eJournals Internationales Verkehrswesen 67/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0004
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2015
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Digital, sicher, vernetzt, individuell

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Florian Eck
Die Bundesregierung hat in ihrer Hightech-Strategie 2020 das Ziel „CO2-neutrale, energieeffiziente und klimaangepasste Stadt“ ausgerufen. Bereits heute ist es absehbar: Bis 2030 werden 30 % aller Bundesbürger in Großstädten leben. Gleichzeitig sind die Menschen in den vergangenen Jahren immer mobiler geworden: Sie haben ihren Radius im Alltag erweitert, legen mehr Wege zurück und verwenden einen größeren Anteil ihrer täglichen Zeit darauf, unterwegs zu sein. Mit diesen Veränderungen muss die Verkehrspolitik, aber auch die Verkehrsbranche umgehen. Die intelligente Mobilität der Zukunft muss digital, sicher, vernetzt und individuell sein.
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POLITIK Mobilitätsstrategie Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 16 Digital, sicher, vernetzt, individuell Intelligente Mobilität braucht einen Aktionsplan Vernetzung, Verkehrstelematik, Digitalisierung, Big Data, Verkehrsinformationen Die Bundesregierung hat in ihrer Hightech-Strategie 2020 das Ziel „CO 2 -neutrale, energieeffiziente und klimaangepasste Stadt“ ausgerufen. Bereits heute ist es absehbar: Bis 2030 werden 30 % aller Bundesbürger in Großstädten leben. Gleichzeitig sind die Menschen in den vergangenen Jahren immer mobiler geworden: Sie haben ihren Radius im Alltag erweitert, legen mehr Wege zurück und verwenden einen größeren Anteil ihrer täglichen Zeit darauf, unterwegs zu sein. Mit diesen Veränderungen muss die Verkehrspolitik, aber auch die Verkehrsbranche umgehen. Die intelligente Mobilität der Zukunft muss digital, sicher, vernetzt und individuell sein. Der Autor: Florian Eck M obilität wird immer komplexer. So hat ein Reisender in Deutschland mittlerweile theoretisch die Wahl zwischen 5400 Bahnhöfen, 17 größeren Flughäfen sowie einem überregionalen Straßennetz von 230 000 km. Der Nutzer wird somit von sich aus nicht immer die optimale Kombination aus Verkehrsmitteln und Wegen wählen können, da er nicht alle theoretischen Möglichkeiten durchspielt. Hier muss die Intelligente Mobilität ansetzen, indem sie den Kunden, den Reisenden und den Fahrzeugführer unterstützt, effizient und sicher ans Ziel zu kommen. Dabei hilft intelligente Mobilität auch, die weltweit geschätzten 1,2 Mio. Verkehrstoten auf unseren Straßen zu reduzieren. Darüber hinaus müssen Ansätze gefunden werden, kurzfristig die Kapazitäten unserer Verkehrswege besser auszunutzen, bis sie ausgebessert und ausgebaut werden können. Auch das ist Intelligente Mobilität. Mobilitätsstandort deutschland Deutschland gilt immer noch weltweit als vorbildlicher Mobilitätsstandort. Zunehmend stockt jedoch die Umsetzung von modernen Verkehrskonzepten und reibt sich an Hindernissen auf. Es ist Zeit, diese Hemmnisse gezielt anzugehen. So wie sich das produzierende Gewerbe fit macht für „Industrie 4.0“, muss der deutsche Mobilitätssektor auf „Intelligente Mobilität“ setzen. Die maßgeblichen Elemente dazu sind bereits heute vorhanden. Es geht darum, Sensoren, Daten, Ortung und Navigation, Rechnerleistung und Kommunikationssysteme so miteinander zu verknüpfen, dass sie die physische Mobilität