eJournals Internationales Verkehrswesen 66/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0097
91
2014
663

Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland

91
2014
Hartmut Fricke
Jürgen  Siegmann
Hermann Winner
Alle Akteure im System Bahn bedauern seit geraumer Zeit die zunehmenden Verzögerungen in den Zulassungsprozessen von Schienenfahrzeugen. Die Zulassungsprozesse für Flugzeuge und Automobile verlaufen dagegen scheinbar reibungslos und eizient. Daher befasst sich die beginnende dreiteilige Artikelreihe mit dem Vergleich der Systeme, um hieraus, so weit erkennbar, Lernprozesse anzustoßen und verbleibende Schwachstellen aufzudecken. – Teil 1 behandelt die Systemunterschiede und die Zulassungsprozesse für Straßenfahrzeuge.
iv6630104
Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 104 TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung Zulassungsprozesse für Fahrzeuge in Deutschland Straße, Luft und Schiene im Vergleich - Teil 1: Straße Alle Akteure im System Bahn bedauern seit geraumer Zeit die zunehmenden Verzögerungen in den Zulassungsprozessen von Schienenfahrzeugen. Die Zulassungsprozesse für Flugzeuge und Automobile verlaufen dagegen scheinbar reibungslos und eizient. Daher befasst sich die beginnende dreiteilige Artikelreihe mit dem Vergleich der Systeme, um hieraus, so weit erkennbar, Lernprozesse anzustoßen und-verbleibende Schwachstellen aufzudecken. - Teil 1 behandelt die Systemunterschiede und die Zulassungsprozesse für Straßenfahrzeuge. Die Autoren: Hartmut Fricke, Jürgen Siegmann, Hermann Winner D as hohe erreichte Sicherheitsniveau sowohl auf der Fahrwegseite als auch bei den Schienenfahrzeugen und deren Zusammenspiel beim Bahnbetrieb darf nicht durch neue Komponenten gefährdet werden. Gesetzliche Regelungen wie die Eisenbahnbau- und -betriebsordnung (EBO) auf Basis des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) deinieren Mindeststandards für das komplexe Zusammenspiel von Fahrzeug und Fahrweg. Noch genauer werden die Erfahrungen aus mehr als 175 Jahren Bahnbetrieb in diversen weiteren Regelwerken festgehalten. Der § 2 der EBO verlangt, dass bei jeder Änderung im System mindestens die gleiche Sicherheit erreicht wird wie bei Verwendung der vorhandenen Komponenten und Betriebsvorschriften. Weil jede Neuerung häuig ein wenig mehr an Sicherheit liefert, droht das System Bahn langfristig an seinem dann erreichten Sicherheitsniveau jede Innovation zu hemmen. Lassen sich aus den Zulassungsprozessen für Straßen- und Luftfahrzeuge Handlungsoptionen ableiten, die zur Beschleunigung der Zulassung auch bei Schienenfahrzeugen führen kann? Systemunterschiede und Vergleichbarkeit Historisch sind die vorwiegend staatlichen Bahnen in Europa nicht einheitlich gewachsen, sie haben sich zeitweise bewusst von Systemen in anderen Ländern abgegrenzt. Mit dem Ziel der Durchlässigkeit der Grenzen, einer universellen Verwendbarkeit von Wagen und Triebfahrzeugen und der Erhöhung der Stückzahlen der diversen Bahnkomponenten - und entsprechender Preisdegression - verfolgt die EU seit mehr als 15- Jahren die Vereinheitlichung der Bahnsysteme und will das u.a. mit den Technischen Spezifikationen Interoperabilität (TSI) erreichen. Da jedes Land sich nach seinen Möglichkeiten und Randbedingungen an die EU-Vorgaben anpassen muss, werden die Bahnsysteme im EU- Raum dennoch mindestens 20 Jahre uneinheitlich sein, bis