Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0045
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»Ökonomisches und IT-technisches Knowhow kombinieren«
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Frank Arendt
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 43 Interview ISL EXTRA siert eine Röntgen- und Radioaktivitätsuntersuchung für alle Container, die in Richtung der USA exportiert werden sollen. Dieses zusätzliche Scanning im Abgangshafen bedeutet eine massive Aufstockung der bereits vorhandenen Kapazitäten zur Überprüfung der Seefracht. Mit Blick auf dieses Szenario wurde im Rahmen von ECSIT nun untersucht, wie neuartige Inspektionstechnologien zu einer Erhöhung der Sicherheit von Containern führen können und wie diese in ein übergreifendes Konzept unter Einbeziehung aller Beteiligter und Zuständigkeiten zu übertragen sind, ohne die Sicherheit und Performance des Hafenterminals zu beeinträchtigen. Parallel zu diesem Ansatz untersuchen andere Forschungsvorhaben alternative Ansätze, beispielsweise wie mit Hilfe von mehrstufigen Risikoanalysen für die gesamte Transportkette potenziell gefährliche Container auf Basis der verfügbaren und zwischen den Akteuren geteilten Daten identifiziert werden können. Das Projekt AMATRAK Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis stand auch im Vordergrund des Vorhabens AMATRAK - Künstliche Intelligenz zur Verkehrsreduzierung in Speditionen. Gemeinsam mit der STUTE Logistics (AG & Co.) KG als Praxispartner untersuchte das ISL in AMATRAK, wie mit Hilfe eines softwarebasierten, selbststeuernden Multiagentensystems die Kilometerleistungen einer Spedition verringert, die Auslastungen der LKW durch eine Versandbündelung erhöht und die Disponenten bei ihren Entscheidungen effektiv unterstützt werden können. Das IT-System ist in der Lage, die Routenplanung und Fahrzeugbelegung in Echtzeit dezentral zu planen und flexibel neue Vorschläge zu generieren. Dabei werden sich ändernde Kundenauftragsdaten und Fahrzeugzustände wie Staus oder Defekte dynamisch einbezogen. Kleine, lokale Störungen in der Planung führen nicht mehr unmittelbar zu globalen Störungen. Diese Flexibilität stellt die notwendige Voraussetzung für einen praktischen Einsatz in einer Spedition dar. Für die Spedition ergeben sich hieraus einerseits Kostenvorteile durch eine höhere Transporteffizienz, da die Kapazität des Fuhrparks sparsamer eingesetzt wird und die Disponenten bei der Tourenbildung zugunsten der Kundenbetreuung entlastet werden können. Andererseits werden aus gesellschaftlicher Sicht Fahrten durch Verringerung der Kilometerzahl und Konsolidierung von Teilladungen vermieden. Damit werden der Kraftstoffverbrauch, die Verkehrsbelastung sowie Emissionen (CO 2 , Lärm, Reifenabrieb) reduziert und es wird ein Beitrag zu einer nachhaltigeren, innovativen Logistik ermöglicht. Das Projekt PreparedNET Das Projekt PreparedNET - Agentenbasierter Schutz von sensiblen Logistikknoten hingegen entwickelte ein anderes ebenfalls auf der Multiagententechnologie basierendes IT- System für große Logistikknoten wie Güterverkehrszentren. Kern dieses Systems ist die Bereitstellung eines softwarebasierten Notfallkonzeptes zur Aufrechterhaltung der Warenflüsse nach unerwarteten Störungen innerhalb dieser logistischen Drehscheiben. Solche Störereignisse können beispielsweise Schäden an Gleisanlagen und Weichen, Ausfälle an KV-Anlagen oder Verkehrsunfälle auf wichtigen Zufahrtsstraßen sein. Mit Hilfe des neuen PreparedNET Management Portals sind Unternehmen hier nun in der Lage, die verbliebenen Transport-, Umschlags- und Handlingkapazitäten innerhalb der Logistikagglomeration dynamisch zu planen und zu steuern, um die Belieferung ihrer Kunden trotz Störung zu gewährleisten. An dem Projekt beteiligten sich viele Unternehmen wie die Emons Spedition GmbH, die ACOS Group oder die Heinrich Langhorst GmbH & Co. KG, als Anwendungsbeispiel diente unter anderem das Güterverkehrszentrum Bremen. ■ Leif Peters, Dipl.