Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0006
31
2015
671
Technologiewechsel im Automobilmarkt
31
2015
Antje-Mareike Dietrich
Elektroautos und weitere Alternativen sollen zukünftig konventionelle PKW ablösen. Das Ziel ist die Verringerung von CO2-Emissionen. Eine Hürde beim angestrebten Technologieübergang stellt der Bedarf an neuer Tankstelleninfrastruktur dar. Die damit einhergehenden Netzwerkeffekte liefern ein Argument, um alternative Antriebstechnologien zu fördern. Dabei darf jedoch die klimapolitische Zielsetzung nicht aus dem Blick geraten.
iv6710020
Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 20 POLITIK Technologieförderung Technologiewechsel im Automobilmarkt Warum haben es Elektroautos in Deutschland so schwer? Elektroautos, Alternative Antriebstechnologien, Klimapolitik, Tankstellennetz Elektroautos und weitere Alternativen sollen zukünftig konventionelle PKW ablösen. Das Ziel ist die Verringerung von CO 2 -Emissionen. Eine Hürde beim angestrebten Technologieübergang stellt der Bedarf an neuer Tankstelleninfrastruktur dar. Die damit einhergehenden Netzwerkeffekte liefern ein Argument, um alternative Antriebstechnologien zu fördern. Dabei darf jedoch die klimapolitische Zielsetzung nicht aus dem Blick geraten. Die Autorin: Antje-Mareike Dietrich I m Automobilmarkt herrscht Umbruchstimmung. Seit August 2009 gilt in Deutschland das öffentlichkeitswirksam kommunizierte Ziel der Bundesregierung, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität zu machen. Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Elektroautos auf die Straßen gebracht werden. Damit hat die Bundesregierung die öffentliche Aufmerksamkeit auf den möglicherweise bevorstehenden Technologiewechsel im Automobilmarkt gelenkt. Konventionelle Verbrennungsmotoren sollen zukünftig durch Alternativen, wie z. B. batterie- oder wasserstoffbetriebene Elektromotoren, ersetzt werden. Der Einsatz alternativer Kraftstoffe, insbesondere Erdgas und Biokraftstoffe, wird ebenfalls diskutiert. Ein Technologiewechsel wird in Deutschland und der Europäischen Union (EU) vor allem durch klimapolitische Argumente motiviert. Das Ziel ist die Verringerung menschlicher Treibhausgasemissionen. In entwickelten Volkswirtschaften geht es dabei in erster Linie um die Einsparung von Kohlendioxid(CO 2 )-Emissionen, die durch Verbrennungsprozesse entstehen. Foto: Petra Bork/ pixelio.de Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 21 Technologieförderung POLITIK Der Verkehrssektor ist in Deutschland der drittgrößte CO 2 -Emittent, allein der PKW- Verkehr ist für etwa zehn Prozent der deutschen CO 2 -Emissionen verantwortlich. Laut „Weißbuch Verkehr“ der EU sollen die CO 2 - Emissionen des gesamten Verkehrs bis 2050 um etwa zwei Drittel reduziert werden. Aufgrund unterschiedlicher Einsparpotenziale sollen gemäß der „Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie“ der Bundesregierung PKW bis 2050 sogar nahezu emissionsfrei fahren, damit das Gesamtziel erreicht wird. Um die klimapolitischen Ziele einzuhalten, werden in wichtigen europäischen Absatzmärkten bereits politische Maßnahmen ergriffen. Frankreich fördert den Kauf emissionsarmer Fahrzeuge im Rahmen eines Bonus-/ Malussystems durch Kaufprämien. Der Kauf von Fahrzeugen mit hohen Emissionen wird durch staatliche Preisaufschläge bestraft. Die britische Regierung erstattet im Rahmen des „Plug-in Car Grant“ beim Kauf eines emissionsarmen Fahrzeugs 25 % des Kaufpreises. Auch außerhalb der EU gibt es politische Maßnahmen zur Förderung elektrischer Antriebe. Beim Kauf oder bei Umrüstung eines PKW auf Elektroantrieb erlässt die US-Regierung 2500 bis 7500 USD Steuern [1]. Die chinesische Zentralregierung zahlt in Pilotstädten des „1000 new-energy cars in 10 cities program“ beim Verkauf von (teil-) elektrisch betriebenen Fahrzeugen Herstellertransfers