eJournals Internationales Verkehrswesen 66/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0107
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2014
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Modernisierung des EU-Beihilferechts

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2014
Raoul  Hille
Berit Schmitz
Marion Tenge
Mit der Modernisierung der EU-Beihilferichtlinien in 2014 setzt die Europäische Kommission wirtschaftlichen Interventionen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gewährung staatlicher Beihilfen für Flughäfen transparente Grenzen. Dieser Beitrag zeigt die Implikationen der novellierten Leitlinien für die deutschen Verkehrsflughäfen auf und geht auf Handlungsmöglichkeiten im Spannungsfeld zwischen nationaler Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit ein.
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Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 15 Flughafenförderung POLITIK Modernisierung des EU-Beihilferechts Kurswechsel für deutsche Verkehrslughäfen? Mit der Modernisierung der EU-Beihilferichtlinien in 2014 setzt die Europäische Kommission wirtschaftlichen Interventionen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gewährung staatlicher Beihilfen für Flughäfen transparente Grenzen. Dieser Beitrag zeigt die Implikationen der novellierten Leitlinien für die deutschen Verkehrsflughäfen auf und geht auf Handlungsmöglichkeiten im Spannungsfeld zwischen nationaler Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit ein. Die Autoren: Raoul Hille, Berit Schmitz, Marion Tenge V or dem Hintergrund des immer stärker werdenden europäischen und globalen Wettbewerbs im Luftverkehr ist eine leistungsfähige und nachhaltig ausgebaute Verkehrsinfrastruktur entscheidend für die Entwicklungspotenziale des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Den deutschen Verkehrslughäfen kommt daher eine zentrale Funktion in der öfentlichen Daseinsvorsorge zu. Unabhängig von ihrer privatrechtlichen Organisationsform beinden sich die deutschen Verkehrslughäfen überwiegend im mehrheitlichen Besitz der öfentlichen Hand. Ziele und Inhalte der Modernisierung des EU-Beihilferechts Die EU-Beihilfeleitlinien erläutern die Voraussetzungen unter denen eine öfentliche Förderung von Flughäfen als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann (Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union „AEUV“ [1]). Mit der Modernisierung der EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften verfolgt die EU- Kommission drei wesentliche Zielsetzungen [2]: • Nachhaltiger Einsatz öfentlicher Mittel für wachstumsorientierte Maßnahmen in Europa unter Vermeidung der Finanzierung von Überkapazitäten bei Flughafeninfrastruktur. • Beschränkung von Wettbewerbsverfälschungen durch Schafung gleicher Voraussetzungen im Binnenmarkt und Begrenzung von Betriebsbeihilfen. U. a. soll der Betrieb von mehreren unrentablen Flughäfen im selben Einzugsgebiet vermieden werden. • Transparente Vorschriften, schnelle Beschlüsse sowie Verbesserung der Qualität der wettbewerbsrechtlichen Würdigung durch die EU-Kommission. Die Wirtschaftlichkeit von Flughäfen hängt in großem Maße vom Verkehrsaufkommen ab. Insbesondere kleinere Flughäfen sind vor dem Hintergrund hoher Fixkosten aktuell auf staatliche Beihilfen zur Deckung ihrer Betriebsbzw. Infrastrukturkosten angewiesen [3]. Die EU-Kommission arbeitet daher in Bezug auf die jeweils zulässige Beihilfeintensität mit Bandbreiten (siehe Bild 1). • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen von > 5 Mio. Passagieren p.a. erhalten zukünftig weder Betriebsnoch Infrastrukturbeihilfen, da Flughäfen dieser Größenordnung nach Aufassung der EU-Kommission in der Lage sein sollten, rentabel zu arbeiten. • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen zwischen 3-5 Mio. Passagieren p. a. können im Einzelfall eine Förderung bis zu 25 % zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen erhalten, jedoch grundsätzlich keine Förderung der Betriebskosten. • Flughäfen mit einem Verkehrsaukommen zwischen 1-3 Mio. Passagieren p. a. bzw. < 1 Mio. Passagieren p. a. können im Einzelfall eine Förderung bis zu 50 % bzw. 75 % zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen erhalten. Betriebsbeihilfen bleiben unter außergewöhnlichen Umständen für einen Übergangszeitraum von 10 Jahren weiterhin zulässig. Voraussetzung ist die Vorlage eines Business Plans, der den Weg zur vollen Betriebskostendeckung nach Ablauf des Übergangszeitraums aufzeigt. In folgenden Fällen sind Beihilfemaßnahmen direkt bei der EU-Kommission für eine Einzelfallbetrachtung anzumelden, um-Wett bewerbsverfälschungen zu vermeiden [2]: • Investitionsbeihilfen für Flughäfen >-3-Mio. Passagiere p.a. Bild 1: Überblick über den beihilfepolitischen Ansatz für Flughäfen Quelle: EU-Kommission [7] POLITIK Flughafenförderung Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 16 • Investitionsbeihilfen für Hybridlughäfen (> 200 000 t Fracht p.a.) • Investitionsbeihilfen für neue Passagierlughäfen sowie für Flughäfen im Einzugsgebiet eines weiteren Flughafens Nicht alle Tätigkeiten eines Flughafens sind notwendigerweise wirtschaftlicher Art. Aufgaben, für die normalerweise der Staat aufgrund seiner hoheitlichen Befugnisse zuständig ist, sollen gemäß EU-Kommission nicht den Beihilfe-Vorschriften unterliegen, z.B. die Flugsicherung oder der Schutz der zivilen Luftfahrt vor unrechtmäßigen Eingrifen. Darüber hinaus kann in begründeten Fällen der Betrieb eines Flughafens insgesamt als Dienstleistung von allgemeinem Interesse deiniert werden. Voraussetzung ist, dass ohne den Flughafen bestimmte Regionen derart von der EU abgeschnitten wären, dass ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt ist [2]. Implikationen der Modernsierung der EU-Beihilferichtlinien für deutsche Verkehrsflughäfen Der deutsche Luftverkehr wächst im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich. Dies belegt eine Analyse des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) [4]. Während in Europa die Passagierzahlen im Zeitraum 2010 bis 2013 um 12,3 % anstiegen, betrug das Wachstum bei den internationalen deutschen Verkehrslughäfen lediglich 7,0 % - trotz stärkerer Wirtschaftsleistung Deutschlands. Die durch den BDL durchgeführte Analyse zeigt zudem auf, dass das Wachstum ungleich verteilt ist. Grundsätzlich verzeichneten lediglich die acht größten Verkehrslughäfen ein Wachstum, während an den kleineren Verkehrslughäfen in der Regel Passagierverluste festzustellen waren. Die heterogene Passagierentwicklung wird durch die Ergebnissituation der deutschen Verkehrslughäfen widergespiegelt. Die in Bild 2 dargestellte Fünjahresbetrachtung zeigt auf, welche deutschen Verkehrslughäfen im Zeitraum 2008 bis 2012 ein positives bzw. negatives kumuliertes Ergebnis nach Steuern (EAT) erzielten. Das Nachsteuerergebnis wurde dabei um eventuelle Erträge aus Verlustübernahmen durch die Flughafengesellschafter bzw. Gewinnabführung an die Flughafengesellschafter bereinigt. Im Analysezeitraum verzeichneten lediglich Flughäfen mit einem jährlichen Verkehrsvolumen > 5 Mio. Passagiere ein positives kumuliertes Nachsteuerergebnis: Berlin (bezogen auf den Gesamtstandort), Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln-Bonn, München und Stuttgart. Eine Ausnahme stellt der Flughafen Weeze dar (Kategorie: 1-3 Mio. Passagiere p. a.). Das kumulierte Nachsteuerergebnis der weiteren 16 analysierten Flughäfen war im Betrachtungszeitraum negativ. Der Regionallughafen Zweibrücken meldete im Juli 2014 Insolvenz an, da die EU urteilte, dass die in der Vergangenheit gewährten Flughafen-Beihilfen in zweistelliger Millionenhöhe nach den neuen Leitlinien nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Angesichts der neuen EU-Beihilferichtlinien postulierte die deutsche Presse bereits das „Aus“ für zahlreiche Flughäfen. „Deutschen Airports geht das Geld aus“ titelte beispielsweise das Handelsblatt [5]. Die Wirtschaftswoche prognostizierte „das große Flughafen Sterben“ [6]. Handlungsmöglichkeiten der deutschen Verkehrsflughäfen Zur nachhaltigen Ergebnisverbesserung stehen Flughäfen im Aviation-Bereich prinzipiell drei Stellhebel zur Verfügung: Preiserhöhungen, Kostensenkung und Mengenwachstum. Der Stellhebel Preiserhöhungen ist nur sehr eingeschränkt nutzbar. Die Preisgestaltung im Aviation-Bereich, z. B. Start- und Landeentgelte, unterliegt grundsätzlich der behördlichen Regulierung (Transparenz, Kostenbezug, Nicht-Diskriminierung). Da die Anlageintensität von Flughäfen einen sehr hohen Fixkostenblock bedingt, ist auch der Stellhebel Kostensenkung lediglich in begrenztem Maße einsetzbar. Die Variabilisierung von Fixkosten und quasi-ixen Kosten ist dabei ein wichtiger Agenda-Punkt, z. B. Ausgründung personalintensiver Unternehmensbereiche, Fremdbezug statt Eigenerbringung von Dienstleistungen. Der erfolgversprechendste Stellhebel zur Realisierung von Ergebnisverbesserungen ist daher das Mengenwachstum. Zusätzlich akquirierte Verkehrsmengen erzielen aufgrund der (sprung-)ixen Kostenstruktur von Flughäfen zusätzliche Deckungsbeiträge. Potenzial besteht derzeit schwerpunktmäßig im Marktsegment der Low Cost Carrier. Während sich