Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0014
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2015
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Antriebstechnologie und Nachhaltigkeit im Straßengüterverkehr
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2015
Heinz Dörr
Yvonne Tolfl
Arno Huss
Peter Prenninger
Viel wird über Nachhaltigkeit in der Logistik und im Verkehr geredet, aber die Umwelt- und die Klimaproblematik bleiben akut und die Indikatoren zur Transportproduktivität zeigen erhebliche Potenziale zur Energieeinsparung und Emissionsreduktion auf. Es mangelt nicht an technologischen Zukunftskonzepten, vielmehr fehlen systematische Blickweisen, um die Stimmung für emissionsreduzierte Nutzfahrzeuge und nachhaltige Transportketten zu heben. Dabei soll die Verknüpfung von logistischen Anforderungen mit den fahrdynamischen Eigenschaften von Antrieben Argumente liefern.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 40 LOGISTIK Wissenschaft Antriebstechnologie und Nachhaltigkeit im Straßengüterverkehr Verknüpfung von Verkehrslogistik und Fahrdynamik von Nutzfahrzeugen Verkehrslogistik, Fahrzyklen-Simulation, Fahrzeugantriebe, Hybridisierung, Energieverbrauch, Emissionsreduktion Viel wird über Nachhaltigkeit in der Logistik und im Verkehr geredet, aber die Umwelt- und die Klimaproblematik bleiben akut und die Indikatoren zur Transportproduktivität zeigen erhebliche Potenziale zur Energieeinsparung und Emissionsreduktion auf. Es mangelt nicht an technologischen Zukunftskonzepten, vielmehr fehlen systematische Blickweisen, um die Stimmung für emissionsreduzierte Nutzfahrzeuge und nachhaltige Transportketten zu heben. Dabei soll die Verknüpfung von logistischen Anforderungen mit den fahrdynamischen Eigenschaften von Antrieben Argumente liefern. Die Autoren: Heinz Dörr, Yvonne Toifl, Arno Huss, Peter Prenninger U nbestritten eine Erfolgsgeschichte sind die- motorenseitigen Abgasvorschriften der EURO-Klassen, die rechtzeitig erlassen wurden und einen Technologieschub sowie eine nie dagewesene Dynamik in der Flottenerneuerung in Gang gesetzt haben. Allerdings scheint mit EURO VI bei den herkömmlichen Antrieben ein gewisser Plafond erreicht worden zu sein. Das moderne Fuhrparkmanagement zielt in kürzeren Zeiträumen auf höhere Fahrleistungen ab, womit externe Effekte auf die frequentierte Verkehrsinfrastruktur und die belastete Umwelt verbunden sind, die zunehmen können, auch wenn das einzelne Fahrzeug und die Flotten der Transportunternehmen im Durchschnitt weniger Energie verbrauchen und weniger an die Umwelt emittieren. Eine Nachfrage der verladenden und transportierenden Wirtschaft nach zukunftsfähigen technologischen Transportlösungen ergibt sich, wenn damit die Kundenanforderungen besser erfüllt und bei der Fahrzeugbeschaffung ein realistischer Return on Investment erzielt werden können. Vorhaben Sollen überzeugende Argumente ins Treffen geführt werden, braucht es griffige, an der Tourenpraxis der Logistikdienste orientierte Indikatoren. Dazu muss die Teilnahme der Nutzfahrzeuge im werktäglichen Verkehrsgeschehen erfasst werden, um mit diesem Daten-Input Simulationen der Fahrdynamik von Nutzfahrzeugen vornehmen zu können. Damit können in weiterer Folge verkehrsökonomische und verkehrsökologischen Effekte quantifiziert sowie verkehrslogistische Gestaltungsmöglichkeiten für den Nutzfahrzeugeinsatz abgeleitet werden. Fahrzyklen-Simulation Mit der Simulation von Fahrzyklen wird bezweckt, Daten über den Energiebzw. Kraftstoffverbrauch und den Emissionsausstoß unter bestimmten vielfältigen Lastanforderungen an den Fahrzeugantrieb zu gewinnen. Während die Fahrzeugindustrie auf die Prüfung von Komponenten und deren optimales Zusammenwirken als Aggregate fokussiert ist, wurden im Projekt EFLOG verkehrslogistische Einsatz-Szenarien den Fahrzeugbewegungen als Randbedingungen zugrunde gelegt. 