eJournals Internationales Verkehrswesen 66/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0120
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2014
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50 Jahre Shinkansen

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2014
Wilfried Wunderlich
Oliver Mayer
Stefan Klug
Japans Shinkansen gilt als Urvater des weltweiten Schienenschnellverkehrs mit mehr als 200 km/h. Bereits zum 1. Oktober 1964, pünktlich zu den Olympischen Spielen in Tokyo, verband er die Metropolen auf Japans Hauptverkehrs-Schlagader. Nach einem historischen Rückblick beschreibt der Beitrag die hohe verkehrliche Dichte, die betrieblichen Besonderheiten, die Auswirkungen auf die verbliebenen JR-Eisenbahnstrecken sowie Raum und Gesellschaft. Eine Erfolgsstory einer massiven Infrastrukturinvestition zur nachhaltigen Stärkung des Bahnverkehrs.
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Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 54 Schienenschnellverkehr mit mehr als 200 km/ h - Auswirkungen der Aufwertung von Japans Verkehrsinfrastruktur Japans Shinkansen gilt als Urvater des weltweiten Schienenschnellverkehrs mit mehr als 200 km/ h. Bereits zum 1. Oktober 1964, pünktlich zu den Olympischen Spielen in Tokyo, verband er die Metropolen auf Japans Hauptverkehrs-Schlagader. Nach einem historischen Rückblick beschreibt der Beitrag die hohe verkehrliche Dichte, die betrieblichen Besonderheiten, die Auswirkungen auf die verbliebenen JR-Eisenbahnstrecken sowie Raum und Gesellschaft. Eine Erfolgsstory einer massiven Infrastrukturinvestition zur nachhaltigen Stärkung des Bahnverkehrs. Die Autoren: Wilfried Wunderlich, Oliver Mayer, Stefan Klug S chnellverkehr auf der Schiene mit mehr als 200 km/ h kennen wir in Europa seit den 1980er-Jahren, in Japan gab es ihn schon seit 1964, wo die erste Strecke anlässlich der Olympischen Spiele eröfnet wurde [1; 2; 3]. Inzwischen bezeichnet Shinkansen (wörtlich „Neue Hauptstrecke“) ein ganzes Verkehrssystem, dessen Charakterika Schnelligkeit, hohe Zugfrequenz, Pünktlichkeit, unabhängige Strecken und bequeme Verbindungen in die Zentren der Städte sind. Er ist zum Markenartikel geworden, und wegen des großen Erfolges ist das Streckennetz, das zunächst aus der 515 km langen Stammstrecke von Tokyo nach Osaka bestand, die auch am heiligen Berg Fuji vorbeiführt (Bild-1), mehrfach erweitert worden. Historische Meilensteine Am 1. Oktober 1964 hat die Japanese National Railways (JNR) - inzwischen privatisiert als JR Group, die sich aus mehreren örtlich und sektoral zuständigen JR Gesellschaften zusammensetzt - mit der Baureihe 0 (Bild 2) den Schnellverkehr mit 210 km/ h auf der Tokaido-Hauptstrecke Tokyo - Osaka aufgenommen. Dies geschah zu einer Zeit, in der in weiten Teilen Europas und Asiens - auch in Japan - noch Damplokomotiven fuhren. Die rundliche Form dieser Baureihe war mit ein Grund für die Übersetzung in „Bullet-Train“ im englischsprachigen Raum. Die 515 km lange Strecke zwischen Tokyo und Osaka bildet auch heute noch das Rückgrat, weil an der japanischen Ostküste gleich mehrere Großstädte an der alten Handelsstraße Tokaido aneinander gereiht sind: Die 30 Mio. Einwohner des Kanto- Großraums bestehend aus Tokyo, Yokohama, Chiba und Saitama, die rund 15 Mio. in- der Tokai-Region um Nagoya