effizienter, nachhaltiger, sicherer und auch bedarfsgerecht machen. Richtig eingesetzt, ergeben sich daraus Produkte und Dienstleistungen wie lebensrettende Fahrerassistenzsysteme oder Notrufsysteme wie e-Call, zuverlässige Verkehrsinformationen und Prognosen sowie barrierefreie Mobilitätsketten. Intelligent unterwegs Bereits heute sind Ansätze von intelligenten Verkehrssystemen im Einsatz: Verkehrsmittel können auf den Verkehrsträgern Straße, Schiene, Luft und Wasserstraße durch moderne Leit- und Sicherungstechnik so unterstützt werden, dass sie auf der richtigen Strecke, mit der optimalen energieeffizienten Geschwindigkeit und im optimalen Abstand zueinander unterwegs sind. Notrufsysteme wie e-Call informieren bei einem Unfall Rettungskräfte, Verkehrsmittel warnen andere Verkehrsmittel automatisch vor Gefahrenstellen. Die intelligenten Systeme schonen Ressourcen, steuern knappe Infrastrukturkapazitäten aus und ermöglichen optimale Sicherheitsabstände. Auch ein halbbis vollautomatischer Betrieb wird dadurch möglich. Dies bewirken Systeme wie die Satellitennavigation GPS und Galileo, das europäische Zugleit- und -sicherungssystem ETCS/ ERTMS oder das River Information System RIS. Diese Systeme gilt es ebenso auszubauen und zu verbreiten wie den einheitlichen europäischen Luftraum Single European Sky. Handy als Mobilitätsassistent Ein weiteres Szenario: Der Berufspendler erhält bereits morgens am Frühstückstisch eine Routen- und Verkehrsmittelempfehlung für seinen Weg zur Arbeit - basierend auf seinen Gewohnheiten, Echtzeit-Störungsmeldungen, Baustellen und Verspätungen im ÖPNV und auf Verkehrsprognosen. Kommt es bei einer Autofahrt unvorhergesehen zu Staus, können Umfahrungen oder Parkplätze und Umsteigemöglichkeiten zum ÖPNV angeboten werden. Ein elektronisches Ticket erschließt alle Verkehrsmittel. Bei all diesen Entwicklungen gibt es ein wichtiges Bindeglied: Das Smartphone ist der „Zündschlüssel der Zukunft“. Hier laufen multimodale Informationen zusammen, es wird navigiert, der Parkplatz gebucht und bezahlt, Car-Sharing reserviert, ein Fahrrad freigeschaltet, ein Fahrschein gekauft. Gleiches ist mit den entsprechenden Bordinformationssystemen der Autos oder per Telefon möglich (Bild 1). Hemmnisse abbauen Viele weitere Anwendungsfälle von intelligenten Verkehrssystemen mit dem Ziel einer intelligenten, vernetzten Mobilität sind denkbar. Die modernen Mobilitätswelten brauchen Innovation, Veränderung und Raum für neue Ideen. Das setzt aber voraus, dass sich die Rahmenbedingungen ändern und bestehende Entwicklungshemmnisse abgebaut werden. Das Deutsche Verkehrsforum hat hierzu mit dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (BITKOM) in ei- Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 17 Mobilitätsstrategie POLITIK nem „Aktionsplan Intelligente Mobilität“ neun zentrale Handlungsfelder identifiziert, die angegangen werden müssen: 1. Mobilitätsdaten verfügbar machen: Im Zentrum aller Ansätze der Intelligenten Mobilität stehen Daten - Fahrpläne, Staumeldungen, Prognosen, etc. Bisher stoppen die Datenströme oftmals an Verkehrsträger-, Unternehmens- und Verwaltungsgrenzen. Diese Datenschätze müssen gehoben werden. Erste Ansätze wie Open Data und der Mobilitätsdatenmarktplatz müssen ausgebaut werden. 