Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2014-0129
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Vernetzen - Muss das sein?
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Wolfgang Kieslich
Anja Barth
Dominik Bosch
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Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 87 Veranstaltungen FORUM Vernetzen - Muss das sein? Rückblick: 10. Münchner Verkehrsforum am 1. Oktober 2014 M ultimodalität und Multifunktionalität - diese Schlagwörter zählen moderne Servicedienstleister genauso zu ihrem Portfolio wie Apps und Bezahldienste. Doch wer ist oder wird in Zukunft Servicedienstleister und damit erster Ansprechpartner für die Aktivitäten und die Mobilität der Menschen sein, sowohl regional als auch global? Wie müssen sich die Servicedienstleister vernetzen? Wie gehen globale und lokale Akteure zukünftig miteinander um und welche Erwartungen haben öfentliche und private Akteure an eine Vernetzung? Diese und weitere aktuelle Fragen wurden auf dem diesjährigen 10. Münchner Verkehrsforum diskutiert. Die Veranstaltung Der jährlich stattindende Kongress wurde am 1. Oktober 2014 mit der Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr im Kloster Benediktbeuern südlich von München ausgerichtet; die MRK Management Consultants GmbH (MRK) veranstaltete das Münchner Verkehrsforum damit zum zehnten Mal. Unter dem Motto „Vernetzen - Muss das sein? “ begrüßte Dr. Olaf Weller, im Staatsministerium zuständig für das Referat Vernetzung , die Teilnehmer. Vertreter aus den drei Ländern Deutschland, Luxemburg und Österreich, aus Unternehmen und Politik nahmen teil. Die Facette reichte dabei von Bundes- und Landesministerien über Verkehrsgesellschaften und -verbünde, von Automobilkonzernen und Flughafengesellschaften bis hin zu Technologie- und Beratungsunternehmen. Rund 60- Experten diskutierten über aktuelle branchenspeziische Entwicklungen und präsentierten umsetzungsrelevante Aktivitäten zur Vernetzung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ministerialdirigent a. D. Dieter Wellner, langjähriger Leiter der Verkehrsabteilung im früheren Wirtschafts- und Verkehrsministerium des Freistaates. Regionen machen mobil Der erste von drei Themenblöcken beleuchtete regionale Servicedienstleister aus den Metropolregionen München, Frankfurt Rhein-Main und der Zwischenregion des Schwabenbunds. Dr. Markus Haller, Bereichsleiter Konzeption und Prokurist beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV), stellte dar, dass in Ballungsräumen immer mehr multimodale Mobilitätsdienste nachgefragt und angeboten werden. Zur inhaltlichen, organisatorischen und vor allem auch räumlichen Ausgestaltung und Vernetzung dieser Verkehrsangebote ist ein „Kümmerer“ jedoch zwingend erforderlich. Unter dem Titel „Auf dem Weg zum Mobilitätsverbund - Der MVV als regionaler Servicedienstleister“ stellte Haller heraus, dass Verkehrsverbünde wie der MVV in der Lage sind, diese aktive Rolle der übergreifenden und diskriminierungsfreien Information und Koordination der Mobilitätsdienste efizient zu übernehmen. Mit seinem Vortrag „VIELMOBIL - der intermodale Mobilitätslotse“ erweiterte Rüdiger Bernhard, Prokurist des Integrierten Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain GmbH (ivm), die Sicht auf die Anforderungen der Kommunen bei der Vernetzung von Services. Mit der ivm hat Hessen eine einzigartige Organisationseinheit geschafen, die alle Mobilitätsangebote aus Sicht eines Gesamtverkehrsangebots betrachten kann und beispielhaft mit dem prämiierten Informationsdienst VIELMOBIL Schnittstellen und Prozesse zu regionalen und globalen Servicedienstleistern erprobt und demonstriert. Aber nicht nur Europäische Metropolregionen sehen sich in einer handelnden Rolle, wie Josef Brandner, Gesellschafter der BBS Schapl KG aus Krumbach sowie Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses der IHK Schwaben, in seinem Referat „Sein oder nicht sein - Das ist die existenzielle Frage der Zwischenregion! “ herausstellte. Nachdem Metropolregionen immer stärker ihre regionalen Servicekonzepte vorantreiben, wird es für die Zwischenräume wie den Schwabenbund mit ihren Einwohnern und Unternehmen wichtig, ihre eigenen regionalen Services zu deinieren, um damit ihre Eigenständigkeit und Identität langfristig festlegen und global anbieten zu können. Servicedienstleister durchdekliniert Der zweite Themenblock führte am Beispiel des Projekts Stuttgart Services tiefer in das Zusammenspiel regionaler und globaler Servicedienstleister. Den Startschuss gab Wolfgang Forderer als Leiter der Stabsabteilung Mobilität im Referat des Oberbürgermeisters für Koordination und Planung der Landeshauptstadt Stuttgart. Mit seinem Vortrag „Stuttgart Services“ stellte er das umfangreichste Projekt aus der Reihe der Schaufensterprojekte „Elektromobilität“ vor. Relektierend auf das Stadt-/ Umlandproblem und die Forderung, den konventionellen Autoverkehr im Stuttgarter Talkessel um 20 % zu reduzieren, müssen mit Stuttgart Services attraktive Servicelösungen entwickelt und vermarktet werden, die das Umsteigen auf den Öfentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowohl für Fahrer von Elektrofahrzeugen als auch konventionellen Fahrzeugen an Park&Ride-Standorten begünstigen. Auch Autobauer haben erkannt, dass ein hoher Wertschöpfungsanteil bei Kunden nicht nur beim Autokauf, sondern auch während der Reise möglich ist. Mit der Neuausrichtung ihres Geschäfts auf Mobilitätsdienstleistungen wie DriveNow und ParkNow erläuterte Andreas Kottmann, bei der BMW Group zuständig für Mobilitätsdienstleistungen, in seinem Vortrag „Mobilitätsdienstleistungen vom Band“, dass BMW als globaler Serviceprovider seine Rolle als Mobilitätsdienstleister immer weiter ausbaut. Dabei muss er sich zukünftig erfolgreich mit den regionalen Infrastruktur- und Serviceanbietern vernetzen und deren Vorgaben berücksichtigen. Einer dieser regionalen Infrastruktur- und Serviceanbieter ist die Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg mbH (PBW). FORUM Veranstaltungen Internationales Verkehrswesen (66) 4 | 2014 88 Die „Sandwichposition zwischen globalen und regionalen Anforderungen“ sieht Gebhard Hruby, Geschäftsführer der PBW, auch als Chance für die Vernetzung von Region und global agierenden Servicedienstleistern. Parken rückt aufgrund der Stellplatzknappheit in den Innenstädten und weiter steigenden Forderungen in den Ballungsräumen nach intermodalen Reiseverbindungen zur Vermeidung von Umweltschäden immer weiter in den Fokus von globalen Servicebetreibern. In Zukunft werden Parkhausbetreiber als Mobilitätsdienstleister den Service „Parken + X“ anbieten und durch Standardisierung der Schnittstellen und Zugangsmedien die notwendige Vernetzung mit neuen, weiteren Mobilitätsangeboten wie auch globalen Servicedienstleistern herstellen. Global braucht regional Im letzten Block wurde die Frage der Vernetzung von Services aus nationaler und internationaler Sicht beleuchtet, um letztlich auch ihre Bedeutung als Wirtschaftsfaktor zu besprechen. „Staat als regionales Servicekonzept“ - eine sehr provokante These von Stefan Mayr, Geschäftsleitung der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Verkehrsverbund-Organisationsgesellschaften (ARGE ÖVV), insbesondere, wenn der Begrif regional alle neun Bundesländer einschließt. Dennoch ist es real, dass Österreich mit seiner Verkehrsauskunft Österreich (VAO) ein öfentliches Informationssystem für alle Verkehre im ganzen Staat umsetzt. Damit bündelt Österreich seine Mobilitätsservices wie ein regionales Servicekonzept und positioniert sich einheitlich gegenüber allen globalen Serviceprovidern als Mittler von Informationen und Verkäufen. Obwohl nur regional verortet, sehen sich die Flughäfen mit ihren Dienstleistungen auf Grund ihrer überregionalen Verkehrsbeziehungen zu andere Flughäfen sowohl in einem globalen als auch regionalen Wettbewerb