Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0060
51
2014
662
Sind Elektroautos wirklich umfeltfreundlich?
51
2014
Daniel Martin
Martin Treiber
Elektroautos gelten laut europäischem Gesetz als emissionsfrei. Lokal werden beim Betrieb tatsächlich keinerlei klimarelevante Treibhausgase emittiert. Entscheidend für die Klimaerwärmungsproblematik sind hingegen alle direkt und indirekt anfallenden Emissionen für Produktion, Betrieb und Entsorgung. Diese sog. globalen Emissionen werden mithilfe des Verfahrens „Economic InputOutput Life Cycle Assessment“ für ein Elektroauto ermittelt und mit den Werten herkömmlicher Fahrzeuge verglichen. Als Unteruchungsobjekte dienen dabei drei Fahrzeugvarianten der sechsten Generation des VW Golf.
iv6620091
Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 91 Wissenschaft TECHNOLOGIE Sind Elektroautos wirklich umweltfreundlich? Elektroautos gelten laut europäischem Gesetz als emissionsfrei. Lokal werden beim Betrieb tatsächlich keinerlei klimarelevante Treibhausgase emittiert. Entscheidend für die Klimaerwärmungsproblematik sind hingegen alle direkt und indirekt anfallenden Emissionen für Produktion, Betrieb und Entsorgung. Diese sog. globalen Emissionen werden mithilfe des Verfahrens „Economic Input-Output Life Cycle Assessment“ für ein Elektroauto ermittelt und mit den Werten herkömmlicher Fahrzeuge verglichen. Als Untersuchungsobjekte dienen dabei drei Fahrzeugvarianten der sechsten Generation des VW-Golf. Die Autoren: Daniel Martin, Martin Treiber D as „Regierungsprogramm Elektromobilität“, das im Mai 2011 verabschiedet wurde und 2013 durch die Große Koalition bestätigt wurde, soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Deutschland sowohl Leitmarkt als auch -anbieter in Sachen Elektromobilität wird. Die Zielsetzung ist ein Bestand von einer Million rein elektrisch betriebener Kraftfahrzeuge 2020 beziehungsweise sechs Millionen im Jahre 2030. Die Beweggründe haben dabei vornehmlich ökologischen Charakter: Elektromobilität soll als Instrument zur Erreichung der Klimaschutzziele dienen [1, 2]. Um die Wirksamkeit dieser Zielsetzung im Hinblick auf die Emissionsreduzierung der Kraftfahrzeuge in Deutschland zu ermitteln, müssen alle innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette eines Elektroautos anfallenden Abgase berechnet werden. Das klassische Verfahren ist die Ökobilanz (Life Cycle Assessment), die alle direkt anfallenden Emissionen einschließlich linearer Vorketten umfasst. Volkswirtschaftliche Verflechtungen und Rückkopplungen sind darin allerdings nicht enthalten. Zur Ermittlung aller Emissionen, die sowohl mittelbar als auch unmittelbar durch die Herstellung, Nutzung und Entsorgung des Fahrzeugs anfallen, ist eine Kombination der LCA mit einer sogenannten „Input-Output- Analyse“ nötig. Diese Analysemethode wird als „Economic Input-Output-LCA (EIO-LCA)“ bezeichnet [3, 4]. Die angewandte Methode Die Methodik der EIO-LCA geht mit einer aggregierten Sichtweise aller Sektoren, die alle möglichen Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft erstellen, ans Werk. Hierfür muss vereinfacht angenommen werden, dass alle Produktions- und Dienstleistungseinrichtungen in Sektoren zusammengefasst werden können. Zudem wird davon ausgegangen, dass zur Erhöhung des Outputs (eines Sektors) um einen bestimmten Prozentbetrag alle Inputs dieses Sektors um den gleichen Prozentsatz erhöht werden müssen [4]. Die konkrete Durchführung dieses Verfahrens gliedert sich in vier Teilschritte: Aufstellung der Sachbilanz, Abbildung