Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0020
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Intelligenz auf Rädern
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Kerstin Zapp
Automatische Steuerungssysteme sind bei vielen Verkehrsmitteln längst Standard. Linienpiloten überlassen die meisten Tätigkeiten der Elektronik und greifen allenfalls bei Start und Landung selbst zum Steuerknüppel. Gleiches gilt auf offener See, und manche Schienenfahrzeuge sind bereits gänzlich fahrerlos unterwegs. Auch die Automobilindustrie bietet zunehmend intelligente Assistenzsysteme für ihre Produkte und arbeitet weltweit an fahrerlosen Fahrzeugen. Doch bis zur Einführung sind noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Eine Bestandsaufnahme.
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Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 60 TECHNOLOGIE Automatisiertes Fahren Intelligenz auf Rädern Autonomes Fahren, Assistenzsysteme, Car2Car-Kommunikation, Vehicle2Infrastructure Automatische Steuerungssysteme sind bei vielen Verkehrsmitteln längst Standard. Linienpiloten überlassen die meisten Tätigkeiten der Elektronik und greifen allenfalls bei Start und Landung selbst zum Steuerknüppel. Gleiches gilt auf offener See, und manche Schienenfahrzeuge sind bereits gänzlich fahrerlos unterwegs. Auch die Automobilindustrie bietet zunehmend intelligente Assistenzsysteme für ihre Produkte und arbeitet weltweit an fahrerlosen Fahrzeugen. Doch bis zur Einführung sind noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Eine Bestandsaufnahme. Die Autorin: Kerstin Zapp D avon träumt so mancher Autofahrer: Mein Auto holt mich an der Haustür ab, hat meinen Terminkalender im Smartphone abgefragt und weiß deshalb schon, wo es mich hinbringen soll. Ich bestelle unterwegs kurz ein Geburtstagsgeschenk im Internet und checke entspannt meine Mails. Das Auto setzt mich am gewünschten Ort ab und sucht sich selbst einen Parkplatz. Oder es fährt - wenn es nicht der eigene Wagen ist, sondern ein „Car on demand“ - weiter zum nächsten Kunden. Aus der Kutsche ohne Pferd soll also die Kutsche ohne Kutscher werden. Bis allerdings überall auf deutschen Straßen die Mobile autonom unterwegs sind, werden noch einige Jahrzehnte vergehen. Fahrzeughersteller wie Zulieferer sind derzeit damit beschäftigt, die bereits existierenden Assistenz- und Sicherheitssysteme zu verfeinern, miteinander zu koppeln und neue zu entwerfen sowie die Kommunikation zwischen den Autos untereinander (Car2Car) und zwischen den Fahrzeugen und der Infrastruktur (Vehicle2Infrastructure) zu verbessern. Neue Radarsensoren für die 360-Grad-Rundumsicht sind zu entwickeln, Laserscanner, 3-D-Kameras, Infrarotkameras und Ultraschallsensoren, Antennen, Steuergeräte und Bildverarbeitungssysteme sind für den Fahrzeugeinsatz zu optimieren, gegen Wettereinflüsse und Schmutz zu wappnen und in einer Sensordatenfusion zusammenzuführen. Software muss die gesammelten Daten auswerten und Algorithmen für korrekte Entscheidungen berechnen. Von assistiert bis autonom Die Entwicklung hin zum autonomen Fahren läuft über verschiedene Schritte: An erster Stelle steht das Fahren mit Assistenzsystemen wie etwa ABS, Fernlicht- und Notbremsassistent oder Nachtsichtsystem. Das ist bereits heute erlaubt und wird von fast allen Herstellern angeboten. Auch das teilautomatisierte Fahren mit der nächsten