der Abgleich vollständig erfolgt ist. Aus einem Vergleich der Zulassungsprozesse bei Flugzeugen und Straßenbzw. Schienenfahrzeugen sollen Empfehlungen abgeleitet werden, wie die bereits eingeleiteten Schritte zur Verbesserung der Zulassungen (u. a. Handbuch Zulassung Schiene) im Sinne von best practises noch weiter optimiert werden können. Dazu sind in Tabelle 1 die Eckdaten der- drei Verkehrssysteme zusammengestellt 1, 2 . Luftfahrt Straßenverkehr Eisenbahn Bewegungsoptionen 3-D (Raum) 2-D (Fläche) 1-D (Linie) Bediener Verantwortlicher Fahrzeugführer meist redundant nicht redundant nicht redundant Professionalität der Fahrzeugführer fast vollständig hauptberulich geringer Anteil hauptberulich fast vollständig hauptberulich Ausbildung Theorie > 750 Stunden > 21 Stunden ~ 800 Stunden Praxis > 1500 Stunden > 9 Stunden 1 ~ 400 Stunden Schulung auf Fahrzeugtyp Ja Nein Ja Weiterbildung Erforderlich Nicht erforderlich Erforderlich Technische Rahmenbedingungen Dokumentation Fahrten/ Betriebsstunden Ja Nein Überwachung der Lauleistung, automatische Fahrtenschreiber Instandhaltung, Reparatur Nur von zertiizierten Betrieben Werkstätten, Selbsthilfe Nur von zertiizierten Betrieben, dann auch kleine Werkstätten Unfallanalyse Jeder Unfall/ schwere Störung, durch unabhängige staatliche Stelle In Einzelfällen, durch zertiizierte Gutachter Jeder Unfall/ schwere Störung, durch unabhängige staatliche Stelle Stückzahlen (in Europa) 103 (fallend) 106 (steigend) 103 (fallend, bei steigender Fahrleistung pro Triebfahrzeug) Modellwechsel ca. 20 Jahre ca. 5 - 7 Jahre ca. 20 Jahre für Triebfahrzeuge Tabelle 1: Vergleich der Bedingungen der Verkehrssysteme Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 105 Fahrzeugzulassung TECHNOLOGIE Zulassungsprozesse für Straßenfahrzeuge Anzahl und Basis der Fahrzeugzulassungsprozesse je Jahr In Tabelle 2 sind die absoluten Zahlen der im Jahr 2011 für den Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeuge (Baureihen, Spanne der abgedeckten Derivate) zusammengefasst. Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern ist dabei hinsichtlich der typischen Stückzahlen im Bereich von einigen Tausend pro Jahr am ehesten die Klasse Omnibus vergleichbar. Dabei handelt es sich um die individuellen Fahrzeugzulassungsprozesse. Denen liegen jedoch bei Serienfahrzeugen Typgenehmigungen zugrunde, die die allgemeine technische Eignung des Fahrzeugs für den Verkehr bescheinigen. Die für die Ausstellung einer Typgenehmigung notwendigen Schritte werden in den folgenden Abschnitten beschrieben. Im Bereich Personenwagen liegt die Anzahl der Typgenehmigungen, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) pro Jahr erteilt, anhand der Ausstellungsdaten der allgemeinen Typschlüsselnummern-Aufstellung des KBAs für PKW für die Jahre 2009 bis 2012 zwischen 1025 und 1420 Typgenehmigungen pro Jahr der Klasse M. Ablauf Zulassungsprozess im Straßenverkehr Grundlage für den Zulassungsprozess zum Straßenverkehr ist die Rahmenrichtlinie 2007/ 46/ EG (früher 70/ 156/ EWG). Neben den allgemeinen Verfahren ist in Deutschland auch jeweils eine Einzelabnahme durch Vollgutachten nach § 21 der StVZO möglich. Grundsätzlich wird zwischen den folgenden Arten von Zulassung unterschieden: • Einphasig • Mehrphasig (für Nutzfahrzeuge und Aubauten) • Gemischte Typgenehmigung Einphasig Bei der einphasigen Zulassung werden die folgenden Schritte ausgeführt: 1. Schritt: Ein akkreditierter technischer Dienst bzw. Gutachter muss bestätigen, dass das Produkt den Regelwerken (den europäischen Sicherheits- und Umweltschutznormen) entspricht (Konformitätsbestätigung bzw. Certiicate of Conformity (CoC)) 2. Schritt: Nachweis eines Qualitätsmanagements in der Produktion (bspw. ISO 9001), um Abweichungen der Serienprodukte zu vermeiden. 