eJournals Internationales Verkehrswesen 66/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0034
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2014
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Sicherheit, Ökologie, Kosteneffizienz - das Spannungsfeld der Flugoptimierung

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2014
Franziska Dieke-Meier
Hartmut Fricke
Die Gewährleistung der Sicherheit als oberste Prämisse in der Flugplanung und Flugdurchführung ist unumstritten. Dagegen wird die nahezu ausnahmslose Priorisierung wirtschaftlicher Aspekte vor ökologischen Gesichtspunkten vermehrt kritisch gesehen, belastet doch der Luftverkehr in Analogie zu anderen Verkehrsträgern Mensch und Natur und trägt nicht unerheblich zum anthropogenen Treibhauseffekt bei.
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POLITIK Flugrouten Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 12 Sicherheit, Ökologie, Kosteneffizienz - das Spannungsfeld der Flugoptimierung Die Gewährleistung der Sicherheit als oberste Prämisse in der Flugplanung und Flugdurchführung ist unumstritten. Dagegen wird die nahezu ausnahmslose Priorisierung wirtschaftlicher Aspekte vor ökologischen Gesichtspunkten vermehrt kritisch gesehen, belastet doch der Luftverkehr in Analogie zu anderen Verkehrsträgern Mensch und Natur und trägt nicht unerheblich zum anthropogenen Treibhauseffekt bei. Die Autoren: Franziska Dieke-Meier, Hartmut Fricke E iner der Zielkonflikte in der Optimierung von Flügen, sowohl in ihrer lateralen (Flugweg) als auch vertikalen Ausprägung (Flugprofil), zeichnet sich deutlich in den aktuell medial stark wahrgenommenen Diskussionen zur Flugroutengestaltung rund um Flughäfen ab. Identifizierte Fluglärm-wirkungsärmere An- und Abflugrouten im Nahbereich eines Flughafens müssen zunächst den internationalen Sicherheitsregularien der Verfahrensplanung entsprechen. Im Falle fehlender Konformität werden sie zu Ungunsten der vom Fluglärm betroffenen Bevölkerung verworfen. Dennoch ist der Stellenwert von Fluglärm in der Flugroutengestaltung hervorzuheben. Verkehrsträger-vergleichend führend ist der Umwelteffekt Fluglärm durch rechtlich verankerte Ansprüche der Bevölkerung, bspw. auf passiven Schallschutz, und die Erhebung lärmabhängiger Flughafenentgelte recht weitreichend internalisiert. In der Planung von An- und Abflugrouten wird zudem bewusst der ökologische Aspekt Fluglärm gegenüber wirtschaftlichen Prämissen priorisiert. Dies ist bislang einmalig, wenn auch aus der ökologischen Gesamtbetrachtung nicht vollständig, da die zum Teil erheblich längeren Flugwege und der damit vermehrte Ausstoß von Schadstoffen gegenwärtig nicht bilanziert werden. Für die verbleibenden Phasen des Fluges - Steigflug, Reiseflug und Sinkflug - erfolgt aus Sicht der Flug-durchführenden Fluggesellschaft eine Bewertung und Optimierung des Fluges nahezu ausschließlich hinsichtlich des Kriteriums Kosten. Die Ausgestaltung des Flugweges zielt hierbei auf die kürzeste Verbindung vom Startzum Zielflughafen, eventuell mit bewusst in Kauf genommener Umwege zur Ersparnis von Zeit und Brennstoff durch Nutzung von Starkwindfeldern (jet streams) oder Umgehung teurer Lufträume. Die Flugprofilplanung versucht optimale Flughöhen anzustreben und hat insbesondere den Aspekt des Masseverlustes durch verbrannten Brennstoff über die Zeit zu berücksichtigen. Grundsätzlich werden in der Planung eines Fluges stets Brennstoff- und Zeitkosten gegeneinander abgewogen (vgl. Bild 1), wobei in den Zeitkosten eine Vielzahl flugpreisrelevanter Faktoren Berücksichtigung findet, so u. a. die Kosten für Personal. Das Optimum der zu minimierenden Gesamtkosten befindet sich bei einer ökonomischen Fluggeschwindigkeit (ECON speed, v ECON ), die nicht Brennstoffverbrauch-optimal und durch die direkt proportionale Kopplung von CO 