1 Dabei fungiert der Fahrweg eines Transportlaufes als Schnittstelle zwischen den fahrdynamischen Vorgängen aufgrund der gewählten Antriebstechnologie sowie den Einflussfaktoren aufgrund der definierten Logistikaufgabe und den anzutreffenden äußeren Bedingungen aufgrund der Verkehrsteilnahme des Nutzfahrzeuges im Straßennetz. daten-Input-Modell Folgende Datensätze wurden in die Simulation als verkehrslogistische Randbedingungen eingebracht. Sie waren aus Einflussfaktoren in ihren Wirkungszusammenhängen zu generieren (Bild 1): • Kantenlänge eines Beschleunigungs-, Roll- und Verzögerungsvorganges in der Fahrzeugbewegung unter homogenen Befahrungsbedingungen des Fahrweges • Maximal mögliche Fahrgeschwindigkeit in % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Auslastung des Fahrweges • Häufigkeit und mittlere Dauer der verkehrsbedingten und der logistikbedingten Stopps • Beladungszustand des Fahrzeuges Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 41 Wissenschaft LOGISTIK Dazu sind straßennetzspezifische Aufbereitungen („Infrastrukturelles Setting“) notwendig. Diese umfassen Ausstattungsattribute, wie Streifigkeit, Knotenabstände, Längsneigungen, verkehrslichtsignalgeregelte Knoten und spezifische Beschränkungen, die für die Kapazität des Fahrweges maßgeblich sind und das frequentierte Netz in Kanten und nach Straßenkategorien aufgliedern lassen. 2 Zu diesen statischen Faktoren gesellen sich dynamische Einflussfaktoren des Verkehrsgeschehens, um die Verkehrsteilnahme der Güterfahrzeuge in den Kontext des Fließverkehrs zu stellen. Dazu gehört die Interpretation der werktäglichen Verkehrslagebilder, die aus der Erfassung des Zeitganges der Verkehrsstärken über automatische Zählstellen gewonnen werden. 3 Damit kann eine Einstufung der Verkehrsqualität im Abgleich von theoretischer Kapazität und tatsächlicher Verkehrsabwicklung differenziert im Tagesgang als Level of Service (LoS) definiert werden, der mit einer entsprechend erreichbaren Fahrgeschwindigkeit der Nutzfahrzeuge nach Klassen (N1, N2, N3) bezogen auf Kanten in die Simulation einfließen kann. 4 Als Determinante der Transportkette kommt die Tourenplanung zum Tragen, die im Kundenauftrag eines Verladers oder Empfängers durchgeführt wird und die Dichte und Anzahl der anzufahrenden Ladestationen (wie Points of Sale, Points of Delivery etc.) sowie die Ladungsabschichtung dort bestimmt. Dieses „Logistische Setting“ führt zur Auswahl des Transportregimes (make or buy) und des einzusetzenden Fahrzeuges („Transportwirtschaftliches Setting“), dessen Kenndaten, wie das jeweilige im Laufe der Tour veränderte Fahrzeuggesamtgewicht, auf die Kanten der als Netzgraph dargestellten Fahrtroute umgelegt werden. 