in Höhe von 6200 bis 7400- EUR. Industrie- und umweltpolitische Interessen sind in diesen Märkten ausschlaggebend. Die deutsche Bundesregierung beschränkt sich in erster Linie auf die Förderung von Forschung und Entwicklung und hat zu diesem Zweck den „Nationale Entwicklungsplan Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“ sowie den „Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität“ initiiert. Marktreife Elektroautos werden zusätzlich von der KFZ-Steuer befreit. Gasbetriebene Modelle werden durch reduzierte Energiesteuersätze ebenfalls gefördert. Aktuell fordert die „Nationale Plattform Elektromobilität“ in ihrem vierten Zwischenbericht zum wiederholten Male, die Förderung auszuweiten. Bisher wurden solche Forderungen von der Bundesregierung zurückgewiesen. Ihre Haltung begründet die Bundesregierung unter Anderem mit den Unsicherheiten in Bezug auf den einzuschlagenden Technologiepfad. Tatsächlich herrscht noch Unklarheit darüber, welche Technologie(n) die konventionell betriebenen Verbrennungsmotoren ablösen wird (werden). Technischer Entwicklungsbedarf besteht z. B. in Bezug auf geeignete Speicher für Elektroautos oder der nachhaltigen Produktion von CO 2 -neutralen Biokraftstoffen. Automobilkäufer sind zudem nicht bereit, hohe Preisaufschläge für alternativ betriebene PKW zu zahlen. Das gilt insbesondere dann, wenn kein passendes Tankstellennetz verfügbar ist. Für etablierte Automobilhersteller bedeuten neue Antriebssysteme außerdem eine Veränderung ihres bestehenden Geschäftsmodells mit anfangs sinkenden Gewinnmargen. Vor diesem Hintergrund lohnt sich die nähere Analyse des Automobilmarktes. An dieser Stelle werden zwei Besonderheiten hervorgehoben, die auch für den politischen Entscheidungsträger relevant sind. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Entwicklung des Automobilmarktes sogenannten Pfadabhängigkeiten unterliegt. Als das Auto um die vorletzte Jahrhundertwende Marktreife erlangte konkurrierten die Antriebsvarianten Dampfmaschine, Elektromotor und Verbrennungsmotor um den Markt. Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg der Verbrennungsmotoren war die Entdeckung des Öls in Amerika. Seine massenhafte Förderung konnte den relativ kostengünstigen Betrieb der Autos sicherstellen. Außerdem war mit dem Öl ein Kraftstoff gefunden, der relativ gut zu transportieren war und eine verhältnismäßig lange Reichweite pro Tankfüllung sicherstellte. Nachdem der Kraftstoff zunächst in Apotheken und Drogerien verkauft wurde, etablierten sich in den 1920er Jahren in Deutschland Tankstellen mit Zapfsäulen und Tanks. Heute gibt es etwa 14 700 Tankstellen in Deutschland, die Benzin und Diesel anbieten (Bild 1) [2]. Das große Tankstellennetz verschafft konventionellen Autos einen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen Alternativen, die über kein vergleichbares Netz verfügen. Der Grund dafür sind sogenannte Netzwerkeffekte. Automobilkäufer entscheiden sich z.B. erst dann für ein Elektroauto, wenn es genug öffentliche Ladestationen gibt, die den Betrieb gewährleisten. Der Aufbau einer passenden Infrastruktur lohnt sich jedoch nur, wenn genug elektrisch betriebene Autos vorhanden sind. Weisen Elektroautos keine weiteren Vorteile auf, die zu einer deutlichen Verbesserung der individuellen Mobilität führen, sind sie mit den konventionellen PKW nicht konkurrenzfähig. Von allein kommt es zu keinem Technologiewechsel im Automobilmarkt, dies bestätigen die Zahlen der PKW-Neuzulassungen des Kraftfahrtbundesamtes. Im Jahr 2014 lag der Anteil der Benzin- und Diesel-PKW unter 2 %. Neben den höheren Anschaffungskosten geben potenzielle Nutzer als wesentlichen Grund für ihre Kaufzurückhaltung, etwa in Bezug auf batteriebetriebene Autos, den Mangel an Ladeinfrastruktur an [3]. Unter Berücksichtigung des Bedarfs an Tankstellen wäre der