eJournals Internationales Verkehrswesen 66/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0054
51
2014
662

Struktur und System im Verkehrswesen

51
2014
Reinhold Schröter
Strukturalismus ist ursprünglich eine sprachwissenschaftliche Methode, mit der Entwicklung und Funktion von Sprache(n) als System beschrieben werden. Grundsätzlich eignet sich die Methode zur Analyse beliebiger Systeme. In der Verkehrswissenschaft wurde sie noch nicht verwendet. In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, wie man mit Hilfe des Strukturalismus Verkehrssysteme in Aufbau, Entwicklung und Funktion beschreiben und die unterschiedlichen Verkehrssysteme hinsichtlich Struktur, Bestandteilen, Lebenszyklus und internen Abhängigkeiten vergleichen kann. Diese einheitliche Analyse wiederum bildet eine allgemein verwendbare Grundlage, um Verkehrssysteme nach ihren Eigenschaften und Leistungsfähigkeiten zu untersuchen.
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 73 Wissenschaft MOBILITÄT Struktur und System im-Verkehrswesen Wie man Verkehrssysteme vergleicht Strukturalismus ist ursprünglich eine sprachwissenschaftliche Methode, mit der Entwicklung und Funktion von Sprache(n) als System beschrieben werden. Grundsätzlich eignet sich die Methode zur Analyse beliebiger Systeme. In der Verkehrswissenschaft wurde sie noch nicht verwendet. In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, wie man mit Hilfe des Strukturalismus Verkehrssysteme in Aufbau, Entwicklung und Funktion beschreiben und die unterschiedlichen Verkehrssysteme hinsichtlich Struktur, Bestandteilen, Lebenszyklus und internen Abhängigkeiten vergleichen kann. Diese einheitliche Analyse wiederum bildet eine allgemein verwendbare Grundlage, um Verkehrssysteme nach ihren Eigenschaften und Leistungsfähigkeiten zu untersuchen. Der Autor: Reinhold Schröter V erkehrssysteme zu vergleichen, ist weder ungewöhnlich noch neu. Im Alltag liegt praktisch jedem Transportvorgang eine implizite Abwägung der Verkehrsmittelwahl zugrunde: Nehme ich das Auto oder gehe ich zu Fuß? Baue ich eine neue Autobahn oder saniere ich eine alte Strecke? Gewählt werden muss vor dem Transport - ob man richtig entschieden hat, zeigt sich erst hinterher. Erkenntnisse aus ex-post-Vergleiche bilden die Basis weiterer zukünftiger Entscheidungen der Verkehrsmittelwahl. Solchermaßen gefangen zwischen Versuch und Irrtum findet der Verkehrsteilnehmer zahlreiche Komplexe der Verkehrsmittelwahl. Einige von ihnen können Entscheidungen 1 strukturiert 2 herbeiführen, mittels dafür aufgestellter Verfahren und Kriterienkataloge, andere setzen auf Erfahrungswissen oder greifen auf externe Einflussgrößen zurück. Bei einzelnen Transportvorgängen mögen Fehlentscheidungen der Systemwahl zu verschmerzen sein - man kommt zu spät oder bezahlt zu viel. In Fragen der Mittelzuweisung für Investitionen in Verkehrssysteme und ihre Infrastruktur allerdings wirken Entscheidungen richtungweisend und können auf Jahrzehnte hinaus die wirtschaftliche Entwicklung von Systemen und den durch sie bedienten Räumen bestimmen. 