Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0019
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Akzeptanz der E-Mobilität nur über Emotionen erreichbar
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Kerstin Zapp
Stefan Schmerbeck
Der VW-Konzern hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Nicht nur die Fahrzeuge sollen immer umweltfreundlicher werden, sondern auch ihre Produktion. Wie genau der Autobauer dies erreichen will und welche Unterstützung wünschenswert wäre, erfragte Kerstin Zapp bei Dr. Stefan Schmerbeck, zuständig für Zukunftstechnologien, Antriebskonzepte und Energie im Bereich Konzern-Außen- und -Regierungsbeziehungen der Volkswagen AG.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 58 MOBILITÄT Interview Stefan Schmerbeck Akzeptanz der E-Mobilität nur über Emotionen erreichbar Der VW-Konzern hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Nicht nur die Fahrzeuge sollen immer umweltfreundlicher werden, sondern auch ihre Produktion. Wie genau der Autobauer dies erreichen will und welche Unterstützung wünschenswert wäre, erfragte Kerstin Zapp bei Dr. Stefan Schmerbeck, zuständig für Zukunftstechnologien, Antriebskonzepte und Energie im Bereich Konzern-Außen- und -Regierungsbeziehungen der Volkswagen AG. Herr Dr. schmerbeck, Vw will bis zum Jahr 2018 gegenüber 2010 um 25 % pro produzierter einheit umweltfreundlicher fertigen. was heißt das genau? Eines der Unternehmensziele der Volkswagen AG ist die Nachhaltigkeit. Effiziente Fahrzeuge sollten aus einer effizienten Produktion kommen. Zudem ist es unser Ziel, in 2018 zum ökologischsten Hersteller im Wettbewerb zu werden. Unser Ansatz dazu heißt „Think blue“. Dabei wollen wir bis 2018 die Umweltbelastung, die durch die Produktion jedes Fahrzeugs und Komponententeils entsteht, senken, und zwar um 25 % gegenüber 2010. Dies gilt für Wasser- und Energieverbrauch, anfallenden Abfall und die entstehenden CO 2 -Emissionen bis hin zum Lösungsmittelverbrauch. Bei „Think blue“ greifen viele unterschiedliche Maßnahmen an unseren Standorten ineinander. welche Maßnahmen stecken dahinter? Vor allem der Einsatz erneuerbarer Energien: In Chattanooga, Tennessee, produzieren wir beispielsweise seit Januar 2013 unseren eigenen Strom. 33 600 Solarmodule mit 3,1- Megawattstunden decken zwischen 12,5- und 100 % des Energiebedarfs des Werks. Auch die Raumklimatisierung ist ein Beispiel: Die Pfähle der Karosseriehalle in unserem Werk in Emden leiten Kälte aus der Erde in das Kühlwasser der Schweißanlagen. Dort erhitzt sich das Wasser und fließt wieder zurück in die Pfähle - ein Kreislauf ganz im Sinne von „Think Blue“. Ähnlich effizient erwärmen wir auch die Fußbodenheizung unseres Logistikzentrums, nämlich mit Fernwärme aus einem Biomassekraftwerk. Bedeutet: weniger CO 2 -Emissionen. Ihr Konzern hat sich als einer der ersten Automobilhersteller dazu bekannt, bis 2020 das von der eu für Neufahrzeuge festgelegte emissionsziel von im Flottendurchschnitt 95 g CO₂/ km zu erreichen. wie werden sie das schaffen? Das ist eine echte Herausforderung! Einerseits muss das Gesamtfahrzeug, etwa in Bezug auf Gewicht und Aerodynamik, optimiert werden. Dann sind vor allem die Antriebe weiter zu verbessern. Dabei kommt den alternativen Antrieben eine besondere Bedeutung zu. Volkswagen hat sich mit dem so genannten „modularen Querbaukasten“ darauf eingestellt. Der Baukasten enthält alle Varianten von möglichen Antrieben: hoch effiziente Verbrennungsmotoren (Diesel, Otto und Erdgas), Hybride, Plug-In-Hybride, reine Batteriefahrzeuge und sogar die Brennstoffzelle, deren Serieneinsatz aufgrund der fehlenden Infrastruktur noch einige Jahre auf sich warten lassen wird. Zur Erreichung der Flottenziele wird die Nutzung von elektrifizierten Antrieben zu einer elementaren Voraussetzung. Jedoch bringt ein reines E-Fahrzeug zu erschwinglichen Kosten auch Änderungen im Mobilitätsangebot mit sich. So bietet ein E-Fahrzeug mit einer Reichweite von rund 200 km eher Mobilität in einem urbanen Umfeld. Hier