Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0034
51
2015
672
Welthandel wächst weiter
51
2015
Hans Michael Kloth
Jarl Kauppila
Mit der erwarteten Zunahme des Welthandels und der Verschiebung der internationalen Handelsströme wird sich das Frachtvolumen bis 2050 weltweit vervierfachen, zeigen neue Modellrechnungen des International Transport Forum der OECD. Dieses Wachstum stellt die Verkehrssysteme vor große Herausforderungen – von Kapazitätsengpässen bis zu CO2-Emmissionen.
iv6720014
POLITIK Transportprognose 2050 Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 14 Welthandel wächst weiter Vervierfachung des globalen Frachtverkehrs bis 2050 fordert Verkehrssektor heraus Welthandel, Frachtvolumen, Globalisierung, Prognose 2050 Mit der erwarteten Zunahme des Welthandels und der Verschiebung der internationalen Handelsströme wird sich das Frachtvolumen bis 2050 weltweit vervierfachen, zeigen neue Modellrechnungen des International Transport Forum der OECD. Dieses Wachstum stellt die Verkehrssysteme vor große Herausforderungen - von Kapazitätsengpässen bis zu CO 2 -Emmissionen. Die Autoren: Hans Michael Kloth, Jari Kauppila J ahr für Jahr legt das International Transport Forum der OECD in Paris mit dem ITF Transport Outlook eine groß angelegte makroökonomische Untersuchung über die weltweite Entwicklung des Verkehrssektors für die kommenden Jahrzehnte vor. Als verkehrspolitischer Think Tank für 54 Mitgliedsstaaten geht es dem ITF - der einzigen intergouvernementalen Organisation mit einem weltweiten Mandat für alle Verkehrsträger - darum, grundlegende Entwicklungen aufzuzeigen, unterschiedliche Zukunftsszenarien auszuloten und politischen Entscheidern in den Mitgliedstaaten Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Der aktuelle ITF Transport Outlook widmet sich schwerpunktmäßig dem dramatischen Wandel des Welthandels und den daraus resultierenden Entwicklungen für den Verkehrssektor. Der globale Güteraustausch wird laut Prognosen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), zu der das ITF administrativ gehört, bis 2050 um den Faktor 3,4 zunehmen. Das allein deutet schon auf die zusätzlichen Anforderungen, die dem Verkehrssektor bevorstehen. Das Prognosemodell der OECD erfasst den Welthandel nur wertmäßig, nicht das damit verbundene Frachtvolumen, und ermöglicht deshalb nur grob gerasterte Aussagen zu verkehrspolitischen Fragestellungen. Um dem abzuhelfen, haben die ITF-Experten für ihren Ausblick 2015 ein ökonometrisches Modell entwickelt, mit dem sie die physischen Bewegungen von Handelsgütern rund um den Globus deutlich realistischer abbilden können. Die zentrale Aussage der Berechnungen aus dem „ITF International Freight Model“: Die durch den wachsenden Welthandel ausgelösten Verkehre, gemessen in Tonnen-Kilometer (tkm), werden zwischen 2010 und 2050 um den Faktor 4,3 oder reichlich das Vierfache zunehmen - und damit noch deutlich stärker, als der wertmäßige Anstieg des Welthandels (Bild 1). Vom Handelswert zum Frachtvolumen Wie funktioniert das „ITF International Freight Model“, das auf dem Transportation Research Board in Washington im Januar mit einem Preis gewürdigt wurde? Aubauend auf dem OECD-Welthandelsmodel, ergänzt es dieses um mehrere zusätzliche Informationsebenen, die es erlauben, monetäre Güterwerte in Tonnen-Kilometer umzurechnen, die Frachtvolumen einzelnen Routen und Verkehrsträgern zuzuweisen sowie die resultierenden CO 2 -Emissionen zu berechnen. Zunächst konstruierten die ITF-Ökonomen das Modell eines globalen Verkehrsnetzes für Güterbewegungen, basierend unter anderem auf verfügbaren GIS-Daten für die verschiedenen Verkehrsträger. Dieses Netz bildet sämtliche größeren Straßen, alle Bahnhöfe und