eJournals Internationales Verkehrswesen 67/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0042
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2015
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kombiBUS-Modell Uckermark

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2015
Christian Muschwitz
Heiner  Monheim
Johannes Reimann
Anja Sylvester
Constantin Pitzen
Der Begrif kombiBUS meint den kombinierten Transport von Personen und Gütern im gleichen Bus. Ziel ist, durch die zusätzlichen Einnahmen aus der Güterbeförderung das Angebot des ÖPNV in ländlichen Regionen zu stabilisieren. Das Prinzip kombiBUS hatte bis in die 1970er Jahre eine lange Tradition in allen Postbusnetzen Europas. Nur in Skandinavien bestehen auch heute noch lächendeckende kombiBUS-Angebote, die dort eine hohe Qualität ländlicher Bussysteme auch bei minimaler Siedlungsdichte ermöglichen und wegen der Teilnahme vieler Läden am System auch eine dezentrale Versorgung der Fläche stützen. In Deutschland bekommt das Thema nach dem erfolgreichen Abschluss eines kombiBUS-Modell-projekts in der Uckermark nunmehr wieder Aktualität für alle schrumpfenden, ländlichen Regionen.
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Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 37 Landlogistik LOGISTIK kombiBUS-Modell Uckermark Kombinierter Personen- und Güterverkehr zur Stabilisierung ländlicher ÖPNV-Systeme Güterbeförderung, ÖPNV, Ländliche Bussysteme, Ländliche Versorgung Der Begrif kombiBUS meint den kombinierten Transport von Personen und Gütern im gleichen Bus. Ziel ist, durch die zusätzlichen Einnahmen aus der Güterbeförderung das Angebot des ÖPNV in ländlichen Regionen zu stabilisieren. Das Prinzip kombiBUS hatte bis in die 1970er Jahre eine lange Tradition in allen Postbusnetzen Europas. Nur in Skandinavien bestehen auch heute noch lächendeckende kombiBUS- Angebote, die dort eine hohe Qualität ländlicher Bussysteme auch bei minimaler Siedlungsdichte ermöglichen und wegen der Teilnahme vieler Läden am System auch eine dezentrale Versorgung der Fläche stützen. In Deutschland bekommt das Thema nach dem erfolgreichen Abschluss eines kombiBUS-Modellprojekts in der Uckermark nunmehr wieder Aktualität für alle schrumpfenden, ländlichen Regionen. Die Autoren: Christian Muschwitz, Heiner Monheim, Johannes Reimann, Anja Sylvester, Constantin Pitzen M ittlerweile wird die Renaissance solcher kombinierten Personen- und Güterverkehre in ländlichen Bussystemen auch in Deutschland wieder diskutiert, nachdem der kombiBUS Uckermark als erstes einschlägiges Modellprojekt (2010-2013 mit einer Modellförderung durch den Bund und das Land Brandenburg) die generelle technische und juristische Machbarkeit sowie die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit bewiesen hat. Zwischenzeitlich werden in verschiedenen anderen ländlichen Regionen (u. a. in Thüringen und in Brandenburg) Folgeprojekte vorbereitet. Angesichts des großen öfentlichen Interesses an dem Thema lohnt es, die wesentlichen Aspekte zusammenfassend zu diskutieren. Machbarkeit Die rechtliche Machbarkeit ist nach den Erfahrungen in Brandenburg so lange kein Problem, wie der Gütertransport ein Zusatzgeschäft für das kommunale Verkehrsunternehmen bleibt, indem vorhandene Kapazitäten für die wirtschaftliche Betätigung genutzt werden. Die technische Machbarkeit ist leicht erfüllbar, wenn je nach Fahrzeugtyp in Hochlurbussen die Unterlur-Gepäckräume oder bei Niederlurbussen ein Teil der Plattformlächen, ein Gepäckkofer oder ein Anhänger für die Fracht genutzt werden. Für den Transport im Bus haben sich Standardkisten in den Größen E1, E2 und E3 bewährt. Eigens entwickelte insolierte Behälter sichern für Lebensmitteltransporte die Kühlkette durch passive Kühlung (Bild 1). In Skandinavien werden für kombiBUS teilweise Fahrzeuge