Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0039
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2014
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Ersatzneubaubedarf bei kommunalen Straßenbrücken
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2014
Wulf-Holger Arndt
Die Unterfinanzierung der Kommunen beim Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur ist evident und betrifft vor allem komplexe und teure Ingenieurbauwerke wie Straßenbrücken. Eine aktuelle Untersuchung belegt, wie dramatisch die Situation tatsächlich ist.
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 25 Kommunen INFRASTRUKTUR Ersatzneubaubedarf bei kommunalen Straßenbrücken Erfassungsmethode und Ergebnisse Die Unterfinanzierung der Kommunen beim Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur ist evident und-betrifft vor allem komplexe und teure Ingenieurbauwerke wie Straßenbrücken. Eine aktuelle Untersuchung belegt, wie dramatisch die Situation tatsächlich ist. Der Autor: Wulf-Holger Arndt S traßeninfrastruktur dient der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Sie ist eine zentrale Voraussetzung zur Sicherung der Erreichbarkeit von Orten. Wichtiger Bestandteil sind Straßenbrücken und andere Ingenieurbauwerke, die zur Bewältigung der Topografie, für Querungen von Wasserläufen oder auch von anderen Verkehrsinfrastrukturen unerlässlich sind. Ausgangslage und Vorgehen Große bauliche Probleme bestehen bei Straßenbrücken. Diese werden u. a. verursacht durch: • Erhebliche Zunahme des Schwerlastverkehrs • Geschwindigkeitssteigerungen • Früheren massiven Streusalzeinsatz • Sauren Regen • Brücken erreichen teilweise „kritisches Alter“ - vor allem Brücken aus den 60er bis 80er Jahren, in denen die Infrastruktur vor allem in Westdeutschland stark ausgebaut wurde • Ein Teil der Spannbetonbrücken der 60er/ 70er Jahre zeigt vorzeitige Alterungserscheinungen aufgrund unzureichender Baukonstruktionen • Nicht ausreichende Brückenunterhaltung über viele Jahre Straßenbrücken sind in unterschiedlicher Baulastträgerschaft. Die Kenntnisse über den Erhaltungszustand der Straßenbrücken in der Baulast des Bundes sind vergleichsweise gut. Zu kommunalen Straßenbrücken liegen keine deutschlandweiten Daten vor. Selbst die Brückenzahl kann bisher nur geschätzt werden. Es konnte vermutet werden, dass der Zustand der kommunalen Straßenbrücken im Vergleich zu den Brücken in der Baulast von Bund und Ländern noch schlechter ist, unter anderem durch die chronischen Haushaltsdefizite in vielen Gemeinden und Kreisen verursacht 1 . Aus diesem Grund waren Straßenbrücken in kommunaler Baulast, speziell deren Ersatzneubaubedarf, der Untersuchungsgegenstand in dieser Studie. Durch qualitative Recherchen, Expertengespräche, eine Kommunalumfrage und Analysen bisher unerschlossener Datenquellen wurden belastbare Hochrechnungen des Ersatzneubaubedarfs kommunaler Straßenbrücken vorgenommen. Dabei wurden nur für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr zugelassene Brücken einbezogen, keine reinen Fußgänger- oder Radfahrerbrücken, Brücken an Wirtschaftswegen, Durchlässe und ähnliches. Zahl kommunaler Straßenbrücken Um die Zahl der kommunalen Straßenbrücken belastbar zu ermitteln, wurden erstmalig und in einem neuartigen Verfahren Daten aus geografischen Informationssystemen (GIS-Daten - OpenStreetMap) ausgewertet. Insgesamt gibt es ca. 67 000 Straßenbrücken in kommunaler Baulast, mit einer Fläche von 2755 ha (das entspricht einer Größe von ungefähr 4000 Fußballfeldern). Im Durchschnitt