Schienennetze, Seehäfen und Schifsrouten, Flughäfen und kommerzielle Flüge weltweit ab, einschließlich Verweilzeiten etwa bei intermodalen Güterumschlag und Geschwindigkeitsdiferenzen. Daraus werden Aussagen über durchschnittliche Wegzeiten und Entfernungen für die einzelnen Verkehrsträger sowie die jeweils kürzesten Strecken möglich. Zweitens schlüsselten sie die im Ausgangsmodell für 26 Weltregionen aggregierten Daten weitaus diferenzierter auf, indem sie 2359 Städte in diesen Regionen zu 294 Produktions- und Konsumzentren („Centroids“) zusammenfassen, zwischen denen Handel in 19 Produktgruppen stattindet. In einem dritten Schritt modellierten die ITF-Experten, welche Verkehrsträger für welche Strecke zwischen zwei Produktions- und Konsumzentren zum Einsatz kommen. Dabei berücksichtigten sie, dass der Transport vom Ursprungszum Bestimmungsort multimodal erfolgt. Sie erfassten also nicht nur etwa den Schifstransport von Hafen A zu Hafen B, sondern ebenso die Anlieferung und den Weitertransport mittels anderer Verkehrsträger im Hinterland. Viertens erlaubt ein für Verkehrsträger und Produktgruppen kalibriertes „Weight/ Value“-Modell die Umrechnung von Wertangaben (US-Dollar) zum Welthandel in Frachtvolumen (in Tonnen). In Verknüpfung mit dem so erweiterten Modell erlaubt, fünftens, die Integration von Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) zur CO 2 -Intensität für die Verkehrsträger - unter Berücksichtigung der jeweils für sie zu erwartenden technologischen Entwicklung - Aussagen zu künftigen Emissionen für einzelne Verkehrsträger und Handelskorridore. Welthandel im Umbruch Was sind die Haupterkenntnisse der Studie? Eine Vervierfachung des weltweiten Fracht- Globale Handelsverkehre werden bis 2050 um mehr als das Vierfache zunehmen (um den Faktor 4,3) Zunehmende Kapazitäts-Engpässe kann das Wirtschaftswachstum bremsen Starke Zunahme von CO 2 -Emissionen (+290%) gefährdet internationale Klimaziele Eine nie gekannte Herausforderung für den Verkehrssektor Bild 1: Zentrale Aussagen zum globalen Handel und damit verbundenen Herausforderungen Alle Darstellungen: ITF Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 15 Transportprognose 2050 POLITIK volumens bis 2050 bringt potenzielle Kapazitätsengpässe, die schnell zur Wachstumsbremse werden können. Und der starke Anstieg der mit diesem Wachstum verbundenen CO 2 -Emissionen könnte die internationalen Klimaschutzziele gefährden. Zusammengenommen bedeuten diese Entwicklungen eine noch nicht dagewesen Herausforderung für den Verkehrssektor. Um sie zu meistern, wird es unter anderem eines deutlich verbesserten Kapazitätsmanagements und Investitionen in „missing links“ für verbesserte multi-modale Anbindungen bedürfen. Während das Handelsvolumen auf den etablierten Routen zwischen entwickelten Weltregionen nur langsam steigen wird, wachsen die Handelskorridore zwischen Schwellenländer um durchschnittlich 17 % jährlich. Die Güterströme zwischen den USA und China und in die Gegenrichtung werden zwischen 2010 und 2050 um 374 % zunehmen und volumenmäßig am bedeutendsten sein. Als Folge wird die Nordpaziikroute den Nordatlantik als volumenstärksten Handelskorridor ablösen (Bild 2). Ein Grund ist die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln in Asien mit seiner schnell wachsenden Bevölkerung. Sie zieht einen massiven Anstieg im Volumen der Lebensmitteltransporte nach sich, sodass die Importe von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln in Asien (wie auch in Afrika) exponentiell wachsen. Gemessen in Tonnen-Kilometern (tkm) werden im Jahre 2050 fast ein Drittel (32 %) aller gehandelten Lebensmittel nach China und ein Fünftel (19 %) nach Afrika gehen - vor allem aus den USA, von