5 Anwendung in Mustertransportläufen Dieser Modellaufbau erlaubt es nunmehr, verschiedenartige logistische Bedienungen von Gütersenken oder Transportrelationen im Punkt-zu-Punkt-Verkehr für Fahrzyklen-Simulationen herzunehmen. Als Einstieg dafür wurden drei Mustertransportläufe innerhalb der Metropolregion Wien angenommen, die sich aus folgenden Komponenten konstituiert haben: 1. Drei werktägliche Logistikprozesse, nämlich Verteiltouren von Logistiklägern im Umland zu einem innerstädtischen Lieferbezirk im KEP-Dienst und für die Belieferung im Lebensmittelhandel (LEH-Tour) sowie eine industrielle Lieferfahrt von einer innerstädtischen Produktionsstätte zu einem Großabnehmer (ZZG-Tour) im Umland und retour mit einer Lauflänge zwischen 36 und 40 km . 2. Diese Touren werden mit typischen Nutzfahrzeugen der Klassen N1 (bis 3,5 t Gesamtgewicht), N2 (12 t maximales Gesamtgewicht) und N3 (bis 40 t zulässiges Gesamtgewicht, hier aber mit maximal 35 t unterwegs) durchgeführt. 3. Die Lieferfahrzeuge verkehren auf einem repräsentativen Laufweg, die in der Streckenabfolge die drei charakteristischen Straßenkategorien I (Autobahn), II (Hauptstraße) und III (Erschließungsnetz) frequentieren. 6 4. Für die Mustertransportläufe wurden für die jeweiligen Logistiktouren (ab Auslieferlager) übliche Zeitfenster definiert (z. B. KEP-Dienst mit N1: 8-17 h, LEH-Tour mit N2: 6-20 h, ZZG-Tour mit N3: 17- 22- h), um sodann für die drei Straßenkategorien die im Zeitfenster des Tagesganges der Verkehrsstärken auftretenden Anteile der drei Verkehrszustände LoS A*, C* und E* zu ermitteln (Bild 2). 5. Mithilfe des Basisdiagrammes ergibt sich in Abhängigkeit von der Kantenlauflänge die erreichbare Fahrgeschwindigkeit je Kante (Bild 3), welche die Grundlage für die fahrdynamische Simulation der Lastanforderung an den Antrieb und das Betriebsverhalten des Antriebssystems selbst darstellt, wie im Bild 4 für einen 23-minütigen Zeitabschnitt auf einer Zulaufstrecke für das N2-Fahrzeug vom Umland in das Stadtgebiet dargestellt ist 7 (siehe auch Bilder 5-7). Antriebsvarianten und Reduktionspotenziale Die Fahrzyklen-Simulationen wurden mit dem AVL- CRUISE-Simulations-Programm im AVL-List-Stammsitz in Graz durchgeführt. Als Antriebskonfigurationen wurden für die erwähnten Nutzfahrzeug-Typen zunächst herkömmliche Diesel- und Gasantriebe (CNG) als Basisvarianten auf dem Stand der Technik (EURO VI) unter Zugrundelegung der genannten verkehrslogistischen Fahrzeugeinsätze gewählt und deren Kraftstoffbzw. Energieverbrauch und die CO 2 -äquivalenten Emissionsmengen bestimmt. 52% 35% 13% Straßenkategorie II ~8 km = 30% ˣ 51% 45% 4% Straßenkategorie III ~12 km = 20% ˣ LoS A* LoS C* LoS E* 20% 75% 5% Straßenkategorie I ~20 km = 50% ˣ N2: LoS-Anteile im Zeitfenster 6-20 Uhr ˣ der Ges amtdi stanz Straßenkategorie Fahrstreifenanzahl theoretische Verkehrsstärke (theoretische max. Kapazität) reale Verkehrsstärke (tatsächliche Kapazität) LoS je Straßenkategorie Anteil des LoS im Zeitfenster je Straßenkategorie branchenspezi sche Besonderheiten gesetzliche Rahmenbedingungen anteilsmäßige Verteilung des LoS auf die Kantenabschnitte Zeitfenster aufgrund des LoS max. mögliche Geschwindigkeit max. erlaubte Geschwindigkeit Fahrzeugklasse Routenwahl Nutzlast / Volumen Länge des Kantenabschnittes Geschwindigkeit je Kantenabschnitt transportwirtschaftliche Ein ussfaktoren (z.B. Entladung) infrastrukturelle Ein ussfaktoren (z.B. Verkehrslichtsignalanlage) Häu gkeit und Dauer der Stopps Beladung des Nfz ENERGIE-/ KRAFTSTOFFVERBRAUCH Transportwirtschaftliches Setting Logistisches Setting Infrastrukturelles Setting Legende: Ein ussfaktoren auf den Energie- / Kraftsto verbrauch organisatorische und technologische Innovationen