3. Schritt: Genehmigungsbehörde des Mitgliedsstaats (in Deutschland das KBA) stellt sodann die EG-Typgenehmigung aus. 4. Schritt: Bei der Zulassung des Einzelfahrzeuges wird diese Typgenehmigung vorgelegt, eine weitere technische Kontrolle erfolgt nicht. In Bild 1 sind die einzelnen Schritte einer Typgenehmigung bzw. für ein CoC dargestellt. Beteiligt sind dabei das Kraftfahrtbundesamt (KBA), der Hersteller sowie ein technischer Dienst (TD). Die Typgenehmigungen unterscheiden mindestens zwischen den folgenden Kriterien: • Fahrzeugklasse, • Aubau, • Kraftstofart oder Energiequelle, • Nennleistung in kW, • Max. Hubraum in cm 3 , • Anzahl der Achsen, • Max. Anzahl der Antriebsachsen, • Max. Anzahl der Sitzplätze (inkl. Fahrersitz), • Max. technisch zulässige Gesamtmasse. Es ist also bei jeder Motorvariante eine neue Typzulassung nötig. Mehrphasig (für Nutzfahrzeuge und Aubauten) Zunächst lässt der Hersteller der ersten Fertigungsstufe die Typgenehmigung eines Fahrgestells durchführen, das die Antriebseinheit, die Räder, die Auhängung, die Bremsanlagen usw. umfasst; hierfür wird dann eine EG-Typgenehmigung ausgestellt. Darauhin setzt der Hersteller der zweiten Fertigungsstufe den Aubau auf das Fahrgestell und führt das vervollständigte Fahrzeug zur Typgenehmigung vor. Fahrzeuge, bei denen ein und derselbe Hersteller Fahrgestell und Aubau ausführt, können im Rahmen des für Personenkraftwagen geltenden, vorgenannten einphasigen Verfahrens genehmigt werden. 3 Gemischte Typgenehmigung Im Falle eines gemischten Typgenehmigungsverfahrens kann die Genehmigungsbehörde einen Hersteller von der Verplichtung zur Vorlage von einem oder mehreren EG-Typ-genehmigungsbögen für Systeme ausnehmen, sofern der Beschreibungsmappe während der Fahrzeuggenehmigungsphase die in Anhang I genannten, für die Genehmigung dieser Systeme notwendigen Angaben beigefügt sind. In diesem Fall ist jeder EG-Typgenehmigungsbogen, auf den die Behörde verzichtet, durch einen Prübericht zu ersetzen. Für die Zulassung wird ein akkreditierter technischer Dienst benötigt. Dieser kann sowohl Zertiizierungsstelle für die Übereinstimmung der Produktion des Fahrzeugs mit den Regularien der Qualitätssicherung Klasse Anzahl PKW 3 170 000 Krafträder 141 465 LKW 280 088 Omnibusse 5042 Tabelle 2: Neuzulassungen von Fahrzeugen im Jahr (Stand 2011) Quelle: KBA Bild 1: Einzelschritte für die Erstellung einer Typgenehmigung/ Certiicate of Conformity (CoC) Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 106 TECHNOLOGIE Fahrzeugzulassung als auch Prülabor für die Durchführung der Typprüfung des jeweiligen Fahrzeugs sein. In Bild 2 sind die Zusammenhänge und involvierten Prüfstellen dargestellt. Die Aufgaben sind dabei: Prüflabore: Durchführen oder Beaufsichtigen von Prüfungen, Erstellen von Prüberichten für das Typgenehmigungsverfahren sowie Produktqualitätsüberprüfung (Conformity of Production, CoP). Anzuwenden sind die DIN EN ISO/ IEC 17025 und/ oder DIN EN ISO/ IEC 17020. Zertifizierungsstellen: Beurteilung der