Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0068
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Reform des französischen Eisenbahnwesens 2014
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Ralf Schnieders
Am 22. Juli 2014 hat der Senat, die zweite Kammer des französischen Parlaments, dem Gesetz über die Eisenbahnreform zugestimmt und damit den Weg zu einer seit mehreren Jahren geplanten, erneuten Eisenbahnreform in Frankreich geebnet. Die Reform soll in der Reform von 1997 angelegte Deizite beseitigen und Lösungen für altbekannte Herausforderungen wie die Verschuldung und die Öfnung der Eisenbahnmärkte bringen.
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POLITIK Eisenbahnreform Frankreich Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 18 Reform des französischen Eisenbahnwesens 2014 Am 22. Juli 2014 hat der Senat, die zweite Kammer des französischen Parlaments, dem Gesetz über die Eisenbahnreform zugestimmt und damit den Weg zu einer seit mehreren Jahren geplanten, erneuten Eisenbahnreform in Frankreich geebnet. Die Reform soll in der Reform von 1997 angelegte Deizite beseitigen und Lösungen für altbekannte Herausforderungen wie die Verschuldung und die Öfnung der Eisenbahnmärkte bringen. Der Autor: Ralf Schnieders H intergrund der erneuten Eisenbahnreform 1 sind die großen Herausforderungen, vor denen das französische Eisenbahnsystem steht: Die Verschuldung lag 2012 bei ca. 41,5 Mrd. EUR und droht um 1,5 - 2 Mrd. EUR jährlich weiter anzusteigen 2 . Mehrere Eisenbahnunfälle 3 haben in das öffentliche Bewusstsein gerückt, dass die Instandhaltung des französischen konventionellen Schienennetzes jahrelang vernachlässigt wurde. Zudem hat die SNCF (Société Nationale des Chemins de fer Français) seit der Marktöfnung im Schienengüterverkehr im Jahr 2006 in Rekordzeit Marktanteile verloren 4 . Im Schienenpersonenverkehr könnte im Falle einer Marktöfnung Ähnliches bevorstehen. Die jetzige Reform korrigiert die französische Eisenbahnreform von 1997: Die erste Säule der Reform von 1997 war die Trennung der Schieneninfrastruktur von der SNCF und ihre Übertragung auf die neu gegründete öfentliche Anstalt Réseau ferré de France (RFF). Bei der SNCF verblieben die Fahrzeuge sowie die Bahnhöfe und Depots. Diese Trennung war insofern halbherzig, als die SNCF weiterhin praktisch den Betrieb und die Instandhaltung der Infrastruktur im Auftrag von RFF, d. h. für die Rechnung von RFF und gegen entsprechendes Entgelt ausführt. Die zweite Stoßrichtung der Reform war die Übertragung eines Großteils der Altschulden der SNCF (Ende 1996 bei ca. 35,9 Mrd. EUR) 5 auf RFF (in Höhe von ca. 20,5 Mrd. EUR) im Gegenzug zur Übertragung des Infrastruktureigentums. Schließlich leitete die Reform von 1997 als drittes Element die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ein. Mit der Gründung von RFF und der Übertragung eines großen Teils der Altschulden von der SNCF auf RFF konnte zum einen die vom europäischen Gemeinschaftsrecht geforderte Trennung der sogenannten wesentlichen Funktionen - Zugtrassenvergabe und Festsetzung der Wegeentgelte - von den Verkehrsunternehmen vollzogen werden 6 , zum anderen die geforderte Entschuldung des Verkehrsunternehmens 7 SNCF, ohne die Schulden in den allgemeinen Staatshaushalt zu überführen. Inhalte der Reform Eckpunkte der Reform hatte der französische Verkehrsminister Frédéric de Cuvillier erstmals im Oktober 2012 präsentiert 8 . Integration von SNCF und RFF in eine Holding-Struktur Die komplizierte Aufgabenteilung von SNCF und RFF hat sich immer mehr als kostspielig und nicht praxisgerecht erwiesen. Kritisiert wurden die Mehrkosten, eine generell schlechte Abstimmung zwischen SNCF und RFF und insbesondere die wenig berechenbare Planung und Durchführung der Gleisbauarbeiten durch RFF und SNCF 9 . Die Reform sieht nun eine Holdingstruktur ähnlich derjenigen der Deutschen Bahn AG vor (Bild 1): Der öfentlichen Holding-Anstalt „SNCF“ unterstehen künftig der Netzbetreiber „SNCF Réseau“ („SNCF Netz“) und die Eisenbahnverkehrsunternehmen „SNCF Mobilités“. SNCF Réseau vereinigt die bisherige RFF (mitsamt dem Eigentum an der Schieneninfrastruktur) sowie die bisherigen SNCF-Direktionen Direction des circulations ferroviaires (Netzbetrieb) und SNCF Infra (Netzinstandhaltung). Leitungsorgane der SNCF sind der Aufsichtsrat und das Direktorium: Das Direktorium der SNCF besteht künftig aus zwei Personen, die nur einvernehmlich entscheiden können: Der Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Mobilités, der Vize-Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Réseau. Die Bestellung und Abberufung des letzteren unterliegt dem Genehmigungsvorbehalt der Regulierungsbehörde. Bei Uneinigkeit der beiden Direktoriumsmitglieder entscheidet der vom Staat ernannte Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gruppe SNCF, in dem der Staat über die Mehrheit verfügt. Die Rege- Französischer Staat SNCF Holding-Anstalt SNCF Réseau Eisenbahninfrastrukturunternehmen SNCF Mobilités Eisenbahnverkehrsunternehmen, Transporteur Bild 1 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 19 Eisenbahnreform Frankreich POLITIK lung enthält zusätzliche Vorkehrungen zur personellen Unabhängigkeit des Leitungspersonals von SNCF Réseau von den Eisenbahnverkehrsunternehmen. Ein Dekret normiert weitere Sicherungen durch örtliche Trennung sowie eine Trennung der IT- Systeme. SNCF Réseau übt die sog. wesentlichen Funktionen aus und betreibt die Infrastruktur, hält sie instand und baut sie aus. Es schließt mit dem Staat eine zehnjährige Leistungsvereinbarung ab. Darin werden Leistungsziele und -kennzahlen festgelegt, ebenso wie die Ziele hinsichtlich der Infrastrukturentgelte und ihrer geplanten Entwicklung, ferner die Finanzierung der Instandhaltung der Infrastruktur und ihrer Erneuerung. Auch die Gruppe SNCF und SNCF Moblilities schließen zehnjährige Ziel-Vereinbarungen mit dem Staat. Begrenzung der Neuverschuldung des Eisenbahnsystems Die Leistungsvereinbarung mit SNCF Réseau soll auch eine weitere Beschleunigung des Anstiegs der Neuverschuldung aufgrund von Infrastrukturinvestitionen verhindern. SNCF Réseau darf künftig Infrastrukturgroßprojekte mit Eigenmitteln nur noch bis zu bestimmten Grenzwerten inanzieren. Oberhalb der Grenze müssen der Staat bzw. die Regionen die Finanzierung tragen. Ferner wird künftig die Gruppe SNCF einen Teil der Dividende, die sie bislang komplett an den französischen Staat abführen musste, einbehalten bzw. SNCF Réseau zur Verfügung stellen können. Zusätzlich erhoft man sich Eizienzsteigerungen infolge der neuen Holding-Struktur des französischen Eisenbahnwesens und allgemein im Eisenbahnunternehmen. Weiterhin hat der Staat in Aussicht gestellt, künftig mehr Geld für die Instandhaltung und für Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Schließlich wird eine regionale Unternehmensteuer eingeführt, die den regionalen Aufgabenträgern für den SPNV zugutekommen und einen Betrag von ca. 450 Mio. EUR p. a. einbringen soll. Rechtsverordnung zur Arbeitszeit und Branchentarifvertrag Die Rechte der französischen Eisenbahner regeln derzeit zwei parallele Rechtsregime: das traditionelle Regime der Eisenbahner der SNCF, das demjenigen eines Beamten vergleichbar ist und sehr günstige Regelungen zu Arbeits- und Ruhezeiten, Kündigungsschutz sowie Sozialleistungen enthält auf der einen Seite und ein Branchentarifvertrag für nach dem Arbeitsgesetzbuch Beschäftigte auf der anderen Seite. Dies ermöglicht es den Wettbewerbern der SNCF, wesentlich lexibler und produktiver am Markt zu agieren als die SNCF 10 . Das Reformgesetz sieht nun den Erlass einer Rechtsverordnung zu Fragen der Arbeitszeit vor, die sowohl auf die Eisenbahner der SNCF Anwendung indet als auch auf die privaten Wettbewerber. Sodann beauftragt das Gesetz die Sozialpartner, in einer Branchenvereinbarung die sozialen Arbeitsbedingungen für den gesamten Eisenbahnsektor festzulegen. Inwieweit sich diese Regelwerke in der Zukunft nachteilig auf den intramodalen bzw. den intermodalen Wettbewerb auswirken werden, wird maßgeblich von den konkreten Regelungen abhängen, die hier gefunden werden. In der Vergangenheit hat es sich jedenfalls als äußerst schwierig erwiesen, Besitzstände der Beschäftigten der SNCF zu beschneiden. Stärkung der Kompetenzen der Eisenbahn- Regulierungsbehörde Dem Genehmigungsvorbehalt der Eisenbahnregulierungsbehörde unterliegen künftig die Infrastrukturnutzungsentgelte hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Entgeltbildungsgrundsätze und der Entgelthöhen ebenso wie die Nutzungsentgelte für die Personenbahnhöfe und Serviceeinrichtungen. Die Regulierungsbehörde wird angehört vor dem Abschluss des zehnjährigen Rahmenvertrages zwischen dem Staat und der Gruppe SNCF über die zu erreichenden Entwicklungsziele, vor dem Abschluss der zehnjährigen Leistungsvereinbarung des Staates mit SNCF Réseau, vor der jährlichen Berichterstattung über die Umsetzung dieses Vertrages durch SNCF Réseau und vor der Aufstellung des Jahresbudgets von SNCF Réseau. Ferner muss die Regulierungsbehörde eine begründete Stellungnahme über die Finanzierung von Infrastrukturgroßprojekten und die notwendigen Finanzierungszuschüsse an SNCF Réseau abgeben. Ausblick Der französische Staat schaft mit der Reform die Instrumente, um seinen strategischen Einluss auf die SNCF zu stärken, vor allem durch den Abschluss der zehnjährigen Leistungs- und Entwicklungsvereinbarungen mit den drei öfentlichen Anstalten, aber auch durch seine Rolle im Aufsichtsrat der SNCF. Zahlreiche Elemente der Reform müssen indes erst noch durch Dekrete konkretisiert werden. Die EU überarbeitet derzeit mit dem Vierten EU-Eisenbahnpaket die Trennungsanforderungen für Eisenbahnen und will dabei insbesondere die Anforderungen an Holding-Modelle verschärfen 11 . Die französische Regierung hat sich mit der Reform für ein eben solches Modell entschieden, dabei allerdings zahlreiche Vorkehrungen zur Sicherung der Unabhängigkeit von SNCF Réseau und der Transparenz der Finanzströme vorgesehen. Der (noch amtierende) Verkehrskommissar Siim Kallas hat indes bereits wissen lassen, die französische Reform „gehe in die richtige Richtung“ 12 . Keine dauerhafte Lösung dürfte die Reform für die Verschuldungsfrage bringen: Die Maßnahmen sollen gewährleisten, dass die Verschuldung bis 2025 „lediglich“ auf 60- Mrd. EUR ansteigen soll statt auf 80- Mrd.- EUR bei einem Szenario ohne die Reform 13 . Aus diesem Grund hatten die Abgeordneten der konservativen Opposition der UMP der Reform die Zustimmung versagt. Die hohe Verschuldung wird weiterhin die intermodale Wettbewerbsfähigkeit des französischen Schienenverkehrs beeinträchtigen. ■ 1 Loi n° 2014-872 du 4 août 2014 portant réforme ferroviaire, veröfentlicht im Journal oiciel vom 5. August 2014. 2 Assemblée nationale Dok.nr. 1468, Projet de loi portant réforme ferroviaire, étude d’impact, 15 octobre 2013, Seite 27 f. 3 Entgleisung im Bahnhof von Brétigny-sur-Orge im Jahre 2013 mit 7 Toten und zahlreichen Verletzten, im Juli 2014 der Aufahrunfall von Denguin mit 40 Verletzten. 4 Der Marktanteil der SNCF betrug im Jahr 2013 noch 67% (Quelle: Autorité de régulation des activités ferroviaires: Rapport d’activité 2013, S. 26). 5 Conseil supérieur du service public ferroviaire: Rapport d’évaluation de la réforme du secteur du transport ferroviaire vom 28.11.2001, S. 15. 6 Vgl. Art. 7 RL 2012/ 34/ EU. 7 Vgl. Art. 9 RL 2012/ 34/ EU. 8 S. auch die vorbereitenden Berichte: Jean Louis Bianco: Réussir la réforme du système ferroviaire, April 2013 sowie Jacques Auxiette: Un nouveau destin pour le service public ferroviaire français: Les propositions des Régions, April 2013. 9 Vgl. den Bericht des französischen Rechnungshofes: Le réseau ferroviaire - une réforme inachevée, une stratégie incertaine, Paris 2008 sowie zuletzt als Beispiel für mangelnde Koordination die Großbestellung von Regionalzügen durch SNCF, die für viele Bahnsteige zu breit sind, vgl. Canard enchainé vom 21.5.2014 und FAZ vom 22.5.2014. 10 Auch die SNCF-Schienengüterverkehrstochter VFLI beschäftigt ihre Angestellten allerdings nach dem Branchentarifvertrag und behauptet sich erfolgreich am Markt. 11 Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der RL 2012/ 34/ EU, Dokumentennr. KOM(2013) 29 inal. 12 Siim Kallas in: Les Echos vom 17.7.2014. 13 Lemonde.fr vom 23.7.2014: La réforme ferroviaire passe l‘étape de l‘Assemblée, http: / / www.lemonde.fr/ economie/ article/ 2014/ 07/ 22/ la-reforme-ferroviaire-deinitivementadoptee-par-l-assemblee_4460836_3234.html Ralf Schnieders, Dr. iur. Fachbereichsleiter Europäische Eisenbahnangelegenheiten, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V., Berlin schnieders@vdv.de