und die 21- Mio. im Kansai-Raum bestehend aus Kyoto, Osaka und Kobe stellen ein großes Fahrgastpotential dar, denn auf einen Schlag hatte etwa ein Drittel der Bevölkerung Japans Zugang zum Schnellverkehr (Bild 3). Der Tokaido-Shinkansen war auf Anhieb erfolgreich; bereits 1965 beförderte er 30- Mio. Fahrgäste, 1970 waren es schon 84-Mio. [5]. Der Weiterbau nach Westen ließ nicht lange auf sich warten, und so konnte der Shinkansen 1972 und 1975 über den Sanyo-Korridor via Okayama und Hiroshima bis Fukuoka (Bahnhof Hakata) auf die Insel Kyushu verlängert werden (554 km, Gesamtstrecke 1069 km). Als nächster Meilenstein wurden die Regionen nordöstlich von Tokyo ans Shinkansen-Netz angeschlossen, die Tohoku- und Joetsu-Strecken (Tokyo - Sendai - Morioka, 496 km und Tokyo - Niigata, 270 km) wurden zwischen 1982 und 1991 eröfnet. Das ehrgeizige Projekt war eine enorme Investition, da die Strecke nicht nur im Tokyoter Stadtgebiet, sondern bis weit ins Umland aufgeständert fährt (Bild 4). Im Hauptbahnhof von Tokyo gibt es von diesen beiden Nordstrecken keine Gleisverbindung zum Tokaido-Shinkansen und daher auch keine durchgehenden Züge, denn die Hauptstadt Bild 1: Shinkansen der N700 Serie auf der Tokaido-Strecke mit Japans Kulturerbe, dem Fuji, im Hintergrund Foto: Tansaisuketti/ Wikipedia MOBILITÄT Schienenschnellverkehr 50 Jahre Shinkansen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 55 Schienenschnellverkehr MOBILITÄT Tokyo ist das Ziel der meisten Reisenden. Zudem unterscheiden sich die Fahrzeuge leicht wegen der unterschiedlichen Stromnetzfrequenz von 60 Hz im westlichen Japan und 50 Hz im nördlichen Japan sowie der erforderlichen Winterfestigkeit im schneereichen Norden. Alle bis dahin eröfneten Shinkansen- Strecken wurden parallel zu den bestehenden JR-Strecken gebaut und schufen so zusätzliche Kapazitäten. Da die bestehenden Strecken auf weiten Abschnitten an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen waren, waren die neuen Strecken eine notwendige Netzerweiterung. Die Strecken nach Yamagata (1992 eröfnet, 1999 bis Shinjo verlängert, 148 km) und Akita (1997 eröfnet, 127 km) rechtfertigten vom Verkehrsaukommen her jedoch keine zusätzlichen Gleise, so dass beide Strecken lediglich von der schmalen Kapspur (Standard-Spurweite in ganz Japan) auf Normalspur (Spurweite des Shinkansen) umgespurt wurden, aber weiterhin überwiegend eingleisig blieben; Die Höchstgeschwindigkeit dort beträgt 130- km/ h. Dies war eine kostengünstige Methode, um zwei Regionen im ländlich geprägten Nordosten Japans an das Hochgeschwindigkeitsnetz anzuschließen. Beide Linien werden als „Mini-Shinkansen“ bezeichnet, auch weil ihr Lichtraumproil kleiner ist als das der anderen Strecken [6]. Seit Ende der 1990er Jahre ist wiederum eine neue Strategie zu erkennen. Einerseits wurden neue Shinkansen-Strecken wieder nach dem ursprünglichen Standard gebaut, also als normalspurige Neubaustrecken. Dies sind der Nagano-Shinkansen, der vom Joetsu-Shinkansen abzweigt (117 km, 1997 zu den Olympischen Winterspielen eröfnet), die Verlängerung des Tohoku-Shinkansen nach Norden um insgesamt 178 km über Hachinohe bis Aomori (2002 und 2010), und der Kyushu-Shinkansen, der zwischen Fukuoka (Hakata) und Kagoshima verkehrt und eine Verlängerung des Sanyo- Shinkansen ist (2004 und 2011 eröfnet, 257- km). Grund dafür war vor allem, dass die Neubaustrecken so trassiert werden konnten, dass sie erheblich kürzer als die Altstrecken sind; z.B. ist der Kyushu-Shinkansen im Abschnitt Yatsushiro - Kagoshima nur 126 km lang, die Altstrecke dagegen 165 km, die Fahrzeit hat sich von 2 Stunden auf 35 Minuten reduziert. Andererseits verloren die Bahngesellschaften das Interesse an einem Weiterbetrieb der Altstrecken, da diese durch die Neubaustrecken vor allem ihren hochwertigen Fernverkehr verloren hatten. Die Altstrecken wurden daher an neu gegründete Bahngesellschaften des sogenannten ‚Dritten Sektors‘ abgegeben. In Japan bezeichnet der Begrif eine Kooperation zwischen der öfentlichen Hand (erster Sektor) und der Privatwirtschaft (zweiter Sektor). Tatsächlich werden diese öfentlich-privaten Gesellschaften von den japanischen Gebietskörperschaften, vor allem den Präfekturen, kontrolliert und inanziert. Heute hat das Netz eine Streckenlänge von 2.671 km erreicht; im Ausbau bis 2035 wird es auf 3.447 km erweitert und von fünf der sechs JR-Gesellschaften betrieben werden (Bild 5). Bahnhöfe Bei der Eröfnung hatte der Tokaido-Shinkansen 12 Bahnhöfe, zur besseren Erschließung der anliegenden Regionen kamen 1969 noch die Bahnhöfe Mishima und 1988 Shin-Fuji, Kakegawa und Mikawa-Anjo hinzu, so dass es im Durchschnitt etwa alle 30-km einen Bahnhof gibt. 2003 wurde der Bahnhof Shinagawa eröfnet, um den nur 6-km entfernten Endbahnhof Tokyo zu entlasten, er wird vor allem von Umsteigern genutzt, die die südlichen und westlichen Vororte von Tokyo als Quelle oder Ziel haben. Weitere zusätzliche Bahnhöfe werden vor allem von der Bevölkerung gefordert, die zwischen Shin-Yokohama und Odawara sowie zwischen Maibara und Kyoto wohnt. Dort beträgt der Abstand der Bahnhöfe 51 bzw. 68 km, doch die Betreibergesellschaft JR-Central mit Sitz in Nagoya lehnt dies bisher ab. Rekordhalter Zur Eröfnung 1964 fuhren 10 Zugpaare zwischen Tokyo und Osaka mit einer Reisezeit von vier Stunden. Heute fahren dem Bedarf angepasst drei verschiedene Zuggattungen (Bild 6). Der schnellste Nozomi-Service („Hofnung“) benötigt nun zwei Stunden und 25 Minuten. Auf fast allen Unterwegs-Bahnhöfen lässt sich der langsamere Kodama-Service („Echo“) überholen und dementsprechend verlängert sich die Fahrzeit um mehr als eine Stunde. Trotz der wachsenden Konkurrenz durch den PKW bzw. das Flugzeug nahmen die Fahrgastzahlen im Shinkansen stetig zu. In der Tat setzen bei weiten Strecken die Reisezeit und nicht zuletzt der Fahrpreis eine natürliche Grenze für die Bahn. Im Testbetrieb erreichte der Shinkansen bereits 1963 die Spitzengeschwindigkeit von 256 km/ h. Seit 1965 hielt der Tokaido- Shinkansen den Weltrekord als schnellster Planzug mit 162 km/ h bei einer Spitzengeschwindigkeit von 210 km/ h, bis er ihn 1973 an Frankreich abgeben musste. Doch 1997 holte sich die Baureihe 500 [7] den Rekord auf der Sanyo-Linie mit Spitzengeschwindigkeit von 300 km/ h wieder zurück und behielt ihn bis 2005. Die im Bau beindliche Magnetschwebebahn ‚Linear Maglev‘ hält seit Dezember 1997 den absoluten Weltrekord für spurgeführte Fahrzeuge. Der Urva- Bild 2: Der Urvater des Schnellverkehrs über 200km/ h aus dem Jahre 1964 ist nur noch im Museum zu bewundern. Foto: Wilfried Wunderlich Bild 3: Die Tokaido Region zwischen Osaka und Tokyo [4] Bild 