eJournals Internationales Verkehrswesen 67/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0009
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2015
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BER - und was daraus zu lernen ist

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2015
Andreas Kossak
Der Bau des neuen Hauptstadtflughafens in Berlin gerät zur endlosen Geschichte und zieht international das Ansehen deutscher Ingenieure in Mitleidenschaft. Fakten-Check und Kommentar von Andreas Kossak.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 28 INFRASTRUKTUR Standpunkt BER - und was daraus zu-lernen ist D ie Geschichte der Realisierung des neuen Hauptstadtflughafens BER ist national und international seit Jahren geprägt durch das Attribut „Pannenflughafen“. In seiner aktuellen Version sollte er ursprünglich im Jahr 2008 eröffnet werden, als nächste Termine waren November 2011, Juni 2012, März 2013, Oktober 2013, Herbst 2015 etc. genannt worden [1]. Nunmehr ist von einem „Terminband“ in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 die Rede; auch das ist allerdings alles andere als gesichert. Die Kosten sind von ursprünglich zugrunde gelegten rund 2 Mrd. EUR auf mindestens 5,4 Mrd. EUR gestiegen. Vor dem Hintergrund des Umstandes, dass deutsche Unternehmen und Fachleute weltweit (vielfach federführend) an der erfolgreichen kosten- und zeittreuen Fertigstellung vergleichbarer Projekte beteiligt waren und sind, ist es geboten, Eckpunkte des „Debakels“ [2] unter die Lupe zu nehmen und daraus ggf. Lehren zu ziehen. Ausgewählte Eckpunkte Standortentscheidung Unmittelbar nach der „Wende“, im Jahr 1990, fällt im Einvernehmen zwischen dem Bund sowie den Ländern Berlin und Brandenburg die Entscheidung zum Bau eines neuen Großflughafens für die Metropolregion. Es werden acht Standorte auf ihre „Tauglichkeit hin getestet“. Im Juni 1993 werden die Raumordnungsverfahren für die Standorte „Jüterbog Ost“ und „Sperenberg“ im Süden des Ballungsraumes (deutlich räumlich davon angesetzt in dünn besiedelten Regionen) sowie „Schönefeld“ (im engeren, relativ dicht besiedelten Rand der Metropolregion) eröffnet. Der Bund bevorzugt den Standort des alten Zentralflughafens der DDR in Schönefeld. Im Juni 1996 kommt es zu einem „Konsensbeschluss“ mit den beteiligten Ländern zu Gunsten des betreffenden Standortes [2]. Dafür sprechen in erster Linie die bereits disponierten Flächen, die vorhandene Infrastruktur sowie die guten Bedingungen der verkehrlichen Anbindung an das Ballungszentrum. Dagegen sprechen insbesondere Aspekte des Lärmschutzes und der ökologischen Auswirkungen auf Schutzgebiete; sie werden später ausschlaggebend für beträchtliche Verzögerungen (Einsprüche Betroffener und von Verbänden) und Kostensteigerungen (Lärmschutzmaßnahmen) sein. Die Verbindung der Standortentscheidung mit der Entscheidung, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung in Schönefeld die anderen Verkehrsflughäfen in der Region (Tempelhof, Tegel) aufgelassen werden, steht in doppeltem Widerspruch zur Behandlung des Themas in vergleichbaren Regionen weltweit. Danach werden neue Großflughäfen in der Regel aus Gründen des Umweltschutzes und der Spielräume für spätere Erweiterungen räumlich deutlich von den Haupt-Siedlungsgebieten abgesetzt (z. B. München, Paris, Oslo,- Stockholm, Washington) und die alten „Hauptflughäfen“ als Ergänzung (Kurzstreckenverkehre) und Ausweichreserven im Rahmen von Flughafensystemen in reduziertem Umfang weiter betrieben [3]. Regie von Realisierung und Betrieb Im originären Planungsverfahren war vorgesehen, dass der Flughafen von Privaten gebaut und betrieben wird. Das Interesse der Wirtschaft daran war groß. Den Zuschlag erhielt in 1999 ein Konsortium um den Baukonzern Hochtief. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Eröffnung im Jahr 2008 vorgesehen. Das Konzept scheiterte schließlich im Jahr 2003, weil das ausgewählte Konsortium angeblich nicht bereit sei, finanzielle Risiken zu tragen. Die Gesellschafter (Bund, Berlin, Brandenburg) entscheiden, das Projekt in öffentlicher Regie weiter zu verfolgen [1]. Im Lichte der nachfolgenden Ereignisse waren die Privaten offenkundig gut beraten, die geforderte Risikoverteilung nicht zu akzeptieren. Tatsächlich gehört die adäquate Risiko-Allokation zu den entscheidenden Faktoren einer erfolgreichen „Öffentlich Privaten Partnerschaft“ (ÖPP/ PPP) bei Großprojekten. Dafür gibt es seit Jahrzehnten in großer Zahl gute Beispiele aus weltweiter Praxis. Im Gegensatz zu vergleichbaren Ländern ist die Position von Politik und öffentlicher Hand gegenüber der Beschaffungsform PPP in Deutschland nach wie vor durch Misstrauen bis Abneigung geprägt - genährt durch regelmäßige Gutachten von Rechnungshöfen zu Verkehrsinfrastrukturprojekten, in denen allerdings in der Regel zu Lasten der Privaten „Äpfel mit Birnen verglichen“ werden [4]. Mit der Regie eines Projektes der betreffenden Art und Dimension sind Politiker und Verwaltung in aller Regel überfordert. Ausschlag gebend für den Erfolg ist die Beteiligung von personell und fachlich hochrangigem externem Sachverstand in den Aufsichtsgremien; das ist im Falle BER bis heute nicht gegeben. Personalentscheidungen Zum Credo erfahrener Entwickler großer Infrastrukturprojekte gehört die Überzeugung: Es gibt keine technischen Probleme, es gibt nur Management-Probleme. Das gilt in diesem Fall nicht zuletzt auch für die „Entrauchungsanlage“, die häufig als Hauptgrund für Verzögerungen und Kostensteigerungen geltend gemacht wird. An der Spitze der für die Realisierung eines Projektes der betreffenden Art, Größenordnung und Komplexität verantwortlichen Organisationseinheit müssen mit vergleichbaren Aufgaben vertraute und darin nachweislich bewährte Fachleute und Manager stehen. Nur dann ist eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit gewährleistet. Relevante Projekt-Erfahrungen des in 2006 als Sprecher der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft eingesetzten Prof. Dr. Rainer Schwarz sind nicht bekannt. Ende 2010 wurde sein Vertrag bis Ende 2016 verlängert, obschon bereits „zahlreiche Hinweise zu Problemen“ vorlagen [5], die eher eine Zurückhaltung in dieser Angelegenheit nahe gelegt hätten; das gilt zumal vor dem Hintergrund der Praxis der Rechtsprechung zur Fortzahlung der Gehälter hoch bezahlter Manager bei vorzeitiger Vertragsauflösung. Nach seiner Der Bau des neuen Hauptstadtflughafens in Berlin gerät zur endlosen Geschichte und zieht international das Ansehen deutscher Ingenieure in Mitleidenschaft. Fakten-Check und Kommentar von Andreas Kossak. Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 29 Standpunkt INFRASTRUKTUR Entlassung im Januar 2013 hat er sich auf die bemerkenswerte Position zurückgezogen, er sei laut Geschäftsverteilungsplan gar nicht für den Bau des neuen Flughafens verantwortlich gewesen [6]. Im Mai 2012 war bereits dem damaligen „Planungschef“ gekündigt und die Zusammenarbeit mit dem „Generalplanungskonsortium“ beendet worden, an dem mit ähnlichen Vorhaben international erfahrene und renommierte Unternehmen beteiligt waren [2]. Für die Nachfolge in der Führung der Flughafengesellschaft hatte sich der ehemalige langjährige Chef des mit Abstand größten Deutschen Flughafens (Fraport - Frankfurt/ Main), Prof. Wilhelm Bender, bereit erklärt. Das wäre ohne Zweifel die bestmögliche Lösung gewesen. Aufgrund der Behandlung seiner Personalie durch Politik und Verwaltung sah er sich jedoch gezwungen, seine Zusage zurückzuziehen - vielleicht nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, dass ein effizientes Wirken in einem derartigen Umfeld nicht möglich sein würde. Stattdessen wurde Hartmut Mehdorn, der ehemalige Vorstandsvorsitzende unter anderem von Deutscher Bahn AG und Air-Berlin für die Aufgabe gewonnen. Er gilt in der Öffentlichkeit als Top-Manager, insbesondere als Top-Sanierer, der zwar für einen hemdsärmeligen und gelegentlich auch ruppigen Führungsstil bekannt ist, aber auch dafür, dass er sich voll in seine Aufgaben reinhängt. Das schien dem Wunschprofil der verantwortlichen Politiker sehr nahe zu kommen. Die Zweifel an der Nachhaltigkeit seines Wirkens in seinen früheren Management-Positionen [7] sowie der Umstand, dass er vorher keine vergleichbare Aufgabe in direkter Verantwortung bewältigt hatte, spielte bei der Personalentscheidung offenkundig keine Rolle. Es folgten Vorschläge für „pragmatische“ Teillösungen, die allerdings in der Regel nicht mit den Rahmenbedingungen des Projektes vereinbar waren. Mit Hilfe einer großen Strategie-Beratungsfirma wurde ein-„Beschleunigungsprogramm“ namens „Sprint“ aufgelegt und nachfolgend von extrem hoch bezahlten „Nachwuchsberatern“ gesteuert, die von beteiligten Insidern unverblümt als „Kerle kurz nach ihrer Konfirmation“ klassifiziert wurden [3]. Die Arbeit der Flughafengesellschaft