viele Legacy-Carrier in Europa in der Konsoliderungsbzw. Restrukturierungsphase beinden, sind Low Cost Airlines aktuell auf Wachstumskurs. Dabei ist ein deutlicher Strategiewechsel erkennbar. Das Wachstum indet verstärkt auf Primärlughäfen statt und resultiert in einem Rückzug der Low Cost Airlines aus der Fläche. Auch im Non-Aviation-Bereich, d. h. bei den nicht-lugbezogenen, kommerziellen Erlösen, können durch ein Mengenwachstum, z.B. durch die Entwicklung ergänzender digitaler und mobiler Geschäftsmodelle, Ergebnisverbesserungen erzielt werden. Voraussetzung für die Erzielung von spürbaren zusätzlichen Ergebnisefekten ist jedoch auch hier ein hinreichend großes Verkehrsvolumen. Kleinere Flughäfen sind diesbezüglich systembedingt im Nachteil. Fazit Die modernisierten EU-Beihilfeleitlinien deinieren klare und faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Flughäfen und verhindern - konsequent angewandt alimentierte Konkurrenz. Sie würdigen die wichtige Rolle von Flughäfen als regionale Motoren für Wohlstand und Beschäftigung sowie ihre öfentliche Verkehrsfunktion. Bild 2: Kumuliertes Nachsteuerergebnis 2008-2012 der deutschen Verkehrsflughäfen Quelle: ADV [8], Elektronischer Bundesanzei ger [7] Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 17 Flughafenförderung POLITIK Die Möglichkeit der Gewährung von Betriebsbeihilfen für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren eröfnet den betroffenen Flughäfen grundsätzlich die Möglichkeit, in die Rentabilität hineinzuwachsen [9]. Investitionsbeihilfen für kleinere Flughäfen bleiben weiterhin erlaubt. Durch die Modernisierung des EU-Beihilferechts stehen Flughäfen jedoch stärker als zuvor im Spannungsfeld zwischen Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit. Ein zunehmender Fokus auf Marktorientierung und unternehmerische Führung ist erforderlich. Das frühzeitige Erkennen von Wachstumschancen sowie die Ableitung wirksamer Maßnahmen stärkt die Anpassungsfähigkeit von Flughäfen an die sich wandelnden Markt- und Wettbewerbsbedingungen. Gleichwohl bleibt die Rentabilität von Flughäfen aufgrund ihrer Kostenstrukturen im großen Maße vom Verkehrsaukommen abhängig. Kleinere Flughäfen haben daher auch in Zukunft kaum Aussichten rentabel zu arbeiten. Für den Wirtschaftstandort Deutschland können sich diese Flughäfen jedoch aus makroökonomischer Sicht weiterhin als wichtig erweisen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund positiver Wachstumsprognosen für den Luftverkehr in der-EU. ■ QUELLEN [1] EAUV (2009): Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Artikel 107. Online verfügbar unter http: / / dejure.org/ gesetze/ AEUV/ 107.html [2] Europäische Kommission (2014): EU-Leitlinien für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften. [3] Conrady, R; Fichert, F. & Sterzenbach, R. (2013): Luftverkehr (5. Auflage). Oldenbourg Wissenschaftsverlag: München. [4] BDL (2014): Whitepaper: Zahlen und Daten zu Marktentwicklung, wettbewerbliche Rahmenbedingungen, Verkehrsrechte. Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft: Berlin. [5] Handelsblatt (2014): Deutschen Airports geht das Geld aus. Online verfügbar unter http: / / www.genios.de/ presse-archiv/ artikel/ HB/ 20140730/ deutschen-airports-geht-das-geld-au/ 9FAA4F50- B52B-4B75-834A-2E185B568B71.html [6] Wirtschaftwoche (2014): Das große Flughafen-Sterben beginnt. Online verfügbar unter http: / / www.wiwo.de/ unternehmen/ dienstleister/ luftfahrt-das-grosse-flughafen-sterben-beginnt/ 9544920. html [7] Elektronischer Bundesanzeiger (2014). Online verfügbar unter https: / / bundesanzeiger.de [8] ADV (2014): Verkehrszahlen. Online verfügbar unter http: / / www. adv.aero/ verkehrszahlen/ archiv/ [9] ADV (2014): EU-Beihilfen - Neue Vorgaben aus Brüssel: Auswirkungen auf die Flughäfen. Online verfügbar unter http: / / www.adv. aero/ fileadmin/ pdf/ Recht/ EU-Beihilfen/ ADV-Positionspapier_ Neue_EU_Vorgaben_zum_Beihilferecht.pdf Berit Schmitz, Diplom-Kaufrau, MBA Bereichsleiterin Unternehmensentwicklung und Konzerncontrolling Hannover Airport b.schmitz@hannover-airport.de Marion Tenge, Diplom-Betriebswirtin, Doktorandin Abteilungsleiterin Unternehmensentwicklung Hannover Airport SM Research Fellow der EuroMed Academy of Business m.tenge@hannover-airport.de Raoul Hille, Dr. Geschäftsführer Hannover Airport Lehrbeauftragter am Institut für Produktionswirtschaft Leibniz Universität Hannover r.hille@hannover-airport.de 24 th International Symposium on Dynamics of Vehicles on Roads and Tracks August 17-21, 2015, Graz / Austria Deadline Call for Papers: Nov. 30, 2014 www.IAVSD2015.org