Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0011
31
2015
671
Verladende Wirtschaft an Rhein und Elbe im Klimawandel
31
2015
Anja Scholten
Benno Rothstein
Schwankende Fahrrinnentiefen stellen eine Herausforderung für die verladende Wirtschaft dar, die auf kostengünstigen Transport von Massengütern per Binnenschiff angewiesen ist. Basierend auf Unternehmensbefragungen wurde ein Modell entwickelt, das nicht nur die Verwundbarkeit von Unternehmen gegenüber schwankenden Fahrrinnentiefen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berechnen kann, sondern auch die positive Wirkung von Anpassungsmaßnahmen. Nachdem in einem früheren Artikel die Auswirkungen des Klimawandels quantifiziert wurden, wird nun hier die Wirksamkeit verschiedener Anpassungsmaßnahmen vergleichend für Unternehmen an Rhein und Elbe vorgestellt.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 33 Binnenschiffahrt INFRASTRUKTUR Verladende Wirtschaft an Rhein und Elbe im Klimawandel Auswirkungen von Anpassungsmaßnahmen im Vergleich Binnenschiff, Schiffahrtsstraße, Klimawandel, Fahrrinnentiefe, Rhein, Elbe Schwankende Fahrrinnentiefen stellen eine Herausforderung für die verladende Wirtschaft dar, die auf kostengünstigen Transport von Massengütern per Binnenschiff angewiesen ist. Basierend auf Unternehmensbefragungen wurde ein Modell entwickelt, das nicht nur die Verwundbarkeit von Unternehmen gegenüber schwankenden Fahrrinnentiefen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft berechnen kann, sondern auch die positive Wirkung von Anpassungsmaßnahmen. Nachdem in einem früheren Artikel die Auswirkungen des Klimawandels quantifiziert wurden, wird nun hier die Wirksamkeit verschiedener Anpassungsmaßnahmen vergleichend für Unternehmen an Rhein und Elbe vorgestellt. Die Autoren: Anja Scholten, Benno Rothstein I n einem vorangegangenen Beitrag (siehe [1]) wurden die unterschiedlichen Unternehmensstrukturen der aufs Binnenschiff verladenden Industrie an Rhein und Elbe sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf die selben dargestellt. Um die Auswirkungen des Klimawandels quantifizieren zu können wurde ein Modell genutzt, das im Rahmen des KLIWAS Projekts (www.kliwas.de) entwickelt wurde. Hauptergebnisse der in diesem Artikel vorgestellten Untersuchungen sind: • Die Unternehmen an Rhein und Elbe haben sehr verschiedene Transportstrukturen: Sie unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Transportmengen, des Transportanteils der Binnenschifffahrt, der verwendeten Schiffsgröße, der Bedeutung des Flusses als Standortfaktor, des Anschlusses an verschiedene Verkehrsmodi und der Lagerkapazität. Dies sagt vor allem etwas über die Anpassung an den jeweiligen Transportweg aus, jedoch nichts über ihre Anpassung an den Klimawandel. • Diese unterschiedlichen Transportstrukturen wirken sich aus, wenn die Vulnerabilität (Verwundbarkeit) von für die jeweiligen Flüsse typischen Verladertypen (Rhein: Schiffsgröße 3000 t, Transportanteil per Binnenschiff über 40 %; Elbe: Schiffsgröße ≤ 1000 t; Transportanteil per Binnenschiff unter 20 %) berechnet wird: Am Rhein gibt es in der fernen Zukunft maximale Abweichungen von bis zu - 45 % im Vergleich zum Zustand des optimalen Lagers von 1961-1990, während an der Elbe nur maximal Änderungen von - 11 % auftreten. Für weitere Details sei auf [1] verwiesen. Im vorliegenden Artikel wird zuerst die erwartete Betroffenheit der Unternehmen durch den Klimawandel beschrieben, bevor mögliche Anpassungsmaßnahmen vorgestellt und die Auswirkungen einiger Maßnahmen mittels des Vulnerabilitätsmodells quantifiziert werden. Erwartungen bezüglich des Klimawandels Immerhin 75 % der befragten Unternehmen an der Elbe erwarten eine Zunahme der Schwierigkeiten mit Extremereignissen (am Rhein knapp 70 %). Dabei gehen die meisten von einer (wahrscheinlichen) Zunahme von Niedrig- und Hochwasserereignissen aus, keinesfalls jedoch von weniger Transporteinschränkungen. Dennoch spielt der Klimawandel nur bei einem Drittel der Unternehmen eine Rolle für die weitere Planung. Dabei gaben 39 % der Befragten an, ihre Informationen aus Medien wie Zeitung oder Fernsehen zu beziehen. 