Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0043
51
2014
662
60 Jahre ISL
51
2014
Leif Peters
iv6620040
ISL EXTRA Jubiläum Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 40 60 Jahre ISL Sechs Jahrzehnte Forschung, Beratung und Wissenstransfer für maritime Märkte und Logistik Der Autor: Leif Peters D as heutige Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) wurde 1954 als Institut für Schiffahrtsforschung durch den Senat der Freien Hansestadt Bremen gegründet. Zweck der neuen Stiftung sollte es fortan sein, wissenschaftliche Schifffahrtsforschung zu betreiben und zu fördern. In diesem Jahr feiert das ISL nun sein 60-jähriges Bestehen. Schon früh hatte sich in den Nachkriegsjahren in Bremen der Gedanke einer internationalen Universität etabliert. Daher wurde kurz vor der Währungsreform am 8. Juni 1948 durch den Bremer Senat die Stiftung zur Förderung der Errichtung einer Internationalen Universität in Bremen ins Leben gerufen. In der Gründungssatzung wurde der Zweck der neuen Stiftung mit „der Schaffung der ideellen und materiellen Voraussetzungen für die Gründung, Errichtung und Unterhaltung einer Universität in Bremen“ festgehalten. Allerdings musste im Zuge der Währungsreform von dem ursprünglichen Stiftungskapital ein Großteil aufgrund der Bestimmungen der Militärregierung gestrichen werden. Mit den nach der Währungsumstellung verbliebenen geringen Mitteln konnte die Universitätsgründung also zunächst nur in einem kleinen Teilbereich gefördert werden. So entschied man sich 1949 zunächst für den Aufbau einer Universitätsbibliothek. Unter den damals beschafften Büchern befanden sich viele, die sich dem Thema Schifffahrt, Schiffbau und Seehäfen widmeten. Aber schon bald herrschte Gewissheit, dass die Pläne zur Errichtung einer Universität in jener Zeit nicht mehr zu verwirklichen waren (die heutige Universität nahm ihren Studienbetrieb ja erst Anfang der 70er Jahre auf ). Vorstand und Beirat der Stiftung standen vor der Frage, welche Aufgabe der Stiftung nun zukam und was mit dem Restvermögen geschehen könnte. Bald bestand Einigkeit darüber, die Mittel auf die besonderen Aufgaben Bremens in der Bundesrepublik Deutschland zu konzentrieren. Artikel 38, Abs. 2 der bremischen Landesverfassung vom 21. Oktober 1947 besagte: „Die Wirtschaft der Freien Hansestadt Bremen ist ein Glied der einheitlichen deutschen Wirtschaft und hat in ihrem Rahmen die besondere Aufgabe, Seehandel, Seeschiffahrt und Seefischerei zu pflegen“. So lag der Gedanke nahe, die Verwendung der Restmittel aus dem ursprünglichen Stiftungsfonds in einer seeverkehrswirtschaftlichen Aufgabe zu fokussieren. Die Gründung des Instituts Der Einstieg gelang in den Jahren 1951 und 1952 über einen bereits seit dem Jahre 1947 bestehenden Ausschuss für Wirtschaftsforschung. Mit der Zuteilung von zweckgebundenen Forschungsmitteln an diesen Ausschuss wurde zunächst ein Knowhow entwickelt, das die spätere Gründung eines eigenständigen Instituts rechtfertigen sollte. Damaliger Leiter der Schifffahrtsabteilung dieses Ausschusses war Dr. Gustav-Adolf Theel (Bild 1), der bereits jahrzehntelange Erfahrung in der theoretischen und praktischen Schifffahrtsforschung besaß. Unter der Betreuung von Theel zeugte in der Folge eine ganze Reihe von Arbeiten von der erworbenen Sachkenntnis im Fachgebiet der Schifffahrtsforschung. Die wohl bekannteste Publikation war die erste Ausgabe des „Bremer Jahrbuchs der Weltschiffahrt“, die Ende 1953 in einer Auflage von 3000 Exemplaren erschien (Bild 2). Das positive Echo der Arbeiten und Publikationen zeigte, dass die Stiftung mit der Unterstützung einer Bremer Schifffahrtsforschung den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Am 30. März 1954 erklärte sich der Bremer Senat dann mit der Umbenennung der Stiftung zur Förderung der Errichtung einer Internationalen Universität in Bremen aus dem Jahr 1948 in Stiftung Institut für