eJournals Internationales Verkehrswesen 67/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0010
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Am Puls der Zeit

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Stephan Anemüller
Die Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) hat ihre neue Leitstelle zur Steuerung der Stadtbahn- und Bus-Verkehre in Köln nach einem dreijährigen Umbau Ende September 2014 in Betrieb genommen. Die alte Einrichtung wurde saniert und modernisiert. Insgesamt wurden etwa 17,8 Mio. EUR investiert, wovon die Förderung durch die Nahverkehr Rheinland GmbH (NVR) etwa 9,5 Mio. EUR umfasst. Für den NVR war neben der Quantität des Angebotes auch die Qualität des KVB-Verkehrsmanagements entscheidend.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 30 Am Puls der Zeit Die neue Leitstelle der KVB sichert Qualität und Quantität des Kölner ÖPNV Verkehrsleittechnik, Leitstelle, Nahverkehr, Fahrgastinformation, ÖPNV Die Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) hat ihre neue Leitstelle zur Steuerung der Stadtbahn- und Bus- Verkehre in Köln nach einem dreijährigen Umbau Ende September 2014 in Betrieb genommen. Die alte Einrichtung wurde saniert und modernisiert. Insgesamt wurden etwa 17,8 Mio. EUR investiert, wovon die Förderung durch die Nahverkehr Rheinland GmbH (NVR) etwa 9,5 Mio. EUR umfasst. Für den NVR war neben der Quantität des Angebotes auch die Qualität des KVB-Verkehrsmanagements entscheidend. Der Autor: Stephan Anemüller I m Zuge einer umfassenden Modernisierung wurde die Leitstelle der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) mit modernster und in der Branche wegweisender Leitstellentechnik ausgestattet. Hierbei kommt einer 21 m breiten und 4 m hohen Multimediawand, die aus 48 nahtlos aneinandergefügten Elementen besteht, zentrale Bedeutung im 525 m 2 großen Einsatzraum zu. Sie bietet den Kölner Leitstellen-Spezialisten völlig neue Übersicht-, Kontroll- und Arbeitsmöglichkeiten (Bild 1). Diese Multimediawand, deren Anzeige sich digital steuern lässt, stellt das Stadtbahn-Netz und seine Verknüpfungen mit dem Bus-Netz sowie das Netz der Bahnstromversorgung dar und verschafft den Leitstellen-Mitarbeitern sekundenschnell volle Übersicht. Die aktuellen Positionen der Stadtbahnen und alle Zugbewegungen sind jederzeit erkennbar. Zudem lassen sich Detailausschnitte des Netzes vergrößert anzeigen. Im Falle einer größeren Störung erhalten somit alle Leitstellen-Mitarbeiter gemeinsam ein aktuelles Lagebild. In der Mitte der Multimediawand befinden sich neun Videomonitore, auf denen das Betriebsgeschehen an Haltestellen live aufgeschaltet werden kann. Hier lassen sich auch Bilder von Streckenkameras, Fotos und Formulare darstellen. Mithilfe der so gewonnenen Erkenntnisse können beispielsweise an Tagen mit Großveranstaltungen rechtzeitig und kundenorientiert Stadtbahnen und Busse „zur Verfügung der Aufsicht“ auf die Stecke geschickt werden. Kleine Mannschaft steuert elf Stadtbahn- und 56 Bus-Linien In der KVB-Leitstelle arbeiten neben deren Leiter insgesamt 54 Mitarbeiter rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb: 5 Einsatzleiter, 35 Verkehrsmeister und 14 Infomanager. Sie steuern Entstörungen, falls Stadtbahn- oder Busverkehre durch Unfälle, Fahrzeugschäden, Falschparker, Baustellen etc. beeinträchtigt werden. Sie koordinieren Fahrten von Bussen und Stadtbahnen, falls Anschlüsse gesichert werden müssen oder automatische Signalanlagen zeitweise streiken. Sie können aus der Leitstelle heraus direkt in die Fahrstromversorgung vor Ort eingreifen, falls an Oberleitungen gearbeitet werden muss oder beschädigte Oberleitungen zur Gefahrquelle werden. Und sie Foto: Fotostudio