um Kunden. Michael Zaddach, CIO der Flughafen München GmbH, führte aus, dass mittlerweile der Non-Aviation Bereich der Flughäfen eine der größten Einnahmequellen der Standorte ist. Und ausgerechnet in diesem Erlössegment wird der Wettbewerbsdruck durch einen transparenten Markt im Internet immer höher. „Flughäfen - Hubs für internationale Serviceprovider“ - schon der Titel des Vortrags stellt damit die Zielrichtung der Flughäfen dar, über Servicemodelle und geschickte Vernetzung ihre Einnahmen zu sichern und die Marktposition der Flughafen zu stärken. Auch die globalen Servicedienstleister, ob online oder im Servicecenter, benötigen leistungsfähige Vertriebssysteme. Mit „Amadeus“ hat sich über Jahre hinweg ein klassisches Flugreservierungssystem zum weltweit führenden Anbieter von IT-Lösungen für die gesamte Mobilitäts- und Touristikbranche entwickelt. Nach Bernd Schulz, Geschäftsführer der Amadeus Germany GmbH, bedient und vernetzt das Unternehmen als globaler Serviceprovider heute nahezu alle Phasen der Reiseketten mit Information, Produkten und Dienstleistungen, sowohl vor als auch während und nach der Reise. „Service Global“ strebt daher eine durchgängige Door-to-Door-Abdeckung der intermodalen Reisekette einschließlich ÖPNV an. Doch gerade dort bestehen große Herausforderungen auf Grund heterogener Preis- und Buchungssysteme, fehlender Schnittstellen sowie unterschiedlicher Ticketformen oder Zahlungsabwicklungen. Um nicht Vereinbarungen mit jedem einzelnen Anbieter meistern zu müssen, sind regionale Servicedienstleister aus Sicht von Amadeus bestens geeignet, die Zusammenarbeit zwischen regionalen Dienstleistern und globalen Vertriebspartnern dauerhaft herzustellen und zu vereinfachen. Im abschließenden Vortrag des Verkehrsforums zum Thema „Service - Wirtschaftsfaktor der Zukunft? “ zeigte Marcel Klesen, Head of Environment & Energy Sector bei Luxinnovation, der nationalen Agentur für Innovation und Forschung in Luxemburg, wie Industrie, Wirtschaft und Politik immer aufs Neue nach erfolgreichen und künftig auch nachhaltigen Wirtschaftssektoren suchen. Aufgrund seiner Struktur und grenznahen Lage stellt Luxemburg ein ideales Testlabor für die Vernetzung der Servicebereiche dar. Damit ist für Luxemburg neben erneuerbarer Energie und Ressourceneizienz auch der Markt der neuen Geschäfts- und Servicemodelle ein wichtiger und zukunftsfähiger Wirtschaftsfaktor. Vernetzen muss sein! „Vernetzen - Muss das sein? “ Diese Frage konnten alle Teilnehmer des 10. Münchner Verkehrsforums eindeutig mit „Ja“ beantworten. Vernetzung muss dabei aber unbedingt auf regionaler, also gemeinwirtschaftlicher Ebene stattinden, um auch den kleinen Geschäftspartnern eine Chance im immer transparenter werdenden Markt zu geben. Regionale Vernetzung ist somit auch Standortpolitik. Ängste davor gibt es viele. Vor allem wenn diese Vernetzung zu globalen Serviceprovidern stattinden soll. Die vorgestellten Projekte der Redner legen jedoch in allen Fällen dar, dass Vernetzung nicht unmöglich ist. Von den Verantwortlichen der Region wird jedoch ein breites Sichtfeld abverlangt, um nicht als „Insel der Glückseligkeit“ in ein bis zwei Jahren von den Gegebenheiten eines immer transparenter werdenden Marktes überrannt zu werden. Vernetzung wird sicher nicht von heute auf morgen gelingen, sie muss jedoch heute beginnen, um morgen zu funktionieren. ■ Dr. Wolfgang Kieslich, Geschäftsleitung Verkehr und Energie, MRK Management Consultants GmbH, München wolfgang.kieslich@mrk.de Anja Barth, Consultant, MRK Management Consultants GmbH, München anja.barth@mrk.de Dominik Bosch, Consultant, MRK Management Consultants GmbH, München dominik.bosch@mrk.de Die Redner von links nach rechts.: Marcel Klesen, MDirig a.D. Dieter Wellner, Dr. Imke Germann, Dr. Olaf Weller, Wolfgang Forderer, Michael Zaddach, Andreas Kottmann, Rüdiger Bernhard, Dr. Markus Haller, Bernd Schulz, Josef Brandner, Stefan Mayr, Gebhard Hruby, Dr. Wolfgang Kieslich