2. Datenschutz und Datensicherheit gewährleisten: Nicht erst seit der NSA-Affäre existieren Zweifel beim Nutzer hinsichtlich der Datensicherheit ihrer Mobilitätsdaten. Die Branche nimmt diese Bedenken ernst. Ein Kodex, rigide Selbstverpflichtung, Transparenz, Kontrollinstanzen und ein geeigneter gesetzlicher Rahmen müssen Vertrauen schaffen. Auch das Thema „Cyber-Security“ muss mit der zunehmenden Digitalisierung Schritt halten. Nur so kann Big Data für den Verkehrsbereich umgesetzt werden. 3. Bandbreite im Datennetz sicherstellen: Um Verkehrsunternehmen und Endkunden ausreichend mit Mobilitätsdiensten versorgen zu können, müssen entsprechende Bandbreiten im Mobilfunk- und Festnetz sichergestellt werden - mit Priorität entlang der Hauptverkehrsachsen und in den Ballungsräumen. 4. Standardisierung vorantreiben: Die Vielzahl an Dienstleistungen, Datenformaten, Prozessen und Akteuren auf dem Mobilitätsmarkt verhindern momentan eine umfassende Integration der Angebote. Hier müssen existierende Defacto-Standards schrittweise ausgebaut werden. 5. Übergreifende Bezahldienste und Ticketing ausbauen: Die Abrechnung und das intermodale Ticketing zwischen verschiedenen Dienstleistern ist weiterhin eine Herausforderung. Hier müssen die Zahlungsverkehrsdienstleister gemeinsam mit den Verkehrsunternehmen noch Aufbauhilfe leisten. 6. Akzeptanz beim Nutzer verbessern: Oftmals ist der Nutzen neuer Mobilitätsdienstleistungen nicht offensichtlich oder wird vom Kunden nicht so hoch bewertet. Dies mündet in mangelnde Akzeptanz und Zahlungsbereitschaft. Die Angebote müssen folglich näher am Kunden konzipiert und besser vermarktet werden oder es werden andere Kostenträger genutzt. 7. Umrüstung der Infrastruktur unterstützen: Die vorhandene Telematik-Infrastruktur - z. B. Signaltechnik oder Verkehrsinformationssysteme - ist oftmals nicht ausbaubar für weitere Dienste und Anwendungen. Dies ist ein Investitions- und Entwicklungshemmnis. Auch im digitalen Bereich muss Infrastruktur als Daseinsvorsorge betrachtet werden. Teilweise brauchen die Verkehrsunternehmen wie beim e-Ticket oder beim Signalsystem ERTMS/ ETCS Fördermittel, da sonst keine Umrüstung möglich ist. 8. Rechtsrahmen anpassen: Der gesetzliche und regulatorische Rahmen für intelligente Mobilität muss ergänzt oder angepasst werden. Dies betrifft etwa Fragen des Datenschutzes, der Nutzbarkeit von LKW-Mautdaten, der Haftung sowie der Automatisierung. 9. Grenzen überwinden: Auch in einem vereinten Europa und trotz der umfangreichen Arbeiten von DIN, CEN und ISO existieren im Bereich intelligenter Mobilität immer noch nationale oder sogar regionale Alleingänge und Standards. Beispiele dafür finden sich u.a. immer noch bei Fahrplan- und Verkehrsinformationen sowie Trackingdaten. Die Einführung eines eigenen Ressorts für die Digitale Gesellschaft im Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) ist ein erster wichtiger Schritt, dem jetzt weitere verbindliche Maßnahmen folgen müssen. Um diesen Aktionsplan umzusetzen und die Hemmnisse zu beseitigen, ist vor allem ein Koordinator erforderlich, der die Aktivitäten von Politik, Wirtschaft und Verwaltung zusammenführt und so auf die Lösung der noch offenen Aufgaben des Aktionsplans „Intelligente Mobilität“ hin wirkt. Ein solcher Koordinator sollte an der Schnittstelle von digitalen Technologien und Verkehr angesiedelt sein, idealerweise im BMVI. ■ Florian Eck, Dr. Stellv. Geschäftsführer Deutsches Verkehrsforum, Berlin eck@verkehrsforum.de Bild 1: Nutzerwünsche für die Verbesserung von Smartphone-Apps Grafik: DVF 2012, Quelle Infas-Umfrage