eJournals Internationales Verkehrswesen 67/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0052
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2015
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LKW-Zulaufsteuerung für Logistik-Hubs

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2015
Padideh Moini Gützkow
Lars Nennhaus
Wächst die Wirtschaft, steigen für Logistik-Hubs wie Häfen, Flughäfen oder Güterterminals schnell auch die Herausforderungen an die Infrastruktur. Vor allem die Kapazitäten der Verkehrswege im Hinterland sind oft begrenzt und Erweiterungen nur bedingt möglich. Deshalb geht der Duisburger Hafenbetreiber duisport nun mit Unterstützung von Siemens neue Wege.
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Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 68 TECHNOLOGIE Verkehrssteuerung LKW-Zulaufsteuerung für-Logistik-Hubs Hinterland-Anbindung, Intelligente Verkehrsmanagement-Systeme, Verkehrssteuerung, Slot-Management, Digitalisierung, Smartphone-Applikationen Wächst die Wirtschaft, steigen für Logistik-Hubs wie Häfen, Flughäfen oder Güterterminals schnell auch die-Herausforderungen an die Infrastruktur. Vor allem die Kapazitäten der Verkehrswege im Hinterland sind oft begrenzt und Erweiterungen nur bedingt möglich. Deshalb geht der Duisburger Hafenbetreiber duisport nun mit Unterstützung von Siemens neue Wege. Die Autoren: Padideh Moini Gützkow, Lars Nennhaus M ögen auch die Wirtschaftsprognosen weniger optimistisch ausfallen, als noch vor einigen Jahren - die Warenströme steigen doch weltweit nach wie vor an. Prognosen zufolge wird das Güterverkehrsaukommen auf der Straße in Deutschland zwischen 2010 und 2030 von etwa 3,1- Mrd. t um rund 17 % auf 3,6 Mrd. t steigen. Dabei steigt die Güterverkehrsleistung von 437 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) im Jahr 2010 um 39 % auf 607 Mrd. tkm im Jahr 2030 an [1]. Die positive Entwicklung stellt jedoch viele Knotenpunkte und Drehkreuze des Warenumschlags, insbesondere Seehäfen, Binnenhäfen, Flughäfen und Güterverteil-Zentren, vor große Herausforderungen. Weltweites Güterwachstum hält an - mit entsprechenden Folgen Das gesteigerte Umschlagsvolumen erhöht den Druck auf die Hubs, denn neben der Leistungsfähigkeit der Terminalanlagen machen vor allem ihre Erreichbarkeit und die Eizienz ihrer Anbindung an das Hinterland, den wesentlichen Wettbewerbsvorteil aus. Für die intermodalen Logistik-Hubs ist die Integration und Synchronisierung der Transportprozesse daher ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Viele Hubs fragen sich nun, wie sich die wachsenden Warenströme auch in Zukunft reibungslos abwickeln lassen und der LKW-Verkehr auf den Zulaufstrecken störungsfrei ließen kann. Bereits heute kann es auf den Zufahrtsstraßen um Logistik-Hubs zu bestimmten Tageszeiten zu Engpässen kommen, wobei auch der akute Mangel an öfentlichen LKW-Stellplätzen eine zentrale Rolle spielt. Die Bundesregierung hat sich den Bau von LKW- Parkständen zur Daueraufgabe gemacht [2]. Hubs wie Häfen arbeiten derzeit an modernen bedarfsorientierten Park- und Versorgungsystemen um das LKW-Parkangebot zu verbessern. Herausforderungen, die heute schon existieren - z. B. zeitintensive Umschlagsprozesse, das Management von Informationslüssen sowie allgemeine Kapazitätsengpässe - werden vor dem Hintergrund steigender LKW-Zahlen die Probleme an den Rampen und im Zulauf weiter erhöhen [3]. Schwerwiegendste Folge dieser Einlussfaktoren ist ein Rückstau der LKW, der mit gesteigerten Wartezeiten vor den Terminals und der Be- und Entladung [4] einher geht. Im Hamburger Hafen waren die Probleme so gravierend, dass Trucker und Spediteure dazu aufgefordert wurden, wann immer möglich ihre Anlieferungen zu Abend- und Nachtstunden sowie an den Wochenenden durchzuführen [5]. Laut der Studie Schnittstelle Rampe - Lösungen