Technologiewechsel beim Automobilantrieb aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten also erst dann sinnvoll, sobald von der neuen Technologie eine wesentliche technische Verbesserung ausgeht. Aktuell wird der Vorteil von Elektroautos und anderen Alternativen insbesondere in der Vermeidung von CO 2 -Emissionen gesehen. Weitere Vorteile, etwa in Bezug auf die Verbesserung der individuellen Mobilität, zeichnen sich hingegen nicht ab. Geringere Reichweiten pro Tankfüllung oder längere Ladezeiten werden im direkten Vergleich zu konventionellen Autors sogar als Verschlechterung wahrgenommen. Die Mehrheit der Autofahrer berücksichtigt bei ihrer Kaufentscheidung jedoch nicht oder nicht ausreichend die Auswirkungen ihrer Automobilnutzung auf das Klima. Man spricht in diesem Zusammenhang von externen Effekten, da die Kosten des Autofahrens nicht vollständig vom Nutzer sondern zum Teil von der Gemeinschaft getragen werden. Im Fall der CO 2 -Emissionen entstehen die Kosten des Klimawandels sogar global. 14.700 6.500 920 15 2.800 Benzin/ Diesel Flüssiggas Erdgas Wasserstoff Strom Bild 1: Tankstellen in Deutschland nach Kraftstoffart POLITIK Technologieförderung Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 22 Volkswirtschaftlich ist die Vermeidung von CO 2 -Emissionen dann effizient, wenn sie weniger Kosten verursacht als die Emissionen selbst. Vor diesem Hintergrund stellen Investitionen in zusätzliche Tankstelleninfrastruktur auch aus Effizienzgesichtspunkten ein Hemmnis beim Technologieübergang dar. Alternativen, die mit dem bestehenden Tankstellennetz kompatibel sind, wären demnach vorzuziehen. Flüssige Biokraftstoffe erscheinen deswegen attraktiver als Strom oder Wasserstoff, die entweder eine E-Ladesäule pro Auto oder ein neues Drucktanksystem erfordern. Tatsächlich spielten in der EU bisher flüssige Biokraftstoffe die entscheidende Rolle zur kurzfristigen Senkung der CO 2 -Emissionen im Verkehr. Aktuell werden konventionellem Benzin 10 % und konventionellem Diesel 7 % Biokraftstoffe beigemischt [2]. Insbesondere der Elektromobilität wird großes Potenzial zugeschrieben, gänzlich CO 2 -frei Auto zu fahren. Die Realität zeichnet aktuell noch ein anderes Bild. Im Jahr 2012 lag der CO 2 -Ausstoß des deutschen Strommixes bei 601 g pro Kilowattstunde (kWh) [4]. Ein Mittelklasse-Elektroauto benötigt 22 kWh, um 100 km zu fahren. Legt man den Strommix des Jahres 2012 zu Grunde, wurden somit auf der Strecke 13,2- kg CO 2 -Emissionen emittiert. Im selben Jahr lagen die durchschnittlichen CO 2 - Emissionen neuer konventioneller Antriebe bei 14,1 kg pro 100 km [5]. Solange sich die CO 2 -Emissionen der deutschen Stromproduktion nicht verringern, fallen die Einsparungen durch die massenhafte Nutzung von Elektroautos relativ gering aus, wie in Bild 2 gegenübergestellt. Das Gleiche gilt für die Produktion von Biokraftstoffen und Biogas. Die derzeit beigemischten Biokraftstoffe sollen laut Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung zwar mindestens 35 % Treibhausgasemissionen einsparen. Einige Untersuchungen kommen jedoch zu dem Schluss, dass ihre Produktion sogar mehr Treibhausgase verursacht als die konventioneller Kraftstoffe. Außerdem sind sie aufgrund ihres hohen Bedarfs an Anbaufläche umstritten, der in Konkurrenz zur landwirtschaftlichen Nutzung steht. Für konventionell gefördertes Erdgas liegt das Einsparpotenzial gegenüber konventionellem Benzin bei 20 %, gegenüber konventionellem Diesel bei 14 % [6]. Die langfristigen Klimaziele lassen sich damit nicht erreichen. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Umrüstung des Automobilsektors auf alternative Antriebstechnologien als Teil einer Transformation der gesamten Energieversorgung verstanden werden muss. Deswegen sollten weitere Anstrengungen zum Ausbau der CO 2 -neutralen Energiegewinnung unternommen werden. In diesem Zusammenhang müssen für die Stromproduzenten eindeutige Anreize zur Nutzung erneuerbarer Energieträger bestehen. Ein stark schwankender bzw. dauerhaft niedriger CO 2 -Preis schafft hingegen kein klares Signal. Die Reform des europäischen Emissionshandels ist deswegen notwendig. Für die Produktion von Biokraftstoffen und Biogas geht es um die Erforschung, Entwicklung und Erprobung von CO 2 -neutralen Produktionsverfahren. Biokraftstoffe der zweiten Generation, wie etwa „Biomass-to- Liquid“, emittieren schätzungsweise 85 bis 90 % weniger CO 2 als konventionelle Kraftstoffe [6]. Synthetisches Erdgas könnte mittels „Power-to-Gas“-Technologie sogar gänzlich CO 2 -neutral produziert werden. Bei diesen Alternativen bestehen noch eine Reihe offener Fragen zur Verfahrenstechnik und zu anderen Aspekten, wie z.B. der Emission von Luftschadstoffen. Die Beantwortung dieser Fragen ist ebenfalls von gesellschaftlichem Interesse. Aufgrund des derzeit geringen Beitrags der diskutierten Kraftstoffalternativen zur Erreichung der deutschen Klimaziele erscheint die Zurückhaltung der Bundesregierung mit Maßnahmen zur direkten Absatzförderung von alternativ betriebenen PKW sinnvoll. Langfristig scheint an einer Förderung jedoch kein Weg vorbei zu führen, solange von Elektrofahrzeugen keine weiteren Vorteile zu erwarten sind. Voraussetzung für die Förderpolitik muss aber immer die deutliche Verringerung der CO 2 - Emissionen sein. Einen besonderen Förderbedarf haben dabei die Alternativen, die von der vorhandenen Tankstelleninfrastruktur nicht bedient werden können. Hierzu zählen strom- oder wasserstoffbetriebene Elektroautos aber auch Erdgasautos. Wie in Bild- 1 dargestellt, existieren bisher etwa 3000 Stromladestellen [7] und 15 Wasserstofftankstellen zu Forschungszwecken, dazu rund 900 Erdgastankstellen [2]. Die oben beschriebenen Netzwerkeffekte erschweren es diesen Alternativen, konventionelle PKW aus eigener Kraft abzulösen. Deswegen sollten die Auswirkungen weitergehender Fördermaßnahmen, wie z.B. Kaufprämien, Besteuerung bzw. Verbot konventioneller Autos oder die Bezuschussung von Investitionen in Tankstelleninfrastruktur, diskutiert werden. ■ QueLLeN [1] US Department of Energy (2014): Fuel Cell Motor Vehicle Tax Credit. www.afdc.energy.gov/ laws/ law/ US/ 350 (abgerufen am 23.01.2015) [2] Kalinowska, D., Kräher, M., Rumpke, Ch. A. (2012): Verkehr. Energie. Klima. Alles Wichtige auf einen Blick. Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) und Total Deutschland GmbH [3] Achtnicht, M., Bühler G., Hermeling C. (2012): “The impact of fuel availability on demand for alternative-fuel vehicles”. In: Transportation Research Part D 17.3, S. 262-269 [4] Icha, P. (2013): Entwicklung der spezifischen Kohlendioxid-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 bis 2012. Umweltbundesamt. [5] Jato Consult (2013): Europe continues to clean up act as car CO 2 targets loom, with Fiat retaining the overall European crown; 5th March 2013; http: / / ww11.jato.com/ PressReleases/ Europe%20continues%20to%20clean%20up%20act%20as%20car%20CO2%20targets%20loom,%20with%20Fiat%20retaining%20the%20overall%20European%20crown.pdf (abgerufen am 23.01.2015) [6] Voßwinkel, J. S., Nader N., Block J. (2012): Kraftstoffe der Zukunft, Durchsetzung alternativer Antriebssysteme im Wettbewerb. Centrum für Europäische Politik [7] Nationale Plattform Elektromobilität (2012): Ladeinfrastruktur bedarfsgerecht aufbauen. Nationale Plattform Elektromobilität AG 3 - Ladeinfrastruktur und Netzintegration Antje-Mareike dietrich, Dipl.-Vw. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Volkswirtschaftslehre, TU Braunschweig, Braunschweig a-m.dietrich@tu-braunschweig.de Elektroauto (Mittelklasse) 13,2 kg/ 100 km Konventionelles Auto (Durchschnitt) 14,1 kg/ 100 km Bild 2: CO 2 -Emissionen deutscher PKW im Jahr 2012