kommt auf 1200 Einwohner eine kommunale Straßenbrücke bzw. eine Brücke je 5,4 km 2 Gemeindefläche. Die ent- Foto: Karl-Heinz Liebisch/ pixelio.de Kommunen INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 26 INFRASTRUKTUR Kommunen sprechenden Zahlen variieren jedoch stark zwischen den Regionen 2 : Region Nordost (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) mit geringer Brückendichte aufgrund der geringen Bevölkerungszahl und ihren spezifischen topografischen Gegebenheiten (meist flaches Land); Regionen mit hoher Brückendichte wie in der Region „Südmitte“ (Hessen, Bayern). Fast 70 % der Brücken befinden sich in kleineren Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern. Selbst wenn in Betracht gezogen wird, dass sich größere Brücken eher in großen Städten befinden, zeigt Bild 1, dass sich über 50 % der Brückenflächen in kleineren Kommunen befinden. Die Brückenzahl und die Brückenfläche pro Einwohner sind bei kleineren Gemeinden am höchsten (Bild 3). Damit haben kleine Gemeinden relativ auch den größten Bedarf an Brückeninvestitionen (und auch an Unterhaltungsmaßnahmen). Kommunale Straßenbrücken nach Struktur und Ersatzneubaubedarfen In der Studie wurde eine umfangreiche Kommunalbefragung bei etwa 2000 Städten, Kreisen und Gemeinden durchgeführt, um Einschätzungen der kommunalen Brückenexperten zum Ersatzneubaubedarf und zur Struktur der kommunalen Straßenbrücken zu erhalten. Mit Antworten aus 500 Kommunen zur Situation der Straßenbrücken insgesamt (die etwa 14 000 Straßenbrücken repräsentieren) und ebenfalls vertiefende Angaben zu knapp 500 einzelnen Brücken sind die Ergebnisse repräsentativ für die kommunalen Straßenbrücken in Deutschland. Brücken insgesamt: Material und Baujahr Rund 70 % der kommunalen Brücken bestehen aus Beton (vor allem Nicht-Spannbeton, d. h. Stahlbeton, mit 54 %). Zum Vergleich: Bei Bundesbrücken liegt der Anteil bei knapp 90 %. Die „Bundesbrücken“ sind im Schnitt wesentlich größer als kommunale Brücken. Knapp 16 % der kommunalen Straßenbrücken sind jeweils aus Spannbeton bzw. Stahl und Verbundbau errichtet (Bild 2). Im Osten Deutschlands gibt es überproportional viel alte (vor 1945 gebaute) und junge Brücken (Bauten nach dem Beitritt der DDR). Im Westen sind viele Brücken im „kritischen Alter“, müssen also bald erneuert werden. Brücken insgesamt: Bauliche Zustände Knapp die Hälfte der kommunalen Brücken weisen schlechte Zustände auf (Noten ab 2,5 und höher 3 ). Schlechte Zustandsnoten der kommunalen Straßenbrücken sind überproportional häufig in den neuen Bundesländern und in kleinen Gemeinden zu finden. Bei den Bundesbrücken ist dies ähnlich: Die schlechtesten Zustandsnoten sind bei den kommunalen Brücken mit 7 % weit häufiger vertreten als bei den Brücken in Baulast des Bundes mit 1,7 %. Brücken mit Ersatzneubaubedarf: Zahl-und-Flächen Insgesamt gibt es in der Stichprobe 2079 Brücken mit Ersatzneubaubedarf; das sind rund 15 % aller Brücken aus der Stichprobe. Bei Straßenbrücken ist - bezogen auf die Brückenzahl - eine deutlich überproportio- Bild 1: Summarische Fläche der Straßenbrücken pro Gemeindegrößenklasse Bild 2: Materialarten kommunaler Straßenbrücken Bild 3: Anzahl Straßenbrücken mit Ersatzneubaubedarf je 10 000 Einwohner nach Gemeindegröße. Quelle: Difu-Studie „Ersatzneubau Kommunaler Straßenbrücken“ 2013; n=314 Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 27 Kommunen INFRASTRUKTUR nale Belastung kleiner Gemeinden durch Ersatzneubaubedarf zu verzeichnen (Bild 3). Die durchschnittliche Brückengröße nimmt mit