eJournals Internationales Verkehrswesen 66/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0073
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2014
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Der Vorhang fällt - und alle Fragen offen

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2014
Werner Balsen
Albert Speer
Eberhard Buhl
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Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 33 Z u Beginn der neuen Legislaturperiode in der EU hat sich ein Klassiker auf die EU-Bühne zurückgeschlichen: die Kabotage. Nein, es gibt keine neue Inszenierung des amtierenden Regisseurs Siim Kallas, dessen Vertrag im Brüsseler Haus Ende Oktober ausläuft. Es ist vielmehr so, dass einzelne Mitglieder des EU- Ensembles sich bereits vor der Sommerpause im Werkstatt-Theater an neuen Interpretationen des klassischen Stofs versuchten, in dessen Zentrum der Konlikt zwischen der garantierten Freiheit des Binnenmarktes und dem notwendigen Schutz von Arbeitern und Unternehmern im Transportgewerbe steht. Vor ziemlich genau einem Jahr hat Kallas eine groß angekündigte Inszenierung kurzerhand vom Spielplan abgesetzt. Zu groß war der angekündigte Widerstand im Europäischen Parlament (EP) und bei einem großen Teil der EU- Verkehrsminister gegen eine Liberalisierung des Gütertransports auf der Straße. Die Ressortchefs wollten erst einmal den Bericht über die „Lage auf dem Straßengüterverkehrsmarkt in der Union“ lesen, den Kallas ihnen noch schuldig war. Als der das Script im Frühjahr mit deutlicher Verspätung präsentierte, machte er allen klar, dass ihm Beschränkungen der Kabotage nach wie vor ein Dorn im Auge sind. Das rief andere Autoren auf die Bühne: Der französische Verkehrs-Staatssekretär Frédéric Cuivillier führt derzeit den Kampf gegen eine Liberalisierung der Kabotageregeln an. Er präsentierte eine Erklärung, mit denen seine - westeuropäischen - Ministerkollegen weitgehend einverstanden sind. Die nord- und südosteuropäischen nicht. Letztere pochen - völlig zu Recht - auf die Freiheiten des Binnenmarktes, die Unternehmen in ihren Ländern durch einige „archaische Beschränkungen“ verwehrt würden. Darin sehen sie eine gegen das EU-Recht verstoßende Diskriminierung. Hinzu kommt: Die geltenden Vorschriften sorgen für unproduktive Leerfahrten, die hohe gesellschaftliche Kosten verursachen. Das ist auch die Auffassung von Kallas, die er in der letzten Sitzung des EP-Verkehrsausschusses vor der Sommerpause noch einmal klar zum Ausdruck brachte. Dem steht die Argumentation der „alten“ EU-Staaten („EU-12“) gegenüber. Sie verweisen auf das zwischen den Unionsstaaten bestehende Gefälle bei den Sozial- und Steuergesetzen, auf die fehlende Umsetzung der seit 2009 geltenden Kabotage-Vorschriften in einigen EU-Ländern und auf die völlig unterschiedliche Sanktionierung von Verstößen gegen das existierende Recht. Darin sehen die Regierungen dieser Staaten die Haupt-Hindernisse für einen fairen Wettbewerb im Straßengüterverkehr. Das Dilemma zwischen der Freiheit des Binnenmarktes und den sozialpolitischen Diskrepanzen scheint unlösbar. Denn es verweist auf einen zentralen Webfehler in der EU: Der angestrebten unionsweiten Liberalisierung auf vielen-Feldern steht keine Angleichung der Sozialgesetzgebung in den Mitgliedstaaten gegenüber. Wenn es um grundsätzliche Webfehler geht, an denen die Politik scheitert, könnte man Hofnung auf Wissenschaft und Think-Tanks setzen, die gewöhnlich Brüsseler Debatten bereichern. Zum Thema Kabotage hat das kürzlich das Centrum für Europäische Politik (cep) getan. Wer von dessen „Analyse“ allerdings einen sinnvollen Beitrag erwartet hat, sieht sich schwer enttäuscht. Die marktliberalen Experten aus Freiburg machen es sich lächerlich einfach: Für sie gibt es kein ordnungspolitisches Argument für Beschränkungen. Deren Lockerung senke deswegen die Preise für Straßengütertransporte. Fehlende Harmonisierung des Sozial- und Arbeitsrechts innerhalb der Mitgliedstaaten der Union (kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit)? Das ist für die Freiburger Autoren kein Problem. Denn der nach dem Ende aller Beschränkungen eizientere Straßenverkehr wirke sich tendenziell positiv auf Wachstum und Beschäftigung aus. Punkt. Mehr meinen die Marktgläubigen nicht sagen zu müssen zu dem Thema, das Transportwirtschaft und Politik in den westlichen EU-Staaten umtreibt. Der Markt wird es schon richten. Das ist skandalös wenig. So deutet nichts drauf hin, dass die Proben auf den diversen Werkstatt-Bühnen sinnvolle Impulse für eine weiterführende Neuinterpretation des Kabotage-Dramas liefern könnten. Auch ihnen fehlt die Dramaturgie, die den Kernkonlikt zwischen Freiheit im Binnenmarkt und fehlender sozial- und arbeitspolitischer Harmonie in der EU lösen könnte. Das ist bedauerlich. Vorhang! ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Der Vorhang fällt - und alle Fragen ofen