Generation von Assistenzsystemen, die die Fahrzeuglängs- und -querführung übernehmen, ist fast schon Alltag: Zum teilautomatisierten Fahren rechnet man Systeme wie Lenk- und Stau-Assistenten oder Park-Assistenten, die selbstständig rückwärts einpar- Studie F 015 Luxury in Motion Foto: Daimler AG Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 61 Automatisiertes Fahren TECHNOLOGIE ken. Die verschiedenen Automatisierungsstufen (Bild 1): • Assistiertes und teilautomatisiertes Fahren - etwa mit den genannten Assistenzsystemen - erfordert die dauerhafte Überwachung durch den Fahrer. • Hochautomatisiertes Fahren erlaubt in bestimmten Anwendungsszenarien, dass der Fahrer das System nicht mehr ständig überwachen muss. • Vollautomatisiertes Fahren entlastet den Fahrzeuglenker zumindest in bestimmten Anwendungsfällen von der Pflicht, als Rückfallebene zur Verfügung zu stehen. In dieser Zeit kann er andere Tätigkeiten ausführen, doch welche? Einschlafen darf er sicher nicht, denn er muss sofort wieder voll konzentriert das Steuer übernehmen können, wenn sich die Fahrsituation ändert. • Autonomes Fahren dagegen macht das Eingreifen eines Fahrzeugführers unnötig: Es ist vollautomatisiertes Fahren während der gesamten Fahrt, nicht nur in bestimmten Situationen. Autonome Fahrzeuge müssen nicht einmal mehr ein Lenkrad besitzen - so das im Sommer 2014 vorgestellte Google Car. Der neue Prototyp, den Google im Dezember 2014 präsentiert hat, ist allerdings wieder mit Lenkrad und Bremse ausgerüstet. Von ihm will Google 150 Exemplare bauen und demnächst auf öffentlichen Straßen in Kalifornien testen. Bei allen Stufen des assistierten und des automatisierten Fahrens muss der Fahrer also weiterhin eingreifen können und ist rechtlich voll und ganz für den Fahrvorgang verantwortlich. Nach dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr (siehe Infobox, [1]) ist autonomes Fahren nur auf einigen abgesperrten Teststrecken erlaubt [2].Technisch allerdings sind die meisten Hürden genommen, mehrere Autobauer lassen Testfahrzeuge bereits selbstständig fahren. Schon im Jahr 2005 gewann Volkswagen mit dem „Stanley“, einem mit Sensoren, GPS-System und Kameras aufgerüsteten VW Touareg der Stanford University die „DARPA Grand Challenge“, ein Rennen zwischen autonomen Fahrzeugen quer durch die Mojave-Wüste (Bild 2). Renault-Nissan kündigte an, von 2020 an ein autonom fahrendes Serienauto im Repertoire zu haben - erst im Januar gaben Nissan und die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA ein Programm zur gemeinsamen Forschung und Entwicklung autonomer Fahrzeugsysteme bekannt. Audi präsentierte auf der Elektronikmesse CES 2015 in Las Vegas einen A7, der zuvor 900 km vollautomatisch in den USA zurückgelegt hat. Daimler zeigte auf der CES die Studie F 015, bei der die Vordersitze während der Fahrt um 180 Grad gedreht werden können - trotzdem sind noch Lenkrad, Brems- und Gaspedal vorhanden. Und mit dem „Future Truck“ hat Daimler bereits im Sommer 2014 bewiesen, dass hoch- und vollautomatisiertes Fahren auch für schwere Nutzfahrzeuge möglich ist (Bild 3). Vorzüge und Nachteile Herausforderungen sind rechtliche Fragen etwa zur Haftung ebenso wie Datenschutzaspekte [3]. Es fehlt zudem noch hochwertiges digitales Kartenmaterial, das möglichst minutengenau die aktuelle Verkehrslage mit aufnimmt. Dazu kommen Kosten, Haltbarkeit und Verlässlichkeit der Systeme. So