-Kfm. (FH) Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Koordinator Transfer und Kommunikation von Projektinhalten und -ergebnissen, Bremen peters@isl.org »Ökonomisches und IT-technisches Knowhow kombinieren« Ein Gespräch mit Prof. Dr. Frank Arendt Herr Prof. Arendt, wie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Marktbedingungen beim Seeverkehr verändert? Hierzu einige Schlagworte, die in letzter Zeit in aller Munde sind: Schifffahrtskrise, Megaschiffe, veränderte Hafenanlaufstrategien, Überkapazitäten und Verfall der Frachtraten sowie die Einführung von Sicherheitsregularien wie dem ISPS-Code. Eine der Kernkompetenzen des ISL ist es, diese Trends in den Schifffahrtsmärkten fortlaufend zu beobachten, und dies sowohl für die Nachfrageseite (Veränderungen in der Weltwirtschaft sowie deren Auswirkungen auf Güterströme) als auch für die Angebotsseite (Flottenstrukturen und Orderbücher). Auf dieser Basis werden im ISL sowohl Mittel- und Langfrist-Prognosen für die weitere Entwicklung der Schifffahrt für öffentliche und private Entscheidungsträger erstellt als auch die aktuelle Stimmungslage mit dem monatlich publizierten ISL/ RWI-Containerumschlag-Index erfasst. Für diesen Bereich entwickeln wir aktuell ein Güterverkehrsmodell, mit dem wir zukünftig verschiedenste makro- und mikrologistische Szenarien simulieren und Auswirkungen damit noch besser bewerten können. Der Schwerpunkt liegt hier also auf der Logistik-Optimierung? Neben den ökonomischen Aspekten bekommen auch die Umweltfragen zunehmende Bedeutung. Die von der IMO beschlossene Einführung von SECA-Gebieten (z. B. Ostsee), in denen nur noch Bunker mit 0,1 % Schwefelgehalt verbraucht werden darf, konterkariert die politische Strategie „from road to sea“, da hier aus Kostengründen eher eine Rückverlagerung auf die Straße erwartet wird. Wie bei allen Infrastrukturprojekten sind auch Hafenerweiterungen nur noch mit Lärm- und Umweltgutachten Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 44 ISL EXTRA Interview realisierbar. Häfen betrachten ihren „Carbon Footprint“ sowie die durch Schifffahrt und Hafenbetrieb verursachten Emissionen. Auf all diesen Gebieten sind wir tätig. Welchen Stellenwert kann oder wird Informationstechnologie künftig einnehmen, auch aus Perspektive der Sicherheitsforschung? In vielen Bereichen ist man schon sehr fortgeschritten. So ist z. B. die IT-Unterstützung beim Betrieb von Container-Terminals schon weit gediehen; jede Störung wie ein von den USA gefordertes 100 %-Scanning aller US-Exportcontainer bringt hier die bestehende Optimierung des komplexen Systems aus dem Gleichgewicht. Die Auswirkungen neuer Planungsstrategien können heutzutage nur noch sinnvoll mit Hilfe von Simulation und Emulation analysiert werden. Bei der Emulation werden echte Steuerbefehle des IT-Systems an virtuelle Geräte gesendet; diese wiederum melden sich mit denselben Statusmeldungen zurück wie ihre „echten“ Brüder. Also gefahrlose Tests ohne das Risiko möglicher negativer Auswirkungen auf den Echtbetrieb. An anderer Stelle ist noch großes Optimierungspotenzial zu sehen. Speziell bei komplexen Lieferketten und -netzwerken oder dem Betrieb von Logistikknoten mit vielen Beteiligten ist die Synchronisierung der Prozesse aller Beteiligten einschließlich der Kommunikation von Abweichungen vom Plan oft noch stark verbesserungsfähig. Wenn hier noch der Aspekt Sicherheit hinzukommt, erhöht sich die Komplexität entsprechend. Verschiedenste Beteiligte (wie Logistiker und Zoll) können von denselben Informationen profitieren - die Einen für die Optimierung ihrer Prozesse, die anderen zur Erfüllung ihrer Sicherheitsaufgaben. Dieser Ansatz wird im ISL seit vielen Jahren in europäischen Projekten erforscht. Auch im Bereich der Optimierung der Prozesse im komplexen Bereich Hafenbahn mit vielen Beteiligten sind wir derzeit aktiv. Das bedeutet: mehr IT, wachsende Sicherheitsrisiken … … natürlich muss in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der IT-Sicherheit hervorgehoben werden. Gerade auf Grund der Ereignisse in jüngster Zeit sind Spionage