Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0005
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2015
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Mit Sicherheit gut vernetzt
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2015
Matthias Wissmann
Die deutsche Automobilindustrie steht 2015 vor technologischen, wettbewerbs- und handelspolitischen Herausforderungen. Ein Beitrag von Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie VDA.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 19 Standpunkt POLITIK Mit Sicherheit gut vernetzt Z u den größten Herausforderungen, denen sich die deutsche Automobilindustrie gegenwärtig gegenübersieht, gehört die stetige CO 2 -Reduktion. Allein im vergangenen Jahr ist der durchschnittliche CO 2 -Ausstoß der neu zugelassenen PKW deutscher Konzernmarken um 3,8 Prozent auf 136-Gramm pro Kilometer gesunken. Unsere Hersteller bieten heute 878 Modelle auf dem deutschen Markt an, die höchstens 130- Gramm ausstoßen. 528 Modelle haben sogar einen CO 2 -Wert von unter 120 Gramm. Mit diesen Effizienzsteigerungen sind wir Vorreiter beim Klimaschutz. Mit der Optimierung der klassischen Motoren - Diesel und Benziner - ist es aber nicht getan. Wir nähern uns der Grenze des technisch Machbaren. Die Kosten für jedes eingesparte Gramm CO 2 nehmen zu. Damit die Vorgaben für das Jahr 2020 (95 Gramm) erfüllt werden können, müssen mehr Fahrzeuge mit alternativen Antrieben auf die Straße kommen. Die Elektromobilität ist einer von mehreren Wegen dorthin. Wie der aktuelle Electric Vehicle Index (EVI) der Unternehmensberatung McKinsey zeigt, hat Deutschland in den vergangenen Jahren beim Angebot von Elektroautos den größten Fortschritt aufzuweisen: Wir sind hier klar in der Pole-Position. 2014 brachten unsere Hersteller 17 E-Autos auf die Straße, 2015 folgen zwölf weitere. Dahinter steckt ein enormer Kraftakt: Viele Milliarden Euro wurden in Forschung und Entwicklung investiert - bei Herstellern und Zulieferern. Das Ziel, Leitanbieter für Elektromobilität zu werden, ist erreicht. Doch vom zweiten Ziel, Deutschland als Leitmarkt für Elektromobilität zu etablieren, sind wir noch weit entfernt - trotz der hohen Zuwachsraten. Dabei haben wir im Inland nahezu alle notwendigen Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dieses Potenzial gilt es umzusetzen. Die Zeit drängt. Das Elektromobilitätsgesetz soll noch im Frühjahr verabschiedet werden. Es umfasst zum Beispiel die Nutzung von Busspuren und bevorzugte Parkplätze. Das ist ein erster Schritt, dem rasch weitere Maßnahmen folgen müssen. Wenn der Markthochlauf bis 2017 wie geplant erfolgen soll, müssen die Anreize so gesetzt werden, dass sie in den nächsten Jahren auch greifen. Die Nationale Plattform Elektromobilität NPE empfiehlt die Einführung einer Sonderabschreibung für Unternehmen, die Elektroautos anschaffen. Die Kosten sollten im ersten Jahr zu 50 Prozent von der Steuer absetzbar sein. Wir begrüßen diesen Vorschlag ausdrücklich, denn damit wird der Kauf von Elektrofahrzeugen auch für Flottenmanager wirtschaftlich attraktiv. Auf der Seite der Firmenwagen-Nutzer gibt es ja bereits den Nachteilsausgleich. Die Politik sollte den Vorschlag rasch aufnehmen und umsetzen. Zudem kann eine Beschaffungsinitiative wichtige Impulse setzen: Öffentliche Unternehmen sowie Bund, Länder, Städte und Gemeinden sollten bei der Erneuerung ihrer Fuhrparks mit gutem Beispiel vorangehen. Ebenfalls notwendig ist ein Ausbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur. Zwar wird ein Großteil der Autofahrer den Strom zu Hause oder an der Arbeitsstätte laden. Doch der Erfolg der Elektromobilität hängt entscheidend davon ab, dass das Nachladen einfach und jederzeit unterwegs möglich ist. Der bisherige Bestand an Ladepunkten reicht dafür nicht aus. Erforderlich ist eine standardisierte, leicht zugängliche und anbieterunabhängige Ladeinfrastruktur. Auch beim Thema Vernetzung sind die deutschen Hersteller und Zulieferer technologisch vorn. Das Auto erlebt eine digitale Evolution. Die IT wird mit rasantem Tempo in die neuen Autos integriert. Studien zur Fahrzeugvernetzung prognostizieren, dass bereits in zwei Jahren mindestens 80 Prozent aller verkauften Neuwagen vernetzt sein werden. Künftig wissen Fahrzeuge über Ampelphasen und Baustellen Bescheid, werden von vorausfahrenden Fahrzeugen vor Gefahrensituationen, Hindernissen oder Glatteis gewarnt und können entsprechend reagieren. Die deutschen Hersteller und Zulieferer arbeiten konsequent an der Weiterentwicklung bestehender Assistenzsysteme, um das Autofahren effizienter, komfortabler und sicherer zu machen. Die deutsche Automobilindustrie hat den Anspruch, beim Thema „Vernetzung des Fahrzeugs“ Innovationstreiber zu sein. Allein in den kommenden drei bis vier Jahren werden die deutschen Hersteller und Zulieferer 16 bis 18 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung zum vernetzten und automatisierten Fahren investieren. Allerdings hat der Industriestandort Deutschland in den letzten Jahren an Vorsprung einbüßt. Die Energiekosten sind im internationalen Vergleich hoch - und wir sehen mit Sorge, dass sie weiter steigen. Auch die Lohnstückkosten gehen wieder nach oben. Sozialpolitische Maßnahmen belasten den Produktionsstandort zusätzlich. Am Beispiel unserer zahlenmäßig größten Herstellergruppe lässt sich die Herausforderung für unseren Industriestandort in Deutschland benennen: Die Zulieferer haben sich seit der Krise zu neuer Stärke im internationalen Vergleich entwickelt. Sie zeichnen sich durch Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit aus. Zugleich stehen sie vor großen internationalen Herausforderungen. Inzwischen müssen sich auch die Mittelständler verstärkt damit auseinandersetzen, den großen Herstellern oder deren großen Zulieferern in die Auslandsmärkte zu folgen und dort vor Ort zu produzieren. Diese Doppelaufgabe - hohe Auslastung und Entwicklung im Inland und zunehmende Fertigung an Auslandsstandorten - ist alles andere als leicht. Die Politik muss mit richtigen Entscheidungen für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen in Deutschland dazu beitragen, die Zuliefererstandorte im Inland auch in der kommenden Dekade zu sichern. Ein Blick auf China und USA zeigt, dass der weltweite Standortwettbewerb immer schärfer wird. Jede künftige CO 2 -Regulierung in Brüssel muss sich stärker als bisher an einer Balance zwischen Ökologie und Ökonomie orientieren. Neue Regulierungen dürfen Innovationen nicht strangulieren. Im Gegenteil, sie müssen stimulieren. ■ Die deutsche Automobilindustrie steht 2015 vor technologischen, wettbewerbs- und handelspolitischen Herausforderungen. Ein Beitrag von Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie VDA. „Vom Ziel, Deutschland als Leitmarkt für Elektromobilität zu etablieren, sind wir noch weit entfernt.“
