Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0001
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2015
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Intelligent mobil - weiter gedacht
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2015
Kay Axhausen
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 3 Kay Axhausen EdITORIAL Intelligent mobil - weiter gedacht S eit den späten 80er Jahren wird die Verbindung der Informationstechnologie mit dem Verkehrssystem vorangetrieben: in manchen Bereichen mit gutem Erfolg, in anderen fehlt die Zahlungsbereitschaft der Privatkunden oder der Steuerzahler. Die Behörden zögern in vielen Fällen wegen der Komplexität und der Dauer der Einführung. Die Systeme reichen von der elektronischen Steuerung der Fahrzeugmotoren über die Sicherheitstechnik der Züge bis hin zu „Apps“, die unsere Wege spannender, angenehmer, kürzer, billiger machen sollen. Die intelligenten Systeme kommen dort voran, wo sie einen eindeutigen Nutzen für Fahrzeugbesitzer, -nutzer oder Systembetreiber haben - also im wesentlichen in Fahrzeugen und Steuerungssystemen. Automobilfirmen und Komponentenanbieter wie Bosch oder Continental sind heute auch Softwarehäuser und Integratoren. Nur so können sie ihren Wertschöpfungsanteil sichern oder erhöhen. Der Druck war schon lange vorhanden, aber die neuen Märkte in der Elektromobilität und bei den kommenden autonomen Fahrzeugen haben die Konkurrenz sichtbarer gemacht: Tesla oder Google zum Beispiel. Diese Konkurrenten kommen ohne die Verpflichtungen der Geschichte, ohne die bestehenden Händlernetze, ohne Denkblockaden, die Erfahrungen manchmal auferlegen, ohne die Produktionskapazitäten der großen Hersteller - und im Fall von Google mit den komfortablen Ressourcen des Quasi-Monopolisten im lukrativen elektronischen Anzeigenmarkt. Die Träume vom autonomen Fahrzeug sind alt. Man schaue sich die Bilder und Filme des General Motors Beitrags zur 1939 World Exhibition in New York an: Träume von schnellen spurgeführten Fahrzeugen in einem aufgeräumten und blühenden Amerika. Googles Vision setzt das mit den heutigen Mitteln um, und die Automobilindustrie steuert z. B. mit „Automatic Cruise Control“ ihre inkrementellen Beiträge bei, so dass der Traum um das Jahr 2030 vielleicht wahr werden kann. Die Apps versprechen den Nutzern zum einen, durch ihre Quasi-Allwissenheit des Netzes und der Verkehrssituation Frustrationen zu vermeiden, keine Karten lesen zu müssen oder Zeit zu sparen; zum anderen versprechen sie ein sozial erfüllteres Leben, in dem man seine Freunde einfacher im Raum entdecken und dann vielleicht treffen kann. Beide Ansätze lösen individuelle Probleme oder erfüllen individuelle Wünsche, aber man darf fragen, ob sie auch unsere gemeinsamen Probleme lösen: Erreichbarkeitsverluste durch zu hohe Auslastung der bestehenden Netze und die Belastung durch die Externalitäten des Verkehrs. Viele akademische Studien haben gezeigt, dass Systeme der rein individuellen Optimierung sich für die Kunden nur lohnen, solange ihre Marktdurchdringung nicht zu hoch ist. Weitere Gewinne sind danach nur durch kollektive Systeme wie Straßengebühren oder Rationierung möglich, die vorhandene Kapazitätsreserven ohne interne Widersprüche nutzen können. Die heutige Diskussion verzichtet zudem weitgehend auf die Frage nach den induzierten Nachfrageeffekten. Ist wirklich klar, dass Flotten elektrischer autonomer Fahrzeuge die heutigen privaten und zu wenig genutzten Flotten ersetzen werden - oder werden die erträumten autonomen Fahrzeuge zur Durchführung zusätzlicher Bring- und Holfahrten genutzt? Haben wir denn Zeit für all die Freunde, deren Präsenz wir uns nun bewusst sind? Wird der Strommix z. B. in Indien wirklich die CO 2 Belastung reduzieren? Ja, die neuen Systeme helfen uns kurzfristig und sie können den Verkehr sicherer machen, aber sie können uns die Diskussion über das gewünschte Erreichbarkeitsniveau und die damit verbundenen Geschwindigkeiten und Preise (Steuern) nicht ersparen. Eine Diskussion, die für die urbanen Wachstumsgebiete wie für die schrumpfenden ländlichen Gebiete notwendig ist. Ihr Kay Axhausen Prof., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme, Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich
