C-Service-Portal für Stuttgart Services Nutzer B2C- Logik Handel und Marketing car2go Parken und Laden Flinkster Bibliotheken und Bäder stadtmobil Bezahl- und Bonussystem Call a Bike ÖPNV Weitere Urbane Angebote Mobilitätsangebote Anbindung Partner-B2C-Services (Vertriebskanäle) Bild 1: Die Stuttgart Service Card ist Zugangsmedium für zahlreiche Mobilitäts- und Serviceangebote. (Alle Abbildungen: Stuttgart Services) Intermodale Elektromobilen ÖPNV nutzen Elektromobiles Car- und Bikesharing nutzen Parken und Laden Bezahlen und Punkte sammeln Bibliotheksmedien ausleihen Bürgerservices nutzen Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014 67 Integrierte Angebote MOBILITÄT chungsplattform. Hierzu werden die Architektur, die technischen wie auch die inhaltlichen Schnittstellen deiniert. Aktuell sind bereits mehr als 70 System- Use-Cases identiiziert. Bis Januar 2014 wurden alle Anwendungsfälle sowie sonstige funktionale und nicht funktionale Anforderungen deiniert. Auf dieser Basis erfolgt die Festlegung der fachlichen und technischen Gesamtarchitektur. Über die Anbindung der unterschiedlichen Partnersysteme gewährt die Plattform dem Nutzer den Zugang zu allen Angeboten von Stuttgart Services wie aus einer Hand - komplexe Hintergrundsysteme ermöglichen den einfachen und einheitlichen Zugang zur Elektromobilität. Dafür muss es natürlich zugängliche, elektrisch betriebene Systeme und viele weitere Services geben. Dies wird in Stuttgart insbesondere durch das vollelektrische car2go-System, elektrisch betriebene Fahrzeuge bei Flinkster und Pedelecs bei Call a Bike gewährleistet (Bild 3). Bedeutende Rolle für den Datenschutz Neben der bereits genannten Herausforderung der technischen Vernetzung einzelner, bereits bestehender autarker Systeme kommt auch dem Datenschutz eine bedeutende Rolle innerhalb dieses Projekts zu. Die große Zahl der Angebote im Rahmen von Stuttgart Services sowie die vielen mitwirkenden Partner bringen es mit sich, dass eine Vielzahl von Nutzerdaten verarbeitet werden müssen. Durch die hohe Relevanz dieser Thematik wird der Datenschutz daher im Rahmen des Projekts in einem eigenen Arbeitspaket behandelt, sodass darauf bereits in der Konzept- und Planungsphase entlang der geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen geachtet wird und relevante Datenschützer eingebunden werden. Der sorgsame Umgang mit den Nutzerdaten ist selbstverständlich - nicht nur, weil im Rahmen des Projekts der Kundennutzen im Mittelpunkt steht. Er ist auch für die Konsortialpartner von hoher Bedeutung, da jeder Wert darauf legt, seine Kundendaten auch exklusiv zu behalten. Der Nutzer kann sein Mobilitätsverhalten durch die zentral gesteuerten Prozesse - Beauskunftung und weitere Serviceprozesse - innerhalb der Informations- und Buchungsplattform so einfach, übersichtlich und zeitsparend wie möglich planen. Durch die Integration von Echtzeitinformation erhält er eine fundierte Grundlage, um sich für das jeweils geeignetste Verkehrsmittel zu entscheiden. Die daraus entstehende Attraktivität wird den Nachhaltigkeitsverbund stärken und den Umstieg vom Pkw auf den ÖPNV und auf elektromobile und multimodale Angebote erleichtern. So leistet Stuttgart Services langfristig einen wirksamen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz und bewirkt eine positive Veränderung des Modal Split zugunsten des Nachhaltigkeitsverbundes sowie eine Reduzierung negativer Umweltbelastungen wie CO 2 , Lärm und Unfallzahlen. Diese Vorteile sowie die teilnehmenden ÖPNV-Dauerkunden lassen eine große Anzahl von Nutzern für Stuttgart Services erwarten. Davon proitieren die an der Umsetzung des Projekts beteiligten Partner: Sie können durch die zusätzliche vertriebliche Zuführung über Stuttgart Services ihre Angebote einer großen Anzahl möglicher Kunden in der Region Stuttgart zugänglich machen. Alle Partner haben durch die Integration ihrer Angebote in das Portfolio von Stuttgart Services also potentiell Zugang zu einer breiten Kundenbasis, wenn der Kunde dies wünscht und zulässt. Gleichzeitig werden durch die Verknüpfung mit ergänzenden Mobilitätsdienstleistungen und weiteren Angeboten auch die eigenen Angebote des jeweiligen Partners attraktiver. Die Mitwirkung und Leistungserbringung in einem öfentlichkeitswirksamen Innovationsprojekt stellt für die beteiligten Partner zudem einen Imagegewinn dar und das in der Projektarbeit gewonnene Know-how und die Erfahrungswerte lassen sich auf weitere Projekte adaptieren. ■ Jörn Meier-Berberich, Dipl.-Kfm. Kaufmännischer Vorstand der SSB, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart joern.meier-berberich@ mail.ssb-ag.de Markus Raupp, Dr. Leiter Marketing & Vertrieb der SSB, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart markus.raupp@mail.ssb-ag.de Stuttgart Services im Kontext Stuttgart Services ist eines von rund 40-Projekten und mit etwa 25 Mio. EUR veranschlagten Kosten das größte Projekt im baden-württembergischen Schaufenster „LivingLab BWe mobil“. Rund 9,5 Mio. EUR sind durch die Förderzusage im Rahmen der Initiative „Schaufenster Elektromobilität“ der Bundesregierung abgedeckt. Insgesamt stellt der Bund für das Schaufensterprogramm Fördermittel in Höhe von 180 Millionen Euro bereit. In den groß angelegten regionalen Demonstrations- und Pilotvorhaben wird Elektromobilität an der Schnittstelle von Energiesystem, Fahrzeug und Verkehrssystem erprobt. Auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts können dann auch andere Regionen oder Städte zurückgreifen. Im baden-württembergischen Schaufenster „LivingLab BWe mobil“ erforschen mehr als 100 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und öfentlicher Hand Elektromobilität in der Praxis. Die Projekte konzentrieren sich mit ihren Aktivitäten auf die Region Stuttgart und die Stadt Karlsruhe und sorgen auch international für eine große Sichtbarkeit. Das „LivingLab BWe mobil“ steht für einen systemischen Ansatz mit ineinandergreifenden Projekten, die Elektromobilität vom E-Bike über den E-PKW bis hin zu elektrischen Transportern und Plug-in-Linienbussen für jedermann erfahrbar machen. Die Projekte adressieren Fragestellungen zu Intermodalität, Flotten und gewerblichen Verkehren, Infrastruktur und Energie, Stadt- und Verkehrsplanung, Fahrzeugtechnologie, Kommunikation und Partizipation sowie Ausbildung und Qualiizierung. Das Großforschungsprojekt wird durch das Land Baden-Württemberg und die Region Stuttgart unterstützt. Koordiniert wird das „LivingLab BWe mobil“ durch die Landesagentur für Elektromobilität und Brennstofzellentechnologie e-mobil BW GmbH und die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS). www.schaufenster-elektromobilitaet.org www.livinglab-bwe.de Bild 3: Einfach umsteigen - zum Beispiel zwischen Elektroauto und Zahnradbahn