war seither durch die Entlassung oder Kaltstellung zahlreicher erfahrener Fachleute geprägt, durch ein gravierendes Korruptionsverfahren auf oberer Führungsebene, durch interne und externe Vorwürfe von (verheerender) Inkompetenz [1,- 2], durch Unstimmigkeiten mit dem Aufsichtsrat etc.; von einer Beschleunigung konnte keine Rede sein. Gutachten Die Einholung von externen Fach-Gutachten als Entscheidungshilfe ist ein übliches und häufig gebotenes Instrument der Steuerung von Groß-Projekten. Nicht zuletzt in der Politik ist allerdings seit Langem die Neigung verbreitet, sich damit in erster Linie die eigene Meinung bestätigen lassen zu wollen; dementsprechend erfolgt nicht selten die Gutachten-Vergabe und die Interpretation der Ergebnisse. Als Credo des pragmatischen Machers gilt dabei vielfach: Fachwissen stört nur [8]. Zu den von der Politik wiederholt geltend gemachten Argumenten für das Projekt BER gehörten die Arbeitsplätze, die damit geschaffen würden. Mit Verweis auf die Ergebnisse eines akademischen Gutachtens wurde dazu wiederholt eine Zahl genannt, bei der es sich zum überwiegenden Teil jedoch um die Arbeitsplätze handelte, die dem Flughafen Berlin-Tegel zuzurechnen sind und bei dessen Auflassung nach Eröffnung von BER lediglich verlagert würden. Im Streit um ein Nachtflugverbot wurde mit Bezug auf ein Gutachten desselben Verfassers geltend gemacht, dass am Flughafen 18 000 Arbeitsplätze verloren gehen. Nach den üblichen Faustformeln wäre das gleichbedeutend mit rd. 19 Mio. Pax-Äquivalenten (Passagiere und Fracht) jährlich allein in den Nachtstunden; das entspräche mehr als zwei Dritteln der Gesamt-Leistungsfähigkeit des Flughafens im Basis-Ausbauzustand (rd. 25 000 Fluggäste) [9,-10]. Ein Beispiel dafür, dass teure externe Gutachten ggf. aber auch mit geringem Aufwand durch internen Sachverstand ersetzt werden könnten, sind in diesem Fall die Entwicklung des Passagieraufkommens und die daraus zu ziehenden Konsequenzen für den Ausbauzustand bei Eröffnung. Ein Blick in die Statistiken der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen“ (ADV) hätte genügt, dies bereits um 2005 in Betracht zu ziehen und davon um 2010 als weitgehend gesichert auszugehen [11] (Bild 1); dafür hätte es nicht erst der Ergebnisse eines Gutachtens in 2014 bedurft.. Schlussfolgerungen Im Lichte der hier selektiv in Erinnerung gerufenen Tatbestände ist es geboten, die damit verbundenen Schlüsselentscheidungen und ihre Konsequenzen aus heutiger Sicht auszuwerten sowie daraus die erforderlichen Schlüsse für künftige vergleichbare Projekte zu ziehen. Nicht verantwortbar ist jedenfalls die auch in diesem Fall bereits wiederholt öffentlich geäußerte Position, dass die Probleme nach letztlich erfolgter Eröffnung schnell vergessen sein werden und man dann allen Grund haben werde, auf das erzielte Ergebnis stolz zu sein. ■ Dr.-Ing. Andreas Kossak, Kossak Forschung und Beratung, Hamburg drkossak@aol.com AusgewäHLTe LITeRATuR  [1] rbb-online.de : Flughafen BER - Alles wird größer und teuer; 13.Dezember 2014  [2] Kohlenberg, K. und Tatje, C.: Berlin delayed; In: Zeit online, 10. April 2014  [3] Kossak, A.: Quo vadis, Luftverkehrsstandort Deutschland? In: Internationales Verkehrswesen (55) 10/ 2003  [4] Kossak, A.: ÖPP im Verkehrssektor - eine vernachlässigte Option mit großem Potential; In: p - newsletter Nr. 21 / September 2013  [5] Europaticker: BER Desaster: Flughafengesellschaft hatte ab 2010 zahlreiche Hinweise zu Problemen; www. europaticker.de; 12. Januar 2015  [6] Bombosch, F.: Rainer Schwarz gibt sich unschuldig; In: Berliner Zeitung vom 19. Dezember 2014  [7] Doll, N.: Mehdorn hat keines seiner Projekte realisiert; In: Die Welt vom 15. Dezember 2014  [8] Kossak, A.: Expert knowledge disturbs; In: Thinking Highways, Juni/ Juli 2010  [9] Andreas Kossak Forschung und Beratung: Bedeutung des Flughafens Düsseldorf als Standortfaktor für die Region Rhein-Ruhr; Gutachten 2006 [10] Kossak, A.: Luftverkehrsstandort Deutschland gestalten! ; In: Internationales Verkehrswesen (63) 6/ 2011 [11] Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen ADV: Verkehrszahlen; www.adv.aero Fluggäste BER und MUC 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000 45.000 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 Jahr 1.000 Fluggäste BER MUC Bild 1: Entwicklung des Fluggastaufkommens in Berlin (BER) und München (MUC) von 1991 bis 2013 Quelle: ADV [11], eigene Darstellung