der Sachbilanz auf die volkswirtschaftlichen Sektoren, Berechnung der Emissionsfaktoren und schließlich die Ermittlung der Gesamtemissionen. Die ermittelten, teils geschätzten, Materialbedürfnisse der drei untersuchten Varianten des VW Golf beruhen weitestgehend auf Herstellerangaben und geben Auskunft darüber, welche Materialen in welchem Umfang in Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 92 TECHNOLOGIE Wissenschaft die verschiedenen Modelle verbaut werden. Außerdem fallen jährlich Aufwendungen für Versicherung, Wartung und Instandhaltung an. Diese werden, für jeden Fahrzeugtyp spezifisch, in die erweiterte Sachbilanz aufgenommen. Der Produktions- und der Entsorgungsvorgang der Kraftfahrzeuge stellen weitere Bestandteile dar. Um die Emissionen der Positionen der Sachbilanz ermitteln zu können, ist eine Zuordnung der einzelnen Materialien und Aufwendungen zu volkswirtschaftlichen Sektoren notwendig. Hierzu wird die Input-Output-Rechnung des Bundes herangezogen, in der 73 Sektoren unterschieden werden [5, 6]. Der Quotient aus CO 2 -Äquivalent (in kg) und Gesamtoutput (in EUR) pro Jahr und Sektor ergibt den spezifischen CO 2 -Äq.-Emissionskoeffizienten (in kg/ EUR) für jeden Sektor. Weitere Annahmen und Ergebnisse Laut Herstellerangaben beträgt die Laufleistung der Golf-Modelle mit Verbrennungsmotor 150 000 km [7]. Es wird vereinfacht von einer jährlichen Fahrleistung von 15 000 km ausgegangen, die Nutzungsdauer der beiden Fahrzeugtypen mit Verbrennungsmotor beträgt folglich zehn Jahre. Im Basisszenario entspricht dies ebenfalls der Nutzungsdauer des E-Golf. Neben den drei bereits benannten Fahrzeugvarianten wird im Basisszenario (und in allen anderen Szenarien) ebenfalls ein E-Golf betrachtet, bei dem während der Nutzungsdauer der Akkumulator ausgetauscht werden muss. Dieses Szenario wird betrachtet, da die Lebenszeit der Akkus wegen des häufigen Ladens und Entladens begrenzt ist. Die Ergebnisse der EIO-LCA beziehen sich auf den Betrachtungszeitraum von einem Jahr. Die auf die herkömmliche Einheit kg CO 2 -Äq. pro 100 km Fahrt umgerechneten Ergebnisse im Basisszenario sind Bild 1 zu entnehmen. Die Herstellung des Akkumulators ist sehr emissionsintensiv, da sowohl der Emissionswert der Materialbereitstellung als auch der des Fahrzeugbaus beim E-Golf essenziell höher ist. Im Zuge der Herstellung insgesamt fallen beim E-Auto etwa 77 % mehr Emissionen an als beim Dieselfahrzeug, im Vergleich zum Benzinfahrzeug sind es sogar fast doppelt so viele. Muss der Akkumulator ein zweites Mal hergestellt werden, erhöht sich die Emissionsbilanz noch einmal bedeutsam: Es werden ca. 43 % mehr CO 2 -Äq. emittiert als beim E-Auto ohne Akkuwechsel. Abgase, die durch die Bereitstellung des betrieblich bedingten Energiebedarfs (Treibstoffbeziehungsweise Strombereitstellung) entstehen (Well-to-Tank) sind beim Elektroauto erwartungsgemäß höher. Lokale Emissionen (Tank-to-Wheel) treten hingegen nur bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf. Die Entsorgung des Akkumulators ist den Berechnungen zufolge sehr emissionsintensiv und macht ca. 57 % der Gesamtemissionen der Entsorgung des E-Golf aus. Insgesamt fallen mehr als doppelt so viele Emissionen als bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor an. Muss darüber hinaus ein Akkumulatorwechsel vorgenommen werden, sind es sogar gut dreieinhalbmal so viele Luftverunreinigungen. Bei Betrachtung der gesamten Emissionen innerhalb der Lebenszyklen der Fahrzeugvarianten inklusive aller volkswirtschaftlichen