2 - Emissionen an den Brennstoffverbrauch auch nicht ökologisch optimal ausgelegt ist. Eine Annäherung an Geschwindigkeiten mit geringstem Brennstoffverbrauch findet nur für Reichenweiten-kritische Langstreckenflüge statt. CO 2 -Emissionsreduzierungen werden somit in der Flugplanung und -durchführung seitens der naturgemäß nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handelnden Fluggesellschaften nicht primär forciert, werden aber gern als Einsparerfolge im Rahmen der ökologischen Unternehmensbewertung ausgewiesen. Wahre Treiber zur Senkung der CO 2 -Emissionen sind die anhaltend hohen Rohstoffpreise. Der Brennstoff als dominierender Kostenblock wird, bei unterstellten gleichbleibenden oder steigenden Preisen, auch künftig Fluggesellschaften zur Ergreifung wirksamer Maßnahmen mit Blick auf die Brennstoff- und CO 2 -Effizienz motivieren. Dagegen sind die derzeitigen finanziellen Belastungen des Europäischen Emissionshandelssystems, welches seit dem 1. Januar Bild 1: Qualitativer Verlauf der Zeit-, Brennstoffsowie Gesamtkosten (bei konstanter Masse des Luftfahrzeuges) Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 13 Flugrouten POLITIK 2012 den CO 2 -Ausstoß eines Fluges kostenpflichtig regelt, mit Kosten zwischen 0,15 bis 2,51- EUR je Passagier und Flug 1 zu gering, um große Anreize für die Optimierung zu setzen. Bei allen Anstrengungen bleibt zu konstatieren: Solange an der Prämisse der Kosteneffizienz in der Planung von Flügen festgehalten wird, sind diese aus ökologischer Sicht nicht optimal. In diesem Zusammenhang durchaus kritisch zu sehen, ist die sogenannte Business Reference Trajectory als wesentliches Kernelement der operationellen Verfahrensgestaltung im künftig implementierten Single European Sky (SES). Zukünftig soll den Flugsicherungsinstanzen die aus ökonomischen Gesichtspunkten seitens der Fluggesellschaften (Business) lateral und vertikal optimierte Flugtrajektorie als Referenz dienen, die nach Möglichkeit in der steuernden und überwachenden Flugdurchführung umzusetzen ist. Vergleichend zu heute wird dies gewiss deutliche positive Effekte in der Reduktion von CO 2 - Emissionen nach sich ziehen. Dennoch liegt weiterhin die Priorität offenkundig auf der Kosteneffizienz. Für CO 2 , zweifellos ein Schadstoff mit hohem Strahlungsantrieb, erwartet das Intergovernmental Panel on Climate Change eine Verzehnfachung der emittierten Menge bis zum Jahre 2050 2 . Dies erklärt die nahezu ausschließliche Aufmerksamkeit für diesen Schadstoff, vernachlässigt jedoch weitere umweltschädliche Emissionen, die bei der Verbrennung von Kerosin entstehen. Global sind die Auswirkungen der einzelnen Emissionen, die im Bild 2 durchschnittlich für die Verbrennung von 1 kg Brennstoff angegeben sind, auf den Strahlungshaushalt bereits abgeschätzt. So wird der Cirrenbildung als mögliche Folgeerscheinung von Kondensstreifen (contrails) ein deutlich höherer Strahlungsantrieb unterstellt als dem Treibhausgas CO 2 (vgl. Tabelle- 1). Folgerichtig wäre es, sämtliche Schadstoffe eines Fluges anhand ihres ökologischen Effektes zu bilanzieren, um hieraus eine Optimierung vorzunehmen, wie Bild 3 exemplarisch zeigt. Neben CO 2 wird derzeit einzig der Schadstoff NO x operativ im Rahmen der Flughafenentgelte taxiert. Doch auch hierfür fallen die Kosten derart marginal aus, dass keine Anreize zur diesbezüglichen Optimierung von Flügen bestehen. Generell ist zu bemerken, dass mit den aktuellen starren Schemata der Entgeltbemessung die aus der Selbstverpflichtung heraus teils erheblichen Anstrengungen der Fluggesellschaften zur Lärm- und Schadstoffreduzierung, bspw. durch innovative An-/ Abflugverfahren, nicht abgebildet bzw. nicht honoriert werden können. Überraschend ist, dass auch Strategiepapiere wie die „Vision 2020“ und der „Flightpath 2050“ des Advisory Council for Aeronautics