Schiffahrtsforschung einverstanden, nachdem der damalige Bürgermeister Dr. Theodor Spitta einen solchen Beschluss als eilig bezeichnete, da auch Hamburg an die Gründung einer Einrichtung für Schifffahrtsforschung denke. Dr. Hermann Apelt, zu dieser Zeit Senator für Häfen, Schifffahrt und Verkehr, ergänzte, dass sich die Aufgabe „der Schaffung der ideellen und materiellen Voraussetzungen für die Gründung, Errichtung und Unterhaltung einer Universität in Bremen“ der ursprünglichen Stiftung aus dem Jahr 1948 mit den zur Verfügung stehenden geringen Mitteln nicht bewältigen ließe. Man habe sich aber entschlossen, eines der Aufgabengebiete der Stiftung, an dem Bremen besonders interessiert sei, beizubehalten - nämlich die Schifffahrtsforschung - und alle übrigen Disziplinen fortfallen zu lassen. Der Zweck der neuen Stiftung sollte es also fortan sein, wissenschaftliche Schifffahrtsforschung in der Hansestadt zu betreiben und zu fördern. Vorstand und Beirat der Stiftung fassten am gleichen Tag die formell notwendigen Beschlüsse zur Umbenennung und Satzungsänderung, die unverzüglich vom Senator für Innere Verwaltung genehmigt wurden. Erster Direktor und Bild 1: Dr. Gustav-Adolf Theel war Mitbegründer des Instituts für Schiffahrtsforschung und erster Direktor 1954 bis 1971. Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 41 Jubiläum ISL EXTRA wissenschaftlicher Leiter des neuen Instituts wurde Theel, der das Institut bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1971 leitete. Die Aufgaben des Instituts nach seiner Gründung im Jahr 1954 lagen zunächst in der Erfassung und Veröffentlichung von statistischen Daten aus den maritimen Bereichen in schifffahrtswissenschaftlichen Werken sowie in der Sammlung, bibliographischen Ordnung und Auswertung von Material zu Schifffahrts-, Hafen- und Schiffbauangelegenheiten. In einem Rundschreiben vom April 1955 bezeichnete Theel das Institut als „eine Stätte der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Arbeit auf den Gebieten der Seeschiffahrt, des Seeschiffbaus, der Seehäfen und eng verwandter Themen“ und hob die breite Daten- und Materialbasis im Rahmen der von Beginn an etablierten Schifffahrtsbibliothek hervor (Bild 3). Noch heute ist das ISL Info- Center eine der führenden wissenschaftlichen Bibliotheken im Bereich der maritimen Wirtschaft und Logistik und verfügt über einen Gesamtbestand von rund 130 000 Bänden. Damals wie heute werden diese Informationen Interessenten zur Verfügung gestellt. Sie dienen ebenso den Forschungstätigkeiten des Instituts als Datenbasis. Die weitere Entwicklung Im Laufe des 60-jährigen Bestehens des Instituts haben sich viele Veränderungen in den Aufgabenbereichen ergeben. Schon bald nach der Gründung zeigte sich, dass weiterer Informationsbedarf bestand, insbesondere im Bereich von qualitativen Marktuntersuchungen, in der Erstellung von Analysen zur Entwicklung von Spezialmärkten wie z.B. Linien- und Containerschifffahrt, Fähr- und Kreuzfahrtschiffe und Häfen oder in der Konzeption von Strategien für die maritime Wirtschaft. Es wurden auch Betriebs-, Organisations-, Finanz- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für Häfen, Binnenverkehrsträger und Schifffahrtsunternehmen durchgeführt. Im Bereich der empirischen Seeverkehrsforschung wurden Methoden für die kurz- und langfristige Analyse und Prognose in den Bereichen Seeschifffahrt, Schiffbau, Häfen und Güterverkehr entwickelt. In verschiedenen Tätigkeitsbeschreibungen des Instituts aus den 70er Jahren blickt Dr. Hans Ludwig Beth, Nachfolger von Theel und zweiter Direktor von 1971 bis 1984, auf diese Entwicklung zurück und bemerkt, dass die satzungsgemäße Aufgabe der Stiftung, nämlich „wissenschaftliche Schiffahrtsforschung zu betreiben und zu fördern“, mittlerweile als „seeverkehrswirtschaftliche wissenschaftliche Forschung“ zu interpretieren sei. Als Aufgabenbereiche beziffert er