3 Tatsächlich gibt es kein allgemein verwendbares Verfahren der Entscheidungsfindung zur Wahl von Verkehrssystemen oder Verkehrsmitteln für bestimmte Transportzwecke, was verwundern mag, bedenkt man, wie wesentlich effektive und effiziente Verkehrssysteme für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung eines Raumes sind. Immerhin aber gibt es geeignete Methoden, die als Grundlagen solcher Verfahren dienen können. Im Folgenden sollen einige dieser Grundlagen vorgestellt werden, mit deren Hilfe Verkehrssysteme nach denselben formalen und funktionsbezogenen Grundsätzen beschrieben 4 und dadurch vergleichbar gemacht werden können - beispielsweise hinsichtlich Systembestandteilen, strukturellem Aufbau, Eigenschaften („Performanz“), Lebenskosten und inneren Abhängigkeiten. Eine gute Beschreibung ist wesentliche Grundlage zur Lösung anschließender Fragen - indem sie erlaubt, die Fragen richtig zu stellen. Besteht Klarheit über relevante Kriterien der Untersuchung, kann man sich mit dem Inhalt befassen, um den es letztlich geht. Praktiker nennen das „Erfahrung“ und „gesunden Menschenverstand“: Abhängigkeiten erkennen, in der Planung berücksichtigen und in Handlungen umsetzen. Verkehrsmittel lassen sich als Systeme auffassen, also als Komplexe, die beabsichtigte Ergebnisse liefern, wenn bestimmte Einheiten in bestimmter Weise zusammenwirken. 5 Was ist darunter zu verstehen? Man kann sich einen Bildschirm vorstellen, auf dem ein Spielzeugzug mit flachen Güterwagen zu sehen ist, der auf Modellbahnschienen fährt. Der Zug nähert sich einem Modellbahnhof, wo auf dem Bahnsteig eine Figur und eine Kiste stehen. Der Zug kommt an, und eine riesige Hand hebt Figur und Kiste auf einen der Güterwagen. Dann fährt der Zug los zu einem anderen Bahnhof, wo eine andere Hand Figur und Kiste auf den Bahnsteig stellt. Was hat man nun eigentlich gesehen? 6 Es hätte ein Zug sein können, der Fahrgäste und Güter abholt. Oder ein Bewegtbild eines Modellzuges, den man zur Verdeutlichung der Schritte eines Transportvorgangs fahren ließ. Oder eine Folge sinnvoll arrangierter Pixel in einer Computeranimation. Hat das Gehirn nur Sinneseindrücke zu einem sinnvoll erscheinenden Bild zusammengefügt? Hat die Zugfahrt gar nicht stattgefunden? Ist sie nur Ergebnis von Phantasie? Verwechselt man gar Modell und Original? Man möchte also herausfinden, was man gesehen hat. Man möchte die Struktur der Erscheinung verstehen. Es geht nicht darum, wie die Erscheinung aussieht, sondern was sie hervorruft. Und mit dieser Frage ist man in der strukturalen Systemanalyse angekommen. Zunächst braucht man einige Begriffe: • Ein System ist eine Einheit von Elementen, die zusammenwirken und miteinander in Wechselbeziehung stehen. Das System erfüllt einen Zweck. Es ist Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 74 MOBILITÄT Wissenschaft mit einer Grenze gegen seine Umwelt aus Raum und Zeit getrennt. • Die Beziehungen entstehen durch Signale oder Energie, die zwischen den Elementen übertragen werden; sie bilden die Struktur. Art und Umfang der ausgetauschten Informationen, also die Struktur, bestimmen, wie das System funktioniert. Die Struktur bestimmt damit die Eigenschaften des Systems. Die Struktur eines Systems kann man nur indirekt feststellen, indem man das System etwa mit Hypothesen testet. Leider erhält man damit Aussagen nur über das Modell des Systems, das der Untersuchung zugrunde liegt. Was genau man an Ergebnissen erhält, hängt also vom Standpunkt des Betrachters ab, den man wechseln kann. Damit hängt die Struktur eines Systems nicht so sehr von der räumlichen Reihung der Elemente ab, sondern vom zeitlichen Ablauf ihrer Wechselwirkung. 