eJournals Internationales Verkehrswesen 66/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0059
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2014
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Range Extender Ein Zwischenschritt in die Zukunft?

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2014
Jan Grüner
Benjamin Rippel
Stefanie Marker
Range Extender bieten einen idealen Kompromiss aus großer Reichweite und lokal emissionsfreiem Fahren. Sie sind ein vollständiger Ersatz zum konventionellen Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Zur größtmöglichen Reduktion des CO2-Ausstoßes müssen die elektrischen Fahranteile maximiert werden. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Wie müssten die einzelnen Komponenten für einen individuellen Nutzer optimal dimensioniert sein? Und wie wirken sich verschiedene Nutzungsszenarien der (vorhandenen) Ladeinfrastruktur auf die elektrische Reichweite aus?
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TECHNOLOGIE Wissenschaft [ l filbalill! ID • Range Extender Ein Zwischenschritt in die Zukunft? Range Extender bieten einen idealen Kompromiss aus g roßer Reichweite und lokal emissionsfreiem Fahren. Sie sind ein vollständiger Ersatz zum konvent i one llen Fah r zeug mit Verbrennungsmotor. Zur größtmög lichen Reduktio n des C0 2 -Ausstoßes müssen die elektrischen Fahranteile maximiert werden. Daraus ergeben sic h zwe i Fragen: Wie müssten die einzelnen Komponenten für einen individuellen Nutzer optimal d imension i ert sein? Und wie wirken sich verschiedene Nutzungsszenarien der (vorhandenen) Ladeinfrastruktur auf d ie elektrische Reichweite aus? Dte Autoren Jan Gruner. B en)am tn Rtppel, Stefante Marker D er Frage nach dem Potenzial von Elektromobilität wird seit mehr als 100 Jahren nachgegangen, aber erst durch Peak-Oil, Klimawandel und den gestiegenen Bedarf nach Res sourcen erfolgte in den letzten Jahren eine Konzentration auf alternative Antriebskonzepte. GröHte He rausforderung neben dem Preis ist die geringe Reichweite reiner Elektrofahrzeug e_ Dabei werden die Chancen des Durchbruchs dieser Fahrzeuge oft mit der Verfügbarkeit öffentlicher Ladestationen verknüpft, \VCiche die geringe Reichweite theoretisch erhöhen können. Deren Ausbau stockt jedoch auf Grund der hohen Kos ten, weniger potenzieller Nutzer und einer fehlenden Amortisierung. Dieser Teufelskreis scheint die weitere Verbreitung vo n elektrischen Antrieben zu blockieren. Stand der Forschung Die Frage nach dem Mobilitätsverhalten ist dabei essentie ll. So werden regelmäßig Erhebungen zum Nutzerverhalten (z. B. lVlobilität in Deutschland, Mobilitätspanel) durchgeführt ll]. um der aktuellen Entwicklung Rechnung zu tragen und eventuelle Änderungen zu doku mentieren. Daneben haben sich im Laufe der letzten Jahre verschiedene Projekte und Unters uchungen mit der Alltagstauglichkeit von Plug-In Hybridfahrzeugen (PHEV). Elektrofahrzeugen mit Reichweitenverlängel l LlmlDJQID l .JI ... rung (E-REV), reinen El ektrofahrzeugen ( BEY) und d eren Integration in (bestehende) Energieversorgungs strukturen beschäftigt llJ. [ 3J, [4]. In dies en Projekten wirkten Versuchsteilnehmer mit, die für einen ( ku rze n) Zeitraum das Ve rsuchsfahrzeug einzeln oder in einer Flotte (mit -) be nutzen und daher eine ganz andere Beziehung/ Herangehensweise zum Fahrzeug besitze n, oder Nutzer konve ntioneller Fahrzeuge, deren Nutzungsverhalten aufE-Fahrzeuge projiziert wurde [4]. Im Gegensatz dazu betrachtet das Projekt Ampere [5] das reale Nutzungsverhalten mittels Umfragen und Datenaufzeichnung von Käufern eines E-REV, hie r: Opel Ampera. Der große Vorteil von E-R EV liegt im ·wegfall der Reichweitenproblemati k. Das Fahrzeug ist zunächst batterieelektrisch unterwegs. Be i Erreichen eines definierten Lademindest-Zustands wird automatisch