zur Vermeidung von Wartezeiten, die vom BMVI in Auftrag gegeben und von der hwh Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung mbH durchgeführt wurde, geben je nach Lagerart bis zu zwei Drittel der befragten Transport- und Logistikunternehmen an, durchschnittliche Wartezeiten von über einer Stunde zu haben. Etwa 10 % aller- befragten Unternehmen gaben lagerübergreifend an, durchschnittliche Wartezeiten in Höhe von über zwei Stunden zu haben. Besonders Transport- und Logistik- Unternehmen sehen darin einen zunehmenden Trend. Bei über 90 % von ihnen erhöhten sich bzw. stagnierten die Wartezeiten in den Jahren 2010 bis 2013 [6]. Mit weitreichenden Folgen, denn unproduktive LKW verursachen im Zulauf nicht nur enorme Kosten (bei Strecken unter 300 km bis zu 25 % der Gesamtkosten, [3] S. 56), sondern haben auch negative externe Effekte auf die Umwelt, den örtlichen Verkehrsluss und die allgemeine Verkehrssicherheit. Die Folgen von Wartezeiten sind also gravierend, das Einsparpotential ist riesig. Bereits im Jahr 2008 hätte eine Verkürzung der Wartezeit um 30 Minuten nach Ansicht des Logistikdienstleisters Dachser alleine in dessen Unternehmenssegment Food Logistics zu Einsparungen von bis zu 7,5-Mio.-EUR jährlich bedeutet [7, 8]. Politik und Wirtschaft haben das Potential erkannt. Der Aktionsplan Güterverkehr und Logistik der Bundesregierung hat daher u.a. die Eizienzsteigerung im Bereich der Rampen zum Inhalt [9] und im Gutachten zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Binnenhäfen von der PLANCO Consulting GmbH für das BMVI wird den See- und Binnenhäfen empfohlen, den Ausbau und die Integration von IT-Systemen voranzutreiben, um den Verkehrsluss ins Hinterland zu verbessern [10]. Große Logistikbetreiber haben bereits Millionenbeträge in IT-gestützte Programme investiert, die ihre LKW-Ströme optimieren [11]. Die Betreiber des Hamburger Hafens denken daran, mittelfristig ein Truck Appointment (Slot-System) einzurichten [12]. Der Duisburger Hafen als Drehscheibe im Hinterland Auch duisport, der Betreiber des weltweit größten Binnenhafens (Duisburg), erkannte das Potential und beauftragte das Unternehmen Siemens Mobility mit einer gezielten Bestandsanalyse und der Suche nach weiteren technologischen Lösungen. Am Zusammenluss von Rhein und Ruhr gelegen, ist der Hafen geographisch ideal positioniert und dient als Hinterland-Hub für die Seehäfen, insbesondere für Zeebrügge, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam. Als trimodaler Logistik-Umschlagplatz verfügt er über eine Anbindung an gut ausgebaute Wasser- Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 69 Verkehrssteuerung TECHNOLOGIE straßen, zahlreiche Schienenwege und ein Netz wichtiger Fernstraßen. Die Hafenanlagen mit insgesamt 1350 ha Logistikläche sind auf mehrere Areale verteilt: Zum traditionellen Kernhafen in Duisburg und Ruhrort kommen noch u. a. mehrere Erweiterungsanlagen und Logistikstandorte im Ruhrgebiet dazu. Für die 21 Hafenbecken mit 180 ha Wasserläche sowie 16 km Umschlagufer mit Gleisanschluss verzeichnet die Statistik jährlich gut 20 000 Züge und ebensoviele Schiffe. Mehr als 120 Mio. t Güter werden jährlich im Duisburger Hafen umgeschlagen. Dazu kommen vielfältige Warehouse- und Lagermöglichkeiten, Shuttle-Verkehre und andere integrierte Dienstleistungen. Über 300 Logistikunternehmen, Dienstleister und Industriezulieferer haben sich auf dem Hafengelände angesiedelt. Die duisport-Geschäfte sind in den vergangenen 16 Jahren kontinuierlich gewachsen, die Tendenz ist anhaltend. „Nach 16 % Wachstum im Kombinierten Verkehr 2013 lag das Wachstum 2014 bei rund 13 % und ist auf 3,4 Mio. TEU gestiegen. Durch den gezielten Aus- und Neubau der Terminalkapazitäten haben wir die Bedingungen für weiteres Wachstum geschafen. Wir sind daher zuversichtlich, unsere Position als größter Containerumschlagplatz