7 • Elemente sind Einheiten eines Systems, die durch Unterschiede in ihren Eigenschaften unterscheidbar werden. Feststellen kann man diese zum Beispiel durch bestimmte Funktionen, die die Elemente (einzeln oder im Zusammenwirken von mehreren) erfüllen. Jedes Element hat einen Wert aus sich heraus 8 - kein Element funktioniert jedoch autonom; es braucht dazu die Wechselwirkung mit anderen Elementen. Auf niedrigerer Ebene allerdings kann man ein Element als (Sub-)System auffassen, das seinerseits aus Teilen besteht, die es bilden. 9 • Sinn und Zweck: Elemente sind nur in Wechselwirkung mit anderen Elemeneten sinnvoll; nur so können sie Bedeutung übertragen, also funktionieren. • Information: „Bedeuten“ heißt „übertragen“, also Übereinstimmung annehmen zwischen einem Code A und einem Code B 10 . • Eine Funktion ist eine technische Notwendigkeit, die man auf verschiedene Weise erreichen kann. • Transport (oder Verkehr) bezeichnet alle Aktivitäten, die den Prozess der Ortsveränderung von Personen, Gütern, Information oder Energie bilden, einschließlich der unterstützenden Prozesse. 11 Sodann einige Arbeitsschritte, um ein Problem (eine Aufgabe, Frage, …) zu behandeln: • Man baut den Sachverhalt nach und versucht, sein Funktionieren zu verstehen. Man beschreibt die Struktur des Sachverhalts in Raum und Zeit. • Man bewertet es, um zu sehen, wie es seine Aufgaben erfüllt. • Man entwickelt Lösungen. „Lösung“ und „Problembeschreibung“ werden mitunter verwechselt. Nur die ersten zwei Schritte befassen sich mit der strukturellen Analyse des Problems. Im ersten Schritt beschreibt man die Struktur des (Verkehrs-) Systems in Zeit und Raum; hier beschreibt man einen Zustand, ohne zu bewerten oder zu deuten. Im zweiten Schritt führt man die Analyse des beschriebenen Zustands durch. Nun kann man vier Kriterien unterscheiden, nach denen man Beschreibung und Analyse eines Systems durchführen kann. • Zeit: Zustand zu einem Zeitpunkt (synchron) oder Entwicklung im laufe einer Periode (diachron), • Abstraktion: funktionale Struktur und konkrete Anwendung eines Systems, • Elemente: Art der für ein System notwendigen Bestandteile („Terme“) einschließlich ihrer Beziehungen (syntagmatische Reihe) und deren unterschiedliche Ausprägung (paradigmatische Variation), • Zeichen: die Bedeutung eines Elements und die Art und Weise, in der sie ausgedrückt wird Zeit 12 Systeme entwickeln sich im Laufe der Zeit 13 , erscheinen aber zu einem bestimmten Zeitpunkt unveränderlich. 14 Die damit verbundenen Perspektiven sind diachron und synchron; den Unterschied mögen die zugehörigen Grundfragen verdeutlichen: • Wie hat sich das System entwickelt? • Wie ist das System jetzt beschaffen? Die diachrone Sicht erlaubt, die Veränderungen des Systems über eine bestimmte Zeit zu erfassen, beispielsweise über den Lebenszyklus eines Systems. Die synchrone Sicht gibt eine Zustandsbeschreibung zu einem Zeitpunkt, beispielsweise eine stichtagsbezogene Bilanz. Beide Sichtweisen hängen voneinander ab 15 : Die Beschreibung der Entwicklung braucht (stichtagsbezogene) Einzeldaten; der Bilanz zum Stichtag liegt eine Entwicklung zugrunde. Im Verkehrswesen findet man synchrone Beschreibungen von Systemen bei kurzfristig wirkenden oder statischen Anwendungen, zum Beispiel Dienstanweisungen oder Fahrplänen. Die diachrone Sicht findet sich bei langfristig wirkenden Anwendungen, wie LCC-Untersuchungen oder Investitionsplänen. Jede Sichtweise hat ihre Bezugszeit - die man kennen sollte, um nicht zu Fehlurteilen zu gelangen. Und um die Zeit wahrzunehmen, braucht es einen Betrachter, der außerhalb des Sstems steht. Abstraktion 16 Dieses Kriterium hilft, zwischen dem „System an sich“ und dem Anwendungsfall zu unterscheiden. Das „System an sich“ ist durch seine Funktionen bestimmt, die sich im Anwendungsfall konkretisieren. Die eingangs geschilderte Videosequenz hat einige abstrakte Funktionen des „Systems an sich“ (Personen- und Gütertransport, Spurführung) in einer bestimmten Anwendung (Modellbahn) wiedergegeben. Indirekt ist das Kriterium der Abstraktion mit dem der Zeit verbunden: „System an sich“ - diachron; „Anwendungsfall“ - synchron. 