eingesetzt, die im vorderen Bereich die Personenbeförderung gewährleisten und im hinteren Bereich ein Frachtabteil für die Güterbeförderung vorhalten. Fast alle Läden und viele Betriebe nutzen den kombiBUS in Skandinavien, die Kooperation mit Paketdiensten und Speditionen und vor allem das Geschäft mit der „letzten Meile“. Die Feinverteilung der Waren und Güter ist für die Speditionen oft sehr kostenträchtig. Relevante Branchen und Systemmerkmale Der besondere Vorteil von kombiBUS ist die Gewährleistung taggleicher Lieferungen zu Grenzkosten. Das macht kombiBUS für verschiedene Branchen sehr interessant. Der Lebensmittelhandel kann sich aus der Abhängigkeit von großen Lieferanten und deren Mindestmargen befreien. Und kann, wegen kurzer Lieferzeiten, wieder sehr viel mehr Frischeprodukte ins Angebot nehmen. kombiBUS Uckermark kooperiert beispielsweise mit Q-Regio, einer Handelsgesellschaft für regionale Produkte, die damit ihre drei Läden in der Region beliefert. Produzenten von regionalen Produkten inden durch das kombiBUS System eine Logistiklösung, um auch Kleinstmengen dem Absatz zu zuführen. Gastgeber können einerseits den Gepäcktransport für Touristen, die von Hotel zu Hotel wandern, gewährleisten und andererseits regionale Produkte für ihre Gastronomie nutzen. Erfahrungen aus der Uckermark zeigen, dass kombiBUS schon jetzt einen wichtigen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung leistet. Zukünftig können auch weitere Produkte und Dienstleistungen in das System integriert werden. Post- und Paketdienstleiter können unrentable Strecken auslagern, Dorläden können auch mit Kleinstmengen von Produkten des täglichen Bedarfs beliefert werden und somit die Nahversorgung aufrechterhalten. Auch die Möglichkeit des Geldabhebens im Bus ist für kleinere Beträge denkbar. Das Stichwort Landlogistik fasst diese Möglichkeiten pointiert zusammen. Integration von kombiBUS in den ÖPNV-Betrieb Grundsätzlich ist kombiBUS im heutigen Regionalbusbetrieb umsetzbar. Bei der Planung der Transporte ist aber jeweils die betriebliche Machbarkeit sicherzustellen. Für Ladevorgänge bieten sich im Regionalbusverkehr grundsätzlich Fahrten außerhalb der Verkehrsspitze des Schülerverkehrs oder Fahrten in der jeweiligen Gegenlastrichtung an. Weiterhin ist der Umstieg der Fracht von Bus zu Bus zu planen, denn im Gegensatz zu Fahrgästen können Kisten nicht ohne Hilfe umsteigen und Kisten können auch nicht unbewacht an einer Haltestelle auf ihren Anschlussbus „warten“. Busbahnhöfe des ländlichen ÖPNV entwickeln sich zu Drehscheiben der ländlichen Logistik, weil dort Wartezeiten für Ladevorgänge möglich sind, Bus- Anschlüsse in verschiedenen Richtungen funktionieren, Personalräume oder andere Möglichkeiten zur Zwischenlagerung vorhanden sind und Lieferwagen von KEP- Diensten und Speditionen halten können. Vor der Einführung sind klare Verantwortlichkeiten für Auftragsannahme, Angebotskalkulation, Transportplanung und Transportüberwachung festzulegen. Eine Schlüsselfunktion hat die Schulung aller Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 38 Logistik Landlogistik Mitarbeiter des Fahrdienstes und die Fortentwicklung der Dispositionszentrale des Busverkehrs für die Sicherstellung der für Busunternehmen ungewohnten Dienstleistung. kombiBUS ist eine Innovation und nur unter bestimmten Voraussetzung erfolgreich. Dazu zählen Branchengespräche und Direktmarketing bei Betrieben. Verkehrsplanerische Vorbereitung Der Frachtraum von ländlichen Buslinien ist besonders wertvoll, wenn das Netz nach den Prinzipien des Integralen Taktfahrplanes (ITF) aufgebaut wurde. Wesentliche Merkmale des ITF sind die Orientierung auf Taktfahrpläne, die Ausrichtung möglichst aller Fahrpläne auf Knoten, wo sich Busse aller Richtungen trefen um einen Umstieg in alle Richtungen zu ermöglichen. Dabei