Fahrdynamik: - Start und Stopp - Hybrideinsatz - Fahrerassistenzsysteme Logistikwirtschaft: - Änderung der Lieferzeitfenster (Kundenintervention) - Routenänderung (Abfolge der Lieferpunkte) Verkehrsorganisation: - Verkehrs ächenangebot - Verkehrs ussorganisation - Verkehrsregulierungen - ... Wirkungszusammenhänge zur Herleitung der Eingangsparameter Eingangsparameter als Randbedingungen für die Fahrzyklen-Simulation Randbedingungen zur Gestaltung einer emissionsarmen Gütermobilität Bild 1: Verkehrslogistische Einflussfaktoren auf Fahrdynamik und Kraftstoffverbrauch Bild 2: Verkehrszustände im Zeitfenster einer Logistiktour nach frequentierten Straßenkategorien Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 42 LOGISTIK Wissenschaft Um Reduktionspotenziale herauszufinden und eine Flottenumstellung zu antizipieren (eine Prognose erschien von Anfang an noch nicht sinnvoll) wurden jene Antriebsvarianten für die Hybridisierung und Elektrifizierung ausgewählt, die bis zum Jahr 2020 für die gestellten Anforderungen als technisch einsatzfähig gelten können, auch wenn solcherart ausgestattete Nutzfahrzeugmodelle gegenwärtig am Markt noch wenige angeboten werden. Bei den Systemauslegungen, was die Motorleistungen oder die Kapazität der Energiespeicher (insbesondere Batterie) betrifft, wurde Augenmaß angelegt, da nur Fahrzeuge überzeugen, die alltagstauglich im Wirtschaftsverkehr einsatzfähig sind. 8 Die detaillierten technischen Spezifikationen der Hybridisierung bzw. alternativer Antriebsformen, einschließlich der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie, können hier nicht in aller Breite ausgeführt werden. Generell kann gesagt werden, dass als technische Alternativen zum rein dieselbasierten Antrieb einerseits „Dual-Fuel“-Varianten, d. h. die Versorgung eines Fahrzeugantriebes mit zweierlei fossilen Kraftstoffen, wie z. B. Diesel mit verflüssigtem (LNG) oder komprimiertem Erdgas (CNG), und andererseits „Alternative Fuel“-Varianten, d. h. die Versorgung ausschließlich mit alternativen Antriebsenergien, Zukunftsoptionen darstellen. Von besonderer Bedeutung sind „Dual-Energy“- oder „Hybrid“-Varianten, die eine breite Palette von Hybrid- Antrieben bzw. -Fahrzeugen (HEV) umfassen, in denen je nach Hybridisierungsgrad Verbrennungsmotor und Elektromaschine sowie Kraftstofftank und Batterie unterschiedlicher Leistung und Kapazität kombiniert werden. Mikro- und Mild-Hybrid-Fahrzeuge sparen durch die Start-Stopp-Funktionalität vor allem im Stadtverkehr schon erheblich an fossilem Kraftstoff ein, Voll-Hybrid- Fahrzeuge erlauben über gewisse Strecken rein elektrisches Fahren, z. B. um immissionsgefährdete Siedlungsräumen zu entlasten. Diese können mit einer Plug-In- Funktion zum leitungsgebundenen Aufladen der Batterie ausgestattet sein, um neben der Energierückgewinnung während der Fahrt (Rekuperation) auch während eines längeren Stopps extern Strom aufzunehmen. Damit kann die Reichweite für das elektrische Fahren wesentlich gesteigert werden. Das muss aber mit einem steigenden Gewicht der Batterie, was wiederum die Nutzlastkapazität des Fahrzeuges reduziert, und mit einer stärkeren Leitungsbelastung des Stromnetzes bezahlt werden. Schließlich stellen die rein batteriegestützten Elektrofahrzeuge (BEV) beim Stand der Batterietechnologie in absehbarer Zeit nur für den Leistungsbedarf der leichteren und maximal mittleren Nutzfahrzeugklassen (N1, N2) eine Alternative dar. Sie sind