22 % nutzten das Internet für die Informationsbeschaffung und 17 % lesen die Veröffentlichungen von Ministerien. Auch am Rhein gaben die Unternehmen an, ihre Informationen vor allem aus den Medien und neusten Veröffentlichungen zu ziehen. Wissenschaftliche Abhandlungen oder Bücher werden nur von 11 % bzw. 6 % der Befragten zu Rate gezogen. Mögliche Anpassungsmaßnahmen Insgesamt gibt je ein Drittel der Befragten an der Elbe an, bereits Vorkehrungen in Bezug auf mögliche Änderungen der Fahrwasserverhältnisse getroffen zu haben (Rhein: 24 %), solche zu planen (Rhein: 17 %) oder keine Vorbereitungen getroffen zu haben (Rhein: 59 % [1]). Auf zeitlicher Ebene sind kurz-, mittel- und langfristige Anpassungs-Maßnahmen zu unterscheiden. Kurzfristige Maßnahmen: • Nutzung kleinerer Schiffe • Herunterfahren der Produktion • Verlagerung eines Teils der Transporte auf die Bahn • (zeitliche) Verschiebung der Transporte Mittelfristige bis langfristige Maßnahmen (Bild 1 für die Elbe): • Vorhalten kleinerer Schiffe • Vorhaltung einer werkseigenen Flotte • Längerfristige Verträge mit Bahnunternehmen • Lagerausbau • Standortverlagerung • Nutzung anderer Bezugsquellen • Überdenken des Konzepts der Just-in- Time-Transporte Zu den laut den Unternehmen (sehr gut) umsetzbaren Anpassungsmaßnahmen zählt hierbei vor allem eine langfristige Verkehrsverlagerung. Einen Lagerausbau halten einige Unternehmen für möglich, andere jedoch schwierig. Gleiches gilt für Standortverlagerungen oder die Versorgung aus anderen Quellen/ von anderen Standorten. Vielleicht umsetzbar ist für einige Unternehmen eine Verschiebung der Transporte, Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 34 INFRASTRUKTUR Binnenschiffahrt der Aufbau einer werkseigenen Flotte oder ein Überdenken des Just-in-Time-Transports, während andere auch dies für schwer bis unmöglich halten (Bild 1). Der Haupthinderungsgrund des Lagerausbaus ist die Verfügbarkeit geeigneter Flächen. Gegen eine Verlagerung der Transporte auf andere Verkehrsträger spricht, dass das Binnenschiff für viele Unternehmen (vor allem am Rhein) das bevorzugte Verkehrsmittel ist. Standortverlagerungen werden durch die Kosten erschwert und benötigen die Beibehaltung der Hafeninfrastruktur. Die Versorgung aus anderen Werken oder Bezugsquellen gestaltet sich schwierig, weil entweder geeignete Alternativen fehlen oder zusätzliche Transportkosten entstehen. Gegen eine zeitliche Verschiebung der Transporte sowie das Überdenken des Just-in-Time-Transportmodells sprechen die Kundenanforderungen. Dem Aufbau einer werkseigenen Flotte stehen die Investitionskosten entgegen. Zudem gehört dies nicht zum Kerngeschäft der betroffenen Unternehmen. Der richtige Maßnahmenkatalog für die Anpassung an den Klimawandel ist somit individuell für die einzelnen Unternehmen, basierend auf den örtlichen Gegebenheiten, ihrer Transportstruktur und ihrer spezifischen, innerbetrieblichen und branchenspezifischen Situation. Auswirkungen von Anpassungsmaßnahmen Bild 2 zeigt die Ergebnisse von Berechnungen für ausgewählte Anpassungsmaßnahmen für einige Unternehmen am Rhein (Verladertyp: Schiffsgröße 3000t, Transportanteil per Binnenschiff über 40 %). Dazu gehören die Nutzung kleinerer Schiffe für den Transport (in Bild 2: „SG“) und der Ausbau der Lagerkapazitäten (Bild 2: „L“). Dabei stellt die Nulllinie das Maß der Vulnerabilität von 1961-1990 dar. Für