4: Ab 1970 wurde die Tohoku-Shinkansen- Strecke weitgehend aufgeständert gebaut, erst langsam amortisieren sich die Investitionen. Foto: Wilfried Wunderlich Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 56 MOBILITÄT Schienenschnellverkehr ter des 200 km/ h-Schnellverkehrs, die Baureihe 0 (Bild 2), war noch bis 2008 in Dienst und ist inzwischen nur noch im Museum zu bewundern. Auch wenn er inzwischen längst in der Geschwindigkeit überholt wurde, kann der Tokaido-Shinkansen derzeit doch noch Rekorde verbuchen. Die Strecke Tokyo - Osaka hat den dichtesten Fahrplan im Hochgeschwindigkeits-Netz auf der ganzen Welt. Außerdem hält die Tokaido-Strecke den Rekord der höchsten Personenkapazität. Zur Sicherheit verfügt das Shinkansen Netz über ein Erdbebenfrühwarnsystem. Bisher wurde aber nur einmal wurde bei einem Erdbeben der Stärke 6,4 im Jahr 2004 ein fahrender Zug durch das Frühwarnsystem gestoppt und trotz Entgleisung entstanden keine Personenschäden. Dies war in 50 Jahren Betrieb bisher der einzige nennenswerte Unfall. Betriebskonzept Auf allen Shinkansen-Strecken wird ein System verschiedener Zugtypen angeboten, d.h. es gibt Züge, die an jedem Bahnhof halten, aber auch solche, die nur an den wichtigsten Stationen halten. Die Fahrgäste erkennen diese Züge an unterschiedlichen Namen, während das eingesetzte Rollmaterial meistens gleich ist. Auf der Tokaido- Strecke sind dies die Nozomi-Züge, die nur in Tokyo, Shinagawa und Yokohama stoppen und dann ohne Halt 317 km bis Nagoya durchfahren, anschließend erneut 134 km ohne Halt fahren, bevor sie Kyoto und Osaka bedienen. Die Hikari-Züge („Licht“) bedienen zusätzlich die wichtigsten Zwischenbahnhöfe im 1- oder 2-Stunden-Takt, die Kodama-Züge grundsätzlich alle Halte (Bild-6). Die Tokaido-Strecke bietet auch das dichteste Angebot aller Shinkansen-Strecken. So fahren ab Tokyo Hauptbahnhof in Richtung Osaka von 6 bis 21 Uhr grundsätzlich vier Nozomi-Züge und je zwei Hikari- und Kodama-Züge pro Stunde. Zu den Hauptverkehrszeiten am Vormittag und frühen Abend wird das Nozomi-Angebot auf einen 10-Minuten-Takt verdichtet. Hinzu kommen noch zahlreiche Verstärkerzüge, allesamt Nozomi, vor allem an Montag- und Samstagvormittagen sowie an Freitag- und Sonntagnachmittagen, die von Wochenendpendlern genutzt werden; diese Züge werden aber auch an anderen Wochentagen gefahren, vor allem zur Urlaubszeit oder an langen Wochenenden. Das dichteste Angebot auf der Tokaido-Strecke wird normalerweise an Freitagen zwischen 18 und 20 Uhr gefahren, wenn die höchste Nachfrage herrscht und alle Nozomi-Fahrplantrassen genutzt werden. Dann verkehren auf dem Abschnitt zwischen Tokyo und Mishima 15- Züge pro Stunde und Richtung (Bild 7), was einer Kapazität von 19 845 Sitzplätzen entspricht. Durch den dichten Fahrplan kommen auf der Hauptstrecke Tokyo - Osaka Laufleistungen von mehr als 2500 km pro Tag und Zug zusammen. Der daraus resultierende hohe Verschleiß ist der Grund, dass die Baureihen 300 und 500 [7] nicht mehr als 15-Jahre in Betrieb waren, während ansonsten 30 Jahre Lebensdauer für Schienenfahrzeuge üblich sind. Die zurzeit verkehrenden 700, N700 und N700A werden sicher eine längere Lebensdauer haben, da deren Bauteile großenteils austauschbar sind, so dass jedenfalls bei der Betreibergesellschaft JR- Central von weitgehender Typengleichheit