Verflechtungen liegt der E-Golf zwischen den beiden Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor: Seine Treibhausgasbilanz ist ca. 10 % schlechter als die des Dieselfahrzeugs, aber ca. 11 % besser als die des Benzinfahrzeugs. Muss der Akkumulator ausgetauscht werden, ist die Bilanz allerdings sogar geringfügig schlechter als die des Benzinfahrzeugs. Sensitivitätsanalyse Die Ergebnisse im Basisszenario sind von bestimmten Annahmen abhängig, die vorneherein getroffen wurden. Deshalb wird im Folgenden analysiert, wie sich die Ergebnisse beim Modifizieren dieser Variablen, bzw. beim Wandel verschiedener technologischer Voraussetzungen, verändern. Tabelle 1 zeigt die CO 2 -Äq.-Emissionen der Fahrzeugtypen in den verschiedenen Szenarien. Das erste abgewandelte Szenario geht von 50 % Erhöhung der Laufleistung aus. Dies ist insbesondere für den Bild 1: Treibhausgasemissionen in kg pro 100 km Fahrt unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Verflechtungen (nach Bereichen, Basisszenario) Internationales Verkehrswesen (66) 2 | 2014 93 Wissenschaft TECHNOLOGIE E-Golf relevant, da E-Autos im Allgemeinen länger halten [8]. Hier verringert sich die Treibhausgasbelastung um knapp 11 % und sinkt auf ein Niveau, das unter dem des Diesels im Basisszenario liegt. Fraglich ist allerdings, ob ungeachtet des Restfahrzeugs auch beim Akkumulator eine Nutzungsdauer von 15 Jahren realistisch ist [9]. Muss der Akku gewechselt werden, liegt die Emissionsbelastung ca. 9 % über der des Dieselfahrzeugs im Basisszenario. Sowohl die Senkung des spezifischen Materialaufwands der Produktion des Akkus bei gleichbleibender Kapazität als auch die Senkung der Produktionskosten von Akkumulatoren, was beides wohl mittelfristig realisierbar ist, lassen den E-Golf noch immer nicht besser als die Alternativen mit Verbrennungsmotor dastehen. Dies ändert sich, wenn statt des deutschen Strommix ein spezifischer CO 2 -Emissionsfaktor der Stromerzeugung von 0,2 kg/ kWh angenommen wird („Ökostrom“). Während sich die Emissionswerte der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor aufgrund der volkswirtschaftlichen Verflechtung mit dem Sektor der Energiebereitstellung über den gesamten Lebenszyklus geringfügig verbessern, halbieren sich die Emissionen des E-Autos sogar um knapp die Hälfte. Der E-Golf emittiert in diesem Szenario nur etwa 60 % so viel wie das Dieselmodell. Selbst wenn ein Akkuwechsel vonnöten ist, ist die Emissionsbilanz um gut 26 % besser als die des TDI. Wird stattdessen angenommen, dass ein Großteil der bereitgestellten Energie in Kohlekraftwerken hergestellt wird („China-Strom“) und der Emissionsfaktor der Stromerzeugung 1 kg/ kWh beträgt, sind logischerweise genau gegenteilige Effekte festzustellen. Die Umweltbilanz des E-Golf verschlechtert sich mit und ohne nötigen Akkuwechsel um gut die Hälfte gegenüber dem Basisszenario. Auch die Bilanzen des Diesel- und des Benzinfahrzeugs verschlechtern sich, fallen aber um gut 37 % beziehungsweise 23 % besser aus als beim E-Golf, selbst wenn dort kein Akkuwechsel nötig ist. Die EU gibt für das Jahr 2020 das Ziel aus, die flottengemittelte lokale CO 2 -Emission von PKW in Europa auf 95 g/ km zu begrenzen. Lässt sich dies bei den beiden Verbrennungsmotor-Varianten durch Effizienzsteigerungen bei sonst gleichbleibenden Bedingungen und Materialbedürfnissen realisieren, ist in der Gesamtbetrachtung plötzlich das Benzinfahrzeug das umweltfreundlichste aller betrachteten Varianten und emittiert in etwa 30 % weniger als der E-Golf unter