der Ve rbrennungsmotor zur Reichweitenve rl ängerung hinzugeschaltet. Dieser Betriebsmodus dient nicht zum L aden, sondern hält den Ladezustand möglichst in einen definierten Be reich . Die vollständige Batterieladung erfolgt über eine Ladestation (z. B. Wall box). Ziel bleibt, die elektrische Reichweite zu maximieren bzw_ die Kom ponentendimcnsionierung bedarfsgerecht zu ges tal te n. Methodik lndiv. Fahrzyklus l ... Energiebedarf l Längsdynamikmodell ( Nutzunasverhalten 1 ] (Stadt I Land I Autobahn I Gesamt) 1 ~ ) ( GPS-Koordinaten ) I Über einen speziellen GPS-Logger, T U ve LOG [ 21. werden Fahrweise und Nutzungsprofil eines realen Nutzers aufgezeichnet. Wie Bild I zeigt, werden mit Hilfe der Fahrdaten zum einen der tatsächliche Energiebedarf des Fahrzeuges für Stadt, Land und Autobahn als auch Standzeiten und (häufige) Aufenthaltsorte ermittelt. Neben den GPS-Koordinaten werden Datum. Zeit und Geschwindigkeit ermittelt, womit sich wiederum Parameterwie Ak tionsradi us, Länge der aktiven Phasen pro Tag, oder Länge und Ort der Standzeiten ableiten lassen. + Standzeiten ., ...... ,. I I Hotzones ) ( Fahrzeugnutzung ) l Bedarf I (Ro<h~ire , "h''''"""''"' } rL .... Sl: ! lOi! riQi! nill~lllltJf[ill: ilm! stYrl ( Szenariovergleich ) ) ( ) l Komponentenj ( Szenario#O Szenario#1 dimensionierung ( Szenario#2 ) ( Szenario#3 ) Bild 1: Methodik 88 Internationales Verkehrswesen (66) 2 I 2014 '. Um eine optimale Ladestrategie für eine(n) spezifischen Nutzer oder Gruppe ermitte ln zu können, muss der Energiebedarfbestimmt werden. Ge rade bei gro Hcn Datenmengen ge ht dies mit einer langen Reche nzeit zur Verbrauchsermittlung einher. Deshalb kommt der IDCB Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 89 Wissenschaft TECHNOLOGIE (Individual Driving Cycle Builder) zur automatischen Generierung repräsentativer, individueller Fahrzyklen, basierend auf den aufgezeichneten Geschwindigkeits- Zeit-Profilen [6] zum Einsatz. Die Fahrdaten werden hierfür in kinematische Sequenzen zerlegt und mittels statistischer Auswertung verschiedener Kriterien (durchschnittliche Geschwindigkeit und Beschleunigung, Stopprate pro km und Stopphäufigkeit) in verschiedene Klassen (z. B.: ((str.)) Stadt, verstopft oder Autobahn, flüssig) eingeteilt. Anschließend werden die Klassen und Sequenzen nach der Methodik von André [7] in ihrer prozentualen Verteilung wieder miteinander zu einem kürzeren Fahrzyklus kombiniert. Die ideale Fahrzykluslänge stellt dabei einen Kompromiss zwischen der späteren Rechenzeit weiterer Simulationsmodelle und der Genauigkeit dar. Ausgangssituation Die öffentlichen Ladeinfrastruktur ist in Berlin nicht homogen, sondern in Clustern verteilt (Regierungsviertel: 22 Stationen, Alexanderplatz/ Gendarmenmarkt: 33- Stationen, TU Berlin, Kurfürstendamm/ Europacenter: 37 Stationen). Die Mehrzahl der öffentlichen Ladestationen befindet sich in Konsum- und Tourismusbereichen. Hier überwiegen wie erwartet die Schnellladestationen (≥-11-kW Leistung). Die Fahrzeuge sollen also relativ zügig während des Aufenthalts an der jeweiligen Lokation geladen werden. Die Ladestationen besitzen überwiegend (81 %) den Anschluss „Typ 2 / Mennekes“, unterstüzen also DC- und AC-Laden. Für eine erste Betrachtung wird ein in Berlin betriebenes Fahrzeug über einen Zeitraum von knapp 4 Monaten mit 104 Messtagen betrachtet. Während dieses Zeitraumes wurde eine Gesamtstrecke von 3664 km zurückgelegt, was einer Fahrleistung von ungefähr 12 500- km pro Jahr entspricht. Das Fahrzeug wird sowohl dienstlich als auch privat genutzt. Die linke Seite von Bild 2 zeigt die Anzahl der aufgenommenen Messungen pro Koordinatenfeld für Berlin, wobei rote Felder eine hohe Anzahl an Messdaten für dieses Feld bedeuten. Dabei handelt es sich normalerweise um Orte mit häufigen Standphasen, bzw. Orte, an denen