17 Und auch hier braucht es zur Wahrnehmung einen Betrachter. Zeichen 18 Jeder hat eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein bestimmtes Verkehrssystem aussehen sollte - diese Vorstellungen unterscheiden sich allerdings gravierend voneinander, obwohl sie dasselbe System zum Gegenstand haben. Und so entsteht Verwirrung - als Missverständnis, das sich im besten Fall durch gründliche Beschreibungen der Vorstellungen aufklären lässt. Oder als Ursache langanhaltender Konflikte: man redet über dasselbe, hat jedoch verschiedene Vorstellungen, die eben nicht ausgesprochen werden, doch der Entscheidung letztlich zugrundeliegen. Abstrakt gesprochen, geht es um die Bedeutung eines Elements (sein „Zeichen“) und dessen Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 75 Wissenschaft MOBILITÄT Ausdruck im Konkreten. Beispiele finden sich zuhauf in den Diskussionen über die mutmaßllichen Auswirkungen von Verkehrsprojekten auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Und auch hier braucht es Beobachter („Nutzer“), die die Unterscheidungen treffen. Elemente 19 Jedes System besteht aus Elementen, die der Erfüllung bestimmter Funktionen dienen. Für Verkehrssysteme können sieben grundlegende Elemente (Komponenten) bestimmt werden - fehlt ein Element, funktioniert das System nicht. Diese funktional bestimmte Zusammengehörigkeit der Elemente nennt man ein Syntagma. Dem steht die praktisch unendliche Vielzahl möglicher Erscheinungsformen eines Elementes gegenüber - sie folgen alle demselben Paradigma, variieren es jedoch. Bushaltestellen beispielsweise können aus einem Schild mit Mast am Straßenrand bestehen oder aus aufwendig gestalteten städtebaulichen Ensembles - die Funktion „Schnittstelle zwischen Umwelt und System“ ist immer gleich. Damit das System funktioniert, müssen nicht nur alle Funktionen durch Elemente erfüllt sein; die Elemente müssen auch miteinander interagieren können. Die Beziehungen werden durch den Austausch von Information gebildet; ist der Austausch gestört, versagt das System. 20 Grundlage des Informationsaustauschs ist die Organisation, die das System steuert. 21 Als nächstes möchte man herausbekommen, welche Struktur einem Verkehrssystem eigentlich zugrunde liegt. Dazu stellt man fest, worin sich die Systembestandteile unterscheiden. Unterschiede grenzen Elemente gegeneinander ab und machen sie kenntlich. 22 Dazu vollzieht man drei Schritte: • Zuerst stellt man fest, was zum System gehört, wo seine Grenzen liegen und was seine Umwelt ist. • Dann bricht man das System in seine wesentlichen Bestandteile auf. • Schließlich ordnet man die Elemente entsprechend ihren Wechselbeziehungen zueinander an, sodass die Struktur des Systems kenntlich wird. Abgrenzen kann man beispielsweise nach den unterschiedlichen Funktionen, die das System erfüllen soll. Mit ein paar Regeln 23 kann man diese Analyse ergänzen: 1. Immanenz - man befasst sich nur mit der internen Struktur des Systems, nicht mit seiner Außenwirkung. 