Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0033
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Wenn es nicht so traurig wäre ...
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Gerd Aberle
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 11 Gerd Aberle KURZ + KRITISCH »Offensichtlich gibt es in der Politik keine-Kritik an der stillschweigenden Beerdigung aller bis zum Abschluss des Koalitionsvertrages vollmundig diskutierten Finanzierungserfordernisse.« Wenn es nicht so traurig wäre … E s war Anfang Oktober 2012, als sich die Länderverkehrsminister-Konferenz in Anwesenheit des damaligen Bundesverkehrsministers einstimmig mit den dramatischen Ergebnissen der Daehre-Kommission zur Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur identifizierte. Ebenso einstimmig wurden von diesem Gremium im September 2013 die Feststellungen der Bodewig-Kommission begrüßt. Sie ermittelte ein jährliches Finanzierungsdefizit von 6,5 Mrd. EUR und plädierte - wie auch die Daehre-Gruppe - für eine nachhaltig wesentlich höhere Verkehrsinfrastrukturfinanzierung, die verstärkte zusätzliche Nutzerfinanzierung und die Einführung von Finanzierungsfonds. Nur drei Monate später kam die Ernüchterung durch die Koalitionsverhandlungen. Es wurde nur eine Aufstockung der Bundeshaushaltsmittel um 6,5 Mrd. EUR für die gesamte Legislaturperiode, also jährlich lediglich 1,25 Mrd. EUR beschlossen, ergänzt durch eine Ausweitung der LKW-Maut. Dass jedoch die bisherige LKW- Maut auf Autobahnen aufgrund EU-Vorgaben und einer neuen Wegekostenrechnung deutlich abgesenkt werden muss, verstärkt die prekäre Finanzierungslage. Ob die vom amtierenden Bundesverkehrsminister immer noch angestrebte spezielle PKW-Maut nur für ausländische Fahrzeuge nennenswerte Finanzierungsmittel erbringen könnte, ist nicht nachweisbar und zweifelhaft. Zumal eine EUkompatible diskriminierungsfreie Ausländermaut schwer vorstellbar ist, und Nachbarstaaten ohne PKW-Maut bereits mit Retorsionsmaßnahmen gedroht haben, etwa durch spezielle Abgaben für deutsche PKW. Öffentlich gibt es in der Politik keine Kritik an der stillschweigenden Beerdigung aller bis zum Abschluss des Koalitionsvertrages vollmundig diskutierten Finanzierungserfordernisse. Die verordnete Koalitionsharmonie verdrängt rationale Politikgestaltung. Dass die deutsche Verkehrsinfrastruktur aufgrund fehlender Finanzmittel täglich 13 Mio. EUR an Substanz verliert, aber gleichzeitig die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern im 1. Quartal 2014 Zusatzeinnahmen von 7 bzw. 22 % melden, irritiert die Politikverantwortlichen offensichtlich nicht. Da stört der Ostern bekannt gewordene Vorschlag des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, zur Vermeidung einer in den Wirkungen kaum darstellbaren weiteren Substanzvernichtung in der Straßeninfrastruktur über eine Nutzerabgabe je Fahrzeug und Jahr von 100 EUR nachzudenken. Auch einige Länderchefs stellten sich demonstrativ gegen diese Überlegung, ohne jedoch die fundamentale Finanzierungsproblematik zu erwähnen. Vergessen sind offensichtlich die mehrfachen Beschlüsse der Länderverkehrsministerkonferenzen. Der Wert von nur 1 1 / 2 Tankfüllungen kann in Deutschland, gut vorbereitet durch die unsäglichen Lobbyaktivitäten des ADAC in den vergangenen Jahren, bei den Politikern Angstgefühle auslösen. Nein, es gibt keine hinreichende Finanzierungsbasis für die notleidenden Straßen, Schienenwege und Wasserstraßen, um ihre Substanz nachhaltig zu sichern und Engpässe zu beseitigen. Mehr Bundesmittel als derzeit vorgesehen soll es nicht geben, die Länder kürzen sogar teilweise ihre Infrastrukturausgaben. Die sinnvolle Ausweitung der Nutzerfinanzierung wird, abgesehen von der LKW- Maut, politisch für inopportun gehalten. Jede diskutierte Zusatzfinanzierung durch spezielle Nutzungsentgelte wird auch mit dem Argument beerdigt, es werde keine Abgabenerhöhungen geben. Dass dies falsch ist, zeigt die Steuerstatistik. Die gefeierten hohen Mehreinnahmen stammen vor allem aus dem Einkommenssteueraufkommen - und hier wiederum dominierend aus der sogenannten kalten Progression, die einem Großteil der Steuerzahler ständig erhebliche Zusatzbelastungen durch automatische Steuererhöhungen auferlegt. Der Grundgedanke aus Schleswig-Holstein war sicherlich nicht hinreichend strukturiert und begründet sowie zu sehr auf die Straßen konzentriert. Aber er war und ist sinnvoll und notwendig, um die seit Koalitionsbeginn feststellbare politische Abstinenz bei der dringend anstehenden Finanzierungsdiskussion zu durchbrechen. Der Koalition passt dies offensichtlich nicht. Irgendwie erinnert dies alles an den berühmten Ausspruch des früheren Bundeskanzlers Adenauer: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche
