Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0113
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2014
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Neues Leben im Parkhaus
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2014
Wolfgang Aichinger
Überbreite SUVs, die nicht mehr in die schmalen Parkstände passen, seit Jahren nicht erhöhte Park gebühren im öfentlichen Straßenraum, der CarsharingBoom – es gibt viele Gründe für leerstehende Parkhäuser. An immer mehr Orten zeichnet sich ab, wie alternative Nutzungen dieser Gebäude neue Urbanität erschafen können
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Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 32 Neues Leben im Parkhaus Überbreite SUVs, die nicht mehr in die schmalen Parkstände passen, seit Jahren nicht erhöhte Parkgebühren im öfentlichen Straßenraum, der Carsharing-Boom - es gibt viele Gründe für leerstehende Parkhäuser. An immer mehr Orten zeichnet sich ab, wie alternative Nutzungen dieser Gebäude neue Urbanität erschafen können. Der Autor: Wolfgang Aichinger I n der zweiten Reihe, ein wenig verborgen hinter einer typischen High Street, liegt das Parkhaus Cerise Road im Londoner Stadtteil Peckham. Der funktionale Bau aus der Nachkriegszeit unterscheidet sich äußerlich wenig von anderen Parkhäusern in London. Doch nur wenige der insgesamt 300 Parkplätze werden noch genutzt. Das Haus ist eine typische Altlast aus überoptimistischen Tagen der autogerechten Stadtplanung und kostet die Bezirksverwaltung als heutige Eigentümerin eher Geld, als welches einzubringen. Ein Ärgernis, dem man schleunigst mit der Abrissbirne begegnen könnte. Sven Mündner, Historiker aus Hamburg, sieht das vollkommen anders. Er ist überzeugt, dass es sich bei dem Parkhaus um einen unverzichtbaren Teil der kulturellen und sozialen Erneuerung im Süden Londons handelt. Seit 2007 konnte er als einer der Leiter des Kunstprojekts „bold tendencies“ jedes Jahr mehr und mehr Besucher vom Potenzial und Charme des eigenwilligen Gebäudes überzeugen, zuletzt rund 60 000 pro Saison. Die Initiative bespielt die oberen vier Etagen des Parkhauses, hauptsächlich mit Skulpturen, die in der kargen Ästhetik der Parkdecks ein einzigartiges Umfeld inden. Zusätzlich wurde ein Theaterauditorium geschafen, und die mit geringsten Mitteln auf der Dachterrasse errichtete Bar ermöglicht dem Publikum eine spektakuläre Aussicht auf den Süden Londons (Bild 1). Die Kunstpresse reagierte weltweit mit Begeisterung. 100 Mio. Parkplätze allein in-Deutschland Auf den ersten Blick verwundert es: Warum rückt ausgerechnet ein Parkhaus in den Fokus von Kulturschafenden, Architekten und Unternehmern? Oft als grauer Un-Ort gescholten, trefen dort heute zwei Treiber der Stadtentwicklung aufeinander. Die Suche nach alternativen Freiräumen, nach aufregenden und ofenen Orten für kreative Nutzungen verbindet sich mit einem tiefgreifenden Wandel in der Mobilität - zumal in den hochverdichteten Innenstädten. Trotz ihrer Bezeichnung als Fahrzeuge stehen Autos im Durchschnitt rund 22 bis 23 Stunden am Tag still. Bei einem Bestand von knapp 44 Mio. PKW ist Parkraum somit ein wertvolles und rares Gut. Insgesamt dürfte es in Deutschland mehr Parkplätze Infrastruktur Stadtentwicklung Foto: Henrik G. Vogel/ pixelio Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 33 Stadtentwicklung INFRASTRUKTUR als Einwohner geben, die Schätzungen liegen bei 100 Mio. (Gerlach 2014); allein im deutschen Bundesverband Parken sind die Betreiber von mehr als 2500 Garagen und Parkhäusern organisiert, die gemeinsam über rund eine Million kommerziell genutzte Stellplätze verfügen. Wandlungsfähigkeit oder Gebäudeschönheit waren bei der Schafung von Parkhäusern kaum Kriterien. Mittlerweile fallen aber immer mehr dieser Zweckbauten aus ihrer vorgesehenen Rolle, und so stellt sich die Frage, ob man die großen, oft zentral gelegenen Betonburgen in Zeiten angespannter Immobilienmärkte auch anders nutzen kann. Peak-Car ist abzusehen Die Automobilbranche ist im Wandel, wie die jüngst veröfentlichte Shell PKW-Studie 2014 zeigt (Shell 2014) 1 . So ist zu erwarten, dass die Motorisierung der deutschen Bevölkerung in den nächsten 25 Jahren kaum noch zunehmen wird. „Peak-Car“ wird bei der durchschnittlichen Jahresfahrleistung je PKW um 2020 erreicht, danach ist mit einem leichten Rückgang zu rechnen. Mit einer insgesamt schrumpfenden Bevölkerung wird sich auch der PKW-Gesamtbestand reduzieren. Damit dürfte auch die generelle Nachfrage nach Parkraum langfristig nicht mehr weiter wachsen. Zugleich hat ein tiefgreifender Wandel bei Einstellungen und Handlungsmustern begonnen, zumindest in den jungen urbanen Milieus der Großstädte. Das Auto wird von vielen Menschen als unpraktisch erlebt, es passt nicht mehr zum Lebensstil (u.a. Scheer 2009). Hinzu kommt, dass Carsharing und lexible Leihsysteme für Fahrräder immer komfortabler zu nutzen sind und in Zukunft über gemeinsame Tarif- und Abrechnungssysteme noch besser mit dem öffentlichen Verkehr verzahnt sein werden. Nicht zuletzt setzen viele Städte auf zunehmend strengere Regulierung des Autoverkehrs, beispielsweise mit einer City Maut oder mit Umweltzonen. Zahlen aus London zeigen, dass seit 2001 zwar das Verkehrsaukommen im Großraum um 11 % angestiegen, die Zahl der Autofahrten aber um 13 % zurückgegangen ist (Transport for London 2012). In Berlin wird in vielen Bezirken das Auto schon heute nur mehr auf jedem vierten Weg genutzt. Parkhäuser stehen bereits heute vielfach leer Noch bleiben die Parkhausbetreiber optimistisch: „Das Thema Leerstand im Parkhaus taucht zwar immer wieder auf - zumindest in Deutschland bewegt es aber noch nicht die Gemüter“, sagt Gerhard Trost-Heutmekers vom Bundesverband Parken. Zuletzt wurden hierzulande sogar zwei Parkhausfonds als Anlageinstrument mit Renditeversprechen von 6 % und mehr aufgelegt. Trotzdem bleibt da die Frage: Wie lange lässt sich dieses Versprechen noch halten? Ein diferenzierter Blick zeigt, dass längst nicht alle Parkhäuser wirtschaftlich prosperieren. So wurde an der Uni Wuppertal die Auslastung von knapp 6000 innerstädtischen Parkplätzen in insgesamt 15 Parkhäusern einer deutschen Großstadt untersucht (Gerlach 2014). Die durchschnittliche Auslastung über alle Standorte lag an Wochentagen zwischen 8.00 und 20.00 Uhr bei lediglich 46 %. Selbst der traditionell frequenzstarke Samstag brachte nur eine Auslastung von durchschnittlich 55 %. Nur drei der untersuchten Parkhäuser erreichten im Verlauf der Woche zumindest einmal eine vollständige Auslastung, sechs an einem Samstag. Der Leerstand mitten in unseren Innenstädten ist also bereits heute die Regel. SUV-Boom bringt ältere Parkhäuser in Bedrängnis Hinzu kommt eine zunehmend anspruchsvoller werdende Kundschaft. Eine kürzlich veröfentlichte ADAC-Umfrage zeigt, dass neben günstigen Preisen vor allem breite Stellplätze gefragt sind (Winkler 2014). Diese werden angesichts einer Veränderung des PKW-Fuhrparks immer wichtiger. Allein zwischen 2000 und 2010 legte ein durchschnittliches Auto um 15 cm Breite und 25 cm Höhe zu. Die besonders großen SUVs verschärfen diesen Trend, zuletzt lag ihr Anteil an allen Neuzulassungen bereits bei rund einem Fünftel. Bei einer gesetzlichen Mindestbreite von 2,30 m für einen Parkstand und größtenteils aus den Nachkriegsjahrzehnten stammenden Parkhäusern verwundert es nicht, dass nur 7 % der vom ADAC Befragten angaben, dass eine komfortable Stellplatzbreite in den Parkhäusern geboten wird. Die gezeigten Trends machen deutlich, dass die Existenzgrundlage gerade von unkomfortablen Parkhäusern in B-Lagen oder in Stadtteilen mit Überangebot an Parkraum bedroht ist. Sofern nicht ein gerichtetes Parkraummanagement für den öfentlichen Straßenraum die Stellplatznachfrage in Parkhäuser und -garagen lenkt, wird in den urbanen Zentren wieder Raum frei. Leerstand als Chance Bereits seit 2010 steht in der Münsteraner Innenstadt, nur wenige Schritte vom Prinzipalmarkt entfernt, ein mehrfach preisgekröntes Geschäfts- und Wohngebäude. Was das Gebäude besonders auszeichnet: Die Stahlbetonstruktur diente ursprünglich einem 1964 errichteten Parkhaus. Weil im Tiefgeschoss die Anlieferung eines benachbarten Kauhauses abgewickelt wird, konnte der leer stehende Bau nicht abgerissen werden. Den Architekten gelang es, diese Situation für ihren Entwurf zu nutzen. Matthias Fritzen, Partner im Büro „Fritzen und Müller-Giebeler“: „Die Betonstruktur schaft nicht nur eine einzigartige Atmosphäre im Ladenbereich, sie bot auch die ideale Basis für den Aufsatz der Wohngeschosse“ (Bild 2). Bild 1: Das Festival Bold Tendencies in London Foto: Practice Architecture Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 34 INFRASTRUKTUR Stadtentwicklung Auch andernorts ziehen immer häuiger neue Nutzer in Parkhäuser ein. Sattelte zur letzten Documenta in Kassel ein Hotel auf ein Parkhaus aus den 1950er-Jahren auf, so wurde im schwäbischen Tübingen am Parkdeck Shakespeare gespielt. Im Berliner Wedding bereitet sich eine Urban-Gardening-Initiative gemeinsam mit einer Einzelhandelskette darauf vor, das wenig genutzte Dachgeschoss des angeschlossenen Parkhauses für die Produktion von Obst und Gemüse zu verwenden. In Berlin-Neukölln hat sich das selten genutzte Parkdeck eines Einkaufszentrums nach Erwähnung in einem Reiseführer vom Geheimtipp zum Publikumsmagneten entwickelt. Die plötzliche Nutzung als Aussichtspunkt und Partytrefpunkt stellte den Wachschutz vor erhebliche Herausforderungen, die Flucht nach vorn schien fast der einzige Ausweg. Letzten Sommer eröfnete auf dem Parkdeck nun oiziell eine Bar mit Dachgarten. Währenddessen beschäftigen sich in London Architekten mit der Frage, wie mit Hilfe von Deckendurchbrüchen aus einem Parkhaus eine Schule werden könnte. Dabei könnten sie auf Erfahrungen aus Berlin- Kreuzberg zurückgreifen, wo bereits zur Internationalen Bauausstellung 1984 ein Parkhaus in der Dresdner Straße zur Kindertagesstätte umfunktioniert wurde. Die außergewöhnliche Struktur des Gebäudes ermöglichte u. a. die Unterbringung einer großen Turnhalle sowie die Schafung eines beliebten Dachgartens. Dieses besondere Vorhaben wurde mit einem Preis durch das Bundesbauministerium ausgezeichnet. Und für das eingangs vorgestellte Parkhaus in Peckham liegen bereits Entwürfe vor, die bis zu 90 Wohneinheiten in die bestehende Struktur integrieren. Gemeinsam mit dem Kunstfestival, einem Restaurant und der Bar am Dachgeschoss könnte aus dem so lange unbeachteten Gebäude ein dringend benötigter Motor für die Erneuerung eines ganzen Stadtteils werden. Während also die Zahl innerstädtischer Brachen und Freiräume kontinuierlich zurückgeht, bieten Parkhäuser in vielen Städten zunehmend Flächenreserven und Rohbauten für neue Nutzungen. Die Ideen zur Umnutzung sind vielfältig, Hürden sind vor allem die oftmals geringe Raumhöhe und die fehlende Wärmedämmung, die bei einem Umbau hohe Investitionen erfordern. Flexibilität im Neubau Die Frage drängt sich auf, ob nicht zumindest beim Neubau von Parkhäusern die Grundlagen für künftige alternative Nutzungen gelegt werden können. Schließlich werden auch in den nächsten Jahren neue Parkhäuser errichtet. Weil die Zukunft der städtischen Mobilität aber immer weniger „automobil“ zu werden scheint, ist Flexibilität gefragt. Aspern ist das derzeit größte Stadtentwicklungsgebiet in Wien. Ganz im Osten der österreichischen Hauptstadt entstehen Wohnungen für rund 20 000 Menschen. Mehrere Hochgaragen am Rande des Quartiers sollen den Stellplatzbedarf der Bevölkerung decken - vorerst. Denn wie Christoph Chorherr, Planungssprecher der Grünen in einem Interview mit der Wiener Zeitung sagte, soll die Mindestraumhöhe der geplanten Garagen über 2,50 Meter liegen und somit in Zukunft auch alternative Verwendungen leichter ermöglichen (Wiener Zeitung 2014). Falls die Gebäude nicht als Abstellplatz für Autos gebraucht werden, könnten andere Nutzer einziehen und so den Investor vor einem eventuellen Abriss der Garage bewahren. Und das könnte aus Parkhäusern tatsächlich echte Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit beim Bauen machen, denn schließlich bedeutet jeder Abriss und Neubau immer auch die Vernichtung von bereits verbauter Energie und wertvollen Baustofen. ■ 1 Siehe auch Beitrag auf Seite 64 QUELLEN Gerlach, Jürgen (2014): Parkraummanagement und Bewirtschaftung, Parkleitsysteme; Vortrag bei der ADAC Expertenreihe 2014 „Parken in Städten und Gemeinden“; http: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ 06-Gerlach-Parkraummanagement-und-bewirtschaftung-Parleitsysteme_194560.pdf (Stand: 22.10.2014) Scheer, August-Wilhelm (2009): Webciety - wie das Internet unser Leben prägt, Hannover; https: / / www.google.de/ url? q=https: / / www.bitk o m . o rg / f i l e s / d o c u m e n t s / B I T KO M _ P r a e s e n t a t i o n _ We b c i e ty_02_03_2009_PRESSEMAPPE.pdf&sa=U&ei=MY9HVJKCNsHear33gugE &ved=0CBQQFjAA&usg=AFQjCNFE Ts75-NsMRZBFz78pLcm-lnULmQ (Stand: 22.10.2014) Shell Deutschland Oil GmbH (Hrsg.) (2014): Shell PKW-Szenarien bis 2040, Fakten, Trends und Perspektiven für Auto-Mobilität, Hamburg; http: / / s06.static-shell.com/ content/ dam/ shell-new/ local/ country/ deu/ downloads/ pdf/ shell-pkw-szenarien-bis-2040-vollversion.pdf (Stand: 22.10.2014) Transport for London (2012): Travel in London Report, London; www.tfl. gov.uk/ cdn/ static/ cms/ documents/ travel-in-london-report-5.pdf (Stand: 22.10.2014) Wiener Zeitung (2014): Wien wird grüner werden, 25.04.2014; http: / / www.wienerzeitung.at/ nachrichten/ wien/ stadtpolitik/ 625594_Wienwird-gruener-werden.html (Stand: 22.10.2014) Winkler, Ronald (2014): Parken in Parkhäusern aus Sicht der Autofahrer; Vortrag bei der ADAC Expertenreihe 2014 „Parken in Städten und Gemeinden“; http: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ fv_expertenreihe2014_ winkler_200537.pdf (Stand: 22.10.2014) Wolfgang Aichinger, Dipl.-Ing. Raumplaner und Consultant Nachhaltige Mobilität, Berlin wolfgangaichinger@yahoo.de Bild 2: Ehemaliges Parkhaus in Münster Foto: Fritzen Müller-Giebeler Architekten