Schifffahrt, Reedereien, Seehandel, Frachtenmärkte, Schiffbau und Werften sowie Häfen, Seekanäle und Hafenwirtschaft. Unter seeverkehrswirtschaftlicher wissenschaftlicher Forschung versteht Beth Analysen und Prognosen der aktuellen Marktlagen, die Weiterentwicklung der dafür notwendigen Instrumente und Methoden, die Schließung von Datenlücken sowie die aktive Vermittlung und Fachdiskussion der gewonnen Erkenntnisse. Dem entsprechend beschlossenen Vorstand und Beirat und darauf folgend der Bremer Senat im April 1967 die Umbenennung des Instituts für Schiffahrtsforschung in Institut für Seeverkehrswirtschaft. Im Hinblick auf die Erweiterung der allgemeinen Verkehre konnten die Aufgabenbereiche des Instituts zu Beginn der 80er Jahre nicht auf den Seeverkehr begrenzt bleiben. Vielmehr erforderte die Entwicklung der Wirtschaft die Einbeziehung der Hinterlandverkehre, also die Erfassung der gesamten Transportketten zwischen Produzent und Verbraucher. Dass derartige komplexe Aufgaben nicht ohne die Einbeziehung logistischer Systeme und informationslogistischer Ansätze gelöst werden können, ist aus damaliger wie heutiger Sicht verständlich. Das Institut wurde deshalb bereits 1984 um die Bereiche Logistik und Systemanalyse ergänzt. Diese Erweiterung spiegelte sich auch im Institutsnamen wider, der zunächst mit Institut für Seeverkehrswirtschaft und -logistik festgehalten wurde. 1988 erhielt das Institut dann seinen heutigen Namen: Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, kurz ISL (Bild 4). In diesem Jahr wurde die Stiftung auch erstmals in drei Abteilungen gegliedert, fortan wird jede Abteilung von einem Direktor geleitet, der gleichzeitig als Professor an der Universität Bremen oder an einer der Fachhochschulen Bremens tätig ist. Aus dem Kreis der Direktoren beruft das als neues Aufsichtsgremium gegründete Kuratorium, das damit den Vorstand der Stiftung ablöste, einen Direktor auf fünf Jahre zum Vorsitzenden des Direktoriums und Leiter des Instituts. Neben den neuen Organen Direktorium und Kuratorium wurde 1989 zuletzt noch der Wissenschaftliche Beirat neu definiert, da das neue Kuratorium viele der Aufgaben des alten seit der Gründung bestehenden Beirats übernommen hatte. Der Wissenschaftliche Beirat besteht nun aus Vertretern von Wissenschaft und Praxis und berät das Institut bei wissenschaftlichen Fragestellungen. Im Jahr 1994 wurden die drei Abteilungen bzw. Schwerpunkte im Zuge der stetigen Veränderungen und Entwicklungen auf den maritimen Märkten dann mit „Be- Bild 2: Das erste Bremer Jahrbuch der Weltschiffahrt von 1953/ 1954; es ist Vorgänger des bis heute publizierten ISL Shipping Statistics Yearbook. Bild 3: Die Bibliothek des ISL umfasst auch zahlreiche historische maritime Publikationen. Bild 4: Das erste Wappen des Instituts von-1954. Bild 5: In der Altbremer Villa in der Holler Allee hatte die Stiftung von 1960 bis 1978 ihren Sitz. ISL EXTRA Jubiläum Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 42 triebswirtschaft“, „Verkehr“ und „Telematik“ festgelegt. 1997 reagierte man nach mehreren Standortwechseln in Bremen - Schüsselkorb, Holler Allee (Bild 5), Werderstraße, Börsenhof/ Am Dom, Universitätsallee - auf die Anforderungen des Marktes mit der Gründung einer zweiten Geschäftsstelle in Bremerhaven, die bald zur vierten Abteilung des ISL wird (Bild 6). Im Jahr 2003 hießen die vier Abteilungen „Logistische Systeme“, „Maritime Wirtschaft und Verkehr“, „Informationslogistik“ und Planungs- und „Simulationssysteme“. Nach dem Umzug des Bremerhavener Büros in den t.i.m.e.Port II im Jahr 2006 wurden im Folgejahr die IT-bezogenen Aktivitäten an beiden Standorten in der erweiterten Abteilung Informationslogistik wieder gebündelt, womit die drei Abteilungen bis heute „Logistische Systeme“, „Maritime Wirtschaft und Verkehr“ und „Informationslogistik“ sind. Nach einem letzten Umzug des Bremer ISL im Jahr 2008 in neue Räumlichkeiten innerhalb der Universitätsallee (Bild 7) wurde zuletzt im Jahr 2010 die ISL Applications GmbH zur Unterstützung des Wissenstransfers zwischen Forschung und Praxis gegründet. ■ QUELLEN [1] Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Instituts hat der damalige Mitarbeiter Dr. Heinrich Maas die Gründungsgeschichte des Instituts aufgearbeitet und gemeinsam mit dem Direktor dieser Zeit, Dr.