gesprochen werden kann. Während 1964 nur eine einzige 0-Baureihe in Betrieb war, gibt es heute mehr als 30 Shinkansen-Baureihen bei den vier Betreibergesellschaften, wenn man die bereits ausgemusterten und die Versuchsfahrzeuge hinzuzählt Auswirkungen auf Raum und Gesellschaft Aufgrund der vielen Vorteile, wozu auch seine legendäre Pünktlichkeit gehört [8], ist der Shinkansen, inkl. der Unterschiede der einzelnen Baureihen, als Kult-Verkehrsmittel längst in den Köpfen der Japaner verankert, was sich unter anderem in der Vielfalt der Souvenirs in den JR-Kiosken zeigt. Trotz des hohen Fahrpreises ist der Shinkansen aufgrund der Schnelligkeit der Verbindung in die Innenstadt ein hochgradig wettbewerbsfähiges Verkehrsmittel. Seit der Einführung des Tokaido-Shinkansens sind Tagesreisen mit dem Zug für Geschäftsreisende von Tokyo nach Osaka möglich geworden. Gleichzeitig setzte das Sterben der veralteten Schlafwagenzüge ein, langfristig werden nur zwei Verbindungen übrigbleiben. Der Shinkansen ermöglichte und verstärkte sogar neue gesellschaftliche Entwicklungen. Die Zahl der Wochenendehen nahm zu, ebenso wie die Landlucht nach Tokyo, wo es mehr Arbeit gibt [9; 10]. Der Shinkansen hat auch erheblich räumliche Wirkungen. So werben die Wohnungsbauirmen in den Metropolregionen mit Slogans, die die Vorteile der Shinkansen-Verbindung zum Inhalt haben („Nur 60-min bis Tokyo“). Als der Kurort Karuizawa 1997 an den Shinkansen angeschlossen Bild 5: Die Grafik zeigt die zeitliche Entwicklung der betriebenen Shinkansen- und Mini-Shinkansen- Strecken, jedoch ohne den Linear Maglev in den Farben der Betreibergesellschaften. Die Hokurikustrecke wird von JR East und West gemeinsam betrieben. Quelle: Wilfried Wunderlich Bild 6: Auf den Shinkansen Strecken verkehren in der Regel drei verschiedene Zugarten, die auf der Tokaido-Stecke als Nozomi, Hikari und Kodama bezeichnet sind. Grafik: Eigener Entwurf Oliver Mayer/ Wilfried Wunderlich Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 57 Schienenschnellverkehr MOBILITÄT wurde, stiegen dort die Bodenpreise und viele Tokyoter kauften sich dort ein Wochenendhaus oder verlegten gar ihren Wohnsitz dorthin. Selbst im Umfeld der abgelegen Shinkansen-Bahnhöfe der Joetsu- und Nagano-Strecken enstanden nicht nur riesige Pendler-Parkplätze, sondern auch ein Campus der Tokyoter Waseda-Universität. Als der einstige Betriebsbahnhof Gala- Yuzawa 1990 für den Passagierverkehr aufgerüstet wurde, und der bequeme Zugang direkt zum Skilift möglich wurde, wurde Tokyo sogar etwas übertrieben-euphorisch als Wintersport-Ort bezeichnet, denn mit der neuen Zugverbindung braucht man dorthin nur 90 min [11; 12]. Selbst im Umfeld der Shinkansen-Bahnhöfe entstehen neben den traditionell vorhandenen Kauhäusern immer mehr Hotels und Restaurants, weil Geschäftsleute die Bahnhöfe aufgrund ihrer attraktiven Anbindung auch als Trefpunkt oder Firmen gar als Hub nutzen. Praktisch in allen Orten, die von Tokyo in 1,5 h zu erreichen sind, suchen Tokyoter Familien nach einem bezahlbaren Wohnstandort. Fazit und Ausblick Seit der Inbetriebnahme 1964 ist der Shinkansen inzwischen zu einem Hauptverkehrsmittel für den Fernverkehr in Japan geworden [1; 8]. Für 2016 ist die Anbindung der nördlichen Hokkaido-Insel an die japanische Hauptinsel Honshu geplant. Dann wird es aus