sich das Fahrzeug regelmäßig befindet, z. B. Wohnort, Arbeitsplatz. Die rechte Seite zeigt das gemessene Geschwindigkeitsprofil. Man erkennt deutlich die Unterschiede zwischen Fahrten in der Innenstadt (blau dominierter Bereich) und Fahrten auf der (Stadt-) Autobahn (grünroter Bereich). Mit dem Fahrzeug werden auch deutlich längere Strecken zurückgelegt. So gibt es über den gesamten Aufzeichnungszeitraum fünf Einzelfahrten über 100 km, wobei die längste Tagefahrstrecke bei 631 km liegt. Insgesamt werden knapp 25 % aller aufgezeichneten Fahrten im IDCB an Hand ihres Profils als Überland- (inkl. Stadtautobahn-) oder Autobahnfahrt klassifiziert. Trotz der vielseitigen Nutzung sind die gefahrenen Tagesstrecken relativ kurz: 75 % aller Tagesfahrstrecken (wochentags) betragen weniger als 40 km (Median: 17,5 km). Mit dem betrachteten E-REV, das nach Herstellerangabe eine Reichweite von 55-80 km besitzt, lassen sich diese (Stadt-)Strecken rein elektrisch und damit lokal emissionsfrei zurücklegen. Die restlichen Strecken können mit dem Verbrennungsmotor abgedeckt werden. Die Einzelstrecken sind im Mittel mit 12,7 km zwar etwas länger als die der MiD-Studie von 2010 [1] (vgl. Tabelle 1), werden aber vor allem durch längere Autobahnstrecken verursacht. Wird der Median betrachtet beträgt die Einzelstrecke nur 5,3 km. Unter Berücksichtigung der nach wie vor hohen Batteriekosten pro Kilowattstunde und deren zukünftiger Preisentwicklung [8] stellt sich nun die Frage, ob für diesen Nutzer die Batterie bereits überdimensioniert ist, Bild 2: Darstellung der werktags aufgezeichneten GPS-Koordinaten für Berlin Links: Anzahl der Datenpunkte pro Feld Rechts: Durchschnittliche Geschwindigkeit [km/ h] pro Feld. Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 90 TECHNOLOGIE Wissenschaft bzw. inwiefern die benötigte tägliche elektrische Reichweite nicht auch mit einer optimierten Nutzung der Ladeinfrastruktur und kleinerer Batterie (und damit eines geringeren Fahrzeugpreises) bewältigt werden könnte. Für die spätere Einschätzung zur Dauer der Netzanbindung ist eine gute Vorhersage hinsichtlich der Standzeiten notwendig. Über die Datenauswertung lässt sich feststellen, dass die Hauptfahrzeiträume des Nutzers zwischen 7 und 9 Uhr und 17 und 18.30 Uhr liegen, aber auf Grund des variablen Nutzungsprofils tagsüber nur ein festes mögliches Ladefenster zwischen 2 Uhr und 6 Uhr nachts besteht. Für die Untersuchung des Nutzungsverhaltens und eines möglichen Optimierungspotentials (Batteriegröße, Einfluss des Nutzungsverhaltens auf die elektrische Reichweite) müssen verschiedene Nutzungsszenarien untersucht werden. Bei allen Szenarien wird davon ausgegangen, dass sich die jeweilige Ladestation in Betrieb befindet und genutzt werden kann, sie also frei, kein Vertrag/ Abo mit dem jeweiligen Anbieter notwendig und das Fahrzeug mit der Ladestation kompatibel ist. Des Weiteren soll zunächst davon ausgegangen werden, dass zwischen den einzelnen Stationen kein Preisunterschied besteht und im Vorfeld bekannt ist, wie lange das Fahrzeug geladen werden kann. Unter diesen Bedingungen werden die Ladeszenarien (Tabelle 2) untersucht, die zum einen unterschiedliche Nutzungsvarianten abdecken und zum anderen auch die Potenziale der Infrastrukturnutzung auf die elektrische Reichweite aufzeigen. Fazit E-REV ermöglichen auf Grund ihres Antriebskonzeptes eine große Reichweite ohne Einschränkungen im Nutzungsverhalten mit lokal emissionsfreiem Fahren und sind gleichzeitig unabhängig von einer öffentlichen Lade-Infrastruktur. Der Anteil der elektrischen Reichweite hängt stark von der individuellen Fahrzeugnutzung und Ladestrategie ab. Mit Hilfe der vorgestellten (auch auf größere Nutzer(-Gruppen) skalierbaren) Methodik ist es möglich eine nutzeroptimale Komponentendimensionierung unter Berücksichtigung