allerdings die für den Geschwindigkeit [km/ h] Kantenlau änge [m] K0 K1 Level of Service E* (Stop and Go - Verkehr) zulässige Vmax Beschleunigungsphase Gleit- (Roll-) Phase Verzögerungs- (Brems-) Phase Basisdiagramm: Fahrverhalten abhängig von der Kapazitätsauslastungdes Fahrweges (LoS) Level of Service C* (Fahrgeschwindigkeit = Fließgeschwindigkeit) Level of Service A* (frei Wahl der Geschwindigkeit, daher Vzulässig = Vmax) 100% % von Vzulässig 50% 40% Leerfahrt Vollfahrt Bandbreite der Beschleunigung 0% A* E* C* E* A* C* A* Leistungsbedarf für elektr. Fahren aller Geschwindigkeiten Straßenkat. I A2, A23 Straßenkat. II B224 Zulauf Bild 3: Basisdiagramm Fahrverhalten nach Verkehrszustand Bild 4: Motorleistungsbedarf für das N2-Fahrzeug aufgrund des Geschwindigkeitsprofils nach Level of Service im Zeitdiagramm einer Zulaufstrecke Bilder 5-7: Level of Service (LoS) A* auf Straßenkategorie I (links), LoS C* auf Straßenkategorie II (Mitte), LoS E* auf Straßenkategorie III (rechts) im Zeitfenster einer Beobachtungsfahrt Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 43 Wissenschaft LOGISTIK Gütertransport innerhalb von Ballungsräumen bevorzugten Verkehrsmittel, sofern die verkehrslogistisch erforderliche Reichweite, z. B. durch Batterie-Ladeinfrastruktur im Bedienungsgebiet, gewährleistet werden kann. Des Weiteren können zusätzliche fahrzeugseitige Maßnahmen zur Reduktion von Energieverbrauch und Emissionen beitragen, indem die Abwärmenutzung (Waste Heat Recovery) in Betracht gezogen wird und am Fahrwerk (einschließlich der Reifen), an der Karosserie und am Aufbau zur Verringerung des Roll- und Luftwiderstands angesetzt wird. Um die Transportproduktivität des Fahrzeuges zu verbessern, kommen zudem Leichtbaukomponenten in Frage, womit das Verhältnis zwischen Nutzlastgewicht und Fahrzeuggesamtgewicht deutlich gesteigert werden könnte. Ergebnisse der Fahrzyklen-Simulationen Um eine Grundlage für die Interpretation verkehrslogistischer Aufgabenstellungen zu schaffen, wurden in einem ersten Durchgang nur herkömmliche dieselangetriebene Nutzfahrzeuge unter den Verkehrsbedingungen von jeweils Level of Service A* (z.B. bei Nachtanlieferung), C* (z. B. Tour außerhalb der Verkehrsspitzenzeiten) und E* (z. B. Terminlieferung in der Morgenspitze) simuliert. Dabei ergab sich wenig überraschend, dass der lockere Fließverkehr mit LoS C* dem Gütertransport aller drei Nutzfahrzeugklassen am besten entgegenkommt und die Dieselverbräuche daran zu messen sind. Diese variieren zwischen dem 2,6-fachen (bei N1) und dem 5,6-fachen Dieselverbrauch (bei N3) bei Verschlechterung der Verkehrsqualität von C* zu E*, aber auch zwischen 24 % und 30 % Mehrverbrauch bei einer Verbesserung zu A*. Das spricht sowohl für eine fahrzeugseitige Innovationsoffensive als auch für ein Verkehrsmanagement, das für eine Homogenisierung der Verkehrsflüsse im Tagesgang sorgt. Die Simulationsergebnisse für die verschiedenen Antriebsvarianten ergeben bemerkenswerte Reduktionspotenziale, wie in Bild 8 beispielhaft dargestellt ist. So zeigt sich, dass schon kleinere technologische Maßnahmen, wie die Start-Stopp-Funktion (Micro Hybrid), über alle Nutzfahrzeugklassen zwischen 11 % und 39 % Reduktionspotenzial beim Energieverbrauch erzielen. Eine volle Hybridisierung mit einem Dual-Energy-Concept, das konventionelles mit elektrischem Fahren kombinieren lässt, könnte sogar bis zu 75 % Energie- und ähnliche Emissionseinsparungen