wo 2050 volle 38 % aller weltweit gehandelten Lebensmittel (in tkm) kommen werden (Tabelle 1). Wachsende Lieferentfernungen Insgesamt verschieben sich die Zentren globaler wirtschaftlicher Aktivität nach Asien. Die schnell wachsenden Schwellenländer werden sich in den kommenden Jahrzehnten immer mehr von Billiglohnstandorten zu Dienstleistungsökonomien wandeln, gekennzeichnet durch steigende Einkommen und entsprechendes Konsumverhalten. Neben dem Aufstieg des Nordpaziik-Korridors zeigt sich dies auch im rasanten Wachstum des Gütertransports über den Korridor Indischer Ozean (+ 406 %) und in der Zunahme des innerasiatischen Handels (+ 403 %). Lag das innerhalb Asiens bewegte Frachtvolumen im Jahre 2010 noch bei knapp unter 6-Mrd. tkm, so wird es 2050 fast 29,7 Mrd. tkm erreichen. Eine Folge dieser geographischen Diversiizierung des Welthandels durch die Entstehung neuer ökokonische Zentren und Handelsbeziehungen ist die Zunahme der durchschnittlichen Distanz für Frachtbeförderung, die laut ITF bis 2050 um durchschnittlich 12 % steigen wird. Eine zweite Folge ist eine leichte Verschiebung bei den eingesetzten Verkehrsträgern. Der stark wachsende Güterverkehr im innerasiatischen und innerafrikanischen Raum Global freight volumes and CO 2 emissions by corridor Intra-North America South Pacific route Intra- South America North Atlantic route Intra- Europe Intra-Asia North Pacific route North Pacific route Oceania South Atlantic route Indian Ocean route Intra- Africa Mediterranean and Caspian Sea +270% +280% +374% +406% +403% +715% +191% +315% +332% +273% +689% +195% Freight volume in billion tonne-km CO 2 Emissions in million tonnes +344% +263% Bild 2: Prognostizierte Verschiebung der Handelsrouten bis 2050 Product group … by value (in billion US dollars) Growth (in %) Product group … by volume (in billion tonne-km) Growth (in %) 2010 2050 2010 2050 Other Metals 301 2075 589 Gas 3370 24974 641 Other Mining 128 651 407 Other Metals 604 4040 569 Electronic devices 1380 6854 397 Other Agriculture 202 1264 524 Iron and Steel 305 1506 394 Rice and crops 7196 43952 511 Other Agriculture 34 163 385 Other Mining 2087 11546 453 Rice and crops 235 1132 381 Iron and Steel 3206 16528 416 Livestock 37 163 338 Livestock 226 1139 405 Metal products 240 1046 336 Metal products 591 2831 379 Other Manufacturing 1913 8317 335 Electronic devices 3598 16439 357 Chemicals/ rubber/ plastic 1469 6154 319 Other Manufacturing 3889 17462 349 Other Minerals 130 533 311 Other Minerals 3131 13582 334 Transport Equipment 1357 5306 291 Chemicals/ rubber/ plastic 10370 44533 329 Textile 803 2936 266 Transport Equipment 2582 10335 300 Paper and wood 430 1551 261 Paper and wood 1934 7448 285 Refined Oil 189 638 238 Food 8486 31759 274 Gas 112 377 236 Textile 5050 18208 261 Food 574 1876 227 Refined Oil 2784 10038 261 Coal 30 81 169 Coal 4373 12925 196 Crude oil 410 1066 160 Crude oil 7214 18612 158 Source: OECD Source: International Transport Forum Tabelle 1: Transportwachstum nach Warengruppen (Wert in Mrd. USD und Volumen in tkm) POLITIK Transportprognose 2050 Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 16 (+ 403 % bzw. + 715 %) ist stärker auf Landverbindungen angewiesen, während Seeverbindungen aufgrund der geographischen Gegebenheiten weniger zum Tragen kommen. Der Landverkehr kann dort aber auf absehbare Zeit noch nicht auf eine ähnlich gut ausgebaute multimodale Verkehrsinfrastruktur zurückgreifen wie auf anderen Überland-Handelsrouten, weshalb ein Großteil der dort entstehenden Verkehre über die Straße abgewickelt werden wird. Weniger Seefracht, mehr Straßengüterverkehr Der ITF Transport Outlook prognostiziert deshalb einen leichten Rückgang des Anteils des Seeverkehrs