Informationen bezüglich der verwendeten Klimawandelszenarien sei auf [1] und [2] verwiesen. Für die nahe Zukunft (2021-2050) ist eine Vergrößerung der Lagerkapazitäten der hier gezeigten Unternehmen um 25 % ausreichend, um die Vulnerabilität der Unternehmen auf das Niveau von 1961-1990 zu senken. Für die ferne Zukunft (2071-2100) wird jedoch eine Vergrößerung des Lagers um 75 % benötigt, um die Vulnerabilität auf ein den Unternehmen aus der Vergangenheit geläufiges Maß zu reduzieren. Vor allem Unternehmen, die große Schiffe für den Transport bevorzugen, können ihre Vulnerabilität durch die Verwendung kleinerer Schiffe zum Teil deutlich reduzieren, da diese prozentual weniger und durch ihren verminderten Tiefgang erst bei geringeren Fahrrinnentiefen durch Niedrigwasser beeinträchtigt werden. Bei diesem Verladertyp reicht für die nahe und ferne Zukunft die Verwendung der nächstkleineren Schiffsgröße aus, um die Vulnerabilität auf das Maß von 1961-1990 zu verringern. Die Verlagerung der Transporte auf andere Verkehrsträger führt ebenfalls zu einer Reduktion der Vulnerabilität gegenüber schwankenden Fahrrinnentiefen auf die Werte der Vergangenheit. Würde bei dem hier dargestellten Unternehmen der Anteil des Binnenschiffstransports von etwa 50 % auf 20 % reduziert (hier nicht dargestellt), wäre die Vulnerabilität in der fernen Zukunft nur noch um etwa 1 % erhöht. Allerdings führt dies nicht nur zu einem Anstieg der Kosten, sondern auch zu Vulnerabilitäten durch Auswirkungen des Klimawandels Bild 1. Einschätzung der befragten Unternehmen an der Elbe zur Umsetzbarkeit verschiedener Anpassungsmaßnahmen Quelle: Eigene Darstellung aus Unternehmensbefragung mit Vulnerabilitätsmodell 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -50% -45% -40% -35% -30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% ohne Anpassung L+2,5 L+5 L+10 L+15 L+25 L+50 L+75 L+100 SG-1 SG-2 Monat Abweichungvom optimalen Lager (%) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -50% -45% -40% -35% -30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% ohne Anpassung L+2,5 L+5 L+10 L+15 L+25 L+50 L+75 L+100 SG-1 SG-2 Monat Abweichungvom optimalen Lager (%) Nahe Zukunft Ferne Zukunft Bild 2: Auswirkungen verschiedener Anpassungsmaßnahmen (Lagervergrößerung L in % und Schiffsgrößenverkleinerung SG nach Größenklassen) für ausgewählte Unternehmen am Rhein; CCLM A1B Modellkette Quelle: Eigene Berechnung nach Daten aus Unternehmensbefragung mit Vulnerabilitätsmodell Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 35 Binnenschiffahrt INFRASTRUKTUR auf den Bahntransport z. B. durch Sturmschäden. Zudem sind die Kapazitäten der Bahn entlang der Rheinstrecke bereits heute weitestgehend ausgelastet [1]. Wie für den Rhein wurden auch für die Elbe die Auswirkungen beispielhafter Anpassungsmaßnahmen auf die Vulnerabilität der Unternehmen berechnet (Verladertyp: Schiffsgröße ≤ 1000 t; Transportanteil per Binnenschiff unter 20 %). Für die nahe Zukunft zeigt sich, dass für die Unternehmen eine Vergrößerung des Lagers um 10 % notwendig ist, um die Abweichung vom optimalen Lager auf 1 % im Dezember zu reduzieren. Eine Lagervergrößerung um 12,5 % ausreichend, um die Vulnerabilität vollständig auf das Level von 1961-1990 zu senken. Die Verringerung der Schiffsgröße um zwei Größen (auf die Größe „Theodor Bayer“) senkt die Vulnerabilität ebenfalls fast auf das Niveau von 1961- 1990, während die Verringerung um nur eine Schiffsgröße nicht zielführend ist. Für die ferne Zukunft ist eine Vergrößerung des Lagers um 15 % nötig, um die Abweichung vom optimalen Lager auf unter 2 % im Dezember und im Rest des Jahres auf null zu senken. Auch hier ist eine Verringerung der Schiffsgröße um zwei Größen geeignet, um die Vulnerabilität fast auf das Maß der