2. Sachdienlichkeit - kann man sich tatsächlich mit „Wirklichkeit als solcher“ befassen oder nur mit einer „Vorstellung von etwas Wirklichem als strukturiertem Modell“? 24 3. Vereinbarkeit - wie weit stimmen die eigenen Vorstellungen über ein System (das „Modell im Kopf“) mit den Vorstellungen anderer überein? Stößt die eigene Vorstellung auf Verständnis in Fachkreisen? 4. Integration - Elemente werden zu einem System verbunden, das seinerseits zum Element eines Systems höherer Ordnung wird, das seinerseits ... Es bildet sich eine typische abwärts- oder aufwärtskompatible Hierarchie von Systemen und Subsystemen heraus. 5. Variation in der Zeit - Systeme stehen in Wechselbeziehung mit ihrer Umwelt und verändern sich so im Laufe der Zeit (diachron): sie sind dynamisch. Betrachtet man ein System zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachten (synchron), so vernachlässigt man die zeitlichen Änderungen. Tatsächlich bedingen sich diachrone und synchrone Betrachtung - eine ist ohne die andere nicht möglich. 6. Sechs Regeln der Funktion • Totalität: Anordnung und Beziehungen der Elemente sind mehr als die Summe der einzelnen Elemente. • Interdependenz: Die Elemente hängen voneinander ab; Änderungen bei einem Element beeinflussen alle anderen Elemente. • Transformation: Änderungen an Elementen unterliegen bestimmten Regeln. • Selbst-Regulation: Dieser Änderungsprozess regelt sich selbst. • Invarianz: Anordnung und Beziehungen der Elemente (System und Struktur) behalten - unter allen Um- und Zuständen - ihre Identität. So können sie in jedem Zustand klar von anderen Systemen unterschieden werden. • Definition: Anordnung und Beziehungen der Elemente können durch eindeutige Handlungen bestimmt werden. Und wenn man diese Methode auf ein Verkehrssystem anwendet? Die Struktur von Sprachen wird aus Lexik (Wortschatz) und Grammatik (Regeln) gebildet - gleichermaßen besteht die Struktur eines Verkehrssystems aus den Komponenten (gewissermaßen die Lexik) und ihren Beziehungen (wie eine Grammatik). Manche Komponenten und Beziehungen werden beim Betrieb des Verkehrssystems offenkundig, andere treten erst bei Fehlfunktion zutage oder überhaupt erst durch eine umfassende Beschreibung des Systems. Ein Verkehrssystem dient dazu, den Transportbedarf eines Kunden 25 zu bedienen. Die dafür nötigen Funktionen bestimmen die Komponenten des Systems und ihr Interagieren (die erwähnten Beziehungen). Die Kundenzufriedenheit ist Gradmesser für den Erfolg des Verkehrssystems. 26 Zunächst bestimmt man, was zum System dazugehört und was nicht - man grenzt es gegen seine Umwelt ab. Damit legt man auch fest, was zum Anwendungsfall gehört (Transportaufgabe, Bedienungsraum, Bezugszeit). Bild 1: Bestandteile eines Verkehrssystems - aus Kundensicht (Etzold/ Schröter (2006) Basis-Komponente Transport zu Fuß System- Komponenten Meta-Komponente Bediener Fahrzeug Fahrweg Schnittstelle Durchführung Angebot Kommunikation, Service Organisation Anwendung: Nutzer, Umfeld, Zeitraum Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 76 MOBILITÄT Wissenschaft Sodann teilt man das System in seine Elemente auf 27 : Nachdem der Zweck jedes Verkehrssystems der Transport ist, sind die dazu nötigen Funktionen bei jedem Verkehrssystem gleich 28 - in ihrer Ausprägung unterscheiden sie sich natürlich. Beispielsweise erfüllt die Komponente „Weg“ die Funktionen „Tragen“, „Führen“, „Vortreiben“, „mit Energie versorgen“ und „Signalisieren“. Jede Komponente besteht aus mehreren Subkomponenten, die - einzeln oder in Wechselwirkung mit anderen Komponenten - eine oder mehrere Funktionen erfüllen. Um die Funktion des Systems nachzuvollziehen, müssen alle Komponenten erfasst werden; fehlt eine, ist die Beschreibung des Systems unvollständig; ein darauf aufbauendes Modell würde nicht nutzbare Ergebnisse liefern. Die einzelnen Überlegungen erscheinen trivial und sind es auch; sie sind längst Bestandteile wissenschaftlichen Arbeitens. 