eJournals Internationales Verkehrswesen 66/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0057
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2014
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Autonome Fahrzeuge für die Logistik

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Heike Flämig
Fahrerlos transportieren gehört in der Intralogistik in vielen Bereichen zum Standard. Ist das auch für den Güterverkehr denkbar? Welche Autonomie ist technisch möglich? Welcher Nutzen und welche Rebound-Effekte wären damit verbunden? Das Förderprojekt Villa Ladenburg der Daimler und Benz Stiftung geht diesen Fragen nach.
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Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 82 TECHNOLOGIE Autonomes Fahren Autonome Fahrzeuge für-die-Logistik Fahrerlos transportieren gehört in der Intralogistik in vielen Bereichen zum Standard. Ist das auch für den Güterverkehr denkbar? Welche Autonomie ist technisch möglich? Welcher Nutzen und welche Rebound- Effekte wären damit verbunden? Das Förderprojekt Villa Ladenburg der Daimler und Benz Stiftung geht diesen Fragen nach. Die Autorin: Heike Flämig S eit den 1960er Jahren kennt die Logistik Fahrerlose Transportsysteme (FTS). Die Führung erfolgt meist über induktiv gelenkte Fahrzeuge und ist damit infrastrukturgebunden. Es existieren auch Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF), die Abschnitte einer Fahrt zu einem vorgegebenen Ziel autonom fahren. Die Gründe, die für den Einsatz von FTS und FTF angeführt werden, sind vielfältig: Einsparungen von Personalkosten, hohe Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit bei hoher Materialflussintensität und hohe Transportsicherheit. Auch auf Seehafen- Terminals, in abgelegenen Regionen oder beim Militär sind fahrerlose Fahrzeuge bereits im Einsatz. Welche Nutzungskonzepte sind für den Güterverkehr denkbar? Im Rahmen des Förderprojekts Villa Ladenburg der Daimler und Benz Stiftung (siehe Kasten) wird für den Bereich von Güterverkehr und Logistik geprüft, inwieweit das so genannte vollautomatische Fahren im Straßengüterverkehr eine sinnvolle Anwendung sein kann. Durch das Kernteam des Projekts wurden verschiedene Anwendungsfälle definiert, von denen hier drei für den Gütertransport exemplarisch beschrieben werden. Für deren Verständnis, Bewertung und Einordnung ist zunächst zu klären, welche technologischen Veränderungen und Herausforderungen sich für die Fahraufgabe ergeben. Die Fahraufgabe Nach Donges 1 fordert die klassischerweise übernommene Fahraufgabe den Fahrer auf drei Ebenen: Navigationsebene, Bahnführungsebene und Stabilisierungsebene. Diese Ebenen entsprechen der Routenwahl, der sicheren Fahrzeugführung durch Entscheidungen über Geschwindigkeit und Spur sowie Lenken, Gasgeben und Bremsen zur Längs- und Querführung des Fahrzeugs. Die Entscheidungen des Fahrers hängen dabei von den Umweltbedingungen ab. Er benötigt dafür Wissen über das Straßennetz auf der Navigationsebene, über die Verkehrssituation auf der Bahnführungsebene sowie über die Fahrbahnoberfläche auf der Stabilisierungsebene. Vom assistierten zum autonomen Fahren Assistierte und teilautomatisierte Systeme sind heute schon zum großen Teil in Serienfahrzeugen im Einsatz. Sie übernehmen über einen gewissen Zeitraum und/ oder in spezifischen Situationen die Längsoder/ und Querführung des Fahrzeugs. Bei den assistierten Systemen erfolgt eine Warnung des Fahrers. Bei den teilautomatisierten Systemen übernimmt das System die Regelung. Der Impuls, beispielsweise das Bremsen, muss allerdings noch durch den Fahrer ausgelöst werden. Die bekanntesten Fahrerassistenzsysteme (FAS) sind das Antiblockiersystem (ABS) und das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP). Nach einem Foto: Daimler und Benz Stiftung TECHNOLOGIE Autonomes Fahren Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 83 Autonomes Fahren TECHNOLOGIE schweren Unglück sind seit November letzten Jahres Spurwechsel- und Spurhalteassistenten sowie Abstandsregeltempomaten frühzeitig für Neufahrzeuge verpflichtend geworden. Weitere Systeme sind in der Entwicklung oder bereits serienreif, wie Kippschutzsysteme, Abbiege- oder Einparksysteme. Sie zielen vor allem darauf ab, den Fahrer auf der Bahnführungsebene und der Stabilisierungsebene zu entlasten. Hoch- und vollautomatisierte Fahrzeuge können darüber hinaus frei navigieren, sie sind situations- und infrastrukturunabhängig. Vollautomatisierte Systeme kommen ohne Fahrer aus. Dabei übernimmt der Fahrroboter nicht nur Aktivitäten auf der Navigationsebene, sondern auch notwendige Aktivitäten, um das System bei Komponentenausfall wieder in einen risikominimalen Zustand zu versetzen. Technologisch ist autonomes Fahren keine Utopie mehr. Sensoren, um die Umweltbedingungen der Straßen- und Verkehrssituation zu erkennen, sind in existierenden FAS erprobt (zum Beispiel Radar zur Abstandswarnung, Kamera oder Laser zur Totwinkelüberwachung, Ultraschall für die Einparkhilfe). Die rapiden Entwicklungsfortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz verbessern die Informations- und Datenlage über die Straßen- und Verkehrssituation zusehends und statten den Fahrroboter mit Algorithmen aus, die diesen adäquat und sofort auf unbekannte Situationen reagieren lassen. Hierfür wird die Sensorik mit Kommunikationstechnologien zwischen den Fahrzeugen ergänzt, wodurch vorausschauende Daten und fließende Objekte als Informationslieferanten genutzt werden können. Welcher Nutzen wäre nun mit welchem Autonomiegrad für Logistik und Güterverkehr verbunden? Drei Anwendungsfälle sollen dies illustrieren: Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer Als eine Vorstufe kann die bereits im Jahr 2012 vorgestellte Konzeptstudie für ein teilautonomes Zustellfahrzeug dienen. Bei diesem Fahrzeugkonzept muss der Zusteller nicht immer ein- und aussteigen, sondern kann über das Mobiltelefon das Fahrzeug anweisen, in Schrittgeschwindigkeit neben ihm herzufahren. Durch die Nutzung einer WLAN-Verbindung wird einem Signalabbruch, wie er bei GPS-Verbindungen auftreten kann (und befürchtet wird), entgegengewirkt. Im Rahmen des Forschungsprojekts konnte eine Einsparung an täglicher Zustellzeit von 40 min. erreicht werden. Das typische Verletzungsrisiko durch Verdrehen und Umknicken beim Aussteigen verringert sich. Valet-Parken In engen Innenstädten und in häufig nicht auf große LKW ausgelegten Anlieferzonen von Industrie und Handel kann das selbstständige Einparken oder das autonome Andocken an die Rampe teure Bagatellschäden verhindern. Der Fahrer wird von stressbehafteten Fahraufgaben entlastet. Autobahnpilot Vollautomatisiertes Fahren eröffnet die Möglichkeit, Fahrzeuge ohne Fahrer fahren zu lassen. Zwischen Rendezvouspunkten auf Hauptläufen, beispielsweise Autohöfen auf Autobahnen oder gut angebundenen Gewerbegebieten, wird der Fahrer entlastet. Konsequent zu Ende gedacht, wäre es sogar sinnvoll, einige der derzeit diskutierten Lösungsansätze zur Kapazitätserhöhung der Infrastruktur (Platooning), Ressourcenschonung und des Umweltschutzes (Oberleitungs-LKW zur Elektrifizierung der Flotte) zu kombinieren. Die Nutzung einer eigenen Fahrspur durch autonome, gekoppelte Fahrzeuge könnte helfen, rechtliche Bedenken zu minimieren. Gesamtwirtschaftlicher Nutzen Aus einzelwirtschaftlicher Perspektive spricht vieles dafür, autonome Systeme in der