erbringen. In Hinblick auf Energieeffizienz und mit dem Vorteil von Nullemission sind reine Elektrofahrzeuge kaum zu übertreffen, aber ihre Einsatzfähigkeit ist aufgrund der Reichweitenanforderungen von Güterverkehren noch eng begrenzt. Die Möglichkeit zur Rekuperation ist sowohl ein Argument für den Einsatz reiner Elektrofahrzeuge als auch von entsprechend ausgerüsteten Hybridfahrzeugen, die eine neuralgische Strecke emissionsfrei zurücklegen können. Nachhaltigkeitsindikatoren Abschließend hat sich die Aufgabe gestellt, nicht nur eine Vergleichbarkeit der Antriebsvarianten in Hinblick auf ihre Reduktionspotenziale innerhalb einer Fahrzeugklasse und einer typischen Logistik-Tour herzustel- 0 100 200 300 400 500 600 700 800 Baseline Reduktion FW Start & Stop P2 HEV (CSGI) P2 HEV (TISG) P2 Plug-In HEV S HEV1 S HEV2 BEV Diesel; 707.3 Diesel; 694.2 Diesel; 570.6 Diesel; 532.9 Diesel; 496.8 Diesel + Strom*; 153.8 Diesel; 388.0 Diesel; 416.9 Strom*; 137.4 CNG; 672.8 CNG; 663.4 CNG; 521.1 CNG; 486.7 CNG; 446.9 CO 2 -Äquivalente Emissionen (gCO 2 -Äq/ km) Verbrauchsreduktionspotentiale durch neue Antriebstechnologien bis 2020 N2 Fahrzeugklasse , Fahrzeuggewicht <12t @ LEH-Tour N2 Bild 8: Emissionsreduktionspotenziale bei einer Lebensmittel-Liefertour mit N2-Fahrzeug nach Antriebsvarianten 9 Tourenkennwerte für N1-, N2- und N3-Fahrzeuge Tour eines Mustertransportlaufes Simulierter Energieverbrauch in Mega-Joule (MJ) Tour eines Mustertransportlaufes Simulierte Emissionsmenge CO 2 -Äquivalente in g/ tkm Fahrzeuggewicht (FzG) Lauflänge der Tour Vollladungsäquivalente Fahrleistung mit Startgewicht Leerfahrtäquivalente Fahrleistung mit Eigenmasse Transportaufwand zur Bedienung der Tour Antriebsbestvariante beim Energieverbrauch Energieverbrauch je Tour (Kontrollrechnung) Verkehrslogistischer Energieverbrauch in MJ pro tkm tourenspezifisches Fahrzeuggewicht Antriebsbestvariante bei der Emissionsmenge Emissionsmenge je Tour (Kontrollrechnung) Emissionsmenge in Gramm pro tkm tourenspezifisches Fahrzeuggewicht 39,1 km 27,4 km mit 3,0 t = 82,20 tkm 11,7 km mit 2,5 t = 29,25 tkm 111,45 tkm N1-KeP-Tour mit elektrofahrzeug (beV) 68,97 MJ/ 39,1 km der Tour = 1,764-MJ/ km 68,97 MJ je Tour/ 111,45-tkm je Tour-= 0,619 MJ/ tkm Fzg N1-KeP-Tour mit elektrofahrzeug (beV) 3.773,15 gCO 2 -Äq / 39,1 km der Tour = 96,50 gCO 2 -Äq/ km 3.773,15 gCO 2 -Äq je Tour: 111,45 tkm je Tour = 33,86 gCO 2 -äq/ tkm Fzg 40,2 km 20,1 km mit 9,35-t = 187,94-tkm 20,1 km mit 4,85-t = 97,49-tkm 285,42-tkm N2-LeH-Tour mit Diesel/ Plug-In-Hybrid P2/ Dual energy Concept 92,82 MJ/ 40,2 km der Tour = 2,309-MJ/ km 92,82 MJ je Tour/ 285,42-tkm je Tour = 0,325 MJ/ tkm Fzg — — — 20,1 km mit 9,55-t = 191,96 tkm 20,1 km mit 5,05 t = 101,51 tkm 293,46-tkm — — — N2-LeH-Tour mit elektrofahrzeug (beV) 5.523,48 gCO 2 -Äq / 40,2 km der Tour = 137,4 g CO 2 -Äq/ km 5.523,48 gCO 2 -Äq je Tour: 293,46 tkm je Tour = 18,82 gCO 2 -äq/ tkm Fzg 36,0 km 18,0 km mit 35,24-t = 634,32-tkm 18,0 km mit 15,24 t = 274,32-tkm 908,64 tkm N3-ZZg-Tour mit Diesel/ P2 (TIsg) Hybrid 451,33 MJ/ 36,0-km der Tour = 12,537 MJ/ km 451,33 MJ je Tour/ 908,64-tkm je Tour = 0,497 MJ/ tkm Fzg N3-ZZg-Tour mit CNg/ P2 (TIsg) Hybrid 28.490,40 gCO 2 -Äq / 36,0 km der Tour = 791,40 gCO 2 -Äq/ km 28.490,40 gCO 2 -Äq je Tour: 908,64 tkm je Tour = 31,35 gCO 2 -äq/ tkm Fzg Tabelle 1: Antriebs-Bestvarianten auf Basis des simulierten Energieverbrauchs und Emissionsausstoßes anhand von