Heupel Bild 1: Einsatzraum der neuen KVB-Leitstelle mit Multimediawand und Einzelarbeitsplätzen INFRASTRUKTUR Verkehrsleitsteuerung Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 31 Verkehrsleitsteuerung INFRASTRUKTUR führen die Fahrgastinformation an den Haltestellen und in die Busse und Stadtbahnen hinein durch. Auf den ersten Blick erscheint die Zahl von 54 Mitarbeitern zwar hoch, vor dem Hintergrund des Dreischichtbetriebs an sieben Tagen in der Woche handelt es sich jedoch nicht um eine besonders große Gruppe. Gemessen an der Gesamtzahl der rund 3300 Beschäftigten der KVB umfasst die Leitstelle lediglich etwa 1,6 % aller Mitarbeiter. Die Mitarbeiter der Leitstelle kommen insbesondere in brisanten, nicht planmäßigen Situationen ins Spiel und erfüllen darüber hinaus Standardaufgaben. Sie fahren also nicht, sie bauen und erhalten nicht und kümmern sich nicht um den Vertrieb - aber sie halten die Leistung aufrecht, wenn der normale Fahrplan nicht mehr funktioniert, und sind insofern „überlebenswichtig“ für den Betrieb. Was aber, wenn es in den „Spitzenzeiten“ der Leitstelle - etwa bei großen Störungen, während weiträumiger Witterungsbeeinflussungen und an großen Eventtagen - zu personellen Engpässen kommt? Dann könnte der gestörte Betrieb gestört zurückbleiben und die Mobilität der Kunden stark beeinträchtigt werden: Betrieblich gesehen setzen Störungsfortpflanzungen ein, also zum Beispiel die Übertragung von Verspätungen von einer Linie auf weitere Linien, wodurch die Einflüsse auf die Qualitätsminderung noch größer werden. Es ist deshalb zwingend, die Mitarbeiter der Leitstelle optimal einsetzen zu können. Störungen in der Leitstelle, etwa durch Erkrankungen oder in Urlaubsschwerpunkten, sollen möglichst nicht die Qualität des ÖPNV-Betriebs beeinflussen. Der Lösungsansatz liegt in der Realisierung einer möglichst weitgehenden Flexibilität. Die Mitarbeiter der Leitstelle sollen möglichst alle Tätigkeiten ihrer Organisationseinheit ausüben können. So können Lücken geschlossen und zugleich Monotonie im Arbeitsalltag vermieden werden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, die Arbeitsplätze möglichst gleich einzurichten. Der Platzwechsel soll nicht durch Unterschiede in den Geräten oder der Software behindert werden: Muss etwa im Gefahrfall die Bahnstromversorgung abgestellt werden, darf sich der hiermit betraute Mitarbeiter nicht erst mit einem ungewohnten Gerät beschäftigen müssen. Ein gravierender Nachteil der alten Leitstelle war, dass nach und nach immer mehr Geräte und Möbel angebaut wurden - hier ein neues Brett mit einem neuen EDV-Gerät, da ein neuer Bildschirm und eine weitere Tastatur. Dabei wurden die EDV-Programme nicht immer alle auf den neuesten, einheitlichen Stand gebracht. So wuchs ein Sammelsurium heran, das auf die Arbeitsökonomie und Zufriedenheit der Mitarbeiter nachtteiligen Einfluss nahm. Im Rahmen der Modernisierung wurden nun alle Bildschirmarbeitsplätze in der KVB-Leitstelle nach neuesten Erkenntnissen eingerichtet und mit 89 ebenfalls neu installierten PCs im Untergeschoss verbunden. Allein hierfür wurden 26 km Datenkabel verlegt. Den Mitarbeitern stehen nun übersichtliche Bildschirmarbeitsplätze mit im Prinzip nur einer Tastatur und einer Maus zur Verfügung (Bild 2). Weil alle Plätze gleich ausgestattet sind, können an jedem Platz sämtliche Arbeiten ausgeführt werden. Höhenverstellbare Tische und Stühle, individuell einstellbares Licht, eine verbesserte Akustik und eine neue Klimaanlage sorgen für eine moderne Arbeitsumgebung. Lediglich einzelne Tätigkeiten werden noch an „separaten“ Plätzen durchgeführt. Mit der Neuerrichtung der Leitstelle wurde die Flexibilität weitgehend verbessert. Einzelne