in Zentraleuropa auch in diesem Jahr weiter ausbauen zu können“, sagt Erich Staake, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG. Die Zusammenarbeit von Siemens und duisport - eine Erfolgsgeschichte Vor diesem Hintergrund entstand auch der Kontakt zur Siemens AG, eine Zusammenarbeit, die sich in der Vergangenheit bereits bei einem internationalen Projekt zur Hafenhinterland-Optimierung des brasilianischen Seehafens Port Santos gut bewährt hat: Denn wo duisport auf Hafen- Und Logistikkonzepte spezialisiert ist, ergänzt das Team von Siemens Mobility seine umfassende Expertise für Geschäftsprozesse, erprobter Hardware, Automatisierungstechnik und individualisierten IT-Lösungen um eine eiziente Verknüpfung von Logistik- Hubs und Straßenverkehr erfolgreich durchzuführen. In den ersten beiden Phasen des gemeinsam zu dem Thema gestarteten Projekts wurden Engpässe im Duisburger Hafen mittels detaillierter Simulationen aufgezeigt und potentielle Lösungsansätze entwickelt. Um einen guten Gesamtüberblick zu erhalten, wurde eine solide Datengrundlage geschafen. Zahlreiche Analysen wurden vor Ort vorgenommen, Interviews geführt, Workshops abgehalten und detaillierte Fragebögen ausgehändigt. Nach Abschluss der ersten Analysen zeigte sich, dass die logport-Terminals zu Spitzenzeiten zum Teil an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt sind. Auf den Zulaufstraßen müssen LKW-Fahrer zu manchen Tageszeiten schon jetzt Wartezeiten in Kauf nehmen, und die Prognosen deuten auf weiteres Wachstum hin: Bis zum Jahr 2020 könnte das Verkehrsaukommen um rund 65 % zunehmen - damit wären die Zufahrtsbereiche der Terminals überlastet, lange und zeitraubende Staus würden zu Planungsunsicherheit bei LKW-Transporteuren und Verladern führen, sowie die Liegezeiten der Schife und die Standzeiten der Containerzüge nahezu unberechenbar machen. Bezogen auf die LKW-Reisezeit würde dies konkret bedeuten, dass sich bis 2015 ein Anstieg der gesamten LKW-Reisezeiten pro Tag um etwa 300 Stunden und im Jahr 2020 sogar auf 1600 zusätzliche Stunden Reisezeit pro Tag allein für logport I abzeichnet (siehe Bild 1). Darüber hinaus existieren im Anmeldeprozess hinderliche Informationsbrüche. Mit anderen Worten: Ohne gezielte Gegenmaßnahmen würden mittelfristig erhebliche Verkehrsprobleme auf logport I entstehen, die sich nicht nur durch Infrastrukturmaßnahmen lösen ließen - und die Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Hafens gefährden. Schritt für Schritt zum Optimum Für den Fortgang des Projekts war die Fragestellung schnell umrissen: Wie kann man den Verkehrsluss zu und von den Hafenanlagen auf bestehenden Verkehrswegen steuern und optimieren sowie die vorhandenen Ressourcen besser nutzen? Die Problemlösung musste eizient und nachhaltig sein, Engpässe im Hafennetzwerk wirtschaftlich entschärfen und Arbeitsabläufe sinnvoll strafen. Daher haben Siemens und duisport in einem Teilbereich des Hafens (logport I) ein Pilotprojekt gestartet mit dem Ziel, eine technologische Lösung zu entwickeln, welche • die aktuelle Verkehrslage transparent für alle Beteiligten darstellt, • die Daten nutzenbringend weiterverarbeitet und • die gewonnenen Informationen mittels mobiler Endgeräte oder LED-Schilder weitergibt, sodass die ankommenden LKW-Fahrer auf der schnellsten Reiseroute zum Hafen gelangen können. Innerhalb eines Jahres sollten in dem Projekt grundlegende Komponenten der erforderlichen Infrastruktur aufgebaut und zusätzlich eine Smartphone- Applikation implementiert werden. Das Lösungsdesign des Projektes basiert auf drei Ebenen: der Feldebene, der Zentralebene und der Bedienebene (siehe Bild 2). Bild 1: Reisezeiten bei unterschiedlichen Szenarien Bild 2: Funktionsebenen und Abläufe des Verkehrsleitsystems Internationales Verkehrswesen (67) 2 | 2015 7 0 TECHNOLOGIE Verkehrssteuerung Die Feldebene umfasst