der Ortsgröße allerdings zu, d. h. je größer eine Stadt oder Gemeinde ist, umso öfter hat sie vergleichsweise große Straßenbrücken. Ebenfalls ist der Anteil von Straßenbrücken mit Ersatzneubaubedarf in den neuen Bundesländern überdurchschnittlich hoch. Nach Aussagen der Befragten werden nur etwas mehr als die Hälfte der ersatzneubaubedürftigen Brücken bis 2030 tatsächlich abgerissen und neu gebaut. Die Fläche der Brücken mit Ersatzneubaubedarf macht in der Stichprobe insgesamt 301 296 m 2 aus, knapp 10 % der Brücken-Gesamtfläche der Stichprobe. Je kleiner die Kommunen sind, desto größer ist der Pro-Kopf-Flächenanteil der Brücken mit Ersatzneubaubedarf. Auch hier ist ein überdurchschnittlich hoher Anteil von kommunalen Straßenbrücken mit Ersatzneubaubedarf in den neuen Bundesländern zu konstatieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Ostdeutschland in den vergangenen zwanzig Jahren überwiegend im Bundes- oder Landesstraßennetz investiert wurde. Im umfangreichen Gemeindestraßennetz, gerade abseits der Hauptverkehrswege, konnte der große Investitionsrückstand nicht im gleichen Umfang reduziert werden. Brücken mit Ersatzneubaubedarf: Baujahr, Zustandsnoten und Investitionskosten Ersatzneubaubrücken sind eher ältere Brücken, kleinere und/ oder weniger tragfähige Brücken. 60 % der Brücken mit Ersatzneubaubedarf weisen eine Zustandsnote schlechter als 3,0 auf. Etwa zwei Drittel der Ersatzneubau-Brücken bestehen aus Stahlbeton oder Spannbeton. Verbund- und Steinbrücken müssen überdurchschnittlich oft ersetzt werden, teilweise altersbedingt. Die durchschnittlichen Investitionskosten für den Ersatzneubau von Straßenbrücken werden von den Befragten auf 4184- EUR/ m 2 geschätzt. In den nächsten fünf Jahren sind über alle Kommunen hinweg pro Kopf durchschnittlich 40 EUR für den Ersatzneubau kommunaler Straßenbrücken geplant. Selbstverständlich steigen die Kosten mit zunehmender Gemeindegröße. Die höhere Pro-Kopf-Investitionsbelastung für Ersatzneubau von kommunalen Straßenrücken weisen jedoch kleinere Gemeinden auf. Der Nachholbedarf und damit auch die notwendigen Investitionen bei Straßen- und Straßenbrücken-Investitionen ist in den ostdeutschen Bundesländern (NBL) immer noch am höchsten, was auch durch Ergebnisse einer früheren Difu-Studie 4 unterstrichen wird, da, wie oben schon erwähnt, offenbar in Ostdeutschland in den vergangenen 20 Jahren überwiegend im Bundes- oder Landesstraßennetz investiert wurde. Vergleicht man die notwendigen Investitionen in Ersatzneubau kommunaler Straßenbrücken mit den geplanten Ausgaben, ergibt sich eine deutliche Lücke von ca. 50 %. Offenbar reichen die geplanten Investitionsmittel nicht zur vollständigen Befriedigung des Ersatzneubaubedarfes aus. Schätzung des Investitionsbedarfs für den Ersatzneubau kommunaler Straßenbrücken Nach einer Methodenanalyse wurde ein flächenbezogener Ansatz zur Hochrechnung gewählt. Die hier vorgenommene Hochrechnung geht insofern weiter als bisherige Studien, da sie auf den beschriebenen neu erschlossenen Datenquellen zu kommunalen Straßenbrücken fußt. Grundlage der Hochrechnung sind außerdem die Kenntnisse von Fachleuten in den befragten Kommunen über den Umfang des notwendigen Ersatzneubaubedarfs bis zum Jahr 2030. Die Hochrechnung über die Brückenflächen führt zu einem jährlichen Investitionsbedarf für den Ersatzneubau von kommunalen Straßenbrücken in Höhe von geschätzten 630 Mio. EUR. Für den Betrachtungszeitraum bis 2030 ergibt sich somit ein Gesamtbedarf von 10,7 Mrd. EUR. Zum hier ermittelten Investitionsbedarf