verschiedener (zukünftiger) Ladeszenarien und tatsächlich benötigter Reichweiten zu bestimmen und den elektrischen Anteil, auch im Hinblick auf reine BEVs, zu optimieren. Der Range-Extender kann an dieser Stelle als Zwischenschritt zur reinen Elektromobilität gesehen werden: lokal emissionsfrei und trotzdem eine große Reichweite zu einem geringeren Preis als ein vergleichbares Elektrofahrzeug, aber auf Kosten einer höheren Komplexität des Antriebsstranges. Trotzdem sind E-REVs schon heute eine Alternative zu konventionellen Fahrzeugen, sowohl im reinen Stadtals auch im Langstreckenbetrieb. Unter Berücksichtigung der Batteriepreise als Hauptkostentreiber ist es jedoch notwendig eine Überdimensionierung der Komponenten zu vermeiden, und neben einer besseren Anpassung an das Nutzungsverhalten des Nutzes (z.B. Auswahl zwischen verschiedenen Batteriegrößen), die Potenziale der Infrastruktur besser auszuschöpfen. ■ LITERATURHINWEISE [1] INFAS; DLR, Mobilität in Deutschland 2008, Berlin und Bonn, 2010. [2] J. Linssen, A. Schulz, S. Mischinger, H. Maas, C. Günther, O. Weinmann, E. Abbasi, S. Bickert, M. Danzer, W. Hennings, E. Lindwedel, S. Marker, V. Schindler, A. Schmidt, P. Schmitz, B. Schott und K. Strunz, Netzintegration von Fahrzeugen mit elektrifizierten Antriebssystemen in bestehende und zukünftige Energieversorgungsstrukturen - Schriften des Forschungszentrums Jülich, Reihe Energie & Umwelt -, Jülich: Forschungszentrum Jülich, 2012. [3] R.-U. Bochum, „EneSys Langstrecken-Elektromobilität,“ [Online]. Available: http: / / www. enesys.rub.de/ projekte/ langstrecken_elektromobilitaet.html.de. [Zugriff am 28 01 2014]. [4] P. Nobis, C. Pellinger und T. Staudacher, „eFlott: Wissenschaftliche Analysen zur Elektromobilität,“ Forschungsstelle für Energiewirtschaft, München, 2011. [5] Technische Universität Berlin, „Allgemeiner Praxistest für Elektrofahrzeuge mit verlängerter Reichweite E-REV,“ [Online]. Available: http: / / www.projekt-ampere.de. [Zugriff am 28 01 2014]. [6] J. Grüner, „Erstellung eines Modells zur automatischen Generierung eines individuellen Fahrzyklus mit Hilfe von Geschwindigkeitsprofilen aus Langzeitversuchen (Studienarbeit),“ Technische Universität Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Berlin, 2010. [7] M. André, „Real-world driving cycles for measuring cars pollutant emissions - Part A : The Artemis European driving cycles,“ Inrets, Bron, 2004. [8] A. Thielmann, A. Sauer, R. Isenmann und M. Wietschel, „Technologie-Roadmap Energiespeicher für Elektromobilität 2030,“ Fraunhofer ISI, Karlsruhe, 2012. Benjamin Rippel, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Fahrerverhaltensbeobachtung für energetische Optimierung und Unfallvermeidung, Technische Universität Berlin, Institut für Land- und Seeverkehr benjamin.rippel@tu-berlin.de Stefanie Marker, Prof. Dr. rer. nat. Leiterin Fachgebiet Fahrerverhaltensbeobachtung für energetische Optimierung und Unfallvermeidung, Technische Universität Berlin, Institut für Land- und Seeverkehr stefanie.marker@tu-berlin.de Jan Grüner, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Technische Universität Berlin, Institut für Land- und Seeverkehr jan.gruener@tu-berlin.de Infas & DLR 2010 [1] Indiv. Nutzer Alle Tage Mo. - Fr. Alle Tage Mo. - Fr. Mittlere Tagesfahrstrecke [km/ Tag] 45,9 41,7 41,2 38,9 Mittlere Tageswegezahl (Median) [#/ Tag] 3,9 4,0 3,2 (3,0) 1,6 (3,0) Mittlere Weglänge [km] 11,8 10,3 12,7 12,7 90% der Tagesfahrstrecke kleiner als [km] 90,1 87,3 81,8 74,4 Tabelle 1: Nutzerparameter an Werk- und Wochentagen #0 #1 #2 #3 Ladezeitpunkt Tag Nachts Standzeit > 30 min Standzeit > 30 min Ladeort Arbeitsplatz (fester Stellplatz) Zu Hause Stellplatz, zu Hause, Ladestation im Umkreis von 500 m (vom Haltepunkt, GPS) Stellplatz, zu Hause, Ladestation (virtuell) Tabelle 2: Ladeszenarien