sind zum Beispiel Lösungen zur Beobachtung des Fahrers auf Unaufmerk- Bild 1: Die verschiedenen Stufen des automatisierten Fahrens Grafik: VDA Bild 2: Ein autonom fahrender VW Touareg gewann 2005 das Wüstenrennen „DARPA Grand Challenge“. Foto: ampnet AuF eINeN bLICK Automatisch fahren: Die Rechtslage Auf Basis des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr (WÜ) von 1968, auch als Wiener Straßenverkehrskonvention bezeichnet, gestattet die UN/ ECE-Regelung R 79 für automatisierte Lenkanlagen zwar korrigierende Lenkeingriffe, jedoch kein automatisches Lenken bei Geschwindigkeiten über 10-km/ h. Das machen sich Park- und Stauassistenten zunutze, sie bleiben unter der genannten Geschwindigkeit [5, 6]. Ein Expertenausschuss der Vereinten Nationen hat 2014 das WÜ ergänzt und damit die Basis für die Legalisierung des automatisierten Fahrens geschaffen: Entsprechende Systeme sollen künftig zulässig sein, wenn sie jederzeit vom Fahrer abgeschaltet oder übersteuert werden können. In deutsches Recht ist die Regelung allerdings noch nicht umgesetzt worden. Eine ausführliche Analyse dazu siehe [2]. Internationales Verkehrswesen (67) 1 | 2015 62 TECHNOLOGIE Automatisiertes Fahren samkeitssignale hin oder die Interpretation von Mimik und Gestik anderer Verkehrsteilnehmer durch Maschinen technisch noch nicht wirklich ausgereift. Darüber hinaus ist abzusehen, dass manche Fahrer die Systeme nicht akzeptieren werden, weil sie den Verlust von Fahrspaß, aber auch von Kontrolle befürchten: Schließlich vertrauen sie ihr Leben einem technischen System an, dessen Zuverlässigkeit sie nicht beurteilen können, weil sie es nicht mehr vollständig verstehen. Neben besserem Umweltschutz durch gleichmäßigeres Fahrverhalten könnten jedoch automatisiertes und (teil-)autonomes Fahren, bei denen die Fahrzeuge untereinander sowie mit der Infrastruktur kommunizieren, vor allem Sicherheitsvorteile bringen: Unter anderem könnten Unfall- und Stauzahlen sinken, Verkehrsregeln würden strikt eingehalten, ältere Menschen hätten die Möglichkeit zu längerer Mobilität und sozialer Teilhabe (siehe [4]) und hoch mobile Menschen könnten ihre Fahrzeit im Auto gefahrlos für andere Aktivitäten nutzen. Zuvor sind jedoch noch umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nötig, wie der eNOVA Strategiekreis Elektromobilität, eine Allianz relevanter Industrieunternehmen aus Automotive-Schlüsselbranchen, in seinem aktuellen Positionspapier vermerkt [5]. Nach Meinung der Experten sind neben Aktivitäten in den Bereichen adaptives Power- und Reichweitenmanagement sowie automatisiertes Parken und Laden auch Verbesserungen beim kooperativen Fahren sowie Karten- und Navigationsservices erforderlich. Dazu kommt eine umfassende Roadmap für die Fahrzeugautomatisierung an sich, die Anstrengungen von Wissenschaft und Industrie bündelt und auch als Grundlage für entsprechende Förderprogramme dienen könnte. Wesentliche Fragen noch ungeklärt Sicher ist, dass die Automatisierung von Straßenfahrzeugen weiter zunimmt. Dennoch bleiben etliche wesentliche Fragen offen. Einerseits sollen die verschiedenen Stufen des automatisierten Fahrens die Verkehrssituation sicherer machen. Andererseits muss der Mensch weiterhin eingreifen können [6] - er muss dies aber auch vermögen. Wird das noch mit Sicherheit möglich sein, wenn die tägliche Fahrroutine entfällt, jedoch beim Eingreifen ausgerechnet