eJournals Internationales Verkehrswesen 66/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0037
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2014
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Klimapolitik zum kleinen Preis?

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2014
Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 21 K affee hilft dem Korrespondenten über den Tag: am Morgen, um die Telefonkonferenz mit der Redaktion in Hamburg durchzustehen, und am Nachmittag, um schwierige Aufgaben zu meistern - etwa das Schreiben dieser Kolumne. Zwischen 2,20 EUR und 3,50 EUR kosten Espresso oder Cappuccino im teuren Brüsseler Europaviertel. Das ist nicht wenig, aber es ist nicht bekannt, dass es dagegen jemals Proteste gegeben hätte. Niedriger als der Preis für eine Tasse Kaffee in den Bistros rund um den Rond Point Schuman wäre der Aufschlag auf das Ticket für einen Flug von Brüssel nach Schanghai, wenn Fluggesellschaften am Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) teilnähmen. Eine Kleinigkeit also. Dennoch tobt um die Einbeziehung der Luftfahrt in das ETS seit Jahren ein erbitterter Kampf. Er wurde gerade erst durch eine Entscheidung des Europäischen Parlaments (EP) zunächst beigelegt. Spätestens 2016 wird er wieder aufflammen. Der jüngste Bericht des Weltklimarates macht klar, dass mehr gegen den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen klimaschädlichen Gasen getan werden muss. Die Luftfahrt ist der Verkehrssektor, den das bislang am wenigsten kümmert, und der ganz ungezwungen für stetig steigende Treibhausgasemissionen sorgt. Das ist umweltpolitisch verheerend und wettbewerbspolitisch bedenklich. Denn andere Verkehrsträger sind in der einen oder anderen Weise längst in den Klimaschutz eingebunden und zahlen dafür. Auch deshalb beschloss die EU bereits 2008 mit den Stimmen aller Umweltminister und mit 90-prozentiger Akzeptanz im Europaparlament (EP), dass alle Flüge mit Start- oder Zielort in der Union in das ETS einbezogen werden müssen. Sollte eine Luftfahrtgesellschaft das Gesetz nicht befolgen, verlöre sie die Erlaubnis, in der EU zu operieren. Klagen aus Nicht-EU-Staaten schmetterte der Europäische Gerichtshof ab: Das beschlossene Gesetz steht in Einklang mit internationalem Recht. Dennoch werden bis 2016 nur innereuropäische Flüge - Start und Landung auf dem Gebiet der Union - in das ETS einbezogen. Damit gibt die EU dem internationalen Druck nach. Das Kalkül hinter dem gerade erst zum wiederholten Male verschobenen Vollzug des Gesetzes von 2008: Günstiger als eine allein von der EU beschlossene Klima-Abgabe für die Luftfahrt wäre eine mit der internationalen Luftfahrtorganisation Icao abgestimmte Belastung. Icao hat zwar seit 1997 nichts Substanzielles zu dem Thema zustande gebracht. Dennoch hoffen einige in Brüssel, dass sich das bis zur nächsten Generalversammlung 2016 ändern könnte. Und wenn nicht, dann tritt der in letzter Minute zustande gekommenen EU-Regelung zufolge von 2017 an das Gesetz von 2008 in Kraft - mit neunjähriger Verspätung. In der Europäischen Hauptstadt setzt man überdies auf die Klimakonferenz im nächsten Jahr in Paris. Deren Beschlüsse würden Druck auf Icao ausüben. Wenn Icao die Konferenz-Debatten ignorierte, hätte andererseits die EU jede Legitimation, einseitig ihre ETS-Bestimmungen in Kraft zu setzen. Diesem Kalkül von EU-Kommission und den Umweltministern der Unionsstaaten folgte zuletzt die Mehrheit im EP. Es setzte sich über eine Empfehlung seines federführenden Umweltausschusses hinweg, der für eine härtere Gangart der internationalen Luftfahrt gegenüber eingetreten war. In der Tat spricht einiges für den jetzt gültigen Weg. Den jetzt noch einmal beschlossenen Aufschub des ETS für internationale Flüge wird den Skeptikern versüßt mit der Verpflichtung der EU-Staaten, die Fluggesellschaften aus Nicht-EU-Staaten auch für ihre innereuropäischen Flüge zur Kasse zu bitten. Bisher geschah das nur zögernd, in Frankreich sogar gar nicht. Hinzu kommt eine größere Transparenz bei der Verwendung der Mittel, die der Handel mit Emissionsrechten in ihre Kassen spült. Die Mitgliedstaaten sind nun gezwungen, der EU-Kommission darüber Bericht zu erstatten, wofür sie diese Einnahmen ausgeben. Die wird dem EU-Parlament und den anderen EU-Staaten darüber Auskunft geben. Das ist stärker als die bislang bestehende - und von den Finanzministern munter ignorierte - unverbindliche Empfehlung, die erzielten Mittel für Forschung und internationale Klimapolitik auszugeben. Die Luftfahrt darf nun zwei weitere Jahre interkontinental ohne die von ihr beklagten ETS-Belastungen fliegen. An andere nationale Auflagen - von der Luftverkehrssteuer in Deutschland über die Air Passenger Duty in Großbritannien, dubiose Gebühren in Indien und die Flugabgaben in Österreich - hat sie sich lange gewöhnt, auch wenn die Kosten dafür das Zehn-, ja sogar das Zwanzigfache des ETS-Aufwands ausmachen. Wie gesagt: Der Kaffee soeben im Europaviertel war teurer als der ETS-Aufschlag für einen Flug von Brüssel nach Schanghai. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Klimapolitik zum kleinen Preis?