Research in Europe (ACARE) sowie das große europäische Verbundvorhaben zur Implementierung des Single European Sky vorrangig auf die erwähnten Umwelteffekte Fluglärm, CO 2 und NO x abstellen, andere negative ökologische Effekte in ihren Entwicklungsszenarien aber nicht oder nur unzureichend adressieren. Auch die Europäische Kommission als Initiator eines Leistungssystems für Flugsicherungsdienste bewertet die ökologische Leistung einer Flugdurchführung in Europa unvollständig. Für den Berichtszeitraum 2012-2014 definierte sie lediglich die durchschnittliche horizontale Streckenflugeffizienz als alleinigen ökologischen Mess-/ Grenzwert. Der Indikator bilanziert den tatsächlichen Flugweg vergleichend zur kürzesten Entfernung zwischen zwei Punkten im Nahbereich des Abflugbzw. Zielflughafens und stellt somit auf zusätzliche Verbräuche sowie CO 2 - Emissionen vergleichend zum idealen lateralen Flugweg ab. Zwei weitere ökologische, Brennstoffeffizienz-orientierte Indikatoren werden im Rahmen des Leistungssystems derzeit lediglich beobachtet, wobei der Einfluss des Vertikalprofils auf Emissionen durch keinen der drei Indikatoren abgebildet wird. Allen Planungen und Optimierungen im Sinne der Kosteneffizienz und/ oder der Umweltverträglichkeit ist gemein, dass diese aktuell durch einen Optimierungsraum eingeschränkt werden, der in seiner lateralen, vertikalen und auch zeitlichen Ausge- Schadstoff Wirkung Strahlungsantrieb [W/ m²] CO 2 Strahlungswirksam 1,68 H 2 O Ruß H 2 O/ Ruß strahlungswirksam Folgeeffekt: Bildung von Kondensstreifen Folgeeffekt: Bildung von Cirrenbewölkung 0,2/ 0,64 0,05 3,0-8,0 NO x → O 3 Bildung des strahlungswirksamen Ozons 0,14 NO x → CH 4 Abbau der strahlungswirksamen Substanz Methan -0,25 CO SO 2 C x H y Verstärkung der Bildung von Aerosolen oder Veränderung der natürlichen Wolkenbildung 0,23 -0,41 0,05 Tabelle 1: Wirkung der Emissionen des Luftverkehrs auf den Strahlungshaushalt der Erde, Angaben des Strahlungsantriebs gemäß IPCC, 2013 bzw. nach Sausen et al., 2005 Bild 2: Durchschnittliche Mengen und Anteile von Emissionen eines Luftfahrzeuges bei der Verbrennung von 1 kg Kerosin, Angaben gemäß Schumann, 1999 POLITIK Flugrouten Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 14 staltung durch den Aspekt Sicherheit (bspw. durch Vorgaben zur Separation von Luftfahrzeugen) legitimiert ist. Hinzu kommt, dass die aktuelle Leistungsfähigkeit des europäischen Luftverkehrssystems, das gekennzeichnet ist durch hohe Verkehrsaufkommen bei signifikanten Kapazitätsengpässen, Potenziale der Einsparung massiv limitiert. Ambitionierte Forschungsprogramme, allen voran das Programm Single European Sky ATM Research (SESAR), versprechen die Überwindung derartiger Kapazitätsengpässe sowie richtungweisende technologische wie auch verfahrensseitige Neuerungen in der Flugdurchführung. Zudem legen die erheblichen Fortschritte hin zu einer hoch präzisen Flugführung die Hoffnung auf den dringlich gebotenen Abgleich von historisch bereits lang bestehenden Sicherheitsregularien und damit die Aufweitung des Optimierungsraumes nahe. In einem künftigen Luftverkehrssystem sollten daher die notwendigen Voraussetzungen für eine Flugdurchführung geschaffen sein, die einer erweiterten oder geänderten obersten Planungsprämisse folgt. Unweigerlich muss allerdings gesellschaftspolitisch die Frage beantwortet werden, welche Prioritäten man den ökologischen versus Kosteneffizienz-orientierten Zielkriterien bei gewährleisteter Sicherheit in der Definition von flight efficiency künftig zugesteht. Die Bilanzierung diesbezüglich möglicher Optimierungspotenziale im skizzierten Spannungsfeld von Sicherheit, Ökologie und Ökonomie ist eine zentrale Zielstellung des im Rahmen des 5. Luftfahrtforschungsprogrammes (LuFo V) jüngst seitens des BMWi bewilligten und durch die Lufthansa