können die Vorteile der lokalen Emissionsfreiheit und die attraktive Fahrdynamik genutzt werden. Um die gewohnte Langstreckentauglichkeit mit den Vorteilen der E-Mobilität zu kombinieren, setzt Volkswagen auf Plug-In-Hybride. Ein Volkswagen GTE hat eine elektrische Reichweite von etwa 50 km. Gleichzeitig ist im GTE ein hocheffizienter TSI-Motor für die Langstreckenmobilität verbaut. Zusammen kann so ein Systemdrehmoment von 350 Nm erreicht werden. Für Volkswagen steht fest, dass E-Mobilität hoch emotional sein muss und wir nur so den Kunden überzeugen können, sie zu nutzen. was bedeutet hier „hoch emotional“? Die Emotionalität zeigt sich hier im nahezu lautlosen Fahren mit hohem Drehmoment oder im hochdynamischen Fahren mit hoher Systemleistung und Reichweite. Wir sind überzeugt, dass diese Aspekte Kunden anziehen. wie weit können die CO₂-emissionen von Verbrennungsmotoren denn noch reduziert werden? Auch die heute schon hoch effizienten Verbrennungsmotoren werden künftig noch besser. Über neue und aufeinander abgestimmte Technologien wie etwa Aufladung, Einspritzung, variable Verdichtung, Zylinderabschaltung und Reibungsreduzierung sind auch weiterhin Effizienzverbesserungen zu erreichen. Der TDI Blue Motion ist heute für die Langstrecke der effizienteste Antrieb und beim Wechsel zu unserer neuesten Fahrzeuggeneration konnten wir 15 % effizienter werden - diese Steigerung wollen wir auch künftig erreichen. Martin winterkorn hat einmal gesagt: „Jedes gramm CO₂, das wir in europa in der Flotte einsparen, kostet unseren Konzern fast 100 Mio. euR.“ Lohnt es sich überhaupt noch, hier weiterzuentwickeln? Die individuelle Mobilität spielt in unserer Gesellschaft eine große Rolle. Daher sind weitere Anstrengungen bei der Steigerung der Effizienz lohnenswert. Effiziente Antriebe helfen, die Klimaschutzziele zu erreichen, und sind gleichzeitig ein Differenzierungsmerkmal. Volkswagen hat allein 2013 rund 10 Mrd. EUR in Forschung und Entwicklung investiert. Es geht hier auch um den Erhalt und die Stärkung des Industriestandorts Deutschland. Wichtig für eine künftige gesamthafte CO 2 -Betrachtung ist jedoch auch der verwendete Kraftstoff. Daher demonstriert der Konzern beispielsweise im Emsland die Produktion von so genanntem E-Gas (Erdgas/ Methan) aus „grünem“, also erneuerbarem Strom. es sind ja bereits noch strengere werte- für CO₂-emissionen im Neuwagenflottendurchschnitt nach 2020 im gespräch. wie wäre das Ihrer Meinung nach zu schaffen? Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 59 Interview Stefan Schmerbeck MOBILITÄT Bereits die CO 2 -Gesetzgebung für 2020 stellt uns vor große Aufgaben. Für die Zielerreichung in 2020 spielt wie gesagt die E-Mobilität eine entscheidende Rolle. Es muss uns gelingen, Deutschland zu einem Leitmarkt der E-Mobilität und zu einem Leuchtturm für Europa zu entwickeln. Jedes CO 2 -Ziel nach 2020 muss über eine maßgebliche Erhöhung der Elektrifizierung erreicht werden und wir müssen hier erst schauen, wie sich die Kundenakzeptanz entwickelt. Erst dann können wir weitere Ziele im Dialog mit der Politik diskutieren. wie könnte denn die Kundenakzeptanz von e-Fahrzeugen weiter angekurbelt werden? Änderungen im Verhalten bedürfen Zeit. Die Kunden müssen Erfahrungen sammeln und Vertrauen aufbauen können. Die E-Mobilität darf keine Wünsche offen lassen: Sie muss Spaß machen, die gewohnten Kundenbedürfnisse erfüllen und natürlich bezahlbar sein. Unsere Batteriefahrzeuge und Plug-In-Hybride erfüllen diese Ansprüche. Der Dieselmotor wurde auch erst zum Erfolg, als zur Wirtschaftlichkeit die Sportlichkeit in Form attraktiver Dynamik hinzukam. Gleichzeitig muss die Ladeinfrastruktur flächendeckender werden. Wir brauchen zum Beispiel Schnellladestationen entlang der europäischen Autobahnen. Hier hat Bundesverkehrsminister Dobrindt mit den 400 CCS-Ladesäulen entlang der Autobahnen für Deutschland ein erstes richtiges Zeichen gesetzt. Auch beim Neubau von Garagen und Parkplätzen muss die Einplanung von Ladepunkten selbstverständlich