Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0035
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2014
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Regionalwirtschaftliche Wirkungen von Häfen
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2014
Klaus Harald Holocher
Peter Wengelowski
Die Seehäfen in Deutschland und den westlichen Nachbarstaaten sind in der Regel nach dem Landlord-Prinzip organisiert: Die öffentliche Hand hält die allgemeine sowie die terminalbezogene Infrastruktur vor, während private Unternehmen die Hafensuprastruktur finanzieren und für kommerzielle Zwecke betreiben. Informationen über die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Häfen verdeutlichen den Bürgern und Steuerzahlern, dass in den Budgets der Hafenstandortkommunen und Küstenländer finanzielle Mittel für die Hafeninfrastruktur erforderlich sind. Der Kern der regionalwirtschaftlichen Wirkungen wird durch die von den Häfen ausgehende Beschäftigung abbildet. Der Artikel erläutert, wie die hafenabhängige Beschäftigung ermittelt wird und kommt zu dem Ergebnis, dass von den niedersächsischen Seehäfen knapp 44 000 Arbeitsplätze direkt abhängen.
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 15 Beschäftigung POLITIK Regionalwirtschaftliche Wirkungen von Häfen Analyse der hafenabhängigen Beschäftigung der niedersächsischen Seehäfen Die Seehäfen in Deutschland und den westlichen Nachbarstaaten sind in der Regel nach dem Landlord- Prinzip organisiert: Die öffentliche Hand hält die allgemeine sowie die terminalbezogene Infrastruktur vor, während private Unternehmen die Hafensuprastruktur finanzieren und für kommerzielle Zwecke betreiben. Informationen über die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Häfen verdeutlichen den Bürgern und Steuerzahlern, dass in den Budgets der Hafenstandortkommunen und Küstenländer finanzielle Mittel für die Hafeninfrastruktur erforderlich sind. Der Kern der regionalwirtschaftlichen Wirkungen wird durch die von den Häfen ausgehende Beschäftigung abbildet. Der Artikel erläutert, wie die hafenabhängige Beschäftigung ermittelt wird und kommt zu dem Ergebnis, dass von den niedersächsischen Seehäfen knapp 44 000 Arbeitsplätze direkt abhängen. Die Autoren: Klaus Harald Holocher, Peter Wengelowski D ie regionalwirtschaftlichen Wirkungen wichtiger Seehäfen in Nordwesteuropa werden in Form von „Regional-Impact- Studies“ immer wieder erfasst und analysiert. Grundlage dafür ist im allgemeinen ein „With-and-without-Vergleich“: Wirtschaftliche Aktivitäten - gemessen in Arbeitsplätzen, Bruttowertschöpfung o. ä. - werden als hafenabhängig eingestuft, wenn sie ohne Existenz des Hafens nicht oder nicht in der Hafenregion stattfinden würden. Die Ergebnisse können dann ins Verhältnis zu den Gesamtwerten der Region gesetzt werden, um die relative Bedeutung des Hafens herauszuarbeiten. Voruntersuchungen Im Rahmen eines von den Verfassern betreuten Projektstudiums ermittelte eine studentische Projektgruppe für das Jahr 2009 gut 41 000 Arbeitsplätze, die von den niedersächsischen Seehäfen abhingen. Als Grundlage für die sektorspezifische Abgrenzung der Unternehmen und Institutionen, die hafenabhängige Arbeitsplätze vorhalten, diente das von Breitzmann 1 entwickelte Mehrebenenkonzept der Seehafenwirtschaft. Nach diesem Konzept umfasst die Seehafenwirtschaft die drei Sektoren • Seehafenverkehrswirtschaft • seehafenbezogene (oder