Cargo AG mitgeförderten Projekts „Minimierung der Emissionen in der Flugdurchführung bei garantierter operationeller Sicherheit als Beitrag zu einem umweltfreundlichen Luftverkehrssystem“ (ME- FUL). Das zukunftweisende Projekt (Laufzeit 2014-2016) an der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden nimmt sich dabei erstmals der Thematik der multikriteriellen Optimierung von Flugtrajektorien hinsichtlich partiell konfligierenden Zielkriterien an. Hierbei steht auch die Konzeptionierung, Parametrisierung und Validierung von legitimierten Maßzahlen des ökologischen Fußabdruckes des Luftverkehrs im Fokus, um eine Grundlage zur ökologisch orientierten Optimierung und weiterführenden Standardisierung in einem Luftverkehrssystem des Jahres 2050 zu bereiten. ■ 1 Vgl. Deutsche Emissionshandelsstelle, 2012 2 Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change, 1999 LITERATUR Deutsche Emissionshandelsstelle, Umweltbundesamt: Die Zuteilung von Emissionsberechtigungen an Luftfahrzeugbetreiber für die Handelsperioden 2012 und 2013-2020, DEHSt im UBA, 2012 Europäische Kommission: VERORDNUNG (EU) Nr. 691/ 2010 DER KOMMIS- SION vom 29. Juli 2010 zur Festlegung eines Leistungssystems für Flugsicherungsdienste und Netzfunktionen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2096/ 2005 zur Festlegung gemeinsamer Anforderungen bezüglich der Erbringung von Flugsicherungsdiensten, Amtsblatt der Europäischen Union, 2010 Günther, G. und Fricke, H.: Impact of trajectory restrictions onto fuel and time-related cost efficiency, International Conference on Research in Air Transportation (ICRAT), 2014 Intergovernmental Panel on Climate Change: IPCC Special Report: Aviation and the global Atmosphere, Special Report of IPCC Working Groups I and III, Cambridge University Press, Bericht, 1999 Intergovernmental Panel on Climate Change: Climate Change 2013 The Physical Science Basis, IPCC Working Groups I, Cambridge University Press, Bericht, 2013 Kaiser M., Rosenow J., Fricke H. und Schultz M.: Tradeoff between optimum altitude and contrail layer to ensure maximum ecological en-route performance using the Enhanced Trajectory Prediction Model (ETPM), International Conference on Application and Theory of Automation in Command and Control Systems (ATACCS), 2012 Kaiser, M., Schultz, M. und Fricke, H.: Enhanced Jet Performance Model for High Precision 4D Flight Path Prediction, International Conference on Application and Theory of Automation in Command and Control Systems (ATACCS), 2011 Rosenow, J., Kaiser, M. und Fricke H.: Modeling Contrail Life Cycles Based on Highly Precise Flight Profile Data of Modern Aircraft, International Conference on Research in Air Transportation (ICRAT), 2012 Sausen R., Isaksen I., Grewe V., Hauglustaine D., Lee D. S., Myhre G., Köhler M. O., Pitari G., Schumann U., Stordal F. und Zerefos C.: Aviation radiative forcing in 2000: An update on IPCC (1999), Meteorologische Zeitschrift, Vol. 14, 2005 Schiller, J., Kaiser, M., Schultz, M. und Fricke, H.: Impact of ocean currents on contrail formation on global scale, Eurocontrol Innovative ATM Research Workshop 2010 Schumann, U.: Wie stark beeinflussen die Emissionen des Luftverkehrs Ozon und Klima? , GAIA - Ecological Perspectives for Science and Society, 1999 Franziska Dieke-Meier, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachliche Projektleitung MEFUL, Technische Universität Dresden dieke-meier@ifl.tu-dresden.de Hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing. Dekan der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des BMVI, Technische Universität Dresden fricke@ifl.tu-dresden.de Bild 3: Exemplarische ökologische Optimierungen eines Kurzstreckenflugs von Amsterdam nach Salzburg am 19. Januar 2012 (ohne Abwägung der Strahlungsantriebe), Datenquelle: Kaiser, Rosenow et al., 2012