Nachhaltigkeitsindikatoren Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 44 LOGISTIK Wissenschaft len, sondern auch Indikatoren für eine übergreifende Bewertung aufzustellen. Denen liegen das sich verändernde Gesamtfahrzeuggewicht (FzG), wenn eine Abschichtung der Zuladung während einer Tour passiert, und die Umrechnung in darauf bezogene Tonnenkilometer für den zu leistenden Transportaufwand zugrunde. Wegen der unterschiedlichen Antriebsenergien wurden der Energieverbrauch in Mega-Joule (MJ) sowie die Emissionsmenge in Gramm CO 2 -Äquivalenten bezogen auf Tonnenkilometer äquivalentem Fahrzeuggesamtgewicht ausgedrückt. Damit liegt eine brauchbare Indikatorentafel zur Evaluierung der Nachhaltigkeit von Transportläufen vor. Nachfolgender Auszug daraus stellt die Antriebs-Bestvarianten je Tour und Nutzfahrzeugklasse im übergreifenden Vergleich dar (Tabelle 1). Fazit und Ausblick Zur Aktivierung der erkannten Reduktionspotenziale können erstens technologische Maßnahmen am Fahrzeug gesetzt werden, die vor allem den Antriebsstrang, die Energiebzw. Kraftstoffversorgung, die Energiespeicherung und den Fahrwiderstand betreffen. Zweitens können die Organisation des logistischen Einsatzes des Fuhrparks und außerdem die unternehmerische Standortpolitik als Quellen und Ziele der Güterverkehrsrelationen zur Verkehrsrationalisierung beitragen. Schließlich tauchen am Zukunftshorizont (teil)automatisierte und vernetzte Verkehrssysteme auf, in denen die Bewegungen der einzelnen Fahrzeuge am Fahrweg untereinander koordiniert ablaufen und im Straßennetz mit dem zeitnahen Verkehrsmanagement interagieren werden. Das wird künftig eine methodische Integration von logistikorganisatorischen, verkehrsplanerischen und fahrzeugtechnischen Zugängen erfordern, um eine nachhaltigere Gestaltung der Gütermobilität zu realisieren. Ein solcher interdisziplinärer Brückenschlag kann mit dem Oberbegriff „Intelligente Verkehrslogistik“ trefflich bezeichnet werden. ■ 1 Das Projekt EFLOG - Neue Fahrzeugtechnologien und ihre Effekte auf Logistik und Güterverkehr - wurde als Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung für das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) durchgeführt. Am Forschungskonsortium haben das Ziviltechnikerbüro arp-planning.consulting.research (Wien), die AVL List GmbH (Graz), der Fachbereich Verkehrssystemplanung am Department für Raumplanung der Technischen Universität Wien und EnergyComment (Hamburg) mitgewirkt. Der Ergebnisbericht [1] ist als Download unter dem Link verfügbar: http: / / www.bmvit.gv.at/ service/ publikationen/ innovation/ mobilitaet/ downloads/ eflog.pdf 2 Die Aufbereitung der Input-Daten erfolgte nach dem methodischen Konzept der Graphentheorie (Grundlegendes bei [2]), die in der Touren- und Verkehrsnetzplanung breite Verwendung findet. Beispiele für die Attributierung von Verkehrsgraphen für Branchenverkehre wurden dargelegt in [3]. 3 Dabei wurde auf Auswertungen der UNECE-Zählungen 2010 für das Land Wien mit 96 Zeitschnitten in 24 Stunden (viertelstündliche Änderung der Verkehrsstärken) zurückgegriffen (Quelle: [4]). 4 Ausgehend vom klassischen Ansatz der Stufen A (freier Verkehrsfluss) bis F (stockender Verkehr), wurden, da Nutzfahrzeuge über 3,5 t Gesamtgewicht ohnehin mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung belegt sind und daher den Level of Service A nicht in gleicher Weise nützen können wie Pkw, die Stufen A+B zu A*, C+D zu C* und E+F zu E* zusammengefasst. 