29 Das hier beschriebene Verfahren des Strukturalismus wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt, um Sprachen systematisch untersuchen zu können. Es ist jedoch grundsätzlich neutral in Methodik und Terminologie - deshalb eignet sich dieses Verfahren, um auch Systeme außerhalb der Geisteswissenschaften zu untersuchen. 30 Der Ansatz, über die Struktur eines Systems an eine möglichst passende Beschreibung zu gelangen, ist eine Möglichkeit dazu. Im Zusammenwirken mit anderen Methoden kann die „Methodenmethode“ des Strukturalismus zumindest helfen, Vergleichbarkeit und Klarheit herzustellen. ■ Der Beitrag ist eine überarbeitete Version eines Vortrages, den der Verfasser am 26. September 2012 auf der FOVUS-Konferenz in Stuttgart gehalten hat.  1 Zum Beispiel in den standardisierten Abläufen von Sicherheitsprüfungen zur Zulassung von Signalsystemen.  2 „Strukturiert“ kann sich einerseits auf die Methodik beziehen, andererseits auf das Untersuchungsziel, die Systemstruktur. In diesem Aufsatz geht es um beides. Vgl. Reif (1973), p. 188  3 Nicht zu entscheiden ist auch keine Lösung - wie beispielsweise die Parallelentwicklung im Hochgeschwindigkeitsverkehr von Magnetschwebetechnik und Rad-Schiene-Technik während der 1970er Jahre zeigt.  4 Vgl. Etzold/ Schröter (2006), p.39  5 Vgl. Schröter/ Etzold 2006  6 Vgl. Platons Höhlengleichnis (Dialog Glaukon / Politeia VII).  7 Vgl. Lévi-Strauss (1996), p. 260  8 nach Roman Jakobson, zitiert in Reif (1973) p. 59  9 Vgl. Fricke/ Pierick (1990) p. 10 10 nach Claude Lévi-Strauss, zitiert in Reif (1973) p.58. 11 nach Kummer (2010) p.33. 12 Vgl. Saussure (1967), pp. 108-119 und Saussure (1967/ 1968/ 1974) erster Teil, Kapitel III, §§ 6 - 9 13 Verkehrssysteme können sich als Art entwickeln (zum Beispiel das System „Straßenbahn“) oder als Einzelanwendung (ein bestimmter Verkehrsbetrieb). Bei biologischen Systemen nennt man dies Phylogenese und Ontogenese. 14 Vgl. Fricke/ Pierick (1990) p. 10: „Verkehr ist die Summe aller Ortsveränderungen von Personen und Sachen innerhalb eines Betrachtungszeitraumes in Abhängigkeit von der Zeit.“ 15 Vgl. Lévi-Strauss (1996), p. 258 16 Vgl. Saussure (1967) pp. 132 - 146 und Saussure (1967/ 1968/ 1974) zweiter Teil, Kapitel IV, §§ 1 - 4 17 Vgl. Reinhardt p.131 18 Vgl. Saussure (1967) pp. 76 - 82 und Saussure (1967/ 1968/ 1974), erster Teil, Kapitel I, §§ 1 - 2 19 Vgl. Saussure (1967) pp. 147 - 151 und Saussure (1967/ 1968/ 1974), zweiter Teil, Kapitel V, §§ 1 - 3 20 Der Zustand der Fahrbahn beispielsweise bestimmt, wieviel Kraft vom Fahrzeug auf die Fahrbahn übertragen werden kann. Berücksichtigt dies der Bediener nicht, versagt nach Überschreiten der Grenzwerte der Kraftschluß; die Fahrt endet unge-plant. 21 Die Elemente entwickeln sich über die Zeit - was genau sich wann ergibt, hängt wesentlich von der Wechselwirkung zwischen den Komponenten ab, also vom Informationsaustausch über die Grenzen der Zuständigkeit für Komponenten hinweg. 22 Vgl. Reif (1973) p.188: beispielsweise nach Roland Barthes. 