Kameras, welche die Verkehrslage transparent erfassen sowie die dynamischen LED-Anzeigen, welche die Informationen an die LKW-Fahrer weitergeben. Die Kameras werden an deinierten Punkten aufgestellt und lesen automatisch die Nummernschilder der vorbeifahrenden Fahrzeuge. In diesem Zusammenhang war den Projektpartnern das Thema Datenschutz besonders wichtig. Die eingesetzte Software enthält daher leistungsfähige Algorithmen zur Anonymisierung der Daten, was die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen gewährleistet. Die gesammelten Informationen werden über standardisierte Schnittstellen an ein übergeordnetes Verarbeitungssystem auf der Zentralebene weitergeleitet. Durch die Messung der Zeit, die ein Fahrzeug zwischen zwei Kameras benötigt, kann dann auf die Reisezeit rückgeschlossen werden (siehe Bild 3). Je dichter die Messpunkte beieinander liegen, desto genauer und aktueller sind die Daten. Über die dynamischen LED-Anzeigen werden die verarbeiteten Verkehrsinformationen an die vorbeifahrenden LKW-Fahrer zurückgegeben; die werden dadurch bei der Auswahl zwischen den zur Verfügung stehenden Routen unterstützt. Auf der Zentralebene laufen alle benötigten Informationen zur Weiterverarbeitung der Daten zusammen. Die Software (Sitrafic Concert) wird als sogenannte Application Service Providing (ASP) implementiert. Das bedeutet, dass der Endnutzer (in diesem Fall duisport) Zugrif auf alle verkehrstechnischen Zentralanwendungen hat, ohne die dazu erforderlichen technischen Zentralsysteme auf eigene Rechnung errichten, besitzen, betreiben oder kontinuierlich plegen zu müssen. Der Zugrif erfolgt über einen hochsicheren Internetzugang, der am normalen Arbeitsplatz des Endnutzers entsprechend eingerichtet werden kann. Es ist geplant, neben den Informationen über die Reisezeiten innerhalb der Netzmasche auf Haupt- und Alternativrouten (siehe Bild 4) auch die Daten aus bereits existierenden externen Systemen (Stadt Duisburg, Straßen.NRW) zu integrieren und darzustellen. Auf der Bedienebene wird zwischen verschiedenen Nutzergruppen unterschieden, die jeweils Zugrif auf unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten bzw. Softwarepakete haben. Der Hafenbetreiber hat als Client einen Vollzugrif auf das System und benutzt als Arbeitsplatz die Oberläche der Verkehrsrechnerplattform Sitraic Concert. Von hier aus wird das gesamte System aus technischer Sicht überwacht. Betriebs- und Störmeldungen der Geräte werden auf der Feldebene ausgewertet, die LED-Anzeigen gesteuert und statistische Analysen vorgenommen. Weiterhin werden dem Hafenbetreiber - bei Bedarf auch dem Spediteur, Terminal oder LDL - die Informationen zur Verkehrslage und zu Reisezeiten über die verschiedenen Routen über das Web-Portal Sitraic SmartGuard zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um einen webbasierten Verkehrsrechner, der mit HTML5.0-fähigem Browser eine innovative intelligente Überwachung und Visualisierung der Streckenabschnitte per PC, Tablet oder Smartphone ermöglicht. Um die Daten der Nutzer vor Zugrifen von Unbefugten zu schützen und somit die Mandantenfähigkeit dieser Lösung zu gewährleisten, besteht ein zweistuiges Sicherheitskonzept. Das System ist zuerst mit einer Benutzerkennung und einem Passwort gesichert. Darüberhinausgehende, sicherheitsrelevante Eingrife sind zusätzlich durch ein Mobile-PIN Verfahren geschützt. Die Anmelde- und Slotdaten unterschiedlicher Logistikdienstleister werden über Schnittstellen in das Verkehrsmanagement übertragen und gemeinsam mit den Verkehrsinformationen verarbeitet. Um die LKW-Fahrer jederzeit über den Slot-Status informieren zu können, wird für die Lösung in logport I eine Smartphone- Applikation für LKW-Fahrer entwickelt, die Bild 3: Anonymisierte optische Erfassung erlaubt Rückschlüsse auf die Reisezeiten. Bild 4: Routenanzeige mit Alternativroute