werden. Einige Anreize für die E-Mobilität werden mit dem ersten Teil des E-Mobilitätsgesetzes umgesetzt werden. Im zweiten Teil des E-Mobilitätsgesetzes muss im Besonderen der Ausbau der Infrastruktur berücksichtigt werden. Auch eine Sonderabschreibung kann hier Impulse setzen. Nur mit ausgereiften Fahrzeugen und einer existierenden Infrastruktur wird die E- Mobilität erfolgreich und das politische Ziel von 1 Mio. E-Fahrzeugen in Deutschland bis 2020 zu erreichen sein. welche Möglichkeit gibt es Ihrer Meinung nach, um die Kunden generell hin zu energieeffizienteren Fahrzeugen zu lenken? Volkswagen stellt den Kunden attraktive Mobilitätsangebote zur Verfügung: vom XL1 über hoch effiziente Verbrennungsmotoren bis hin zu reinen E-Fahrzeugen. Die Verbreitung alternativer Antriebe ließe sich sicher durch einige Maßnahmen unterstützen. Über die E-Fahrzeuge haben wir ja gerade gesprochen. Doch neben der E-Mobilität ist auch der Erdgasantrieb (CNG) in der europäischen Direktive „Clean-Power for Transport“ als alternativer Antrieb definiert. Bei der Nutzung von Erdgas können bis zu 25 % CO 2 mit modernen TGI-Motoren eingespart werden. Zudem liegt der Anteil von Biomethan bereits heute bei 20 % des im Verkehr genutzten Erdgases in Deutschland. Über die Power-to- Gas-Technologie könnte auch aus „grünem“ Strom nachhaltiges Erdgas hergestellt werden. Die Umsetzung der reduzierten Energiesteuer auf Erdgas nach 2018 und eine kundentransparente Preisauszeichnung - etwa als EUR pro Liter Benzinäquivalent - an der Tankstelle würden den Absatz von Erdgasfahrzeugen fördern. was halten sie davon, Kraftstoffe in den europäischen emissionshandel einzubeziehen? Für uns als Automobilhersteller wird die weitere Effizienzsteigerung der Fahrzeuge im Fokus bleiben - das ist unsere Kernaufgabe! Unser Bilanzrahmen ist das Auto und damit die Bilanzierung Tank-to-Wheel. Um jedoch künftig eine CO 2 -neutrale und nachhaltige Mobilität erreichen zu können, müssen auch die Energieträger einen Beitrag leisten. Das Instrument des Emissionshandels könnte ein Instrument zur Dekarbonisierung sein. Hier liegt die Verantwortung bei der Mineralöl- und Energieindustrie. Zudem kann über dekarbonisierte Kraftstoffe auch der CO 2 -Ausstoß der Bestandsflotte gesenkt werden. wie müsste die Politik künftig handeln, um die energiewende im Verkehr voranzubringen? Für die Industrie sind verlässliche, langfristige Rahmenbedingungen notwendig. Gleichzeitig gilt es, auch künftige Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Anfänglich ist es hilfreich, neue Technologien zu fördern. Nach einer gewissen Zeit muss sich aber jeder technologische Ansatz aus eigener Kraft gegenüber anderen Technologien behaupten. Volkswagen hat sich zur E-Mobilität und damit zu einer Energiewende im Verkehr bekannt und entsprechende Produkte wie den e-up und den e-Golf in die Serie gebracht. Auf dem Weg hin zur Energiewende sind die Bezahlbarkeit der E-Technologie, der Erhalt der hohen Emotionalität und der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur zu leisten. Das ist nur im Zusammenspiel mit der Politik zu schaffen, etwa durch eine Änderung der Bauordnung. ■ Dr. Stefan Schmerbeck , wurde am 7.-Mai-1975 in Lüdenscheid geboren. Er studierte bis 2001 Maschinenbau an der Ruhr-Universität in Bochum mit der Fachrichtung Energie und Verfahrenstechnik zum Dipl.-Ing. Im Jahr 2008 beendete er seine Doktorarbeit an der Fakultät Maschinenbau der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg über dieselmotorische, hybride Brennverfahren. Als Dr.-Ing. hat Stefan Schmerbeck seit 2001 in der Volkswagen- Konzernforschung für Antriebe gearbeitet. In 2007 übernahm er die Verantwortung für neue dieselmotorische Brennverfahren. Ab 2010 war er verantwortlich für zukünftige Kraftstoffe und Energieträger in der Konzernforschung. Im Jahr 2012 wechselte er in die Konzern-Außen- und -Regierungsbeziehungen der Volkswagen AG und ist dort zuständig für die Themen Zukunftstechnologie, Antriebskonzepte und Energie. ZUR PERSON
