Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Logistikgeschenke zum Hundertsten
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Dirk Ruppik
Die Türkei plant gewaltige Logistikprojekte, doch die instabile politische Lage könnte die erforderlichen ausländischen Direktinvestitionen stoppen und die Projekte gefährden.
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Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 50 LOGISTIK Türkei Logistikgeschenke zum Hundertsten Die Türkei plant gewaltige Logistikprojekte, doch die instabile politische Lage könnte die erforderlichen ausländischen Direktinvestitionen stoppen und die Projekte gefährden. Der Autor: Dirk Ruppik D ie in den letzten Jahren aufstrebende Türkei muss nun einige Schläge entgegen nehmen. Aufgrund der politischen Lage hat die internationale Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) im Februar ihren Ratingausblick für das Land am Bosporus von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Die langfristige Bonitätsnote wurde bei BB+ belassen. Für 2014 sagt die Agentur ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 2,4 % voraus, 2015 soll das BIP-Wachstum auf 2,0 % sinken. Die Europäische Kommission erwartet für 2014 ein reales Wachstum der türkischen Wirtschaft von 2,5 %. Dagegen rechnet die türkische Regierung nach wie vor mit 4,0 % Wachstum. Die Weltbank wiederum schätzt die Zunahme des BIP auf 3,5 %. Um die ehrgeizigen Entwicklungs- und Wachstumziele umzusetzen, ist die Türkei im hohen Maße von ausländischen Direktinvestitionen abhängig. Diese sind durch die Korruptionsafäre um Premierminister Erdoğan, seinen autoritären Führungsstil und die daraus entstehenden politischen Verwerfungen gefährdet. Nach der für Recep Tayyip Erdoğan so erfolgreichen Präsidentenwahl am 10. August 2014 ist die Situation nicht einfacher geworden - selbst die türkische Wirtschaft fürchtet einen Rückgang der Direktinvestitionen, der auch den geplanten logistischen Ausbau des Landes am Bosporus gefährden könnte. 1 Gute Prognosen für Logistikdienstleistungen Dabei gibt es viele Faktoren, die für ein unternehmerisches Engagement in der Türkei sprechen. Zunächst fällt die günstige geograische Lage auf (Bild 1). Von der Türkei aus können leicht Konsumenten in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika versorgt werden. Zudem liegt das Land traditionell an wichtigen Handelsstraßen wie der Gewürz- und Seidenstraße. 2012 ist die türkische Republik laut Invest in Turkey, Website der staatlichen Agentur für Wirtschafts- und Investitionsförderung der Türkei (ISPAT) 2 , zur „16.-größten Volkswirtschaft der Welt und zur sechstgrößten Volkswirtschaft im Vergleich mit den 27 EU-Ländern in Bezug auf BIP und Kaukraftparität geworden“. Der aufstrebende Mittelstand in einem Land mit 2013 fast 77 Mio. Einwohnern verspricht eine zunehmende Kaufkraft. Weiteres Argument für den Standort sind nach Ansicht des Beratungsunternehmens Jones Lang LaSalle die zahlreichen Pläne zum Ausbau der industriellen Kapazitäten und die Verbreitung von Outsourcing in vielen Bereichen. Sie sind ein Indikator dafür, dass der Transport- und Logistiksektor in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Das Land muss allerdings die Abhängigkeit von Energie- und Rohstoimporten verringern, die ein chronisches Handels- und Leistungsbilanzdeizit erzeugen und somit eine Wachstumsbremse darstellen. Ehrgeizige Logistikprojekte Die Verkehrsinfrastruktur der mittlerweile als „China Europas“ bezeichneten Republik Türkei soll massiv ausgebaut werden. Bisher Bild 2 : Marmarameer in Istanbul, vom Topkapi-Palast aus gesehen Foto: CherryX/ Wikipedia Bild 1: Geografisch günstige Lage der Türkei Quelle: Türk. Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 51 Türkei LOGISTIK werden - laut Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation - rund 75 % der Fracht auf der Straße transportiert. Das Türkische Statistische Institut 3 meldet, dass sich 2013 die Importe laut um 6,4 % vermehrt haben, die Exporte allerdings um 0,4 % schrumpften. Im Vorjahr lag umgekehrt der Export-Zuwachs bei 13 %, und die Importe gingen um 1,8 % zurück. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) iel laut Weltbank auf 2,2 %, eine Folge der restriktiven Wirtschaftspolitik der Regierung und der Geldpolitik der Zentralbank. Zudem führte die Abschwächung des privaten Konsums, der einen großen Anteil am BIP hat, zu einem Schrumpfen des Wirtschaftswachstums. Bis 2016 soll das BIP jedoch wieder bei rund 4 % liegen. Der Exportwert wird sich gemäß mittelfristigem Regierungsprogramm zwischen 2013 und 2016 von 112-Mrd. EUR (153,5 Mrd. USD) auf 147 Mrd. EUR (202,5 Mrd. USD) erhöhen. Laut Prognose soll der Wert der Importe von 183 Mrd. EUR auf 222 Mrd. EUR ansteigen. Daher muss die Infrastruktur dringend ausgebaut werden - und der türkische Staat will bis 2023 145-Mrd. EUR in diesen Bereich investieren, davon 60 % aus staatlicher Hand. Zu den ehrgeizigen Vorhaben gehört beispielsweise der „Kanal İstanbul“, ein zum Bosporus paralleler Kanal, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden soll (Bild 2). Der 48 km lange, 150 m breite und 25-m tiefe Kanal wird westlich des Bosporus verlaufen und soll nach dem Wunsch der Regierung bis 2023 zum 100. Jahrestag der Gründung der Türkei fertiggestellt sein - was bei der Größe des Projekts allerdings utopisch erscheint. Auf dem Kanal könnten bis zu 160 Schife pro Tag verkehren, der stark befahrene Bosporus (täglich etwa 255 Schife, darunter zahlreiche Öltanker) würde dadurch entlastet werden. Die Kosten für das Projekt werden auf 8-10 Mrd. USD (6 bis 7,5-Mrd. EUR) geschätzt. Weiterhin sind drei Containerhäfen in Bau bzw. noch in der Planungsphase: Çandarlı (Kapazität: 12 Mio. TEU, zwei Phasen) in der nordägäischen See, Filyos im westlichen Schwarzen Meer (Container, Eisenerz und Öl, Kapazität 25-Mio. t) und Mersin (11,4 Mio. TEU, fünf Phasen) im Mittelmeer. Çandarlı wird somit zum größten Hafen im Mittelmeer avancieren. Ebenso ist der Ausbau des Istanbuler Hafens Ambarlı Liman (7,2 Mio. TEU in 2012) zum Containerhub geplant. Der Güterumschlag in den Seehäfen wird gemäß Fünjahresplan (2014-2018) von 248 Mio. auf 615 Mio. t und der Umschlag in den Containerhäfen von 3,9- Mio. auf 13,8 Mio. TEU steigen. Zusätzlich steht die Privatisierung von Häfen an. Die Planung des dritten Flughafens in der Hauptstadt Istanbul war im Februar aufgrund eines Berichtsentschlusses wegen Umweltbedenken ins Stocken geraten. Der neue Flughafen soll aus sechs Landebahnen, 16 Rollbahnen, 165 Fluggastbrücken und einem 6,5 Mio. m 2 großen Flugfeld bestehen. Die Kosten werden sich auf 10 Mrd. Türkische Lira (TRY), etwa 3,5 Mrd. EUR) belaufen. Bau und Betrieb des Flughafens wird das Limak-Konsortium übernehmen. Weitere Projekte sind eine dritte Brücke über den Bosporus für 4,5 Mrd. EUR, die Zulaufstrecken für den 13,6 km langen Marmaray-Eisenbahntunnel in der Straße von Istanbul und ein landesweites Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz. Wenn ab voraussichtlich 2015 die Marmaray-Strecke und anschließend die Verbindung Kars- Tbilisi-Baku (Bild 4) in Betrieb gehen, wird eine ununterbrochene Eisenbahnverbindung von London via Türkei bis ans Kaspische Meer und weiter nach China bestehen. Laut Fünjahresplan sollen die bisher sehr niedrigen Anteile des Schienentransports am gesamten Transportvolumen in den kommenden zehn Jahren auf 15 %, die des Seetransports auf 10 % erhöht werden. Bleibt nur abzuwarten, wie sich das Land unter einem Staatspräsidenten Erdoğan weiterentwickeln wird. ■ 1 Hasnain Kazim: Wirtschaftsklima in der Türkei: Industrieverband fürchtet den Erdogan-Efekt; in: Spiegel online, 12.08.2014; http: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ soziales/ tuerkische-wirtschaft-sieht-erdogans-wahlsieg-skeptischa-985716.html (Stand: 22.08.2014) 2 http: / / www.invest.gov.tr 3 http: / / www.turkstat.gov.tr Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist mit Büro in Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 3: Die neue „Eiserne Seidenstraße” führt von Westeuropa über die Türkei nach Asien. Quelle: Türk. Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation Bild 4: Bahnstrecken zwischen Kars (Türkei) und Baku (Aserbaidschan) am Kaspischen Meer Grafik: Maximilian Dörrbecker/ Wikipedia