geht es um eine Diferenzierung in frequentierte schnelle im Takt verkehrende Buslinien und sonstige Buslinien mit Aufgaben der Orts- und Flächenerschließung. Auch die Diferenzierung in Betriebsformen (Linienverkehr, Rubus) und Fahrzeuggrößen gehört hierzu. Vielfach sind die Bus-Netze im ländlichen Raum historisch gewachsen und wurden an die neuen Erfordernisse eines diferenzierteren Verkehrsmarktes sowie einer schrumpfenden Bevölkerung nicht angepasst. Der ITF ist somit ein Instrument zur Verbesserung der Nutzbarkeit des ÖPNV für die Personen- und die Güterbeförderung. Gleichzeitig verbessert der ITF vielfach die Eizienz des Buseinsatzes durch die Konsolidierung von Verkehrsströmen und die Steigerung der Lauleistung der eingesetzten Fahrzeuge. Betrofene Regionen Besonders gut eignen sich kombiBUS Angebote für dünn besiedelte Regionen, in denen der ÖPNV „mit dem Rücken zur Wand“ steht. Bevor die Angebote aus Kostengründen zusammengestrichen werden, mit Netz- und Fahrplanausdünnungen sowie Personalabbau, lohnt es, nach Zukunftschancen zu suchen. Eine solche Zukunftsoption ist der kombiBUS, wenn er einen relevanten Kostendeckungsbeitrag leistet. Dann kann er maßgeblich zur Eizienzsteigerung und Wirtschaftlichkeitsverbesserung beitragen und den ÖPNV in der Fläche stabilisieren. Ein willkommener Nebenefekt ist, dass der ÖPNV durch kombiBUS in der Wirtschaft und der Politik größere Wertschätzung erhält und als zentrale, zukunftssichere Mobilitätsdienstleistung anerkannt wird. Besonders relevant wird der ÖPNV angesichts des demographischen und sozialen Wandels. Im ländlichen Raum werden außerhalb der Zentren immer mehr Menschen „abgekoppelt“, weil sich fast alle Versorgungseinrichtungen aus der Fläche zurückziehen und der rein schülerixierte ÖPNV kaum mehr die Verbindung disperser Siedlungsgebiete mit den übrig bleibenden Zentren sichern kann. Das Auto kann aber künftig auch immer weniger die Mobilität sichern, weil sinkende Rentenniveaus, schwindende motorische und sensorische Fähigkeiten betagter Menschen sowie der sich stetig verteuernde Autogebrauch immer mehr Autoverzicht erzwingen. Umso wichtiger sind für dünn besiedelte ländliche Regionen dezentrale Versorgungsstrukturen und ein lächendeckendes Jedermann-ÖPNV-Angebot. Hier kann der kombiBUS entscheidend helfen, denn er verbessert die Wirtschaftlichkeit, motiviert zur Angebotsüberplanung und gibt Eizienzfragen wieder einen angemessenen Stellenwert. Perspektiven Natürlich gibt es noch einen großen Unterschied zwischen den etablierten kombiBUS- Systemen Skandinaviens und den „zarten kombiBUS-Plänzchen“ in Deutschland. Als reine regionale Inselsysteme wird ihr Beitrag zur Lösung der drängenden Verkehrsprobleme im ländlichen Raum gering bleiben. Wenn aber aus einem kleinen Inselsystem allmählich mehr Systeme, auch im Verbund ganzer Regionen werden, dann kann sich allmählich wieder eine kombiBUS- Normalität einstellen (Bild 2). ■ Bild 1: Beladung kombiBUS beim Versender (Foto: Constantin Pitzen) Bild 2: Das kombiBUS Prinzip (Grafik: kombiBUS Gruppe) Heiner Monheim, Prof. Dr. Mitgesellschafter, raumkom Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, Trier heinermonheim@yahoo.de Johannes Reimann, Dipl. Geogr. Projektleiter, raumkom Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, Trier johannes.reimann@raumkom.de Christian Muschwitz, Dr. Professuren Raumentwicklung und Landesplanung sowie Kommunalentwicklung, Uni Trier; Geschäftsführer, raumkom Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, Trier muschwitz@raumkom.de Anja sylvester, Dipl. Geogr. Projektleiterin, Interlink GmbH,Berlin sylvester@interlink-verkehr.de Constantin Pitzen, Dipl. Ing. Projektleiter, Fahrplangesellschaft B&B mbH, Oelsnitz cp@fahrplangesellschaft.de Die Autoren sind beteiligt an der kombiBUS Gruppe (www.kombibus.de).