Anpassungen werden zukünftig noch notwendig sein. Die Mitarbeiter gewöhnen sich an geänderte Einsatzprofile, doch wie überall, wo Routinen und Alltagsgewohnheiten verändert werden, ist das kein Selbstläufer. der Wandel der Fahrgastinformation griff tief in die Leitstelle ein Tritt eine Störung auf, kommt die Leitstelle in der Handlungskette direkt nach dem die Störung meldenden Fahrer ins Spiel. Im Sinne der Fahrgäste und eines so weit wie möglich reibungslosen Betriebsablaufes wurde die Entstörung immer weiter optimiert. So dauert es durchschnittlich weniger als sechs Minuten, bis einem erkrankten Fahrgast im Bus geholfen ist und der Verkehr wieder rollt. In weniger als acht Minuten ist ein falsch parkender LKW aus dem Lichtraumprofil einer Stadtbahn-Linie entfernt (vgl. auch [1]). Hierfür steht den Außendienst-Kollegen des Entstördienstes ein umfangreicher Fuhrpark zur Verfügung. Von zentraler Bedeutung sind aber auch die Arbeitsmöglichkeiten der Leitstelle, also im Innendienst. Sowohl die Eignung der Mitarbeiter und ihr Zusammenspiel im Team, als auch die EDV-technische und ergonomische Einrichtung ihrer Arbeitsplätze entscheiden über Minuten. Auch die zielgerichtete Fahrgastinformation im Störungsfall gehört zum Kern des Servicegedankens. Hierzu gehört die Information zu Art und Umfang der Störung, ihrer voraussichtlichen Dauer und im besten Fall auch alternativen Fahrtmöglichkeiten. Deshalb setzt die KVB einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in die kontinuierliche Verbesserung der Fahrgastinformationssysteme. Im gesamten Liniennetz der Stadtbahn sowie an den stärker frequentierten Haltstellen im Busnetz befinden sich Anlagen der dynamischen Fahrgastinformation (DFI), in die Lauftexte („Ticker“) zur Information im Störungsfall eingespielt werden (Bild 3). Hierbei haben sich in den vergangenen Jahren die Ansprüche der Fahrgäste stark gewandelt. Früher reichte der gedruckte Aushangfahrplan, und wenn der Bus oder die Stadtbahn mal nicht taktgemäß kamen oder ganz ausfielen, zeigte man Geduld. Heute setzt die Echtzeitinformation den Maßstab. So wie im PKW über Verkehrsfunk und Navigationsgerät, wollen die Fahr- Bild 2: Gleichartige Arbeitsplätze mit moderner Technik sichern Flexibilität. Foto: Christoph Seelbach Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 32 INFRASTRUKTUR Verkehrsleitsteuerung gäste auch beim ÖPNV schnell und präzise informiert werden. Zum Aushangfahrplan und zu Durchsagen an Haltestellen und in Fahrzeuge hinein kamen die DFI-Anlagen unter anderem mit ihrem Laufticker hinzu, dann die mobilen Telefone mit ihren Datendiensten und mobilem Internet, später Apps, Facebook, Twitter und Co. Auch bei der Fahrgastinformation kommt der Leitstelle eine zentrale Bedeutung zu. Hier fließen alle Informationen über Istzustand und Prognose zusammen. Und hier erstellen die Infomanager kundengerechte Informationen für die verschiedenen Live-Medien. Wenn der Verkehr eben nicht nach normalem Fahrplan läuft, genügen keine automatisierten Datendienste mehr. Dann muss die Leitstelle händisch eingreifen, Informationen formulieren und einspeisen. Dabei gilt es, alle Teilsysteme möglichst optimal aufeinander abzustimmen und Differenzen in der Informationslage zu minimieren. Deshalb arbeiten in der KVB-Leitstelle heute Infomanager, die Einsatzleiter und Kollegen an den Funkplätzen, Stellwerksplätzen sowie in der Bahnstromversorgung entlasten und das betriebliche Geschehen in eine für die Kunden verständliche Sprache übersetzen. Das Tätigkeitsprofil „Infomanager“ gab es zuvor bei der KVB noch nicht. Derzeit trifft es auf 14 der 55 Leitstellen-Mitarbeiter zu - rund ein Viertel des Teams. Bei großen Events zeigt sich die