in komplexen Situationen diese Erfahrung lebensnotwendig wäre? Zudem werden auf absehbare Zeit sehr unterschiedlich ausgestattete Fahrzeuge gleichzeitig unterwegs sein. Niemand kann also beispielsweise auf Notbremsassistenten anderer Verkehrsteilnehmer zählen, und wer beim Carsharing mit verschiedenen Fahrzeugen unterwegs ist, muss sich noch penibler als heute mit den installierten Automatikfunktionen vertraut machen. Ob sich wohl jeder Fahrer ständig bewusst sein kann, welche Sicherheitsausstattung das gerade gefahrene Auto bietet? Ist der Mensch dann - in fernerer Zukunft - im autonom fahrenden Fahrzeug endlich von jeglicher Fahrverantwortung entbunden, muss die Software des Autos auch in Gefahrensituationen zuverlässig und sicher entscheiden. Dies wird auch bedeuten, dass die Software entscheidet, ob das Fahrzeug einem auf die Fahrbahn gestürzten Radfahrer ausweicht - womöglich einen Abhang hinunter oder in eine Menschengruppe an einer Bushaltestelle - oder ob es weiter auf den Radfahrer zu hält. Zugleich muss Datensicherheit gewährleistet sein, denn abgesehen vom Schutz der Privatsphäre des Autofahrers ist sicherzustellen, dass die Elektronik der Fahrzeuge nicht „gehackt“ und gestört oder ferngesteuert werden kann. In technischer und rechtlicher Hinsicht sind derzeit also wesentliche Fragen noch ungeklärt. Immerhin will Verkehrsminister Alexander Dobrindt auf der Autobahn 9 in Bayern schon mal eine Teststrecke für zunächst Autos mit Assistenzsystemen und später auch vollautomatisierte Fahrzeuge einrichten. ■ LITeRATuR [1] Convention on Road Traffic. Vienna, 8 November 1968; https: / / treaties.un.org/ doc/ Treaties/ 1977/ 05/ 19770524%2000-13%20AM/ Ch_ XI_B_19.pdf (Abruf am 28.01.2015) Deutsche Fassung: http: / / www.admin.ch/ opc/ de/ classified-compilation/ 19680244/ index.html (Abruf am 28.01.2015) [2] Lutz, L; Tang, T.; Lienkamp, M.: Analyse der rechtlichen Situation von teleoperierten (und autonomen) Fahrzeugen. Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik, Technische Universität München; www.ftm.mw.tum. de/ uploads/ media/ 07_Lutz.pdf (Abruf am 20.01.2015) [3] Fasse S.: Recht bremst autonomes Fahren in Europa aus, In: VDI Nachrichten, Ausgabe Nr. 44, 31.10.2015; http: / / www.vdi-nachrichten.com/ Technik-Wirtschaft/ Recht-bremst-autonomes-Fahren-in- Europa (Abruf am 20.01.2015) [4] ADAC (Hrsg.): Mobilitätsoptionen Älterer im ländlichen Raum; http: / / www.adac.de/ _mmm/ pdf/ fv_mobilitaet_laendlich_ gipp_14_220274.pdf (Abruf am 28.01.2015) [5] eNOVA Strategiekreis Elektromobilität: Automatisiertes Fahren - Chancen für die Elektromobilität, Positionspapier Version 1.0, 29. 01. 2014; www.strategiekreis-elektromobilitaet.de/ public/ files/ enovapositionspapier-automatisiertes-fahren (Abruf am 20.01.2015) [6] Bewersdorf, C.: Zur Vereinbarkeit von nicht-übersteuerbaren Fahrerassistenzsystemen mit dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr vom 8. November 1968, NVZ 2003, S. 266-271 Kerstin Zapp Freie Fachjournalistin Logistik - Mobilität - Energie, Hamburg kerstin.zapp@zapp4media.de „Wer nur an die Technik denkt, hat noch nicht erkannt, wie das autonome Fahren unsere Gesellschaft verändern wird.“ dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender Daimler AG Bild 3: Zur IAA Nutzfahrzeuge 2014 präsentierte Mercedes-Benz den „Future Truck 2025“ als ersten autonom fahrenden LKW der Welt. Foto: Daimler AG