Gütertransportkette einzusetzen. Fehlendes Fahrpersonal, energiesparende Fahrweise, hohe Zuverlässigkeit oder effiziente Unfallvermeidung sind gewichtige Gründe. Zudem ist in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte künftig nicht mit einem deutlichen Ausbau von Verkehrsinfrastruktur, insbesondere von Schiene und Binnenschiff, zu rechnen. Durch das automatisierte Fahren könnte die vorhandene Straßeninfrastrukturkapazität mindestens verdoppelt werden. Gleichzeitig könnte ein Beitrag zum Klimaziel geleistet werden, da automatisiertes Fahren den Treibstoffverbrauch reduziert. Bereits heute leisten die FAS einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung von Unfällen. Diese könnten durch hochbzw. vollautomatisierte Fahrzeuge weiter gesenkt werden, da sie Stauende erkennen können, riskante Überholmanöver vermeiden und auch keine Geisterfahrten unternehmen. Jedoch sind die rechtlichen Haftungsfragen, wenn es dann doch zu einem Unfall käme, noch nicht vollständig gelöst. Technik versus Gesellschaft Allerdings liefert nicht nur der Technikdeterminismus Gründe gegen automatisierte Straßenfahrzeuge: Effizienzerhöhungen im Straßenverkehr rufen Konflikte mit den Massentransportmitteln hervor. Automatisiertes Platooning steht in direkter Konkurrenz mit der Bahn, wie zuvor schon der Lang-LKW. Auch die Akzeptanz der Bevölkerung ist gegenüber vollautomatisierten Systemen beschränkt; nicht zuletzt aufgrund regelmäßiger Berichte von in Fahrzeugen ausgefallenen mechanischen oder elektronischen Bauteilen oder der Befürchtung abreißender Datenverbindungen. Autonome Fahrzeuge müssen zudem mit einer entsprechenden, zuverlässigen Software (Künstlichen Intelligenz) ausgestattet sein, die auf alle Eventualitäten reagieren kann - insbesondere dort, wo Menschen und Tiere auf den Straßen unterwegs sind. Allerdings verbessern sich die Systeme durch Learningby-doing-Strategien derzeit immens. Google zeigt gerade für den PKW-Bereich, wie es funktionieren könnte. ■ 1 Donges, E.: Aspekte der aktiven Sicherheit bei der Führung von Personenkraftwagen. In: Automobil-Industrie, 2 (1982), 183-190 Heike Flämig, Prof. Dr.-Ing. Professur für Transportketten und Logistik, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg-Harburg flaemig@tuhh.de AUF EINEN BLICK Das Förderprojekt Villa Ladenburg der Daimler und Benz Stiftung Die Daimler und Benz Stiftung verstärkt Prozesse der Wissensgenerierung mit Hilfe zielgerichteter Stimuli. Sie konzentriert sich auf die Förderung junger Wissenschaftler, fachübergreifende Kooperationen sowie Forschungsinhalte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Ihr jährlicher Förderaufwand beträgt derzeit etwa 3 Mio. EUR. Mit einem Vermögen von rund 125 Mio. EUR zählt die operativ tätige Stiftung zu den großen wissenschaftsfördernden Stiftungen Deutschlands. Rund 1,5 Mio. EUR investiert die Stiftung in das Förderprojekt Villa Ladenburg. Ziel ist die Untersuchung der individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen des autonomen Fahrens - ob im Personen- oder im Güterverkehr, ob in Stadtfahrten, über Land oder auf der Autobahn. Dafür fördert sie zwei Jahre lang ein Team von über 20 Wissenschaftlern, die sich in ihren Forschungsaktivitäten intensiv mit dem autonomen Straßenverkehr befassen, darunter das Kernteam der vier Projektleiter mit ihren Arbeitsgruppen. Ein Weißbuch soll nach Ende der Grundlagenforschung als Wissensbasis für Wirtschaft, Politik und Forschung zur Verfügung stehen. So kann der notwendige Diskurs mit den jeweiligen Interessengruppen und Entscheidern in der Gesellschaft gestartet werden - eine Investition in die Zukunft zur nachhaltigen Verbesserung unserer Lebensverhältnisse.