und Sabotage durch IT-Angriffe in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dieses Thema wollen wir am ISL in neuen Projekten z.B. zur IT- Sicherheit der Hafentelematik sowie Sicherheit von Offshore-Windparks erforschen. Auch für Umweltbetrachtungen spielen IT-Systeme eine Rolle. Die Simulation von Schiffsverkehren auf Flüssen erlaubt einerseits Prognosen unter Berücksichtigung der Schiffsgrößenentwicklung und Restriktionen bei der Erreichbarkeit bestimmter Hafenbereiche, andererseits auch die Berechnung der schiffs- und hafenbezogenen Emissionen unter Berücksichtigung neuer Technologien zur Energieeinsparung und Schadstoffreduzierung. Welche Aufgaben sehen Sie in diesem Zusammenhang künftig für das ISL? Über die vorhandenen Dienstleistungen hinaus werden innovative Ansätze in Projekten erforscht, aber nicht der Technologie wegen, sondern um Optimierungspotenziale zu erschließen und aktuelle Fragestellungen aus der Praxis mit neuen Technologien zu lösen. So werden in anwendungsorientierten Kooperationsprojekten Ansätze des Supply Chain Event Management oder der Einsatz von Multi-Agentensystemen sowohl für die Optimierung von Ladungsverkehren als auch für das Störfallmanagement in GVZs wie in den Projekten AMATRAK und PreparedNET erprobt und zunehmend auch in den operativen Einsatz überführt sozusagen vom Forschungsprojekt in den Echtbetrieb. Wir sind dabei natürlich sehr auf die Zusammenarbeit mit innovativen und aufgeschlossenen Unternehmen und Behörden angewiesen. Zum Glück haben wir Kontakte im In- und Ausland, die bereit sind, gemeinsam mit uns über ihren Tellerrand hinaus zu sehen. Das heißt also, dass am ISL auch Produkte entwickelt werden? Verschiedene Tools zu Simulation und Emulation wurden und werden im ISL bis zum Prototypstatus entwickelt und durch die Tochtergesellschaft ISL Applications GmbH vermarktet. So wurden im Projekt ECSIT die vorhandenen Software-Tools für die Container-Terminalsimulation dahingehend erweitert, die Prozesse für Sicherheitsüberprüfungen (z. B. Scanning) mit zu integrieren und die Auswirkungen durch Simulation zu bestimmen. Weiterhin haben wir ein Simulations-Tool für die Logistikplanung zur Errichtung von Offshore- Windparks erstellt, das zunehmend auch von Praxispartnern für reale Projekte zum Einsatz kommt. Unsere Stärke ist die Kombination des Knowhows aus verschiedensten ökonomischen und IT-technischen Bereichen. ■ Prof. Dr. Frank Arendt ist Mitglied des Direktoriums des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik und Leiter der Abteilung Informationslogistik. Darüber hinaus ist er Professor im Studiengang Integrated Safety and Security Management (ISSM) an der Hochschule Bremerhaven. ZUR PERSON VERANSTALTUNG ISL Maritime Conference 2014 Am 1. und 2. Oktober dieses Jahres lädt das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik zur ISL Maritime Conference 2014 nach Bremen ein und setzt damit seine traditionelle Veranstaltungsreihe fort. Wie in den Vorjahren erwarten die Teilnehmer spannende Vorträge, Diskussionen und Prognosen über die aktuelle Lage und Perspektiven der globalen maritimen Branchen. Im Fokus der Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stehen erneut die Schifffahrtsmärkte, Häfen sowie deren Hinterland. Neben den oben genannten Themen greift die Konferenz auch das 60-jährige Jubiläum des ISL auf, welches das Rahmenprogramm rund um die Veranstaltung bildet. Denn auch die ISL Maritime Conference, die seit 2008 wieder alle zwei Jahre in Bremen veranstaltet wird, hat eine lange Historie. Sie steht in Tradition der früheren Liner Shipping Conferences, die bereits in den 70er und 80er Jahren durch das ISL organisiert wurden und schon damals ein fester Termin für die maritime Wirtschaft, Politik und Wissenschaft waren. Vor diesem Hintergrund freuen wir uns, unsere Gäste zur ISL Maritime Conference 2014 im Rathaus Bremen begrüßen zu dürfen - dem Ort, an dem der Grundstein für das heutige Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik gelegt wurde. www.isl.org/ conference