23 Vgl. Reif (1973) pp. 188 24 Vgl. Lévi-Strauss (1996) p. 262, p. 265 25 Es gibt mehrere Ansätze, um Verkehrssysteme zu beschreiben: Aus der Nutzersicht, nach der technischen Funktion, als kybernetisches System, als “Produkt” des Marketings, prozessual als ein supply chain system der Logistik, (Vgl. Etzold/ Schröter (2006)). Jeder Ansatz hat seinen besonderen Schwerpunkt mit seinen Randbedingungen; die resultierenden System-Beschreibungen („Modelle“) unterscheiden sich deutlich, in Zusammensetzung und Funktionsbeschreibung. Unter solchen Umständen kann es keine „richtige“ Analyse geben, sondern nur Analysen, die bestimmte Zwecke erfüllen. 26 Latour (1996) weist ausdrücklich darauf hin, dass für den Erfolg eines Verkehrssystems entscheidend ist, wie weit bereits im frühen Stadium der Planung die Bedürfnisse der Nutzer (“Kunden”) berücksichtigt werden. 27 Um einen Ausdruck der Logistik zu verwenden: Das System wird „CKD“ vorgestellt - completely knocked down. 28 Vgl. Etzold/ Schröter (2006) 29 z.B. Ropohl (2009), Simon (2011) 30 Natürlich sollte man dabei nicht wortwörtlich vorgehen - eine gewisse Unabhängigkeit bleibt stets angezeigt. Wichtig ist, welche Funktion ein Kriterium erfassen soll, nicht, welchen linguistischen Fachausdruck man dafür verwendet. Vgl. Jakobson (1970) p. 34 LITERATUR  [1] Paavo Etzold, Reinhold Schröter: Beschreibung von Verkehrssystemen, in: Der Nahverkehr 9/ 2006, pp. 36-42  [2] Hans Fricke, Klaus Pierick: Verkehrssicherung. B .G.Teubner Verlag, Stuttgart 1990  [3] Arthur Jacobs, Raoul Schrott: Gehirn und Gedicht - wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren. Carl Hanser Verlag, München 2011  [4] Roman Jakobson: Poesie und Sprachstruktur - zwei Grundsatzerklärungen. Verlag Die Arche, Zürich 1970  [5] Sebastian Kummer: Einführung in die Verkehrswirtschaft. 2. Auflage, Verlag Facultas. wuv, Wien 2010  [6] Bruno Latour: ARAMIS or the love of technology. Harvard University Press, Cambridge/ Massachusetts 1996  [7] Claude Lévi-Strauss: Mythos und Bedeutung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/ Main 1996  [8] Michael Rudolf Luft: Systematik - die universale Systemtheorie. Pro Business GmbH, Berlin 2006  [9] Platon: Das siebte Buch der Politeia (Glaukon), griechisch-deutsch, herausgegeben und übersetzt von Rudolf Rehn, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2005 [10] Adelbert Reif (Hrsg.): Antworten der Strukturalisten: Roland Barthes, Michel Foucault, François Jacob, Roman Jakobson, Claude Lévi-Strauss. Hoffmann und Campe, Hamburg 1973 [11] Thomas Reinhardt: Claude Lévi-Strauss zur Einführung. Junius-Verlag, Hamburg 2008 [12] Günter Ropohl: Allgemeine Technologie - eine Systemtheorie der Technik. Universitätsverlag Karlsruhe, 3. Aufl., Karlsruhe 2009 [13] Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. v. Charles Bally und Albert Sechehaye, 2. Auflage, Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1967 [14] Ferdinand de Saussure: Cours de Linguistique Générale. Édition critique par Rudolf Engler, 1er de 3ème fascicule, Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1967/ 68, 4ème fascicule 1974 [15] Reinhold Schröter, Thomas Siefer: Bus- und Straßenbahnsysteme im Kostenvergleich - wie aussagefähig ist die neue FGSV-Empfehlung? In: Der Nahverkehr 4/ 2009, pp. 12-19 [16] Fritz B. Simon: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. 5. Auflage, Carl Auer Verlag GmbH, Heidelberg 2011 Reinhold Schröter, Dipl.-Ing. Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart reinhold.schroeter@mail.ssb-ag.de