volle Leistungsfähigkeit Zirka 60 bis 70 Veranstaltungen im Jahr nehmen erkennbaren Einfluss auf den ÖPNV in Köln. Häufig bringen notwendige Umleitungen, Linientrennungen, die hohe Verkehrsdichte oder hohes Fahrgastaufkommen den normalen Fahrplan aus dem Takt. Dabei werden Beeinträchtigungen häufig vorher bekannt oder erschließen sich aus der Erfahrung. Die Betriebssteuerung kann deshalb hier planen und Vorsorge treffen. In vielen Fällen treten jedoch auch unerwartete Störungen ein, die Einfluss auf Qualität und Quantität des ÖPNV haben. In jedem Fall ist an Eventtagen wie zum KölnMarathon, in den Tagen des Straßenkarnevals, zu den „Kölner Lichtern“, an Silvester und ähnlichem die Leitstelle der KVB besonders gefordert. Die Betriebslage an solchen Tagen ist dadurch gekennzeichnet, dass überdurchschnittlich viele Menschen - Einheimische und Gäste - zur ungefähr selben Zeit an denselben Ort oder in ein Veranstaltungsgebiet wollen. Häufig liegt auch der Rückweg in einem eng begrenzten Zeitraum. Mehrverkehre sind notwendig, wo dichte Takte häufig bereits an die Kapazitätsgrenzen herangehen. Viele der Veranstaltungen nehmen in ihrer Fläche Einfluss auf die Linienwege des ÖPNV, so dass es zu Störungen kommt. Nicht selten müssen Linien getrennt werden und, wie etwa bei den Karnevalsumzügen, auch die Oberleitungen der Stadtbahn stromfrei gestellt werden. Die Veranstaltungsgäste wollen dennoch schnell und pünktlich da sein, die Veranstaltung soll ihren Platz einnehmen dürfen und am Ende soll die Dienstleistung ÖPNV möglichst unverzüglich wieder normal zur Verfügung stehen. Und nicht zu vergessen: Andere Verkehrsteilnehmer wollen gar nicht zum Event, sondern möglichst ohne Einschränkung den ÖPNV nutzen, der seiner Bedienpflicht nachzukommen hat. Ein aktuelles Beispiel aus jährlich wiederkehrender Erfahrung: An Weiberfastnacht, dem Start des Straßenkarnevals in Köln, wurden auch im Februar 2015 wieder rund 370 zusätzliche Fahrten vor allem auf den Stadtbahn-Linien durchgeführt, mit der Trennung von zwei Stadtbahn-Linien über den Großteil des Tages musste gerechnet werden und es stand zu befürchten, dass eine oberirdische Stadtbahn-Haltestelle und zwei weitere im Bereich der U-Bahn aufgrund polizeilicher Sperrung ohne Fahrgastwechsel durchfahren werden müssen. Hinzu kommen zunehmender Einfluss von Genussmitteln im Laufe des Tages und das jahreszeitlich bedingte frühe Einsetzen der Dunkelheit. Für den Fahrdienst, die Servicekräfte aber auch die Betriebssteuerung im Außen- und Innendienst sind das große Herausforderungen. Die Leitstelle, der Innendienst der Betriebssteuerung, sichert auch an diesen Tagen mit besonderer Bedeutung des ÖPNV die Mobilität in der Stadt. An den Tagen mit großen Events zeigt sich die volle Leistungsfähigkeit des Systems (Bild 4). Rund 800 000 Fahrgäste täglich nutzen dann die Bus- und Stadtbahn-Angebote des Unternehmens - Fahrten, die eine Menge Individualverkehr ersetzen und das Straßennetz enorm entlasten. So profitieren letztlich nicht nur die Kunden der KVB von der Leistungsfähigkeit der neuen Leitstelle, sondern alle Bürger der Stadt. ■ LITeRATuR [1] Anemüller, S.: Handeln statt resignieren - Extern verursachte Störungen des ÖPNV strategisch vermeiden; In: Internationales Verkehrswesen (66) 1/ 2014, S. 80-82 Stephan Anemüller, Dipl.-Geogr. Mediensprecher, Kölner Verkehrs- Betriebe AG stephan.anemueller@kvb-koeln.de Bild 3: Fahrgastinfo in Echtzeit ist aus dem modernen ÖPNV nicht wegzudenken - im Störungsfall übernimmt die Leitstelle die Steuerung. Foto: Stephan Anemüller Bild 4: Zu großen Events, wie hier an Weiberfastnacht bestimmen enorme Nachfrage und besondere Betriebsregelungen das Geschehen. Foto: Stephan Anemüller