von 84,7 % (2010) auf 83,4 % (2050), während der Anteil der Schiene weitgehend unverändert bleibt (6 %) und der Straßengüterverkehr auf 10 % zulegt (Tabelle 2). Die Zunahme des Frachtverkehrs und die Verschiebung der Anteile der Verkehrsträger haben erhebliche Auswirkungen für die durch den Welthandel verursachten CO 2 -Emissionen. Diese werden um den Faktor 3,9 in etwa in derselben Größenordnung wachsen wie der Frachtverkehr. Der Anteil des Straßengüterverkehrs an den CO 2 -Emissionenwächst dabei bis 2050 auf 56 % (2010: 50 %). Regional betrachtet, werden die CO 2 -Emissionen aus Frachtverkehr vor allem in Afrika dramatisch zunehmen, und zwar um rechnerische 689 %. Das ist eine mehr als doppelt so starke Zunahme wie in Asien (+ 332 %) und im Indischen Ozean (+ 315 %). Die Prognosen für CO 2 -Emissionen aus Frachtverkehr signalisieren erheblichen Handlungsbedarf mit Blick auf die internationalen Klimaschutzziele. Insgesamt betrachtet wird der landbasierte Güterfrachtverkehr bis 2050 den landbasierten Passagierverkehr als größten CO 2 -Emittenten des Verkehrssektors ablösen. Stammten im Jahre 2010 rund 42 % der gesamten CO 2 - Emissionen aus dem Passagierverkehr und 58 % aus dem Frachtsektor, so wird sich dieses Verhältnis 2050 umgekehrt haben (Bild-3). In diesem Zusammenhang sind die Zahlen des ITF Transport Outlook zum „Binnenanteil“ des Welthandels interessant. Dies ist jener Anteil der Gesamtstrecke zwischen Ursprungs- und Zielort, der innerhalb eines Landes und nicht zwischen Ländern erfolgt - etwa der Transport von Rohmaterialien vom Seehafen zur Fabrik im Hinterland. Dieser Binnenanteil ist in der Literatur bisher kaum beachtet worden, hat jedoch aus mehreren Gründen Bedeutung. Zum einen trägt er weit überdurchschnittlich zu den CO 2 -Emissionen des weltweiten Güterverkehrs bei - nach ITF-Berechnungen macht der Binnenanteil rund 10 % des handelsbedingten Güterverkehrs aus, verursacht aber rund 30 % der dadurch entstehenden CO 2 -Emissionen. Zum anderen unterliegt der Binnenanteil nationaler Regulierung, nicht internationalen Abkommen. Verkehrspolitische Maßnahmen lassen sich für diese Strecken wesentlich schneller und gezielter umsetzen - dies kann gerade im Blick auf die Emissionen relevant sein. ■ Hans Michael Kloth Head of Communications, International Transport Forum der OECD, Paris michael.kloth@oecd.org Jari Kauppila Senior Economist, Head of Outlook Team, International Transport Forum der OECD, Paris jari.kauppila@oecd.org 2010 42% 40% 58% 2050 60% Bild 3: Bis 2050 wird der landbasierte Frachtverkehr den Passagierverkehr als Hauptursache der CO 2 -Emissionen abgelöst haben. Freight volume Modal share Growth% CO2 emission Modal share Growth% ratio volume/ emissions growth (in billion tonne-km) (in million tonnes) 2010 2050 2010 2050 2010 2050 2010 2050 Air 191 1111 0,3 % 0,4 % 482 150 767 7 % 9 % 411 1,2 Road 6388 30945 9,0 % 10,1 % 384 1118 4519 53 % 56 % 304 1,3 Rail 4262 19126 6,0 % 6,2 % 349 62 217 3 % 3 % 250 1,4 Sea 60053 256433 84,7 % 83,4 % 327 779 2630 37 % 32 % 238 1,4 Total 70894 307615 334 2108 8132 286 1,2 Tabelle 2: Wachstumsraten des weltweiten handelsbezogenen Frachtvolumens nach Verkehrsträger bis 2050 Source: ITF WEITERE INFORMATIONEN ITF Transport Outlook 2015 Die kostenfreie Online-Version, das Executive Summary in mehreren Sprachen und ein Bestell-Link für die Printversion ist auf der Webseite des ITF zu inden: www.internationaltransportforum.org/ pub/ TranspOutlook.html ITF Summit 2015, Leipzig Vom 27. bis 29. Mai 2015 indet in Leipzig der jährliche Gipfel der Verkehrsminister (Weltverkehrsforum) zum Thema „Handel, Tourismus und Verkehr“ statt. Mehr auf Seite @@ und unter www.internationaltransportforum.org/ 2015