5 Zur Strukturierung der Entscheidungszusammenhänge hat sich das Konzept der (drei) Settings bewährt (siehe [5]). 6 Als repräsentativ anzusehende Referenzstrecke wurde nach einem Screening von 22 Umland-Kernstadt-Straßenzügen mit hohem LKW-Anteil die Zulaufroute vom Wirtschaftspark Industriezentrum Niederösterreich Süd an der A2 bis in den gründerzeitlichen Wiener Außenbezirk Ottakring gewählt. 7 Eine Orientierungshilfe bot das Highway Capacity Manual, 2000, table 15-3 und 15-4 [6], das dazu den Indikator „Bandbreite der freien Fließgeschwindigkeit“ (Range of free-flow speeds - FFS) in Abhängigkeit vom Verkehrszustand Level of Service (LoS) und von der vierstufigen Straßenkategorie Urban Street Class ausführt. Adaptionen in Hinblick auf heimische Straßennetzbedingungen waren allerdings vorzunehmen. 8 Je nach Hybridisierungsgrad der Antriebsvariante wurde z.B. beim N2-Fahrzeug für den simulierten Einsatzzweck ein maximaler Leistungsbedarf des Elektromotors von 160 kW festgelegt, womit das Rekuperationspotenzial zu rd. 2/ 3 ausgeschöpft werden kann. Dadurch kann das Batteriegewicht in zweckmäßigen Grenzen gehalten werden. 9 Die dargestellten Maßnahmen bzw. Antriebsvarianten sind: FW = Fahrwiderstand als Summe von Luft- und Rollwiderstand P2 HEV = Hybrid Electric Vehicle (Hybridfahrzeug) mit Kupplung zwischen Verbrennungskraftmaschine und Elektromaschine CSG = Crankshaft Starter Generator (Kurbelwellen-Starter-Generator) TISG = Transmission Integrated Starter Generator (getriebeintegrierter Startergenerator) S HEV 1 = Serielles Hybridfahrzeug im Bestpunkt-Betrieb: die Verbrennungskraftmaschine dient als Generator und wird bei konstanter Leistung im verbrauchsoptimalen Betriebspunkt betrieben. Dazu wird eine größere Batterie zur Pufferung benötigt. S HEV 2 = Serielles Hybridfahrzeug im Linien-Betrieb: die Leistung der Verbrennungskraftmaschinen wird kontinuierlich an die geforderte Antriebsleistung des Elektromotors angepasst und kann dadurch nicht nur im verbrauchsoptimalen Betriebspunkt betrieben werden. BEV = Battery Electric Vehicle (reines Elektrofahrzeug) LITeRATuR [1] EFLOG - Neue Fahrzeugtechnologien und ihre Effekte auf Logistik und Güterverkehr; Forschungs- und Entwicklungsprojekt des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). Ergebnisbericht als Download verfügbar unter http: / / www.bmvit.gv.at/ service/ publikationen/ innovation/ mobilitaet/ downloads/ eflog.pdf [2] Diestel: Graphentheorie, Heidelberg 2006 [3] Dörr, Hörl, Pöchtrager: Friendly Supply Chains, IVS-Schriften Bd. 35, Wien 2010, 56 ff. [4] Käfer-Verkehrsplanung: Straßenverkehrszählung Wien 2010, Auswertung Gemeindestraßen A+B, Wien 2011 [5] Dörr, Frank, Tesar: Gewandelte Bedingungen für die Allokation von Transportläufen im Verkehrssystem, Jahrbuch Logistik 2007, 42 ff, Korschenbroich [6] Transportation Research Board - National Academies of Sciences (2000, 2010): Highway Capacity Manual 4th resp. 5th Edition, Washington Yvonne Toifl, B.Sc. Raumplanerin, arp-planning. consulting.research, Wien yvonne.toifl@arp.co.at Arno Huss, Dipl.-Ing. Dr. Fachexperte Hybrid und Systemsimulation, AVL List GmbH, Graz arno.huss@avl.com Heinz dörr, Dipl.-Ing. Dr. Beratender Ingenieur für Raumund-Verkehrsplanung, arp-planning. consulting.research, Wien heinz.doerr@arp.co.at Peter Prenninger, Dipl.-Ing. Dr. Manager Research Future Technologies, AVL List GmbH, Graz peter.prenninger@avl.com