-Hans Ludwig Beth, im Jahr 1979 publiziert: [2] Maas, H.; Beth, H.L.: 25 Jahre Institut für Seeverkehrswirtschaft, ISL Lectures and Contributions, No. 23, Bremen, 1979 [3] Beth, H.L.: Das Institut für Seeverkehrswirtschaft. In: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen, Band XXVII, Bremen, 1983, S. 179-188 [4] Als weitere Quellen dienten interne Dokumente und Schriftstücke. Zuletzt haben viele Fundstücke aus dem Staatsarchiv Bremen, den institutseigenen Archiven sowie ISL InfoCenter/ Bibliothek zur Aufarbeitung der 60-jährigen Entwicklung beigetragen. Bild 6: Der Standort im Bremerhavener t.i.m.e.Port II Bild 7: Der aktuelle Sitz des Instituts in der Bremer Universitätsallee. Das ISL heute Mit der Verbindung von Tradition und moderner Wissenschaft ist das ISL heute eines der europaweit führenden Institute für angewandte Forschung, praxisorientierte Beratung und Knowhow-Transfer auf den-Gebieten Seeverkehrswirtschaft und Logistik. R und 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bearbeiten im Auftrag öffentlicher sowie privatwirtschaftlicher Partner an zwei Standorten in Bremen und Bremerhaven weltweit Projekte zu komplexen maritimen Transportketten und deren Teilbereichen unter Einbeziehung logistischer Systeme, informationslogistischer Ansätze und Methoden des Operations Research. Der Forschungsbereich „Logistische Systeme“ greift dabei Fragestellungen zur Zukunft der Logistik auf, beispielsweise zu intermodalen Verkehren entlang der Supply Chain und regionalen Netzwerken wie GVZ und Logistikzentren. Auch werden neue Ansätze wie Mesologistik, Supply Chain Controlling, Green Logistics, Coopetition oder Multiagentensysteme entwickelt und in die Anwendung übertragen. Der Schwerpunkt „Maritime Wirtschaft und Verkehr“ berät Politik, Wirtschaft und Verwaltung in den Bereichen Schifffahrt, Häfen und Hinterland sowie Schiffbau. Die Grundlage dafür bilden Analysen von Einflussfaktoren und Wirkungszusammenhängen sowie die Entwicklung von Prognosen für die Märkte der maritimen Wirtschaft. Zusätzlich werden Fragestellungen aus dem Bereich Umwelt und Seeverkehr betrachtet. Zuletzt arbeitet die Abteilung „Informationslogistik“ an Informations- und Simulationstechnologien für die Transportwirtschaft, beispielsweise zur Vernetzung von IT-Systemen entlang der Transportkette, zum Einsatz quantitativer Methoden zur Optimierung logistischer Prozesse oder zur Planung und Überwachung intermodaler Transportketten durch ein aktives Supply Chain Event Management. Im Rahmen der Projekte ist das ISL stets darauf bedacht, dass diese im Rahmen von Kooperationen mit Unternehmen der Logistikbranche bereits im Stadium der Grundlagenforschung und der Entwicklung ihren Weg zur Anwendung in der Wirtschaft finden - beispielsweise bei Innovationen im Bereich der Informationstechnologien, die oftmals ihren Ursprung in der Forschung und Wissenschaft haben. Ein weiterer wichtiger Faktor der anwendungsorientierten Forschung ist es, aktuelle Entwicklungen und Rahmenbedingungen in die tägliche Arbeit einfließen zu lassen - wie etwa den Bereich der Sicherheitsforschung, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das Projekt ECSIT Ein Beispiel für eine solche aktuelle Entwicklung ist die in dem Projekt ECSIT - Erhöhung der Containersicherheit durch berührungslose Inspektion im Hafenterminal fokussierte House Resolution No.1 des US-amerikanischen Kongresses, die allgemein als 100 %-Scanning-Gesetz bezeichnet wird. Dieses Gesetz der US-Behörden themati-