hafenverbundene) Wirtschaft • hafen- und maritim orientierte Behörden und Institutionen Diese drei Sektoren wurden unter Berücksichtigung der niedersächsischen maritimen Besonderheiten in insgesamt 26 Teilbranchen ausdifferenziert. Unternehmen, die einer dieser Teilbranchen zuzuordnen sind, wurden dann ex ante als hafenabhängig eingestuft. Der Untersuchungsraum wurde gemeindescharf in neun Hafenregionen um die größeren niedersächsischen Seehäfen abgegrenzt. Auf Basis dieser regionalen und branchenspezifischen Abgrenzung wurden 953 in der Untersuchungsregion ansässige, hafenabhängige Unternehmen, Institutionen und Behörden identifiziert und befragt, ob sie bzw. ihre Mitarbeiter sich tatsächlich als hafenabhängig einschätzten. Die Befragungsaktion erzielte mit 71,7 % eine außerordentlich hohe Rücklaufquote, so dass nur Ergebnisse für die fehlenden 28,3 % geschätzt werden mussten. Insgesamt wurden so für Ende 2009 41 076 direkt hafenabhängig Beschäftigte in Niedersachsen ermittelt. Dies entsprach knapp 7 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Untersuchungsraum. Fortschreibung der Beschäftigtenzahlen für das Jahr 2012 Befragungen sind sehr zeit- und personalaufwändig, zudem lässt die Antwortbereitschaft bei häufigen Wiederholungen signifikant nach. Eine Alternative ist die Fortschreibung der Befragungsergebnisse auf die folgenden Jahre. So hatte Planco Consulting für das Jahr 2001 eine Erhebung über die Hafenabhängigkeit in Hamburg durchgeführt. Die Ergebnisse wurden jährlich auf Basis von Bundes- und Landesstatistiken fortgeschrieben, bis nach 10 Jahren eine erneute Befragung für das Jahr 2011 durchgeführt wurde. 2 Um die Ergebnisse der niedersächsischen Studie von 2009 fortschreiben zu können, mussten die damals erfassten Teilbereiche der maritimen Branche auf die Klassifizierung der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (WZ 2008) umgeschlüsselt werden. Dem Verfahren zur Fortschreibung auf das Jahr 2012 liegen die Daten der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit zugrunde, die ausreichend regional und branchenmäßig detailliert sind. Die Bundesagentur weist die Wachstumsrate der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten differenziert nach den örtlichen Arbeitsagenturen des Untersuchungsraumes nach und Wirtschaftszweigen quartalsmäßig aus. 3 Diese detaillierten Wachstumsraten können als brauchbare Näherungswerte herangezogen werden, um die absoluten Beschäftigtenzahlen der maritimen Teilbranchen in den neun Hafenregionen entsprechend fortzuschreiben. Für die in der Tabelle dargestellten Ergebnisse wurden zunächst die Daten der neun Hafenregionen einzeln ermittelt und dann kumuliert nach Teilbranchen abgebildet. Dieses aufwendige und differenzierte Verfahren ergab zum Jahresende 2012 einen Stand von 43.212 hafenabhängig Beschäftigten in Niedersachsen (Tabelle 1). POLITIK Beschäftigung Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 16 Analyse der Ergebnisse Die Anzahl der hafenabhängig in Niedersachsen Beschäftigten ist von 2009 auf 2012 ( jeweils Jahresende) von 41 076 um 5,2 % auf 43 212 angestiegen. Dieser Beschäftigungsanstieg überrascht auf den ersten Blick, da im selben Zeitraum der Hafenumschlag in den niedersächsischen Seehäfen um 6,2 % gesunken ist. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich die Struktur der in den niedersächsischen Häfen umgeschlagenen Güter gewandelt hat. Der Anteil des Stückgutumschlages ist von 10 % auf 14 % angewachsen, während der Massengutumschlag anteilsmäßig gesunken ist. Der Umschlag von Stückgut ist wesentlich beschäftigungsintensiver: In der Seehafenwirtschaft im engeren Sinne in Bremen und Hamburg finden sich pro 1 Mio. t umgeschlagener Massengüter 144 Beschäftigte, während der Umschlag konventioneller Güter (ohne Container) mit 1606 mehr als 11-mal so viele Beschäftigte generiert. 5 Aus Beschäftigungssicht wird daher in Niedersachsen der Rückgang des Massengutumschlages durch den signifikanten Anstieg des Stückgutumschlages überkompensiert. Beispielsweise stieg der Neufahrzeugumschlag während des Betrachtungszeitraums um 60 % an. Ausgehend von einer geringen Basis ist der sehr arbeitsintensive Umschlag von Windenergieanlagen noch deutlich stärker angestiegen. Entsprechende Investitionen in die Hafeninfra- und -suprastruktur haben diesen Güterstrukturwandel ermöglicht bzw. begünstigt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Funktionen der Häfen über den reinen Güter- und Personenumschlag hinausgehen. Beispielsweise benötigt die Marine Häfen, entsprechend sind in Wilhelmshaven ca. 9000 Bundeswehrangehörige als hafenabhängig erfasst worden. Viele hafenabhängig Beschäftigte sind bei Werften tätig oder verarbeiten in Hafennähe die dort umgeschlagenen Güter. Abschätzung der Beschäftigtenzahlen zum Jahresende 2013 Im Verlauf des Jahres 2013 ist der Umschlag der niedersächsischen Seehäfen um knapp 7 % gesunken. Was bedeutet dies für die hafenabhängige Beschäftigung? Bei differenzierter Betrachtung fällt auf, dass der Umschlag von flüssigem Massengut deutlich und der von festem Massengut leicht abgenommen haben, während der Umschlag von Stückgut seinen Anteil erhöhen und auch absolut um ca. 0,7 Mio. t steigen konnte. Umschlagzuwächse beispielsweise bei Komponenten von Windenergieanlagen, Containern und anderen arbeitsintensiven Gütern lassen einen Beschäftigungszuwachs erwarten. Für das Jahr 2013 liegen noch keine differenzierten Beschäftigtenstatistiken vor. Lediglich eine Hochrechnung durch die Bundesagentur für Arbeit lässt eine vorsichtige Fortschreibung der Zahlen aus 2012 zu. Auf dieser Basis kann ein Anstieg der direkt hafenabhängig Beschäftigten in Niedersachsen zum Jahresende 2013 auf fast 44 000 erwartet werden (Bild 1). Die hohe Bedeutung der niedersächsischen Seehäfen für die regionale Wirtschaft zeigt sich im Beschäftigungsanteil (42 %) der hafennahen Industrie (seehafenbezogene Wirtschaft). Fazit Länder und Kommunen investieren erhebliche Beträge in die hafennahe Infrastruktur, um damit die regionale Wirtschaft und Beschäftigung zu fördern. Zur Begründung dieser Investitionen werden Analysen der hafenabhängigen Beschäftigung durchgeführt. Auf Basis wirtschafts- und kreislauftheoretischer Überlegungen werden hafenabhängige Teilbranchen abgegrenzt und durch Befragungen und Hochrechnungen die hafenabhängig Beschäftigten ermittelt. Die Ergebnisse können auf Grundlage von Bild 1: Branchenverteilung der 44 000 hafenabhängig Beschäftigten in Niedersachsen Ende 2013 Maritime Teilbranchen Beschäftigte Wachstum Anteil Teilbranche Jahr 2009 Jahr 2012 Seehafenverkehrswirtschaft Reedereien 3279 3348 2,1 % 7,7 % Offshore Windenergie 2090 3072 47,0 % 7,1 % Hafenunternehmen im engeren Sinne 2483 2841 14,4 % 6,6 % Instandsetzung von Hafenanlagen, Reparatur von Schiffen 576 620 7,6 % 1,4 % Schiffsausrüster und Schiffsversorger 420 506 20,5 % 1,2 % sonstige Unternehmen der Seehafenverkehrswirtschaft 1448 1484 2,5 % 3,4 % Seehafenbezogene Wirtschaft Schiff- und Bootsbauunternehmen 5142 5262 2,3 % 12,2 % Import und Export von Rohstoffen und deren Verarbeitung 4430 4767 7,6 % 11,0 % Logistikunternehmen 4111 4063 -1,2 % 9,4 % Automobilhersteller, -exporteure 1588 1550 -2,4 % 3,6 % sonstige seehafenbezogene Wirtschaft 1825 2130 16,7 % 4,9 % Behörden, Institutionen Behörde/ Verwaltung/ Verband 13 683 13 569 -0,8 % 31,4 % Hafenabhängig Beschäftigte gesamt 41 076 43 212 5,2 % 100,0 % Tabelle 1: Hafenabhängig Beschäftigte in Niedersachsen - Fortschreibung für das Jahr 2012 4 Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 17 Beschäftigung POLITIK statistischen Daten über die Beschäftigungs- und Umschlagentwicklung für einige Jahre fortgeschrieben werden. In den letzten Jahren wurden erhebliche Mittel in die Infra- und Suprastruktur der niedersächsischen Häfen investiert. Öffentliche Gelder flossen vor allem in Anlagen für den Umschlag von arbeitsintensiven Stückgütern wie Neufahrzeugen, Containern und Windenergieanlagen. Hierdurch wurde ein Güterstrukturwandel bewirkt: Während der Umschlag von flüssigem Massengut einbrach, konnte der Umschlag hochwertiger Stückgüter kräftig gesteigert werden. Dies führte zu einem Anstieg der hafenabhängig Beschäftigten. Für das Jahr 2009 wurden in einer umfangreichen Befragungsaktion 41 076 Beschäftigte als abhängig erfasst. Dieser Wert konnte auf 43 212 Beschäftigte im Jahr 2012 fortgeschrieben werden. Beruhend auf einer ersten Abschätzung kann ein weiterer Anstieg auf knapp 44 000 von den niedersächsischen Häfen abhängige Beschäftigte zum Jahresende 2013 erwartet werden. ■ 1 Breitzmann, K.-H. et al: Wirtschaftliche Effekte der Rostocker Seehäfen, Rostock 1996. 2 PLANCO Consulting GmbH: Untersuchung von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung sowie Einkommens- und Steuereffekten durch den Hamburger Hafen für das Jahr 2011, Essen 02. September 2013 3 Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt in Zahlen, Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Wirtschaftszweigen (WZ 2008), Hannover, verschiedene Ausgaben. Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt in Zahlen - Beschäftigungsstatistik, Beschäftigung am Arbeitsort, Nürnberg, verschiedene Ausgaben. Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigungsstatistik, Länderreport - Niedersachsen, Berlin, verschiedene Ausgaben. 4 Holocher, K.H./ Wengelowski, P.: Gutachten über die Beschäftigungswirkungen der niedersächsischen Seehäfen, im Auftrag der Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG, Bremen, Dezember 2013 5 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik: Beschäftigungseffekte der bremischen Häfen: Kurzfassung, Bremen 2011. Klaus Harald Holocher, Prof. Dr. Professor für Europäische Verkehrswirtschaft und Hafenmanagement an der Jade Hochschule, Elsfleth holocher@jade-hs.de Peter Wengelowski, Prof. Dr. habil. Professor für Unternehmensführung maritimer Organisationen und Rechnungswesen an der Jade Hochschule, Elsfleth peter.wengelowski@jade-hs.de InnoTrans 2014 23. - 26. SEPTEMBER · BERLIN Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Innovative Komponenten · Fahrzeuge · Systeme innotrans.de THE FUTURE OF MOBILITY Intern.Verkehrswesen_InnoTrans2014_99x297_de_QR.indd 1 27.02.2014 09: 23: 25