Standard-Annahmen. Fazit und Ausblick Da der Betrachtungsrahmen sehr viel umfangreicher ist als der von Studien, die eine Lebenszyklusanalyse anwenden oder alleine den Betrieb der Fahrzeuge zum Gegenstand machen, ist das Ergebnis schlussfolgernd sehr viel aussagekräftiger: Der Golf mit Dieselantrieb ist im Status quo umweltfreundlicher als der E-Golf. Das Anwenden der EIO-LCA dreht somit die Ergebnisse einer herkömmlichen LCA (angewandt auf den VW Golf VI) um [9]. Das einzige Szenario, das den E-Golf gegenüber dem Dieselfahrzeug im Vorteil sieht, ist der Bezug von Ökostrom. Sollen elektrisch betriebene Fahrzeuge einen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgase in Deutschland leisten, muss die Senkung des spezifischen Emissionskoeffizienten der Energiebereitstellung die oberste Maxime der deutschen Bundesregierung sein. Vor dem Hintergrund, dass die aktuellen Modelle der siebten Generation des VW Golf sogar noch weitaus weniger Treibstoff benötigen als die in dieser Arbeit betrachteten Fahrzeuge [10] und damit den europäischen Zielvorgaben für das Jahr 2020 sehr nahe kommen, steht der E- Golf im Vergleich sogar noch schlechter da. Ein Ausbau erneuerbarer Energien im deutschen Strommix ist zur Sicherstellung der Umweltfreundlichkeit der Elektromobilität damit unerlässlich. ■ QUELLEN [1] Die Bundesregierung (2011): Regierungsprogramm Elektromobilität, http: / / www.bmbf. de/ , 05.08.2013. [2] Kraftfahrtbundesamt (2013): Bestand an Personenkraftwagen in den Jahren 2006 bis 2013 nach ausgewählten Kraftstoffarten (Teil 2), http: / / www.kba.de/ , 06.08.2013. [3] A. Auf der Maur, M. Treiber & S. Lämmer (2012): Kombinierte Lebenszyklus- und Verflechtungsanalyse zur Bilanzierung der CO 2 -Emissionen von Elektrofahrzeugen, http: / / stefanlaemmer.de/ , 16.07.2013. [4] C. T. Hendrickson, L. B. Lave & H. S. Matthews (2006): Environmental Life Cycle Assessment of Goods and Services - An Input-Output Approach, Washington DC, RFF Press. [5] Statistisches Bundesamt (2013): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen - Input-Output-Rechnung 2009, https: / / www.destatis.de/ , 06.08.2013. [6] Statistisches Bundesamt (2013): Luftemissionen: Deutschland, Jahre, Luftemissionsart, Produktionsbereiche, https: / / www-genesis.destatis.de/ , 18.08.2013. [7] Volkswagen (2008): Der Golf - Umweltprädikat - Hintergrundbericht, http: / / www.volkswagen.de/ , 31.7.2013. [8] M. Lienkamp (2012): Elektromobilität: Hype oder Revolution? , Berlin-Heidelberg, Springer-Verlag. [9] H.-J. Althaus & M. Gauch (2010): Vergleichende Ökobilanz individueller Mobilität: Elektromobilität versus konventionelle Mobilität mit Bio- und fossilen Treibstoffen, http: / / www. empa.ch/ , 13.08.2013. [10] Volkswagen (2012): Der Golf - Umweltprädikat - Hintergrundbericht, http: / / www.volkswagen.de/ , 04.09.2013. Daniel Martin, B.Sc. Wissenschaftliche Hilfskraft bei der Planungsgemeinschaft Verkehr Hannover. DanyMartin@gmx.de Martin Treiber, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaft und Verkehr an der Technischen Universität Dresden. treiber@vwi.tu-dresden.de Szenario Diesel Benzin Elektro Elektro inkl. Akkuwechsel Basisszenario 18,27 22,71 20,11 23,06 Laufleistung 15 J. 17,11 21,67 17,97 19,94 Akku-Effizienz + 25% 18,27 22,71 19,70 22,23 Akkuprod. 100-EUR/ kWh 18,27 22,71 19,08 20,99 Ökostrom 17,00 21,57 10,21 12,57 Chinastrom 19,71 24,00 31,28 34,89 Langfristziel EU 15,55 15,46 20,11 23,06 Tabelle 1: Treibhausgasemissionen der Fahrzeugtypen in kg CO 2 -Äq. pro 100 km Fahrt nach Szenarien