für den vollständigen Ersatzneubau von kommunalen Straßenbrücken muss im Prinzip auch noch der Bedarf für den Teil- Ersatzneubau (z. B. nur der Fahrbahnen) hinzugerechnet werden. Dieser kann allerdings auf Grundlage der Erhebungen nur sehr grob abgeschätzt werden. Danach sind für den Teil-Ersatzneubau kommunaler Straßenbrücken zusätzlich rund 300 Mio. EUR jährlich erforderlich. Insgesamt ergeben sich so knapp 1 Mrd. EUR pro Jahr für den Ersatzneubaubedarf bei kommunalen Straßenbrücken. Ebenfalls unberücksichtigt geblieben sind die Kosten für den Ersatzneubau von Brücken außerhalb der Straßenbrücken (z. B. Brücken auf Fußwegen, Radwegen, Wirtschaftswege oder Durchlässe). Insgesamt sind hiervon noch einmal knapp 90 000 Bauwerke betroffen, wobei Aussagen über den Ersatzneubaubedarf jener Brücken nicht getroffen werden können. Fazit Insgesamt ist ein erhebliches Defizit bei der Finanzierung des Ersatzneubaus kommunaler Straßenbrücken festzustellen. Nur etwas mehr als die Hälfte der Brücken mit Ersatzneubaubedarf wird bis zum Jahr 2030 auch wirklich ersetzt, was grob geschätzt ein jährliches Investitionsdefizit von 500- Mio. EUR im Ersatzneubau bedeutet. Offenbar reichen die geplanten Investitionsmittel nicht zur vollständigen Deckung des Ersatzneubaubedarfes aus. Dringende Investitionen werden weiter aufgeschoben. Unterlassener Ersatzneubau führt kurzfristig zu erhöhten Instandsetzungsausgaben, aber mittelfristig zu Verkehrseinschränkungen. Die Ausweichverkehre, die durch dann notwendige Brückensperrungen entstehen, haben teilweise erheblich negative Folgen auf andere kommunale Straßenbrücken - so verursacht die Sperrung der Leverkusener Autobahnbrücke die dreifache Verkehrsbelastung der Mühlheimer Brücke in Köln. Die Unterfinanzierung der Kommunen beim Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur ist evident. Straßenbrücken sind dabei komplexe und sehr teure Ingenieurbauwerke im Straßennetz. Der jetzige Investitionsstau stellt eine zunehmende Gefahr für die Leistungsfähigkeit des Straßensystems in Deutschland dar. Hier entsteht dringender Handlungsbedarf. Ein mehrjähriges Brückenerneuerungsprogramm könnte den Investitionsstau auflösen, der insbesondere durch eine Häufung des vorzeitigen Ablaufs der Lebensdauer von Brücken aus den 50er bis 70er Jahren entsteht. Mittel- und langfristig müssen aber entweder andere Finanzierungsmodelle entwickelt werden oder in einem Umbauprogramm des Verkehrssystems der Ausbaugrad der Straßeninfrastruktur angepasst werden. ■ 1 S. z.B. KfW (Hrsg.) 2013: KfW-Kommunalpanel 2012, Frankfurt 2013 2 Für die Auswertung der Daten der Kommunalbefragung wurden sechs Regionen gebildet: Nord (Schleswig-Holstein, Niedersachsen), NRW (Nordrhein-Westfalen), Südwest (Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg), Südmitte (Hessen, Bayern), Nordost (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) und Mitte (Sachsen, Sachsen- Anhalt, Thüringen) 3 Die Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten nach der DIN 1076 (BMVBS 2007) definieren die bei der Brückenprü-fung zu vergebenden Zustandsnoten (1 „sehr guter Zustand“ bis 4,0 „ungenügender Zustand, Nutzungseinschränkung oder Sperrung“). 4 Reidenbach, M., u.a.: Investitionsrückstand und Investitionsbedarf der Kommunen. Ausmaß, Ursachen, Folgen und Strategien, Berlin 2008 (Edition Difu - Stadt Forschung Praxis, Bd. 4). Wulf-Holger Arndt, Dr.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Institut für Urbanistik - Bereich Mobilität und Infrastruktur, Berlin arndt@difu.de