Qualitätsmanagementsysteme auf Entsprechung mit den genehmigungsrelevanten Anforderungen und entsprechende Bescheinigungen für das Typgenehmigungsverfahren/ die CoP-System-Überprüfung des KBA. Anzuwenden sind die DIN EN ISO/ IEC 17021. Die zertiizierten Technischen Dienste sind auf der Homepage des KBA gelistet. Die beschriebenen Prüf- und Genehmigungsprozeduren sind weltweit sehr ähnlich. Die Überprüfung der Serienfertigung geschieht zumeist durch Stichproben. Beispielhafte Länge einer Zulassung von Antrag bis Stempel im Straßenverkehr Beispielhafte Meilensteine des Zertiizierungsprozesses zum Erlangen einer Typgenehmigung für ein neues Fahrzeugmuster auf Seiten des Automobilherstellers sind in Bild 3 dargestellt. Insgesamt bedarf es in etwa fünf Monate für ein Typgenehmigungsverfahren. Darin enthalten sind 1. interne Vorbereitung durch Fahrzeughersteller, Beschreibung der Systeme; 2. technischer Dienst z.B. durch TÜV: Erstellung des Prüberichts und 3. die seitens der Genehmigungsbehörde (KBA) benötigte Zeit zur Erteilung der EG-Typgenehmigung. Stückzahlen in der Produktion im Zulassungsbereich Die Zulassungen in Deutschland pro Jahr wurden bereits in Tabelle 2 dargestellt. Um die Spanne der Stückzahlen der Hersteller in der Produktion abzuschätzen, werden in Tabelle 3 die Zulassungsstückzahlen für einzelne Fahrzeugtypen in Deutschland pro Jahr beispielhaft dargestellt. Insgesamt wurden vom VW Golf im Jahr 2012 weltweit 825 591 Fahrzeuge produziert, der Typ Jetta/ Bora kam auf 1 060 824 Exemplare. 5 Die 2007/ 46/ EG Richtlinie unterscheidet hinsichtlich der Zulassungsverfahren noch Kleinserienfahrzeuge, die in zehn Klassen nach den jährlich in der Gemeinschaft verkauften Exemplaren von 75 bis 500 Fahrzeuge pro Jahr begrenzt sind. Wissenskreislauf Hersteller-Betreiber- Technischer Dienst für Hauptuntersuchung- Werkstätten-Hersteller Wer muss in diesem Kreislauf welches Wissen haben? • Zwischen Hersteller und Betreiber: Für PKW ist hier insbesondere der Fahrer derjenige, der informiert sein muss. Dies geschieht hauptsächlich über die Bedienungsanleitung. • Hersteller - Technischer Dienst für Hauptuntersuchung: für Hauptuntersuchung eher allgemeine Schulungen • Für Typprüfung: „Schulung“ vermutlich durch den Betrieb, der die Genehmigung benötigt, als eine Art „Training on the Job“ • Hersteller - Werkstätten: Online-Infodienste und Schulungen (hauptsächlich bei „Markenwerkstätten“) Werkstätten-Hersteller: Bei dem Hersteller zugeordneten „Markenwerkstätten“ können über das Online-Auslesen von Fehlerspeichern theoretisch Daten rückgespeist werden. Zudem werden häuig die durchgeführten Arbeiten gekoppelt an die Fahrzeugidentiikationsnummer (FIN) in der Herstellerkartei gespeichert. Daraus können Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Produkte gewonnen werden. Verantwortung für die Zulassung, bei Gefährdungen durch fahrlässige Zulassung Mangels gesicherter Informationen zu den konkreten Haftungsfragen wird hier nur die folgende Argumentation geführt: Die Hersteller von Fahrzeugen haben ein großes Fahrzeug-Baureihe Zulassungen in Deutschland im Jahr 2012 gesamt 4 Volkswagen Golf, Jetta 240 275 BMW 5er-Serie 42 327 Wiesmann Roadster 96 Tabelle 3: Zulassungsstückzahlen in Deutschland für beispielhafte Fahrzeugtypen Durch das Kraftfahrt-Bundesamt als Technischer Dienst benanntes (anerkanntes) Prü aboratorium1) Typprüfung (Produkt) Typgenehmigungen im EG- und ECE-Rechtskreis3) sowie im nationalen Rechtskreis 4) Konformitätsüberprüfung 1) bei Kleinserien ist in bestimmten Fällen eine Zulassung des Labors nach einem besonderen Verfahren ausreichend 2) unter Berücksichtigung der genehmigungsrelevanten Anforderungen 3) werden ohne weitere Prüfung international im Rahmen der jeweiligen Abkommen anerkannt 4) nach Beauftragung durch das KBA Durch das Kraftfahrt-Bundesamt als Technischer Dienst benanntes (anerkannte) Zerti zierungsstelle Bewertung des Qualitätsmanagementsystems2) Bild 2: Aufgabenverteilung zwischen Prülaboratorium und Zertiizierungsstelle Quelle: www.kba.de Bild 3: Meilensteine des Zertiizierungsprozesses zum Erlangen einer Typgenehmigung für ein neues Fahrzeugmuster 6 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 107 Fahrzeugzulassung Technologie Interesse, die Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten. Dies ist sowohl in der allgemeinen Verantwortung zu sehen als auch gesetzlich hinterlegt über die Regularien der Produkthaftung. Ein bewusstes Zuwiderhandeln birgt hier nicht nur die Gefahr mehrerer Produkthaftungsfälle zu Ungunsten des Herstellers, sondern eines erheblichen Reputationsverlustes, der zudem noch deutlich vergrößert wird, wenn nachgewiesen werden kann, das bewusst zuwider gehandelt wurde. Wie einschneidend die Folgen eines solchen Ereignisses für einen Hersteller sein können, selbst wenn es sich nur um einen bloßen Verdacht handelt, der sich im Nachhinein als unbegründet herausstellt, zeigten die Fälle des Audi 5000 7 und in neuerer Zeit die „Unintended acceleration“-Problematik bei Toyota 8 . Hinzu kommt die Verantwortung von Führungskräften im Entwicklungsprozess zur Einhaltung der technischen Regeln, die bei nachweisbaren Zuwiderhandlungen direkte juristische Konsequenzen für die Einzelperson nach sich ziehen kann. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass prominente Fälle deswegen nicht bekannt sind, weil sie durch die bestehenden Prozesse, Methoden und Maßnahmen wirkungsvoll vermieden werden konnten. 9 Zwei Beispiele aus den Jahren 2013/ 14 ofenbaren die Bandbreite in der Praxis. Die „Zündschloss-Probleme“ von General Motors konnten über Jahre hinweg von Seiten des Herstellers verschleiert werden. Sie führen aber jetzt zu dem angesprochenen Schaden mit Schadensersatz- und Strafzahlungen sowie einem erheblichen Reputationsschaden, der zumindest kurzfristig zu Absatzverschlechterungen führte. Dies zeigt, dass für das Funktionieren dieser Regelschleife doch immer mal wieder Beispiele des Fehlverhaltens nötig zu sein scheinen, um das Bewusstsein des Managements zu schärfen, zumindest für diesen Konzern auf seinem Heimatmarkt Nordamerika. Auf der anderen Seite zeigt die Diskussion um die Gefährdung durch das Kältemittel R1234yf, dass Hersteller schon bei ersten Hinweisen auf eine Gefährdung sogar große Zulassungsumwege und -risiken auf sich nehmen, um das Haftungs- und Reputationsverlustrisiko nicht einzugehen. Eine einmal erteilte Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) kann durch das KBA auch wieder zurückgezogen werden, wenn bekannt wird, dass das jeweilige Produkt nicht den Anforderungen entspricht. Mittlere Lebensdauer der Zulassungsobjekte und Instandhaltungsstrategien Das Durchschnittsalter eines PKW in Deutschland beträgt laut KBA 8,7 Jahre. Die Altersverteilung nach Jahr der Erstzulassung ist anteilig in Bild 4 dargestellt. Der Peak im Jahr 4 ist vermutlich auf die als Abwrackprämie bekannte Umweltprämie zurückzuführen. Instandhaltungsstrategien werden durch den Hersteller vorgeschlagen. Herangezogen werden sogenannte „Wartungshefte“, die eine Inspektion sowohl zeitbasiert ( jedes Jahr) als auch lauleistungsbedingt (oder z. B. alle 20 000 km) fordern. Teilweise diagnostizieren auch die Fahrzeuge selbst anhand verschiedener Parameter, wann eine solche Wartung notwendig ist. Eine Nichtbeachtung hat dabei außer dem Erlöschen von evtl. bestehenden Garantieansprüchen keine direkten Folgen. Allerdings sind Halter und Fahrer eines Fahrzeugs laut Straßenverkehrsordnung (StVO) dafür verantwortlich, dass keine Mängel am Fahrzeug bestehen, die die Verkehrssicherheit gefährden (beispielsweise § 23 Abs.-2). Zusätzlich müssen in Deutschland in regelmäßigen Zeitabständen bei Hauptuntersuchungen (§ 29 StVZO) und Abgasuntersuchung der technische Zustand des Fahrzeugs verplichtend geprüft werden. Die maximale Zeitspanne zwischen Hauptuntersuchungen liegt bei PKW bei 36-Monaten für Neufahrzeuge und sonst bei 24 Monaten. Bei Fahrzeugen über 3,5 t ist alle 12 Monate die Hauptuntersuchung fällig. Bei Verkauf der Fahrzeuge ins Ausland ist eine erneute Zulassung im Land des Hauptwohnsitz des Halters notwendig, aber dafür ist i.d.R. keine technische Überprüfung notwendig, solange eine CoC-Bescheinigung (Zulassung gemäß EG Richtlinie) vorliegt. Die EG-Typgenehmigung gilt europaweit. Darüber hinaus gibt es keine einheitliche Regelung. ■ 1 nach Ständer, T.: Eine modellbasierte Methode zur Objektivierung der Risikoanalyse nach ISO 26262; Dissertation Technische Universität Braunschweig, 2011, entnommen aus 2 2 Weitzel, A.; Winner, H.; Cao, P.; Geyer, S.; Lotz, F.; Sefati, M.: Absicherungsstrategien für Fahrerassistenzsysteme mit Umfeldwahrnehmung, Forschungsbericht für BASt, 2013, noch nicht veröfentlicht 3 http: / / europa.eu/ legislation_summaries/ internal_ market/ single_market_for_goods/ motor_vehicles/ motor_vehicles_technical_ harmonisation/ n26100_de.htm 4 Kraftfahrbundesamt: Fahrzeugzulassungen, Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Herstellern und Handelsnamen Jahr 2012 FZ 4, 2012, verfügbar unter: www.kba.de 5 Geschäftsbericht Volkswagen AG 2012, S. 107 6 Ernstberger, U.: Produktentstehung und -auslegung in der Automobilindustrie, Vorlesungsskript TU Darmstadt, 2013 7 vgl. ”MANUFACTURING the Audi Scare“ http: / / www.manhattan-institute.org/ html/ cjm_18.htm und http: / / www. thetruthaboutcars.com/ 2010/ 03/ the-best-of-ttac-theaudi-5000-intended-unintended-acceleration-debacle/ ; Abruf am 13.01.2013 8 Forkenbrock, G.: A Test Track Protocol for Assessing Forward Collision Warning Driver-Vehicle Interface Efectiveness; 2011, S. 143 und Kirchhof, S.; Peterman, D.: Unintended Acceleration in Passenger Vehicles; Congressional Research Service (Hrsg), 2010 9 Teilweise wörtliches Zitat aus 2, S. 20 f Teil 2: Zulassung von luftfahrzeugen hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing., TU Dresden Teil 3: Zulassung von Schienenfahrzeugen, handlungsoptionen der-Politik Jürgen Siegmann, Prof. Dr.-Ing. habil., TU Berlin hermann Winner, Prof. Dr. rer. nat. Leiter Fachgebiet Fahrzeugtechnik, Technische Universität Darmstadt winner@fzd.tu-darmstadt.de Bild 4: Altersverteilung des PKW-Bestandes in Deutschland, Stand 2013