Vergangenheit zu senken. Da für die langfristige Nutzung von kleineren Schiffen im Niedrigwasserfall zusätzliche kleine Schiffe in die Flotte eingebunden werden müssten, führt diese Maßnahme, wie auch die Vergrößerung des Lagers, zu einer Überkompensation im ersten Halbjahr. Sowohl die Vorhaltung kleinerer Schiffe als auch der ganzjährige Einsatz derselben führt zu einer Steigerung der Kosten. Fazit Sowohl an Elbe als auch am Rhein erwarten die Unternehmen in Zukunft häufigere Einschränkungen der Binnenschifffahrt. Dennoch haben bisher die wenigsten Unternehmen Vorkehrungsmaßnahmen getroffen, obwohl es verschiedene Handlungen gibt, die von den Unternehmen für umsetzbar gehalten werden. Dabei ist ein individuelles Vorgehen notwendig, da nicht alle Maßnahmen an allen Standorten und für alle Unternehmen geeignet sind. Berechnungen der Auswirkungen ausgewählter Anpassungsmaßnahmen zeigen jedoch, dass diese in der Lage sind, die Vulnerabilität der Unternehmen auf das Maß von 1961-1990 zu senken und damit in eine Größenordnung, mit der die Unternehmen umzugehen gelernt haben. Während sich eine Vergrößerung des Lagers dabei als besonders geeignet erweist, überkompensiert diese Maßnahme die Auswirkungen des Klimawandels in den Monaten mit ausreichenden Fahrrinnentiefen. Zudem erfordert diese Option einen hohen Kapitaleinsatz und die notwendigen freien Flächen sind bei Weitem nicht an allen Standorten verfügbar. Für Unternehmen, die bevorzugt große Schiffe für den Transport einsetzen, ist auch die Verringerung der Schiffsgröße eine wirksame Maßnahme, die jedoch einer Umorientierung der Flottenentwicklung (Bau von mehr kleineren Schiffen) bedürfte. Auch die Verlagerung von Transporten auf andere Transportmodi ist nur eingeschränkt möglich, da hier nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung stehen. Zudem sind alle Anpassungsmaßnahmen mit zusätzlichen Kosten verbunden. Um wirtschaftlich zu sein, müssten diese geringer sein, als die durch die Einschränkungen des Transports entstehenden Kosten. ■ LITeRATuR: [1] Scholten, Rothstein (2014): Nutzung der Binnenschifffahrt auf Rhein und Elbe - Vergleich der Nutzung der Binnenschifffahrt auf Rhein und Elbe durch die verladende Wirtschaft unter Einfluss des Klimawandels; In: Internationales Verkehrswesen (66) 3/ 2014, ISSN 0020-9511 [2] Nilson, Carambia, Krahe, Larina, Belz, Promny (2012): Deduction of discharge scenarios for water management at the River Rhine, BMVBS. Weissensee Verlag, Bonn, pp 83-86 [3] Scholten (2010): Massenguttransport auf dem Rhein vor dem Hintergrund des Klimawandels. Würzburger Geographische Arbeiten 104. Würzburg [4] Scholten, Rothstein, Baumhauer (2014): Mass-cargo-affine industries and climate change; Climatic Change Volume 122, Issue 1-2, pp 111-125; http: / / link.springer.com/ article/ 10.1007%2 Fs10584-013-0968-0 Anja Scholten, Dr. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Würzburg/ HTWG Konstanz anja.scholten@uni-wuerzburg.de Benno Rothstein, Prof. Dr. habil. Professur Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, HTWG Konstanz rothstein@htwg-konstanz.de 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -12% -10% -8% -6% -4% -2% 0% Ohne Anpassung L+2,5 L+5 L+7,5 L+10 L+15 L+25 L+50 L+75 L+100 SG-1 SG-2 Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 -12% -10% -8% -6% -4% -2% 0% Ohne Anpassung L+2,5 L+5 L+7,5 L+10 L+15 L+25 L+50 L+75 L+100 SG-1 SG-2 Monat Abweichungen vom optimalen Lager (%) Nahe Zukunft Ferne Zukunft Bild 3: Auswirkungen verschiedener Anpassungsmaßnahmen (Lagervergrößerung (L) in % und Schiffsgrößenverkleinerung (SG) nach Größenklassen) für ausgewählte Unternehmen an der Elbe; HCQ0 A1B Modellkette Quelle: Eigene Berechnung nach Daten aus Unternehmensbefragung mit Vulnerabilitätsmodell