betrieblichen Gründen nötig sein, in dem 54 km langen Seikan-Tunnel zwischen Honshu und Hokkaido auf einem Drei-Schienen-Abschnitt Shinkansen und bisherige Züge gemeinsam verkehren zu lassen. Damit sich die Container nicht von den Güterzügen lösen, wird zunächst die Shinkansen-Geschwindigkeit im Begegnungsfall auf 140 km/ h abgesenkt, bis eine andere technische Lösung gefunden ist. Die Rad-Schiene-Technik ist in Japan bis zur Plan-Geschwindigkeit 320 km/ h mit Baureihe E6 (Bild 8) optimiert worden. Gleichzeitig war damit ein Ende erreicht, denn der Linear Maglev, der seit 1997 den Testbetrieb auf einer 40 km langen Strecke aufnahm, war technisch sehr erfolgreich. Anders als der deutsche Transrapid wird der japanische Zug mit supraleitenden Magnet- Linear-Motoren (SC-Maglev) betrieben und ist damit wesentlich sparsamer im Energieverbrauch. Der sogenannte Chuo-Shinkansen Tokyo - Nagoya, der mitten durch die japanischen Alpen geführt wird [13], soll im Jahr 2027 in Betrieb gehen und die 286 km in nur 40 min zurücklegen. Die beschriebenen Rekorde werden vielleicht fallen, doch einen neuen gibt es schon: Der Linear Maglev erreichte 2003 die Weltrekord- Geschwindigkeit von 581 km/ h. ■ QUELLEN:  [1] P. Semmens (1997/ 2000), High Speed in Japan: Shinkansen - The World‘s Busiest High-speed Railway. Platform 5 Publishing, Shefield  [2] R. R. Rossberg (1971), Tempo 200. Eisenbahn heute. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart  [3] C.P. Hood (2006), Shinkansen. From bullet train to symbol of modern Japan. Routledge, London  [4] W. Flüchter, N. von der Ruhren (1994),. Japan, S II Länder und Regionen, Stuttgart  [5] Institution for Transport Policy Studies (Hrsg.) (2013): Suji de miru tetsudo (Eisenbahn in Zahlen)  [6] W. Veith (1995), Mini-Shinkansen und Umbaustrecke, Lok Magazin 1995-1 (34), 39-51  [7] W. Wunderlich (2010), Wer nicht ins Schema passt, Shinkansen 500, Lokreport 2010-10, 52-53  [8] O. Mayer (2004), Von Japan lernen heißt Qualität lernen, Der Fahrgast 2004-5 (98) 17-18. http: / / www.der-fahrgast.de/ Archiv/ 2004/ 2004-2-15-16.pdf  [9] W. Wunderlich (2009), Boltzmann‘s Analysis of Commuter Train Transport to “Hot Spot” Tokyo, http: / / bulletin.soe.u-tokai.ac.jp/ english_vol34/ 5-10.pdf [10] S. Klug (2002), Japanische Eisenbahngesellschaften als Akteure auf dem Bodenmarkt, Int. Verkehrswesen 05 (54) 210-215 [11] M. Kölling, Die Gunst der Geographie. http: / / www.heise.de/ tr/ blog/ artikel/ Die-Gunst-der-Geographie-1775674.html [12] M. Jahrfeld (1999), Computer statt Piste. http: / / www.zeit. de/ 1999/ 50/ Computer_statt_Piste [13] W. Breuer, Die 10 spannendsten Bahnreisen weltweit. http: / / www. zehn.de/ die-10-spannendsten-bahnreisen-weltweit-3983-0 Bild 7: Fahrplan des Tokaido-Shinkansen ab Tokyo Hauptbahnhof (Fahrplanperiode März - Juni 2014) Grafik: Eigener Entwurf Oliver Mayer/ Wilfried Wunderlich Bild 8: Seit 2013 fährt die Baureihe E6 als Akita- Shinkansen. Foto: Wilfried Wunderlich Oliver Mayer, M.A. Associate Professor an der Pädagogischen Hochschule Aichi, Kariya, Japan. omayer@auecc.aichi-edu.ac.jp Stefan Klug, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, Technische Universität München stefan.klug@tum.de Wilfried Wunderlich, Dr. Professor für Material-Physik an der Tokai Universität, Hiratsuka, Japan. wi-wunder@rocketmail.com